Flughafen soll sich selber tragen

Interview mit dem “Tagesanzeiger” vom 3. Februar 2003

STREIT UM FLUGHAFENGRÖSSE: Zuerst änderte die Zürcher Regierung ihre Meinung zum Flugregime, dann die SVP ihre Haltung zur Grösse des Flughafens. Zwei Monate vor den Zürcher Wahlen wird der Flughafen zum Hauptthema. «Jetz isch fertig», sagte Christoph Blocher, als er merkte, dass die Flughafenbefürworter den Hubbetrieb auch dann behalten wollen, «wenn er nicht rendiert und der Kanton zahlen muss».

Von Erwin Haas


Herr Blocher, jahrelang hatte die SVP nichts dagegen, dass der Flughafen
Zürich als Schweizer Drehkreuz des internationalen Luftverkehrs politisch
unterstützt wird. Im Gegenteil: Sie waren immer dafür. Jetzt wollen Sie ihn
plötzlich zurechtstutzen, «bevor er Pleite geht». Woher wissen Sie denn,
dass es so schlimm um ihn steht?

Blocher: Die SVP hat das Flughafenkonzept in den 90er-Jahren mitgetragen. Die Swissair, der Flughafen, die zürcherische Wirtschaft und die Regierung haben die Prognosen erstellt. Auch die SVP hat diese damals mitgetragen. Doch
heute steht fest: Wir haben einen zu grossen Flughafen. Das ahnten wir schon
lange, heute haben wir Gewissheit. Wir sind misstrauisch geworden, als der
Flughafen die Eröffnung des neuen Docks hinauszögerte, um es nicht in seiner
Bilanz aktivieren zu müssen. Auch die Gebührenerhöhung ist eine sichtbare
Folge.

Sie haben stundenlang mit dem Unique-Verwaltungsratspräsidenten Andreas
Schmid über eine Redimensionierung diskutiert, konnten ihn aber nicht zur
Bescheidenheit überreden. Der rechnet immer noch mit 4,5 Prozent Wachstum
pro Jahr.

Blocher: Er hat seine Unsicherheit schon durchblicken lassen. Er könne nichts dafür, wenn die Swiss sich nie festlege, welche Kapazitäten sie haben werde. Aber ich kann auch nicht meine Kunden fragen, wie es in 20 Jahren aussieht.
Swissair und Swiss führten zu einem überdimensionierten Konzept. Nicht der
Markt war entscheidend, sondern das Bedürfnis, einezu grosse Fluggesellschaft auszulasten. Darum strandete die Swissair, und es wird auch für Swiss nicht funktionieren. Jetzt behaupten diejenigen Kreise, welche die Privatisierung des Flughafens für notwendig hielten und die Eigenwirtschaftlichkeit hervorhoben, man müsse die Flüge auch dann aufrechterhalten, wenn diese oder der Flughafen nicht rentierten. Die Öffentlichkeit solle das bezahlen. Da sage ich: «Jetz isch fertig.»

Haben Sie sich selber bei Schmid gemeldet?

Blocher: Nein. Ich traf ihn an einem Wirtschaftstreffen am Genfersee. Nach dem Essen traf man sich an der Bar. Dort habe ich mit Schmid bis weit in den Morgen
hinein diskutiert. Es war kein gutes Gespräch. Es kam mir vor wie bei der
Swissair: Wer damals kritisierte und warnte, galt als Totengräber der
nationalen Fluggesellschaft. Wer heute besorgt nach der wirtschaftlichen
Zukunft des Flughafens fragt, wird als Flughafenkiller verteufelt. Die
gleichen Kreise, die hinter der Swissair waren, stehen heute hinter dem
falschen Flughafenkonzept. Auch die Unique hat wieder Verwaltungsrat und
Beirat – stets Zeichen der Verfilzung. Offiziell sagt man, die Beiräte seien
da, um die Verwaltungsräte zu beraten. In Wirklichkeit sind sie dazu da, um
Leute einzubinden. Im Flughafen-Beirat, der den Verwaltungsrat beraten
sollte, ist der Präsident derselbe wie im Verwaltungsrat. Der Berater berät
sich also selber. Vizepräsident des Beirates ist Verwaltungsrat und
Regierungsrat Ruedi Jeker. Auch er berät sich selber. Im Beirat sitzt Vreni
Spoerry, das ist die alte Swissair-Linie. Neben dem Volkswirtschaftsdirektor
gehören auch die Baudirektorin und der Finanzdirektor dazu, wobei der Kanton
Zürich der grösste Gläubiger ist.

