«1000 Jahre und no e Wili»

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Feier “1000 Jahre Stein am Rhein” vom 7. Juli 2007

07.07.2007, Stein am Rhein

Stein am Rhein. An der Feier “1000 Jahre Stein am Rhein”, die auch den Auftakt zum Freilichtspiel “No e Wili” bildet, richtete Bundesrat Christoph Blocher die Grüsse des Bundesrates aus und wünschte der Stadt weitere 1000 Jahre Bestehen.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Meine Damen und Herren

1. Sichtbare Geschichte

1000 Jahre Stein am Rhein! Dieses Städtchen am Auslauf des Bodensees ist also ein Gewächs mit Wurzeln, die tausend Jahre zurückreichen.

Das Mittelalter ist hier Gegenwart, und der Stolz des Bürgertums zeigt sich noch heute in den wunderschön bemalten Häuserfassaden, an den Schildern der Handwerker und Wirtsleute. Der Marktplatz, das Rathaus und die Kirche bilden das gesellschaftliche Dreieck: Wirtschaft (Marktplatz), Politik (Rathaus) und Religion (Kirche).
Umschlossen wird die Stadt von einer Mauer. Stein am Rhein ist zwar eine Handelsstadt an bester Lage – gleichwohl war es ganz selbstverständlich, dass man wissen wollte, wer hier rein und raus geht und ausserdem bot die Mauer Schutz in Kriegs- und Krisenzeiten.

Diese mittelalterlichen Mauern demonstrieren die Wehrbereitschaft, sie stehen für Recht und Ordnung innerhalb der Stadt, sie stecken den Verantwortungsbereich ab, innerhalb dessen die Stadtoberen ihren Pflichten gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nachzukommen hatten – schliesslich wurden solche Mauern meist unter gemeinsamer materieller und persönlicher Anstrengung errichtet.

2. Tausend Jahre bewährt

1000 Jahre Stein am Rhein! 1000 Jahre haben hier Menschen gearbeitet, geheiratet, gestritten, sich wieder vertragen, gefeiert, getrauert – was halt das Leben so bereit hält und das war bei unseren Vorfahren nicht viel anderes als heute.

Tausend Jahre haben sich Menschen hier zu Hause gefühlt, haben die verwinkelten Gassen geliebt und den Blick auf den langsam gleitenden Fluss genossen, und heute feiert Stein am Rhein sich selbst und seine Geschichte. Ich kann nur sagen: Was tausend Jahre besteht, ist Zeichen der Bewährung. Stein am Rhein ist älter als die Eidgenossenschaft, fünfhundert Jahre älter als der Kanton Schaffhausen (1501), dem es heute angehört und viel älter als unser Bundesstaat, den es erst seit 1848 in dieser Form gibt.

Sie verstehen meine Freude, dass ich dieser besonderen Stadt die Gratulationen und Glückwünsche des schweizerischen Bundesrates – unserer Landesregierung – überbringen darf.

Was hat Stein am Rhein alles in seiner Geschichte schon kommen und gehen sehen!

Drei deutsche Reiche sind an seiner Grenze mehr oder eher weniger friedlich zu Grunde gegangen.

Dutzende Kriege wurden ausgefochten. Es mussten Feuersbrünste, feindliche Bedrohungen, wirtschaftlicher Niedergang überstanden werden.

Und Stein am Rhein steht noch heute da. In seiner ganzen Pracht. Darum ist dieses Jubiläum auch ein Fest der Dankbarkeit.
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3. Keine Steuern für alle

Einige interessante Details aus ihrer neuen Stadtchronik sind bereits bekannt: So erhob Stein am Rhein bis 1912 offenbar keine Gemeindesteuern – was eine Vielzahl reicher “Privatiers” anzog (sind Sie froh, dass es damals noch keine EU gab, sonst würden die intervenieren, damit Sie die Steuern erhöhen müssten). Sie bauten herrschaftliche Villen und genossen die schöne Lage, das ruhige Städtchen und die niedrigen Steuern.

4. 1000 Jahre überstanden

Wer tausend Jahre überstanden hat, verfügt über einen langen Atem. Wer sich seiner Vergangenheit bewusst ist, spürt die Verwurzelung, die Verankerung im Boden der Geschichte. Wer verwurzelt ist, wird auch nicht so schnell umfallen. Er spürt den Halt. Dieser Halt ist wichtig, besonders in einer Zeit, die uns immer schneller, anonymer, globaler vorkommt. Heimat, Verbundenheit, Traditionen sind nötige Rückzugsorte. Man hat uns lange genug eingeredet, das sei alles veraltet und engstirnig. Die Rückbesinnung der Menschen auf ihre Herkunft und ihre Traditionen beweist das Gegenteil. Darum feiern Sie heute mit Recht und mit Stolz diese 1000 Jahre Stein am Rhein.

5. Selbstbestimmung ist nicht gratis

Die heutige Feier ist ja auch der Auftakt für das Freilichtspiel “No e Wili”. Das Spiel bezieht sich auf das 15. Jahrhundert und den Unabhängigkeitskampf des Städtchens. Sehen Sie, auch hier dient uns die Geschichte als Mahnmal und als Beispiel. Stein am Rhein unterstand damals lokalen Adeligen, den so genannten Landesherren: Erst den Zähringern, später dem Kloster St. Georgen, den Freiherren von Hohenklingen, der Familie Klingenberg. War nicht diese Familie hoch verschuldet und bereit, ihre Vogteirechte an die Stadt zu verkaufen?

Und Stein am Rhein griff zu.

Die Steiner Bürger haben sich wortwörtlich freigekauft. Das ist doch ein beeindruckender Akt. Nach dem Prinzip: Wir wollen selber für uns schauen. Wir wollen selber bestimmen. Aber auch selber für unser Gemeinwesen aufkommen.
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6. Aus “no e Wili” lernen

Das Freilichtspiel “no e Wili” beschreibt den Verrat eines habsburgerfreundlichen Steiners, der mit der neuen Unabhängigkeit nicht einverstanden war.

Der Sage nach bemerkte ein aufmerksamer Bäckermeister den Plan, als er frühmorgens verdächtige Geräusche hörte und beim Tor stehen blieb, worauf eine Stimme ihn von ausserhalb fragte: “Ist’s Zeit?”

Der Bäcker erkannte sofort die Gefahr und flüsterte zurück: “No e Wili”, rannte zum Bürgermeister, worauf Sturm geläutet wurde und die Bürger zu den Waffen eilten und die Angreifer in die Flucht schlugen.

Was kann die moderne Schweiz daraus lernen?

Erstens: Sei stets auf der Hut. Nicht jeder, der zu Dir kommt, meint es gut!

Zweitens:Der Bäckermeister bewies: Der Schlaue ist der Starke.

Drittens: Gut gibt es fleissige Handwerker, die bereits am frühen Morgen auf sind. Frühaufsteher braucht das Land und nicht Langschläfer.

Ich wünsche Ihnen im Namen des Bundesrates ein schönes Fest, eine schöne Jubiläumsfeier und ich wünsche Ihnen nochmals tausend Jahre – und “no e Wili”!

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