Blochers Abrechnung mit der Finanzwelt

Interview im «Magazin Stocks» vom 12. November 2010

Stocks: Die Person Christoph Blocher als Politiker polarisiert ungemein, fällt der Name Christoph Blocher als Unternehmer, applaudiert man anerkennend. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Christoph Blocher: Die Wirtschaft hat erfolgreiche Leute gern, die Politik nicht.

Wie definieren Sie Erfolg?
Im Gegensatz zur Politik ist der Erfolg in der Wirtschaft messbar. Ich bin seit 30 Jahren selbständiger Unternehmer und habe bei Null angefangen. Mit der Ems-Chemie habe ich ein Unternehmen übernommen, dass damals vor dem Bankrott stand – und habe dieses, auch mit Hilfe von Bankkrediten zum Erfolg geführt. Erfolg hat man als Unternehmer aber auch dann, wenn das Geschäft nach dem persönlichen Rückzug weiterläuft – und auch das ist mir gelungen. Ich habe tüchtige Kinder, die noch erfolgreicher sind als ich.

Haben Sie nie Gegenwind gespürt?
Natürlich war mein Vorgehen nicht immer unumstritten, doch der wirtschaftliche Erfolg wird letztlich auch von Gegnern akzeptiert. Gute Politiker – um auf Ihre Einstiegsfrage zurückzukommen – reifen erst dann zu Persönlichkeiten, wenn sie umstritten sind. Schauen Sie die Geschichte an, ohne dass ich mich mit diesen Namen messen will: Winston Churchill oder Helmut Schmidt, einer der besten Kanzler, die Deutschland je hatte, waren unglaublich umstritten. Als Politiker will ich etwas bewegen.

Beispielsweise, dass die Schweiz nicht der EU beitritt und folglich auch keinen Euro hat. Bei den aktuellen Turbulenzen um die Einheitswährung lachen Sie sich sicher heimlich ins Fäustchen.
Nein, ich habe Turbulenzen nicht gern. Wir sind mit diesen Ländern wirtschaftlich verbunden. Mich plagt lediglich, dass man das Dilemma nicht früher gesehen hat – das wäre möglich gewesen. Ich habe mich bisher noch nie so intensiv für etwas eingesetzt, wie für eine neutrale, unabhängige und direkt-demokratische Schweiz. Zu Beginn dieses Kampfes war ich nicht sicher, ob ich recht habe.
Heute schon?

In der Schweiz behaupteten Anfang der Neunzigerjahre namhafte Leute, darunter Ökonomen oder gar Bundesräte, dass die Schweiz ohne EU-Beitritt verarmen und untergehen werde.
Und heute haben wir genau das gegenteilige Problem: Eine starke Wirtschaft und eine starke Währung.
Alle beneiden uns um diese Situation. Die Schaffung des Euro war ein Fehler.

Sind Sie in Euro investiert?
Nein.

Dann stört Sie der starke Franken nicht?
Doch. Nehmen Sie Ems-Chemie als Beispiel: 96 Prozent des Umsatz werden im Ausland erzielt, zwei Drittel davon im Euro­raum. Vielleicht ist es ein Vorteil des Alters, dass ich die Frankenstärke trotzdem nicht so ernst nehme. Für den Moment bedeutet sie Gewinnschmälerungen, über die Jahre gleicht es sich wieder aus.
Für die Schweizer Wirtschaft ist der Franken aber zu einem echten Problem geworden.
Der starke Franken hat uns gezwungen, gescheite Massnahmen zu treffen. Wenn eine Wirtschaft nur wegen der schwachen Währung stark wird, ist das kurzfristig vielleicht vorteilhaft, aber auf die Länge eine gesunde Entwicklung. Namentlich die Schweizer Maschinen-Industrie profitierte in den vergangenen Jahren von einem schwachen Franken – aber das ist keine industrielle Grundlage.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat das Problem drastischer gesehen und Euro-Stützungskäufe getätigt.
Ich war immer gegen diese Interventionen. Es wurden ja unglaubliche Summen eingesetzt.

Aus Schweizer Optik ja, für den weltweiten Devisenmarkt fast vernachlässigbar.
Genau. Kommt hinzu, dass der Markt, seit die SNB mit den Interventionen aufgehört hat, viel ruhiger verläuft.