Das ist Ihr Regierungsrat.

Blocher: Diese Bemerkung ist typisch. Wir haben eine Loyalität zur Sache. Ob das jetzt Christian Huber ist oder nicht: Regierungsräte dürfen nicht
gleichzeitig im Verwaltungsrat und im Beirat sitzen. Wenn ich Finanzdirektor
wäre, würde ich der Regierung den Antrag stellen, dass ich nicht im
Verwaltungsrat sein dürfe. Niemand kann zwei Herren dienen.

Diesen Antrag hat Huber aber nicht gestellt.

Blocher: Das weiss ich nicht. Aber er sieht durchaus ein, dass es Interessenkonflikte geben kann. Dorothée Fierz ist Baudirektorin und sitzt ebenfalls im VR. Ich sage das nicht, weil sie freisinnig ist. Aber eine Baudirektorin, die Bewilligungen erteilt, kann doch nicht im Verwaltungsrat sitzen. Der Präsident der Unique, Andreas Schmid, ist natürlich anderer Meinung. Er sagt, er wolle doch nachher nicht die langen Instanzenwege durchschreiten. Dass er das nicht will, ist mir klar: Der Finanzdirektor istdie kürzeste Verbindung zur Staatskasse. Frau Fierz ist die kürzeste Verbindungzur
Baubewilligungsbehörde. Das muss auseinander gerissen werden. Die Folgen
zahlen die Steuerzahler.

Was raten Sie Swiss-Chef André Dosé, der offensichtlich auch ein
überdimensioniertes Unternehmen steuert?

Blocher: Die SVP war von Anfang an dagegen, dass der Staat sich an der Swiss
beteiligt. Das gilt heute noch, ob es nun gut oder schlecht geht. Die
Staatsbeteiligung ist ein schwerer ordnungspolitischer Missgriff. Auch die
Swiss ist zu gross. In Swiss-Kreisen wartet man sehnlichstauf den
Irak-Krieg, damit man einen Grund hat, um die Redimensionierung
durchzuführen, die ohnehin gemacht werden muss.

Reden Sie noch bei anderen Unternehmen drein? Bei ABB? Bei Martin Ebner?

Blocher: Nein. Das sind private Unternehmen. Ich bin nicht dafür verantwortlich.
Darum rede ich nicht drein. Ich rede beim Flughafen drein, weil der Kanton
Zürich mit 49 Prozent beteiligt ist, und ich rede bei Swiss drein, weil die
Öffentlichkeit Milliarden hineingesteckt hat. Ich habe als Politiker die
Steuerzahlerinnen, die Bürger, die öffentlichen Anliegen zu vertreten. Das
ist mein Auftrag.

Besitzen Sie Unique- oder Swiss-Aktien?

Blocher: Nein. Ich beteilige mich nie dort, wo der Staat beteiligt ist. Das liegt
nicht in meinem Konzept, ich habe auch keine Aktien der Swisscom, die ja
gesund ist. Wennich Nationalrat bin, muss ich diese Gesellschaften doch
unter die Lupe nehmen. Wenn ich selber solche Aktien besitze, bin ich nicht
mehr frei. Es ist eine naturgegebene Sache: Verantwortung ist unteilbar. Wer
trägt am Flughafen die Verantwortung? Christian Huber sagt zu Recht, man
könne das Konzept nicht ändern, der Kanton sei nur Minderheitsaktionär, das
sei eine private Gesellschaft. Und wer trägt die Verluste? Die Gesellschaft?
Nein. Die Verluste für den Flughafen, den man nicht fallen lassen kann,
zahlt am Schluss der Kanton Zürich.

