Die Hauptprobleme der Schweiz und ihre Lösungen

Referat von Bundesrat Christoph Blocher vor der «Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft»

25.10.2004, Zürich

Es gilt das gesprochene Wort

Meine Damen und Herren,

Als Hauptprobleme der europäischen Staaten werden überall genannt:

1. Die Staaten leben über ihre Verhältnisse.
2. Nicht zuletzt als Folge der übermässigen Staatsausgaben leiden die europäischen Staaten unter einer stark verminderten ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit und – damit verbunden – einem ungenügenden Wirtschaftswachstum.
3. Die Sicherheit der Staaten ist infolge der globalisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus gefährdet.

I. Mangelndes Problembewusstsein

Leider bildet die Schweiz bei diesen Hauptproblemen keine Ausnahme. Und es ist zu fragen: Ist die Schweiz diesen Herausforderungen gewachsen? Erlauben Sie, dass ich – bevor ich hier Antwort gebe – eine andere Frage stelle: Hat die Schweiz diese Herausforderungen überhaupt in ihrer Tragweite erkannt? Diese Frage zu stellen ist wichtig, denn nur eine ungeschminkte Analyse der Wirklichkeit kann zu brauchbaren Lösungen führen. Schon alleine die richtige Fragestellung und die schonungslose Benennung der Probleme ergeben mehr als die halbe Lösung.

Und ich stelle fest, dass zurzeit den wichtigsten Fragen meistens ausgewichen wird und ein wenig ausgeprägtes Problembewusstsein besteht, obwohl viele überzeugt sind, sie wüssten bestens Bescheid. Gewiss, das Problem wird angetippt – geradezu inflationär – aber man untersucht es nicht in seiner Tiefe. Dies ist schlimmer als darüber zu schweigen, denn so entsteht der irrtümliche Eindruck, man sei drauf und dran, die Probleme zu lösen. Dieser Beruhigungsaktivismus war zwar immer eine Spezialität von Politikern – hat sich aber heute zusätzlich in Gesellschaft, Wirtschaft und vor allem in den Medien stark verbreitet.

II Vom Verantwortungs- zum Versorgungsstaat

Nennen wir die Probleme und scheuen wir nicht, ihnen auf den Grund zu gehen.

Galt die Schweiz früher als beispielhafter Staat mit hohem Selbstverantwortungsgrad, ist sie heute ebenfalls zum Versorgungsstaat mutiert. Dieses Urteil mag Ihnen zu drastisch erscheinen. Doch je länger ich im Bundesrat bin, je mehr Unterlagen mir zur Verfügung stehen, umso ernster wird der Befund.

In den Nachkriegsjahren entwickelte sich unser Land von einem Verantwortungsstaat zu einem Wohlfahrtsstaat. Das starke Wirtschaftswachstum gaukelte unbeschränkte Möglichkeiten vor. Seit den 70-er Jahren wurden vor allem in der Sozialpolitik Versicherungen auf- und ausgebaut mit immer neuen Leistungen, welche die späteren Kosten ins Unermessliche trieben. Denken Sie an die IV, an die Krankenversicherung, aber auch an diverse AHV-Revisionen. Die Folgen dieses rasanten Ausbaus zeigen sich erst heute in aller Konsequenz.

Wegen diesem unrealistischen, weit über der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegenden Ausbau ist heute der Wohlfahrtsstaat als Gesamtkonstrukt in Frage gestellt: Dies zeigt sich in der miserablen Finanzsituation von Bund und vieler Kantone. Die etatistische Grundstimmung – vor allem der 80-er und 90-er Jahre, die übrigens auch nichtlinke Parteien erfasste – hat der Schweiz einen perfektionierten Dienstleistungsstaat beschert, der den Bürgern eine Totalversorgung zum Nulltarif vortäuscht. Dieser schleichende Verstaatlichungsprozess konnte nur über eine gewaltige Neuverschuldung finanziert werden: Betrug die Bruttoverschuldung des Bundes 1990 noch 38,5 Milliarden Franken, waren es 2003 bereits 123,7 Milliarden.