Eine Studie der UBS kam kürzlich zum Schluss, dass der Euro nur durch einen Austritt Deutschlands zu retten wäre.
So absolut würde ich das nicht formulieren, aber die Aussage geht in die richtige Richtung. Die Konstruktion einer gemeinsamen Währung ist verrückt – man hat aus politischen Gründen etwas geschaffen, das in der Weltgeschichte noch nie Bestand gehabt hat. Es wurden Konvergenzkritierien definiert, die heute niemand mehr einhält – das kann nicht funktionieren.

Wie haben Sie das Säbelrasseln namens «Wäh­rungs­krieg» erlebt?
Das ist für mich kein neues Phänomen.

Gebärden sich aber nicht die USA äusserst scheinheilig?
Natürlich, die USA profitieren von einem schwachen Dollar. Aber China steht länger je mehr auf die Hinterbeine – und sie machen das geschickt, indem sie für Dollar Rohstoffe auf 30 bis 40 Jahre hinaus kaufen. Die USA konnten bisher trotz grosser Verschuldung immer wieder neue Kredite aufnehmen und genossen hohes Vertrauen. Dieses ist nun am Bröckeln, weil die grössten kreditgebenden Länder mit dem Dollar viel verloren haben.

Hören wir Sympathien für China heraus?
Ich kenne das Land sehr gut und war einer der ersten, der nach der Öffnung dort war. Zwischen 1983 und 2003 haben wir dort 117 Fabriken gebaut.

Sympathien für einen sozialistischen Staat.
In der Wirtschaftspolitik sind die Chinesen alles andere als Sozialisten. Da macht jeder was er will und kann.

Das muss nicht unbedingt positiv sein.
Einverstanden.

Sie erlebten keine negativen Auswüchse?
Die Anarchie ist grundsätzlich bewunderswert, weil sie die höchste Form der Freiheit darstellt. Aber am Schluss kann es auch im Chaos enden. Deshalb greift in China der Staat mit wesentlichen marktwirtschaftlichen Methoden durch, bändigt die Überhitzung und reguliert die Geldmenge.

Gutes Stichwort: Die Drosselung der Geldmenge ist in Europa und den USA derzeit kein Thema. Ihre Einschätzung?
Das ist sehr gefährlich.

Wie lange kann die Tiefzinspolitik noch verfolgt werden?
Die Frage ist vielmehr: Haben die Notenbanken die Grösse, um das Geld wieder zurücknehmen zu können?

Ihre Antwort?
Ich befürchte: Nein. Die europäischen Länder haben ja keine eigenen Notenbanken mehr. Deutschland müsste jetzt eigentlich handeln und Geld abschöpfen können, der Wirtschaft geht es gut. Doch die Europäische Zentralbank wird nichts unternehmen. Deshalb noch einmal: Die EU ist eine intellektuelle Fehlkonstruktion.

Sie liefern das Stichwort Fehlkonstruktion. Passt dieses auch zu den neuen Banken-Regulatorien?
Der internationale Ansatz «Basel III» konzentriert sich auf mehr Eigenmittel – das begrüsse ich. Wenn weltweit alle mitmachen, kann man ungleiche Konkurrenzverhältnisse nicht mehr als Ausrede gelten lassen.

Glauben Sie daran, dass alle mitmachen?
Das ist eine berechtigte Frage. So oder so muss die Schweiz ihren Weg gehen. Ich bin Industrieller: Mir käme es doch nie in den Sinn, mit 10 oder 14 Prozent Eigenkapitalquote wirtschaften zu wollen – ich habe aus Sicherheitsgründen immer 40 bis 60 Prozent angestrebt. Die Regulatorien werden zur Folge haben, dass Bankenkrisen weniger schnell ausbrechen – sie werden aber nicht verunmöglicht.

Mit dem «Swiss Finish» sind Sie zufrieden?
Fakt ist: Die Schweiz muss eigenmächtig handeln. Was müssen Banken vortreffen, damit sie, wenn es ihnen schlecht geht, untergehen können und der Staat nicht verpflichtet ist, Garantien zu leisten. Ich sehe mit Freuden, dass mein Denkansatz zu greifen beginnt, nachdem ich anfänglich als Schwarzmaler bezeichnet worden bin.

