«Ich bringe das provokativ zur Sprache»

SVP-Bundesrat Christoph Blocher nimmt vor der am Montag beginnenden Debatte über das Ausländer- und Asylgesetz Stellung zum umstrittenen Punkt der Integrationspolitik.

01.05.2004, Aargauer Zeitung (Martin Furrer)

Herr Bundesrat, die bisherige Ausländerpolitik zielte auf ein «ausgewogenes Verhältnis» zwischen schweizerischer und ausländischer Bevölkerung. Wann erachten Sie dieses Verhältnis als ausgewogen?

Ausgewogen ist das Verhältnis, wenn man nur diejenigen Personen einreisen lässt, die hier rechtmässig eine Arbeitsbewilligung erhalten können, und alle andere nicht. Die Zulassungsbewilligung gemäss neuem Ausländergesetz ist genau auf diese Zielsetzung ausgerichtet. Wobei zu sagen ist, dass die Schweiz früher eine restriktivere Politik mit Kontingenten betrieben hat. Mit dem freien Personenverkehr gegenüber den EU-Angehörigen fallen diese Bestimmungen weg.

Gleichwohl kann die Anwesenheit von Ausländern für soziale Spannungen sorgen. Integration ist darum wichtig. Just die SVP lehnt im neuen Ausländergesetz den Integrationsartikel aber ab.
Es gibt ja auch Leute, die wir mit guten Gründen nicht integrieren wollen. Im Asylbereich zum Beispiel macht es keinen Sinn, Menschen zu integrieren, weil sie ja bloss vorübergehenden Schutz benötigen.

Im Ausländerrecht sieht es anders aus.
Ja. Gleichwohl ist es nicht zwingend, für Integrationsmassnahmen gleich Millionen zu investieren. Wir müssen die Leute dazu bringen, sich selber aktiv zu integrieren. Wenn ich ein paar Jahre nach Amerika gehe, ist es doch auch an mir, mich anzupassen, indem ich beispielsweise die Sprache lerne. Ich würde aber niemanden zwingen, sich zu integrieren. Ich kenne italienische Familien, die seit 40 Jahren in der Schweiz leben und sich nicht integrieren wollten. Ist dies so schlimm ?

Immerhin steckt nicht darin sozialer Sprengstoff, wenn sich gewisse Gruppen von Ausländern abkapseln.
Es gibt solche Fälle. Aber wenn die Kinder von Ausländern hier zur Schule gehen, werden sie ja verpflichtet, sich zu integrieren. Das ist am wichtigsten.

Und es kostet Geld. Ihr Ausländeramt hält für Integrationsmassnahmen ein Budget von 14 Millionen Franken bereit. Für Ihre Partei ist das zu viel. Und für Sie?
Der Betrag ist nicht zu hoch. Aber dass man die Leute gegen ihren Willen integriert, halte ich für falsch.

Im neuen Asylgesetz soll ein Status der humanitären Aufnahme für Personen geschaffen werden, die keine Flüchtlinge sind, die man aber nicht zurückschicken kann. Diese sollen integriert werden. Ist das sinnvoll?
Es dürften jährlich rund hundert Personen in diese Kategorie fallen. Diese werden vielleicht sechs bis acht Jahren hier bleiben. Darum ist ihre Integration sinnvoll. Das darf aber kein Grund sein, sie nicht doch eines Tages wieder in die Heimat zurückzuschicken. Wer sich hier integrieren kann, kann sich auch in seiner Heimat integrieren.

Sie wollen illegale Einwanderung noch härter bekämpfen. Was haben Sie vor?
Das Problem ist, dass wir in Sachen illegale Einwanderung und Ausländerkriminalität mit der Analyse noch nicht fertig sind: Wir kennen die exakte Zahlen und Ursachen nicht. Bloss der Kanton Zürich hat entsprechende Statistiken. Wir wollen bis Ende Mai Daten zusammentragen.

Wenn Sie früher stets Missstände kritisiert haben, taten Sie das also ohne jede Faktenkenntnis?
Nein. Ein Missstand ist auch zu kritisieren, ohne dass Sie jedes Detail haben. Ich habe etwas zum Ausdruck gebracht, das niemand zu sagen wagte, aber jeder wusste. Im Asylbereich dagegen können wir den Missbrauch zahlenmässig beziffern. Im Ausländerbereich liefern die Kantone deutliche Indizien, die meine Kritik bestätigen.

Sie halten das heutige Asylverfahren langfristig für untauglich, weil es von der Flüchtlingssituation des zweiten Weltkriegs ausgeht. Weil sich Fluchtgründe tatsächlich geändert haben, anerkennt heute die EU auch Verfolgung durch nichtstaatliche Organisationen als Asylgrund. Soll sich die Schweiz dieser Regel anschliessen?
Wir nehmen solche Leute ja heute schon vorläufig auf. Doch das Missbrauchspotenzial ist gross. Wenn es dazu führt, dass jeder Asyl erhält, der in seiner Heimat irgendeinen Nachteil erleidet, führt das zu uferlosen Zuständen.

Sie wollen künftig anstelle von individuellen Asylverfahren Kontingente von Asylsuchenden aufnehmen. Ist das völkerrechtlich überhaupt möglich?
Das ist eine Vision. Die Kontingente sollen nur für unsere unmittelbaren Nachbarstaaten gelten. Ich bringe das jetzt mal provokativ zur Sprache und hoffe jetzt, dass es breit diskutiert wird. Ob das mit dem Völkerrecht übereinstimmt, prüfen wir dann zuletzt.

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