Und wir steuern gegen 150 Milliarden – trotz einer Schuldenbremse, der alle Kantone und 85% der Bevölkerung bereits 2001 zugestimmt haben!

Es ist auffallend, wie die fortschreitende Steuer-, Gebühren- und Abgabenlast, die in den Wahljahren 1999 und 2003 wenigstens noch für heftige Auseinandersetzungen gesorgt hat, heute ruhig entgegen genommen wird. Es ist erstaunlich, mit welchem Gleichmut und mit welcher unerschütterlichen Ignoranz solche Entwicklungen ertragen werden.

– Die jährlichen Milliardendefizite, die unvermindert andauern? Sie werden akzeptiert, als wären sie eine fünfte Jahreszeit.

– Nachtragskredite, Kostenüberschreitungen und Planungsabweichungen sind längst zum courant normale geworden.

– Die Rekordzunahme von IV-Rentnern provoziert höchstens ein Schulterzucken.

– Die Milliarden-Kosten unserer Beziehungen zum Ausland werden unter den Begriffen von “öffnung”, “Gerechtigkeit” und “internationale Solidarität” der Diskussion entzogen.

– Das Ausgabenwachstum der nächsten Jahre wird in weiten Teilen geleugnet. Man verbreitet die Mär, der Staat spare Geld, die Ausgaben würden gesenkt, der Gürtel werde enger geschnallt. Andere sprechen von “kaputt sparen” und “den Staat aushungern”. Doch ich frage Sie ernsthaft: Wo wird in diesem Staate eigentlich gespart? Werden denn die Ausgaben gegenüber den Vorjahren gesenkt? Irgendjemand hat das Gerücht in die Welt gesetzt, im Bund würden die Ausgaben gesenkt. Und alle plappern es nach. Und alle schreiben es einander ab. Wenden wir uns der ungeschminkten Wahrheit zu: In den nächsten Jahren ist ein Ausgabenwachstum von 10 Prozent geplant. Trotz aller Entlastungsprogramme! Die Staatsausgaben wurden und werden nicht gesenkt. Aber man kann sich natürlich von allen Anstrengungen fernhalten, indem man vorsorglich über die Folgen einer Massnahme lamentiert, die es gar nicht gibt. Dass interessierte politische Kreise dies tun, gehört zum Tagesgeschäft und ist nicht weiter schlimm. Aber wenn diese Realitätsverweigerung in führende Kreise übergreift – und das ist so – führt es zu Fehlentscheiden und in die Katastrophe.

Woher kommt diese Gleichgültigkeit – diese Realitätsverweigerung? Das Zurkenntnisnehmen von Problemen ist lästig und undankbar, denn es zwingt zum Handeln. Verdrängen ist bequemer. Die Gründe des Verdrängungsprozesses könnten aber auch tiefere Ursachen haben als nur die Bequemlichkeit. Könnte es etwa sein, dass immer mehr Menschen den Versuchungen des Wohlfahrtsstaates erliegen? Und dies bis weit in die gehobenen Berufschichten, bis weit in die Chefetagen von Politik und Wirtschaft hinein? Sind wir schon so weit, dass die Menschen lieber schauen, wie sie sich vom Staat beziehungsweise der Allgemeinheit aushalten lassen können, statt in Eigenverantwortung für sich und die Nächsten das Leben zu verbessern und selber für Güter und Dienstleistungen zu sorgen? Es ist ausserordentlich gefährlich, wenn Erfolg und Leistung durch höhere Steuern und Abgaben bestraft, dafür Misserfolg und Faulheit durch Sozialleistungen belohnt werden.

III. Beurteilung als Bundesrat und Unternehmer

Meine Damen und Herren, ich bin seit bald zehn Monaten im Amt als Bundesrat. Es wäre übertrieben zu sagen, der Bundesrat habe in diesen 10 Monaten nichts anderes getan, als Ausgaben gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht.

Wohl haben wir über Ausgabenreduktionen gesprochen, aber nur bisherige Pläne nach unten korrigiert. Der Bundesrat hat die Sanierung des Bundeshaushaltes im Legislaturprogramm folgerichtig zum Hauptproblem erklärt. Doch eine eigentliche Reduktion von Ausgaben ist noch nicht greifbar. Im Gegenteil: Wir haben zwar Ausgaben gesenkt, aber an anderer Stelle wieder erhöht und gleichzeitig neue Einnahmen und Steuern besiegelt. Wir stehen noch vor den grossen Entscheiden!