Der SVP-Wunsch nach politischer Kontrolle des Flughafens ging von einer
«Gruppe externer Berater» aus, wie Ihr Regierungsratskandidat Hans
Rutschmann und Nationalrat Hans Kaufmann sagten. Muss man vermuten, dass
diese Gruppe Sie allein waren?

Blocher: Nein. Ich war da gar nicht dabei.Diesen Flughafen haben schon verschiedene Leute angeschaut, auch Ökonomen. Ich habe lediglich Wert darauf gelegt,dass Hans Rutschmann und Hans Kaufmann unabhängig von mir und anderen zu einem eigenen Urteil kommen. Hans Rutschmann als Regierungsratskandidat brauchte eine Position. Die Bürger müssen wissen, was er später in der Regierung vertritt. Das gilt auch für die SVP.

Jedenfalls haben Sie die Flughafenproblematik Hans Rutschmann in die Schuhe
geschoben, damit er einen guten Wahlkampfstart hat. Der hatte sich als
Rafzer und Zürcher Unterländer in der sensiblen Flughafenfrage noch kaum
exponiert und wäre selber nicht draufgekommen.

Blocher: Das ist eine Unterstellung. Ich habe diese beiden Kandidaten, bevor sie nominiert wurden, gefragt, ob wir noch ungeklärte Positionen hätten. Die SVP hat überall – Staatsfinanzen, Steuern, Verkehr, Sicherheit, Asylpolitik, Schule – klare Lösungen. Beim Flughafen haben wir jahrelang um eine Position
gerungen. Wir haben gezweifelt. Vor ein paar Jahren hat der Präsident der
Zürcher Handelskammer, Andreas Keller, die bürgerlichen Parteien und die
zürcherischen Wirtschaftsverbände zusammengetrommelt, dann ein Papier
vorgelegt und gesagt, das müsse man jetzt im Interesse des Landes, der
Volkswirtschaft, des Kantons und des Flughafens als Absichtserklärung
beschliessen. Ein Konzept, von dem wir sofort merkten, dass es ein
Swissair-Papier war. Das haben wir nicht unterschrieben. Sofort wurde die
SVP verunglimpft. Nach dem Sturz der Swissair verlangten wir, die Regierung
müsse sich jetzt auf den Flughafen konzentrieren. Eventuell müsse man den
Flughafenausbau stoppen. Jetzt ist der Kanton sowohl beim Flughafen als auch
bei der Swiss im Risiko. Gerade vor den Wahlen müssen die Bürger wissen, wie
die Kandidaten denken.

Das wurde auch vom «Tages-Anzeiger» verlangt, als sich die amtierenden
Regierungsräte nicht einzeln zur Flughafenpolitik äussern wollten.

Blocher: Klar. Alle sieben amtierenden Regierungsräte dürfen ja nur eine Meinung vertreten. Wenn wir mit unseren beiden am Tisch sitzen, vertreten sie die Meinung der Regierung. Die dürfen ja nichts anderes. Dieses Kollegialprinzip
ist zu lockern. Wenn einer seine Meinung nicht mehr sagen darf, stimmt etwas
nicht.

Die Grünen haben den 2,3 Milliarden Franken teuren Flughafenausbau schon
1995 für grössenwahnsinnig gehalten. Jetzt brauchen Sie das gleiche Wort:
Grössenwahnsinn. Offenbar brauchen Sie die Grünen, um auf die richtige Spur
zu kommen.

