«Wir brauchen Prävention gegen Gewalt in den Schulen»

«Bundesrat Christoph Blocher über jugendliche Täter und die Rolle von Lehrern und Eltern»

04.02.2007, Sonntagszeitung, Christoph Lauener und Denis von Burg

Herr Blocher, Bundesrat und Parteien wollen über Jugendgewalt sprechen. Ist das nötig, obwohl wir das Jugendstrafrecht bereits verschärft haben?
Das Problem Jugendgewalt geht über das Strafrecht hinaus. Seit Dezember 2006 ist unter meinem Vorsitz mit den Ämtern Justiz, Migration und Polizei eine Arbeitsgruppe intensiv an der Arbeit. Mehrere Aussprachen sind erfolgt, so auch letzte Woche mit rund 30 Fachleuten, die sich in ihrer täglichen Arbeit mit Jugendgewalt befassen. Bei diesem und anderen Treffen wurde klar: Es besteht Handlungsbedarf. Die Jugendgewalt hat massiv zugenommen.

Gibt es konkrete Zahlen?
Es gibt Zahlen, soweit sich diese polizeilich erfassen lassen. Doch die Dunkelziffer ist relativ hoch. Einerseits stellt man fest, dass die Opfer sich aus Furcht vor Repressalien oft nicht getrauen, die Polizei einzuschalten. Andererseits bestehen namentlich in Schulen Hemmungen, die Polizei einzuschalten.

Raufereien gab es immer.
Das stimmt. Zugenommen hat nicht nur das Ausmass. Beängstigend ist, dass die Gewalt härter und brutaler geworden ist. Es wird auf Schwache eingeprügelt, auch wenn die Opfer bereits wehrlos am Boden liegen. Und es gibt immer mehr auch organisierte Gewalt durch Gruppen und Banden, die sich oft ad hoc zusammensetzen und aktiv werden.

Was sind die Motive?
Wir sind daran, das zu ergründen. Wir sollten das Problem nicht durch zu rasche Erklärungen relativieren. Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Hemmschwelle bei Jungen stark gesunken ist; sie schlagen schneller zu. Dabei spielt zum Teil übertriebener Alkoholgenuss eine Rolle, aber auch die omnipräsenten Gewaltdarstellungen im Alltag. Die Ausländerfrage spielt mit hinein.

Schweizer Kinder prügeln nicht?
Doch, natürlich. Aber die Zahlen und die Erfahrungen der Fachleute sprechen ein klare Sprache: Auffallend hoch ist der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“. Und dort wieder vor allem aus dem Balkan. Das ist die übereinstimmende Aussage der Verantwortlichen.

Sie sagen, junge Leute aus dem Balkan neigen grundsätzlich zu Gewalt. Das ist eine gefährliche Aussage.
Das ist eine böswillige Unterstellung. Aber ihr Anteil ist überproportional. Dabei handelt sich vor allem um Jugendliche mit Identitätsproblemen. Das führt zu Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühlen. Vielleicht, weil diese Jugendliche zwei Kulturen in sich tragen. Die Unsicherheit wird dann durch Gewaltanwendung kompensiert. Wenn wir die Probleme lösen wollen, muss man sie ansprechen dürfen, ohne dass einem Rassismus vorgeworfen wird. Durch Verdrängen löst man keine Probleme.

Wo sieht der Justizminister Lösungsmöglichkeiten?
Warten wir damit noch etwas zu. Ein Missstand ist, dass die Strafverfolgung nicht immer effizient funktioniert. Es scheint nicht in erster Linie ein Problem der Gesetze zu sein, sondern des Vollzugs. Die Verfahren dauern zu lange, die angeordneten Sanktionen greifen oft zu kurz, die Koordination staatlicher Tätigkeiten ist mangelhaft. Die Folgen sind gravierend: Polizisten und andere Vollzugsleute sind frustriert, weil sie sehen, dass nichts passiert. Das lähmt die Arbeit. Resignation ist weit verbreitet. Auch bei Lehrern.

Vielleicht sind die Strafverfolgungsbehörden überlastet.
Wenn es so wäre, müsste man sie unterstützen. Tatsache ist aber, dass die Behörden zu wenig gut vernetzt sind; oft weiss die eine Behörde nicht, was die andere tut. Migrations-, Einbürgerungs- und Polizei-, Zivilstands- und Schulämter müssen besser zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele haben.

Beginnen die Probleme nicht schon viel früher? In der Kindheit?
Damit schneiden Sie die Erziehung an. Es beginnt schon damit, dass nicht mehr feststeht, wer verantwortlich für die Erziehung ist. Ist es die Schule? Sind es die Eltern? Eltern haben begonnen, einen Teil der Erziehung an die Schule auszulagern – das überfordert die Lehrer. Man kann nicht verlangen, dass die Schule allein für die Erziehung verantwortlich ist. Fachleute sprechen von einer eigentlichen „Erziehungsverweigerung“ der Eltern. Bei aller Idealisierung der externen Kinderbetreuung: Die Eltern sind verantwortlich für das, was ihre Kinder tun. Sie sind auch in die Pflicht zu nehmen.

Wenn ein Jugendlicher prügelt und zerstört, sollen also die Eltern büssen?
Ja, denn sie haben die Verantwortung! Wie jeder Obhutspflichtige sollen auch Eltern zur Rechenschaft gezogen werden können: Mit Schadenersatzzahlungen, bei ausländischen Kindern bis hin zur Ausweisung der ganzen Familie.

Die Schule bleibt aber wichtiger Wertevermittler. Was kann sie tun?
Natürlich kann sich auch die Schule nicht aus der Erziehungsaufgabe abmelden. Die Lehrpersonen brauchen darin aber Unterstützung, was oft fehlt. In schweren Fällen hat die Schule mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Lange Zeit hatten die Lehrer ein gestörtes Verhältnis zur Polizei; sie duldeten keine Polizei im Schulumfeld. Erste Versuche zeigen, dass wir Gewaltprävention auch in den Schulen brauchen: Erziehung zum gewaltfreien Zusammenleben auch an Schulen durch dafür ausgebildete Personen wie etwa Polizisten, ähnlich der Verkehrserziehung.

Sollen Lehrer vermehrt auch die Polizei rufen, wenn sie überfordert sind?
Ja. Passieren Straftaten auf den Pausenplätzen, muss die Schule die Polizei rufen: Verletzung von Regeln ist zu sanktionieren. Dort wo die Situation sehr problematisch ist, sind regelmässige Polizeipatrouillen sinnvoll.

Sie geben viele Empfehlungen, aber eigentlich haben Sie als Justizminister keine Kompetenzen; die haben die Richter und Kantone.
Das mag sein. Zunächst ist wichtig, dass die Probleme offen gelegt werden, das ist der Anfang der Problemlösung. Wir leiden heute unter den Spätfolgen antiautoritärer Erziehungsformen. Die Kinder spüren Grenzen und Schranken zu spät. Oft erst wenn sie am Rand der Kriminalität stehen.

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