Wie sehe ich als ehemaliger Unternehmer die Bundesverwaltung? Ich bin erschrocken über das mangelnde Kostenbewusstsein der Bundesverwaltung. Weder besteht eine Kostenrechnung, noch weiss man, welche Leistung im Staat wie viel kostet. Sie finden Standardantworten bis in die obersten Etagen hinauf, die zum Beispiel lauten: “Im Bund muss man weder mit Abschreibungen noch Zinsen rechnen. Und auch die Personalkosten muss man nicht rechnen, denn die Leute sind ja sowieso da!” Gezielte Kostensenkungen können so gar nicht durchgeführt werden. Ich spreche von Kostensenkungen, die keinen Leistungsabbau bringen. Als Unternehmer wusste ich, dass es in den goldenen Nachkriegsjahren Firmen mit einer ähnlichen Kostenauffassung gab.

Diese Firmen sind entweder bankrott gegangen oder – wenn sie Glück hatten – durch einen Ditten übernommen worden. Ist das die Zukunft unseres Staates?

Ich hoffe, dass in der angestrebten und jetzt anlaufenden Verwaltungsreform die Kostenrechnungen, das leidige Bundespersonalrecht (im Wesentlichen hat man in der letzten Revision die Pflichten des Beamtenstatus abgeschafft, aber die Rechte weitgehend beibehalten) und die Kostenbewirtschaftung rasch verwirklicht werden. Die Schaffung des Kostensbewusstseins ist überlebenswichtig für die Schweiz, damit wir endlich die Realität erkennen. Ich bin zudem überzeugt, dass ein massives Aufgaben- und Ausgabenverzichtspaket erarbeitet werden muss. Ich glaube, hier hat der Staat in Bezug auf die Vorgehensweise die wirtschaftlichen Unternehmen als Vorbild zu nehmen. Angenehm ist es nicht. Wir kommen nicht darum herum, die Tabuthemen zu nennen und auszuleuchten.

IV. Wettbewerbs- und Wachstumsschwäche

Das Gleiche ist zur verminderten Wettbewerbsfähigkeit zu sagen: Die Abgaben und Steuern, die vom Staate angeordnete dichte Regulierung und die bürokratischen Massnahmen bilden das Haupthindernis für das Vorwärtskommen der Wirtschaft. Für Unternehmer sind Abgaben, Steuern und Gebühren nichts anderes als Kosten. Sind diese hoch, hat man einen Kostennachteil gegenüber der Konkurrenz. Wer mir als ehemaliger Praktiker nicht glauben will und es lieber etwas akademisch mag, soll die neusten Studien des World Economic Forum zur Hand nehmen (NZZ, 14.10.2004). Danach leidet die Schweiz als Wirtschaftsstandort vor allem unter “der verschwenderischen Finanzpolitik und dem damit verbundenen Haushaltsdefizit”. Sie merken: Wem der Wirtschaftsstandort am Herzen liegt, hat hier anzusetzen.

Laut der gleichen Studie werden von der Schweizer Wirtschaft als besonders hinderlich und belastend empfunden:

“Die ineffiziente Verwaltung, der ungenügende Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, restriktive Arbeitsmarktbestimmungen, Steuervorschriften und Steuerhöhe.” Hier haben wir mit aller Entschiedenheit Gegensteuer zu geben.

