Zu den Bundesratswahlen

Interview mit dem Sonntags-Blick vom 18. Dezember 2011 mit Herr P. Hossli

Wer den Verlierer nach der Niederlage trifft, erwartet eine gebrochene Figur. Dazu Einsicht, vielleicht Demut – und den Willen, eigene Fehler einzugestehen.

Eine Erwartung, die sich im dritten Stock des Bundeshauses rasch zerschlägt. Höchst agil und selbstsicher begrüsst SVP-Nationalrat Christoph Blocher Reporter und Fotograf, lädt zum Espresso aus dem Plastikbecher ins helle Sitzungszimmer der SVP. An den Wänden hängen alte Wahlplakate, im Regal stehen Bierdosen.

Blocher, seit Oktober 71, strotzt vor Energie, wirkt überdreht, aufgekratzt, grinst mehr als sonst. Ein Abgang, wie ihn Parteigänger verlangen, wie ihn alt Bundesrat Adolf Ogi im «Tages-Anzeiger» fordert, lässt ihn kalt. «Meinen Gegner würde es gefallen, wenn ich ginge. Nichts Neues unter der Sonne.»

Blocher ist der Verlierer, der sich zum Sieger redet.

Nichts ändern daran die Verluste. Verfehlt hat die SVP das Ziel, bei den Wahlen 30 Prozent zu holen. «Es ist bedauerlich, wenn man ein zu hoch gestecktes Ziel nicht erreicht, aber keine Katastrophe.» Er gesteht: «Wir hätten das Ziel nicht bekannt geben sollen.» – «Die SVP hat 20 Jahre nur gewonnen, aber jetzt 2,3 Prozente verloren, weil mit der GLP und der BDP zwei neue Parteien entstanden sind.»

Der Sturm aufs Stöckli scheiterte. «Das war weder unsere Wortschöpfung noch unser Ziel», sagt er. Spricht mit den Händen, wie stets, wirkt gelangweilt, wenn eine Frage ihn langweilt, blüht auf, wenn eine andere provoziert. Statt über Verantwortung für eigene Verluste zu reden, rechnet er den anderen die Verluste vor. «Ueber unsere Verluste reden wir intern und analysieren. Uebrigens keine einzige Bundesratspartei hat ihr Ziel erreicht. Wenn neue Parteien kommen, verlieren die traditionellen Parteien. Die FDP und die CVP sind auf dem historischen Tiefstand. Die SP auf dem zweitschlechtesten Ergebnis und die SVP auf dem Drittbesten.»

Die missglückte Bundesratswahlen? War «eine Heuchelei». Schuld am Debakel sind andere. «Es kam wie erwartet, die Mitte-Links-Mehrheit will die grösste Partei – die SVP – nicht im Bundesrat.» – «Wir hätten den Kaiser von China bringen können, die anderen hätten uns den zweiten Sitz nicht gegeben.»

Blocher triumphiert beim Scheitern. Sieht sich als einer, der Übles entlarvt. «Bis anhin haben uns die Gegner vorgeworfen, wir hätten keine konkordanten Figuren. Jetzt haben wir Kandidaten von den Gegnern geradezu auswählen lassen. Gewählt haben sie diese trotzdem nicht. Das entwürdigende Spiel wurde offen gelegt. Das führt zur Politikverdrossenheit.»

Nicht sein Spiel war unwürdig, sondern das der anderen. Warum hat er Mühe, Fehler zuzugeben? «Fehleranalysen machen wir dauernd, aber nicht für die Journalisten.»

Verstrichen ist eine kurze Woche, sind zwei kurze Monate, in denen Blocher den Nimbus des Unschlagbaren verloren hat. Er winkt ab. «Dieser Nimbus ist mir neu, ich habe ihn nie gehabt. Haben ihn andere, ist es wichtig, dass dieser Nimbus verloren geht. Ein Nimbus ist nie gut.»

Er redet die Revolte der Jungen bei der SVP klein. «Es geht vor allem um die Kommunikation.»

Zur Kritik von anderen Ständeräten: «Wenn ich sie jeweils persönlich frage, sagen sie mir stets, so hätten sie das nicht gesagt.»

Am Zwist um den künftigen Kurs findet er gefallen. «Bravo, endlich streitet die SVP wieder. Es ging bei der SVP zwanzig Jahre nur aufwärts, viele haben sich zurückgelehnt und sind im Schlafwagen nach Bern gefahren. Das ist jetzt fertig, dieser Rückschlag ist heilsam.» Nächste Woche spricht sich die Fraktion aus. Fliegen Fetzen, findet Blocher das gut. «Wissen Sie, der Streit sollte Normalzustand sein. Er führt zu Lösungen.»

Das gilt im Rat, im Beruf – und den eigen vier Wänden. «Meine Frau ist meine stärkste Kritikerin», sagt Blocher über Gattin Silvia. «Das sind die Frauen ja immer. Wir heiraten sie, weil wir ihre Kritik brauchen.» – fügt er lachend bei. «Wir haben keine harmonische Ehe. Bei einer harmonischen Ehe sind die Leute zu faul, um sich auseinanderzusetzen.»

Seine Frau sei «unglücklich», dass er weiter politisiere. «Sie leidet mit, wenn es ungerecht zugeht, aber sie sieht die Notwendigkeit, dass ich es mache.»