Wie hat sich die ausgedrückt?
Noch vor nicht allzu langer Zeit behauptete die Credit Suisse, eine Bank von dieser Grösse könne nicht untergehen. Das ist Schwachsinn: Jedes Unternehmen muss untergehen können, sonst fehlt jegliche Triebfeder zur Rettung.

Die Banken sind aber auch mit dem «Swiss Finish» unverändert gross und folglich ein Systemrisiko.
Die Banken müssen aufgegliedert werden.

Genau das passiert nicht.
Aber es kommt Bewegung in die Sache. Als UBS-Chef Oswald Grübel kürzlich gefragt wurde, was passieren würde, wenn die von Blocher vorgeschlagene Holding-Struktur umgesetzt werden müsse, antwortete er: «Die Aktienkurs wird steigen.» Begründet hat er es mit dem zusätzlichen Vertrauen in die Bank. Ich bin fast vom Stuhl gefallen…

Auch die CS liess durchblicken, dass mit Clariden Leu oder der Neuen Aargauer Bank eine solche Holding-Struktur möglich wäre.
Eben. Es findet allmählich ein Umdenken statt. Anders sind die US-Investmentbanker nicht in den Griff zu bekommen. Erst wenn sie bei einer unabhängigen Bank Kredite zu marktkonformen Zinsen holen müssen, wird der Erfolgsdruck grösser.

Sie sprechen darauf an, dass beide Grossbanken zuletzt wieder Verluste im Investmentbanking verzeichneten…
… und dort unter dem Strich noch nie Geld verdient haben. Auch Grübel musste in der bereits erwähnten Gesprächsrunde zugeben, dass er mit der CS immerhin einmal «Breakeven» erreicht habe. Wenn dies das Erfolgsrezept der Banken ist, dann gute Nacht. Aber – und jetzt komme ich zum Positiven der Finanzkrise: Alles ist vernünftiger geworden.

Ist das Ihr Ernst?
Ja. Wenn ein Bankenpräsident zugibt, dass in einem Bereich noch nie Gewinne gemacht wurden, ist das ein erster Schritt. Die Banken wären ja zudem dumm, wenn sie das «Too-big-to-Fail»-Problem nicht zugeben würden. Es braucht doch keine Instanz des Staates: Dieser will Einblick und redet bei jeder Gelegenheit mit. Die Bankenaufsicht wird aber auch weiterhin nicht funktionieren – sie hat das auf der ganzen Welt noch nie getan.

Aber sie wird weiter dreinreden.
Natürlich, so sind Politiker. Es kann doch in Bern niemand das Risiko einer Bank beurteilen, wenn er nicht selbst drinsitzt.

Sie kritisieren die Finma, obwohl die Banken selbst bewiesen haben, dass sie das Risiko auch nicht einschätzen konnten.
Fehler sind doch ganz natürlich: Auch in der Industrie läuft jedes Unternehmen stets Gefahr, dass es zu Grunde geht. Ich kenne kein Unternehmen, dass 2000 Jahre Bestand hat. (lacht) Doch: Eine Ausnahme gibt es – die katholische Kirche. Aber die legen die Bilanz erst im Himmel vor – und dann bin ich gespannt, was alles zum Vorschein kommt… Die Banken hatten den Erfolgsdruck nicht – sie sagten sich: Wir sind so gross, man lässt uns nicht fallen. Und das geht nicht.

Hätte man also in den USA, wo die Banken weniger systemrelevant sind, mehr als nur Lehman Brothers fallenlassen sollen?
Eindeutig. Das würde die Banken dazu bringen, vorsichtiger zu geschäften. Ich bin gegen die Rettung von Unternehmen.

Glauben Sie daran, dass die Banken heute kostenbewusster geworden sind?
Ich zweifle noch dran, die Banken sind in diesem Punkt wenig hellhörig. Es ist zu einfach, wenn man behauptet, dass die Leute mit weniger Lohn nicht halten sind.