V. Wo steht die Wirtschaft?

Die Politik kam in den letzten Jahren in der Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht voran. Aber wo steht die Wirtschaft? In einer direkten Demokratie ist die Stimme der Wirtschaft in Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik entscheidend. Aber wo ist diese Stimme? Ich jedenfalls fühle mich als Bundesrat von der Wirtschaft nicht bedrängt, endlich vorwärts zu machen. Und von den Wirtschaftsverbänden erst recht nicht. Eine gute Ordnungspolitik – die wichtigste Grundlage für einen funktionierenden Wirtschaftsstandort – scheint geradezu vergessen gegangen zu sein. Im Gegenteil: Das Verhalten der verantwortlichen Verbände steht im krassen Widerspruch zur Klage ihrer Mitglieder. Natürlich gibt es schöne, wortreiche, bunt illustrierte Broschüren dieser Wirtschaftsverbände, die eine massvolle Ausgaben- und Steuerpolitik predigen. Sobald es aber konkret wird, lösen sich diese schönen Worte in Luft auf.
Es scheint mir auch, dass die Wirtschaft nach der verlorenen Abstimmung betreffend Steuerpaket und AHV den Mut verloren hat, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Die Schweiz braucht keine Wirtschaft, die sich am liebsten mit Parlament, Bundesrat und Medien zu sicheren Mehrheiten für neue finanzpolitische Abenteuer und kostspieligen aussenpolitischen Aktivismus verbandelt. Statt dass Funktionäre von Wirtschaftsverbänden in linken Boulevardmedien über den Stil von Abstimmungskampagnen klagen, sollten sie sich für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort Schweiz einsetzen. Ihr Urauftrag heisst, für eine gute Wirtschaftspolitik zu sorgen.

Ich meine, es sei dringend, dass die Unternehmen nicht nur über die schludrige Ordnungspolitik klagen, die zu hohen Steuern und immer neuen Sozialabgaben führt, sondern endlich eine glaubwürdige Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben, und zwar im Konkreten und auch im Kleinen. Sie müssten uns Bundesräten immer wieder zeigen, was eine gute Wirtschaftspolitik ist. Sie müssten als Wirtschaftsvertreter Ihre Nöte ins Bundeshaus tragen. Wir arbeiten im Bundeshaus in einer geschützten Werkstatt. Den täglichen Kampf ums überleben, der tägliche Konkurrenzkampf der Industrie und der Wirtschaft kennen wir nur aus den Statistiken, Berichten und Medien.
Sie stehen näher am Puls.

Auch so haben Sie die Parteien zu beraten, ich meine sogar, Sie müssten sie in der Wirtschaftspolitik führen. Sie werden vielleicht als Rufer in der Wüste angesehen. Aber ohne diese Rufer in der Wüste wird die Schweiz bald eine Wüste ohne Rufer sein! Die Parteien brauchen nicht “Freunde aus der Wirtschaft”, die ihre Sonderwünsche in der Politik durchbringen wollen. Parteien, Regierungen und Parlamente brauchen Warner und Stimmen für die ganze Wirtschaft zum Wohle des Landes und des Volkes. Das gibt gute wirtschaftspolitische Entscheidungen.

VI. Sozialstaat und Verschuldung

Meine Damen und Herren, Staatshaushalt und Wirtschaftswachstum stehen in engem Zusammenhang. Wer die bestehenden Probleme in der Tiefe angehen will, muss auch in die Tiefe schauen und die Sache beim Namen nennen. Tun wir dies an zwei, drei schon länger verdrängten Gebieten.

Es muss in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden, dass die Hauptgründe für den rasanten Anstieg der Sozialausgabenquote im Ausbau der Altersvorsorge, in der Zunahme von Invalidenrentenbezüger und im neuen Krankenversicherungsgesetz liegen.

1950 – kurz nach Einführung der AHV – betrugen die Sozialausgaben in der Schweiz noch 1,5 Milliarden Franken. Bis 1990 – vor der Einführung des neuen Krankenversicherungsgesetzes – erhöhten sich die Ausgaben auf 63,2 Milliarden Franken. Darauf erfolgte der Dammbruch: Zwölf Jahre später, 2002, haben sich die Kosten auf gut 123 Milliarden Franken verdoppelt. Gemessen am volkwirtschaftlichen Ertrag (Bruttoinlandprodukt) hat sich die Sozialausgabenquote von 19,3 (1990) auf 28,8 (2002) erhöht. Wachstumsraten, die weit über jenen der Wirtschaft mitsamt der Teuerung liegen. Wer angesichts dieser Zahlen von “Sozialabbau” spricht, hat jeden Bezug zur Realität verloren.