Blocher: Die Grünen waren in wirtschaftlicher Hinsicht nicht glaubwürdig in dieser Frage. Sie hatten nicht das Wirtschaftliche im Auge. Wer generell gegen das Auto ist, wird jede Strasse zu breit finden.

Die Linke (etwa SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr und der grüne Kantonsrat
Martin Bäumle in der Finanzkommission) hat schon vor eineinhalb Jahren davor
gewarnt, das Dock Midfield werde zu Lasten des Kantons zu einer
Investitionsruine.

Blocher: Dann fragen Sie Jacqueline Fehr, warum denn ihre Partei – die SP – so
vehement für die zu grosse Swiss eingetreten ist.

Aber offenbar sind Sie in dieser Frage ein Spätzünder. Vorher haben Sie noch
gesagt, Sie müssten sich im Interesse der Steuerzahler auf die Sachfrage
konzentrieren. Das hätten Sie schon früher tun können.

Blocher: Soll ich es nochmals sagen: Die SVP hat damals die Bauvorhaben mitgetragen. Doch die Zeit hat sich geändert. Der Markt gibt es nicht her. Also muss gehandelt werden. Für ein Unternehmen ist diese Anpassung nichts
Aussergewöhnliches.

Wie viele Direktverbindungen ab Kloten braucht der Standort Zürich?

Blocher: Ich weiss es nicht und muss es nicht wissen. Das ergibt sich von selber auf Grund dessen, was der Markt und der Standort hergeben. Aber so viel, wie geschätzt wurde, gibt er nicht her. Eine Ausrichtung auf etwa 320 000 Flüge ist wohl realistisch.

Wenn das Komitee Weltoffenes Zürich und die Handelskammer die
volkswirtschaftliche Bedeutung des Flughafens herausstreichen, meinen sie ja
das: möglichst viele Direktflüge an möglichst viele internationale
Destinationen. Was machen denn Sie, wenn Sie in Frankfurt drei Stunden auf
einen Anschluss warten müssen?


Blocher:
Beide Organisationen sind mit Unique verbandelt. Ich sage nicht, es sei schön, umzusteigen. Aber wenn man sagt, ohne das überrissene Projekt würden die Betriebe nicht mehr in der Schweiz produzieren, stimmt das nicht. Ich muss in den USA auch umsteigen. Deshalb verlege ich doch meine Firma nicht an einen anderen Ort. Genf hat man die Direktflüge 1996 auch reduziert, und es gab keinen Exodus. Zürich hatte letztes Jahr etwa 285 000 Flüge. War es deswegen ein Provinzflughafen?

Ein massgebliches Mitglied des Komitees Weltoffenes Zürich verglich den
Flughafen mit Einsiedeln: Dort gebe es die grösste Beizendichte und viele
Devotionalienläden, alles nur wegen des Klosters. Wenn man Einsiedeln das
Kloster wegnehmen würde, gäbe es die Beizen nicht mehr. Aber das Kloster
trägt sich eben selber. Die Wirtschaften tragen nicht das Kloster, damit sie
ihre Wirtschaften führen können, sondern das Kloster besteht und die
Wirtschaften bestehen auch, ohne dass ihre Betriebsrechnungen vermischt
würden. Sollten denn die Gemeinde Einsiedeln und die Wirtschaften das
Kloster finanzieren? Die würden sich bedanken. Das Komitee Weltoffenes
Zürich will Fluggesellschaften und Flughäfen. Aber bezahlen müssen
schliesslich die Zürcher.

Es gibt Studien über die volkswirtschaftliche Bedeutung des Flughafens.

Blocher: Es gibt auch Studien über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Ems-Gruppe. Ich bin der grösste Arbeitgeber in Graubünden. Auch andere Firmen sind volkswirtschaftlich bedeutsam. Dennoch ist es nicht die Aufgabe des Staates, deren Defizite zu tragen. Das gilt auch für Unique.

«Wer heute nach der wirtschaftlichen Zukunft fragt, gilt als
Flughafenkiller.»

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