Was treibt ihn denn noch an? «Warum ich es mache? Das weiss ich nicht.» Sicher ist – er fühlt sich berufen. «Politisch treibt mich seit Jahren dasselbe an: Die Schweiz hat institutionell eine sehr gute Ordnung, darum muss sie verteidigt werden. Aber – wie das Churchill über die Demokratie gesagt hat – es ist die am wenigsten schlechte. Jetzt will man sie zerstören, – dem will ich helfen, einen Riegel zu schieben.» – «Was wäre denn die Alternative? Zu Hause sitzen? Kaffee trinken? Lesen? Ich täte dies mit Freude. Aber ich hätte das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein, ein “trauriger Chaib,” dass ich mich dem unapetitlichen Politikbetrieb entziehe und die andern die Arbeit machen lasse.»

Statt dessen trimmt er die Partei auf Widerstand. «Das ist anspruchsvoll, daran muss sich die Partei zuerst gewöhnen.» Das ist neu. «Bei den Bundesratswahlen hat z. Bsp. der SVP-Kandidat gegen einen SP-Kandidaten verloren – und gleichwohl sind einige unserer Leute aufgestanden und haben dem Gegner applaudiert. Aus Gewohnheit!»

Einer war Bruno Zuppiger, der bei der Wahl von Alain Berset aufstand und applaudierte. Ein Moment von persönlicher Demut eines Nationalrats, der sehr schnell sehr tief abstürzte. «Demut? Dass ein Sozialist die Wahlen gewinnt!» Nein, Gutmenschen mag Blocher nicht. Es sei das Gegenteil von gut.

Grösse gegenüber dem Sieger gehört in der Schweiz zum guten Ton. Für Blocher höchstens beim Sport oder im Spiel. «Der Applaus zeigt, dass die Bundesratwahlen ein Spiel sind.»

Ein Spiel, bei dem das Parlament SVP-Mann Ueli Maurer wieder gewählt hatte. Wie lange ist Maurer noch Bundesrat? «Sicher noch vier Jahre.» Warum betreibt die SVP nicht echte Opposition und zieht Maurer zurück? Darüber befinde die Partei Ende Januar. Geht es nach Blocher, soll Maurer im Bundesrat bleiben. «Er legt die Fehlentwicklungen innerhalb der Regierung offen. Die SVP kontrolliert die Regierung von aussen.»

Endlich werde es möglich, die Arbeit der Bundesräte zu kritisieren, ohne Rücksicht auf den Filz. «Das konnten wir als Regierungspartei kaum tun», sagt Blocher – und greift an. «Bundesrätin Widmer-Schlumpf und Frau Sommaruga haben die Unordnung im Asylwesen herbeigeführt. Das ist offen zu legen.» «Didier Burkhalter hat bei der Sanierung der IV bereits nachgelassen – da hält die SVP den Finger drauf.» «Frau Leuthard muss endlich zeigen, wie nach dem Atomausstieg eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten ist.» Freut er sich auf die Opposition? «Der Aufgabe sehe ich mit Demut entgegen, ich frage mich, ob wir alle dem gewachsen sind.»

Nicht nur wegen den Bundesratswahlen hagelte es letzte Woche Kritik. Es ging um seine Tochter Rahel, die unverkannt hinter der «Basler Zeitung» stand, um seine Garantie für allfällige Verluste beim Basler Konzern.

Um die Vielfalt der Medien gehe es ihm, sagt Blocher. “Um die Meinungsvielfalt.”

Warum hat er bei der «Basler Zeitung» nicht die Wahrheit gesagt? «Ich habe bei der BaZ nichts Unwahres gesagt. Aber nicht alles offengelegt» “Was soll denn hier so schlimm sein?”v

Verschleiert deutet er einen Wechsel an der Spitze der SVP an. „Niemand in der Parteileitung hängt an seinem Posten.“ «Wir sind um jeden froh, der nachkommt und es besser macht.» – «Wir mussten Toni Brunner – der beste Parteipräsident – ja fast ins Amt prügeln.»

Bleibt Brunner? «Ich gehe davon aus und hoffe es.»

Wut und Verletzung leiten Blocher, heisst es seit Jahren. «Er ist immer noch verletzt wegen seiner Abwahl aus dem Bundesrat», sagte Ogi dem Westschweizer Magazin «L’illustré». Doch Blocher weist dies lachend zurück!

Das Gefühl bleibt bestehen, Rachegelüste hätten ihn zu Fehlern verleitet. «Wer hat dieses Gefühl?», fragt Blocher. «Ich.» – «Das ist ein schlechtes Gefühl, lassen Sie sich von Ihrem Intellekt leiten und nicht von Gefühlen in die Irre führen.» «Ich habe weder Rache noch Wut, meine Gedanken und Gefühle sind an einem ganz anderen Ort.»

«Wir kritisieren Frau Widmer-Schlumpf für die unverantwortliche Arbeit im Asylwesen, nicht aus Rache, sondern weil dies uns wieder bald 20’000 Zuwanderer bringt. Der überwiegende Teil sind Arbeitssuchende und Kriminelle. Nicht Flüchtlinge! Dafür sind Frau Widmer-Schlumpf und jetzt Frau Sommaruga verantwortlich. Dasselbe gilt für die schlechten Verhandlungen mit den USA. – All das haben wir zu wenig kritisiert, weil wir in die Regierung eingebunden waren. Jetzt müssen wir dies tun.»

Zuletzt bedauert er das Ende der Zauberformel. «Sie war ein Garant für schwierige Zeiten.» Er hält inne. «Die kommen jetzt. Wann endlich rüstet sich die Schweiz? »

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