Von den Sozialversicherungen drückt zurzeit vor allem die IV auf die Bundesfinanzen. Hier ist erfreulich, dass nun doch auch weitere Kreise und die Medien über die IV-Probleme sprechen. Ein guter Anfang. Vorneweg die Fakten: Waren 1990 noch rund 160’000 Personen IV-Bezüger, sind es 2003 schon über 280’000. Nicht nur in absoluten Zahlen haben die IV-Rentner rasant zugenommen, sondern auch proportional zur arbeitenden Bevölkerung. Seit 1990 hat sich ihr Anteil an der aktiven Bevölkerung um über 50 Prozent erhöht. Jeder 5. Mann im 64. Lebensjahr bezieht eine IV-Rente. Diese alarmierende Entwicklung schlägt sich auch auf der Ausgabenseite nieder:
1990 bezahlten die Schweizerinnen und Schweizer für die Invalidenversicherung noch ca. 4 Milliarden – heute sind es bereits rund 11 Milliarden Franken pro Jahr.

Die Zusammensetzung der Invaliden zeigt, dass immer mehr psychische Ursachen eine IV-Rente nach sich ziehen (40 Prozent aller Neurentner). Eine Vielzahl neuer Krankheitsbilder dienen als kaum überprüfbarer Einstieg zur Invalidität. Ich will Ihnen nur ein paar Beispiele nennen: Soziale Phobie, Internet-Sucht, erhöhter Cholesterinspiegel, übergewicht, Menopause, Weichteilrheumatismus, Reizdarmsyndrom, Schlafstörungen, Verstopfungen, Burnout-Syndrom, Hyperaktivität, starkes Schwitzen, Entwurzelungssyndrom, psychosoziale Depression, Tinnitus (Pfeifen im Ohr) oder Vitaminmangel. Bei dieser Fülle ist jeder Bürger ein potenzieller Neurentner. Sicher kann sich jeder von Ihnen auf eines dieser Symptome berufen.

Persönliche oder soziale Schwierigkeiten werden heute als medizinisches Problem verkauft. Unterschiedliche menschliche Temperamente pathologisiert. Ein Chemieunternehmen hat sich ein nach der Kaiserin Sissi benanntes Syndrom ausgedacht:

Die betroffenen Patienten leiden nach Darstellung des Konzerns an einer starken Depression, überspielen ihre Krankheit aber durch ein besonders aktives, lebensbejahendes Verhalten. In Deutschland wird die Zahl der am “Sisi-Syndrom” leidenden Menschen auf drei Millionen geschätzt. Drei Millionen krankhaft fröhliche Menschen, die sofort und teuer therapiert werden müssen.

Ebenfalls sehr hoch sind die Anteile jener IV-Bezüger, die über Kopf- und Rückenschmerzen oder ein Schleudertrauma klagen. Auffällig ist auch, dass im öffentlichen Sektor besonders viele Beschäftigte vorzeitig für arbeitsunfähig erklärt werden.

Meine Damen und Herren,

Das sind unangenehme Dinge, über die man aber sprechen muss.
Leider gibt es gerade auch in der Politik zahlreiche Interessenvertreter, die von diesen Problemen, dem umfangreichen Sozialbetrieb, profitieren und alles daran setzen, dass die Steuermilliarden weiter in ihre Gärten fliessen – und dort versickern.

VII. Die Ausländerpolitik

Ein weiteres wenig beliebtes Thema, über das gerade in diesem Zusammenhang gesprochen und behandelt werden muss, ist das Ausländerproblem: Es werden hauptsächlich demographische Verschiebungen geltend gemacht, um die schwierige Finanzierungslage der Sozialwerke zu erklären. Nicht wenige versprechen sich von einer freizügigen Einwanderungspraxis eine vorteilhaftere Bevölkerungsstruktur, ja sogar die Sicherung unserer Sozialwerke.