Ist das Lohnsystem mit den hohen variablen Komponenten falsch?
Nein. Ich war der Erste, der Bonuszahlungen eingeführt hat. Aber: Leistungsbonus ist nicht das gleiche wie Gewinnbonus. Wenn der Bonus nur einseitig an den Gewinn gekoppelt ist, findet eine zu kurzfristige Denkweise statt.

Das zu Ende gehende Börsen-Jahrzehnt war turbulent und auch geprägt von Ihrer Zusammenarbeit mit Martin Ebner und seinen Visionen. Welche Visionen haben Sie heute?
Ich bin mit diesem Begriff sehr zurückhaltend. Alt-Bundeskanzler Schmidt sagte: Wenn einer Visionen hat, soll er zum Psychiater. Obwohl ich in die Pharma Vision sehr erfolgreich investierte, war ich beim Namen immer sehr skeptisch.

Ihr Börsen-Erfolgsrezept?
Kapital will investiert sein. Ich rate aber allen Leuten, die nicht genügend Geld haben, vom Aktienkauf ab.

Das Thema «Volksaktie» ist vom Tisch?
Absolut.

Trotzdem wollen wir einen Investment-Tipp.
Ich investierte in Firmen, die schlecht laufen…

… also beispielsweise die UBS.
(lacht) In Banken investiere ich grundsätzlich nicht, ich suche den Industriesektor.

Die UBS-Aktie wäre aber ein Kauf?
Schon vor einem Jahr sagte ich: Die Bank kann nicht mehr viel falsch machen. Sie ist gewillt, es zieht Seriosität ein. Mit Grübel wurde der derzeit tüchtigste Banker an die Spitze geholt, den die Schweiz derzeit hat.

Wie oft standen Sie selbst wieder davor, operativ irgendwo einzugreifen?
In die eigenen Firmen komme ich sicher nicht mehr zurück. Meine neugegründete Firma konzentriert sich auf Investitionen und Beteiligungen – da kann es schon sein, dass ich auch mal aus dem Hintergrund führe. Wenn eine grössere Chance käme, würde ich nicht per se «Nein» sagen.

Nach dem vorherigen Werbespot sehen wir, sollte es der Credit Suisse in zehn Jahren schlecht gehen, folglich das Duo Grübel/Blocher an der Spitze?
Nein. Von Banken verstehe ich heute zu wenig.

Dafür kennen Sie die Ems-Chemie. Sind Sie neidisch auf den Erfolg Ihrer Tochter?
Nein, nicht neidisch, sondern stolz. Wenn ich heute behaupte, meine Kinder würden die Firmen besser führen als ich, dann soll das auch ein Provokation sein. Bei der Ems-Chemie stammen die heutigen Produkte notabene alle noch aus meiner Ära.

Magdalena Martullo muss sich also erst noch beweisen?
Ja. Jetzt müssen neuen Produkte her – aber dafür wird sie auf jeden Fall sorgen.

Wir diskutieren über Ihre Kinder. Wie wichtig ist Ihnen die Familie?
Ich bin ein konservativer Mensch. Für mich ist die Familie eine Rückzugsposition – ohne Familie vereinsamt man. Aber ich bin für Führung, auch in der Familie. Der Auftrag steht im Mittelpunkt, das ist mein Führungsgrundsatz und Erfolgsgeheimnis. Zu Hause ist meine Frau der Chef, in meinen Bereichen bin ich es. Gemeinsam Verantwortung tragen funktioniert nie. Selbstverwirklichung ist eine egozentrische Krankheit der Politiker…

… und Manager?
Ja, immer dann, wenn es gut läuft.

Und wenn es schlecht läuft…
… holt man die repräsentativen Figuren.

Ihr Top-Ereignis im vergangenen Jahrzehnt?
Die Erlebnisse mit Martin Ebner. Sie haben mir gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn man von den traditionellen Grundsätzen abweicht.

Die da heissen?
Auf wenig konzentrieren – und mit viel Eigenkapital ausgestattet arbeiten. Das Gegenteil davon hat die weltweite Finanzkrise ausgelöst.

Welche Schlagezeile lesen wir in zehn Jahren über die Wirtschaftsnation Schweiz?
Nach wie vor ein Wunder… (kurze Pause) so lange wir unabhängig bleiben (lacht).

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