Ein genaues Hinsehen zeigt allerdings anderes: Die Ausländerpolitik orientiert sich immer weniger an den volkswirtschaftlichen Interessen der Schweiz. Der Anteil der erwerbstätigen Ausländer ist gegenüber den siebziger Jahren gesunken. Allein die Zahl der Erwerbstätigen unter den Einwanderern hat sich seit 1990 von 53,4% auf 30,2% verringert. Das hat auch mit der Zusammensetzung der Immigranten zu tun, die sich in den letzten Jahren markant verändert hat.
Aufgrund zahlreicher Gesetze und Verträge (Familiennachzug, Heiraten, Asylimmigration) ist die Schweiz längst nicht mehr im Stande, die Qualität ihrer Zuwanderung auch nur annähernd selber zu bestimmen.

Zudem ist die Zahl der Einwanderer, die nicht für sich selber sorgen können, ungewöhnlich hoch. So landen trotz der immensen Integrationsleistungen überproportional viele Ausländer im sozialen Netz (Stichwort: Fürsorge, IV-Renten, Arbeitslosenkasse). Der Ausländeranteil bei der Arbeitslosigkeit beträgt heute um die 40 Prozent. Ca. zwei Fünftel der neuen IV-Rentenbezüger sind Ausländer. Jede 7. Rente wird ins Ausland überwiesen. 40 Prozent der zürcherischen Fürsorgeleistungen gehen an Ausländer. Zürich ist der Kanton mit den besten statistischen Unterlagen. Dramatisch ist die Situation auch im Bildungsbereich: Ein volles Drittel der Aufwendungen für die Zürcher Volksschule betreffen sonderpädagogische Massnahmen – nicht zuletzt Integrationsleistungen für Ausländerkinder. Besonders bedrückend ist im Kanton Zürich die Bildungssituation für Jugendliche aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien: Nur 25% von ihnen absolvieren eine Berufslehre – meist mit tiefem Ausbildungsniveau. 67% bleiben ohne Ausbildung (Tages-Anzeiger, 8.8.2002). Dabei sind in den letzten Jahren in der Schweiz etwa 200’000 Stellen für niedrig Qualifizierte verschwunden. Arbeitslosigkeit ist die logische Folge.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie über die Immigrationsrealität in Deutschland. Gemäss des Münchner Ifo-Instituts erhält ein durchschnittlicher Einwanderer, der noch keine zehn Jahre in Deutschland ist, Jahr für Jahr 2400 Euro mehr vom Staat, als er diesem in Form von Steuern und Abgaben leistet: “Rechnet man die Zahl auf eine fünfköpfige Familie hoch, ergibt dies eine Transferleistung von fast 120 000 Euro im Laufe von zehn Jahren. Die Zuwanderer müssten mehr als 25 Jahre in Deutschland leben, um über die ganze Periode hinweg netto mehr an den Staat zu leisten, als sie erhalten. Allerdings kehren 80% der Zuwanderer früher wieder in ihre Heimat zurück (oder sterben).” (NZZ, 8.7.2004)

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Es wird unangenehm, über diese Dinge zu reden. Doch tun wir es nicht, bleiben die Hauptprobleme ungelöst. Das Ausländer- oder das Asylproblem anzusprechen, gilt nicht gerade als schick, aber wie soll man Fehlentwicklungen korrigieren können, wenn diese nicht einmal öffentlich ausgesprochen werden dürfen?

VIII. Sicherheit

Die wichtigste aller Staatsaufgaben ist die Sicherheit der Bürger. Leider steht es mit dem Kampf gegen die Kriminalität nicht zum Besten. Die Herausforderungen sind gross:

– Terrorismus heisst die neue Kampfform in der weltweiten Auseinandersetzung. Terroristen sind nicht einfach Amokläufer, sondern es handelt sich um gezielt eingesetzte Kämpfer im Dienste – in unserem Falle – des Islam gegen den Westen. Hier hat für die Schweiz die Neutralität ein neues grosses Gewicht bekommen, was leider noch nicht von allen Politikern anerkannt worden ist. Eine unnötige Parteinahme für Staaten, seien sie noch so unbestritten, schwächt uns im Umgang mit dem Terrorismus. Denn wer sich in eine Sache hineinziehen lässt, wird auch Zielscheibe. In der Sicherheitspolitik ist es besonders folgenschwer, wenn Wunsch und Wirklichkeit verwechselt werden.
– Neben den internationalen Unsicherheiten ist auch der inneren Sicherheit grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Die Kantone klagen seit Jahren über zu wenig Polizisten. Dieser Mangel wird sich noch verschärfen, wenn mit Schengen die Grenzkontrollen fallen und Verdächtige innerhalb des Landes aufgespürt und kontrolliert werden müssen.
– Der beabsichtigte Schengen-Beitritt stellt in dieser Hinsicht grosse Ansprüche an unsere Sicherheitsvorkehrungen. Die Gewährleistung des heutigen Standards wird personelle Aufstockungen nötig machen.

IX. Plädoyer für einen liberalen Staat

Wie lösen wir all diese Probleme? Meines Erachtens sind die Probleme nur dann nicht lösbar, wenn man sie verdrängt. Indem wir die Probleme erkennen, das Problem benennen und den Weg zur Selbstverantwortung frei schaufeln, gewinnen wir viel. Dann heisst der Lösungsschlüssel “Selbstverantwortung”! Vergessen Sie nicht, der Ausbau des Staates hat die Einschränkung des Einzelnen zur Folge. Leider haben sich in den vergangenen Jahren die Staatsgläubigen durchgesetzt.

Das Ergebnis davon ist der stetige Ausbau des Staates zum Alles-Regler und Alles-Bestimmer. Unser Staat ist schon lange nicht mehr nur auf die Hilfe für besonders schwache Randgruppen und Bedürftige ausgerichtet.

Unter diesem Vorwand ist er zu einem Transferstaat geworden mit dem Ziel der Umverteilung von Privatvermögen zugunsten einer durchorganisierten Bezügergemeinde. Wer unsere Wohlfahrt langfristig sichern möchte, tut gut daran, diesen Mechanismus zu durchbrechen.

“Privateigentum, Freiheit und Selbstverantwortung der Bürger setzen Grenzen der Machtanhäufung in der Gesellschaft und damit auch Grenzen der Staatstätigkeit voraus.” (Erich Weede: Mensch, Markt und Staat, S. 51.) Das heisst aber auch Kampf gegen die Zentralisierung: Je mehr kleinräumige, föderalistische Strukturen desto mehr Freiheit bleibt dem Bürger – und wenn es nur die Freiheit ist, die Gemeinde zu wechseln wegen besserer Steuersätze. Der Föderalismus garantiert die Rivalität zwischen politischen Einheiten mit dem Ergebnis, dass möglichst hohe Lebensqualität durch möglichst wenig Steuermittel geschaffen wird. Das schöne Wort “Harmonisierung” heisst in Wirklichkeit nur Gleichschaltung, Zentralisation, weniger Selbstbestimmung und weniger Freiheit, mehr Zwang und Regulierung. Der Zeitgeist der Zentralisierung löst keine Probleme, er schafft sie.

Die Schweiz muss ihren Wettbewerbsföderalismus nicht abbauen, sondern stärken, was nur auf kantonaler und kommunaler Ebene geschehen kann. Darum: Möglichst wenig staatliche Lenkung, möglichst wenig Staat auf nationaler Ebene. Dafür weitgehende Autonomie in Finanz- und Steuerfragen für die Kantone und Gemeinden. Das heisst aber auch, dass es keine Gleichheit der Lebensbedingungen geben kann. Wer diese Illusion auf Kosten des Föderalismus und des Wettbewerbs anstrebt, gefährdet insgesamt den Wohlstand, beschneidet unnötig Freiheiten und schwächt die Eigenverantwortung.

Meine Damen und Herren,

Ist die Schweiz diesen grossen Herausforderungen gewachsen? Ich kann die Frage leider nicht mit Ja beantworten. Voraussetzung ist die schonungslose Offenlegung der Probleme und der Wille, diese Aufgaben anzugehen. Daran gilt es zu arbeiten. Helfen Sie mit. Damit diese Missstände nicht weiter unter den Tisch gekehrt werden.

Das schweizerische Erfolgsmodell basiert auf einem massvollen Staat mit freier, prosperierender Wirtschaft. Es gibt keinen vernünftigen Grund, davon abzuweichen!

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