Es braucht neue Leute

Der Unternehmer Christoph Blocher über Abzocker, seinen Lohn und die
Vorteile militärischer Führung.

Interview mit “FACTS” vom 31. Dezember 2002

Lukas Hässig und Nadja Pastega

FACTS: Herr Blocher, vor welchem Wirtschaftsführer haben Sie noch
Respekt?

Christoph Blocher: Vor allen, die ihre Firma ordentlich führen. Es gibt
mehr gute Firmen als schlechte. Auch unsere Firma ist in Ordnung. Ich
kenne aber auch andere. Es sind nicht zufälligerweise gerade jene
grossen Flaggschiffe, die früher hochgejubelt wurden und bei denen man
heute nicht viel Respekt haben kann.

FACTS: Was haben CS, Rentenanstalt und ABB falsch gemacht?

Blocher: Erstens haben sie sich einseitig auf Wachstum und Grösse
ausgerichtet: Grössenwahn als Triebfeder. Zweitens haben die CEOs
unbrauchbare Management-Methoden angewendet, die nur in der
Hochkonjunktur funktionieren: Mit dauernder Umorganisation, mit
Gutachten und Beratern, mit Akquisitionen und Fusionen kann man keine
Firma führen. Und drittens haben zu viele Manager vor allem von den
Unternehmen gelebt statt für die Unternehmen. Sie haben vergessen, was
ein Unternehmer ist. Ein Unternehmer ist einer, der in erster Linie für
die Firma schaut und nicht von ihr zehrt. Das alles ist jetzt ans
Tageslicht gekommen. Insofern war 2002 ein hoffnungsvolles Jahr, weil
das endlich aufgeflogen ist.

FACTS: Wie konnte es so weit kommen? Sie haben das Wort «Grössenwahn»
gebraucht, das im Widerspruch steht zur Tradition dieses Lande
s.

Blocher: Die traditionellen Schweizer Werte sind in den letzten zehn
Jahren über den Haufen geworfen worden. Grössenwahn gabs aber nicht nur
in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. In den nächsten Jahren
wird man sehen, was in der Politik alles falsch gemacht wurde. Sie sehen
es an den riesigen Defiziten, an den Staatsschulden, an der Preisgabe
von Werten, die die Schweiz stark gemacht hatten. Die gleichen Manager,
die jetzt verdammt und rausgeworfen werden, standen vor fünf Jahren
zuoberst auf dem Podest. Der Fehler war nicht, dass man sie rausgeworfen
hat, sondern dass man sie hochgejubelt hat. Sonst wäre es gar nicht so
weit gekommen.

FACTS: Wo muss noch bereinigt werden?

Blocher: Wir haben erst die Spitzen des Eisbergs gesehen. Vielleicht die
spektakulärsten Fälle. Man muss nur nachschauen, wer wie viele
Unternehmen dazugekauft hat. Dort ist der wunde Punkt. Mikron zum
Beispiel war eine gute Maschinenfabrik mit hochqualifizierten Produkten.
Dann kaufte sie etwas Fremdes aus dem Telekombereich, was damals ein
Boom war. Davon hat sie nichts verstanden und ist zusammengekracht. So
geht es vielen. Darum hing während 20 Jahren hinter meinem Pult ein
berühmtes Bild von Albert Anker: «Schuhmacher Eisele». Darunter hab ich
hingeschrieben: «Schuster, bleib bei Deinem Leisten!» Immer, wenn ein
Direktor zu mir kam, musste er dieses Bild anschauen. Die Schweiz war
nie erfolgreich dank Grösse. Wichtig war Qualität, Gewinn, Reserven.

FACTS: Können Verwaltungsräte, die ein Unternehmen in diese Situation
geführt haben, überhaupt korrigieren, oder braucht es neue Leute?

Blocher: Es braucht neue Leute. Es ist auch eine Mentalitätsfrage, ob
man Grösse oder Qualität in den Vordergrund stellt. In den
Führungsetagen achtet man zu sehr auf Leute mit Klang und Namen. Das ist
unnötig. Deshalb tauchen auch immer wieder die gleichen Namen auf. Es
braucht Leute, die ein solides Führungshandwerk beherrschen. Auch all
die grossen Managementtheorien sind überflüssig.

FACTS: Worin besteht ein solides Führungshandwerk?

Blocher: Es ist relativ einfach: Es fängt beim Auftrag an. Dieser –
nicht der Mensch – steht im Mittelpunkt. Man hat die eigenen Stärken
herauszufinden, darauf aufzubauen, das zu tun, was realisierbar ist.
Dann kommt die Mühsal des raschen Vollzugs. Eine Strategie ist auf dem
Papier immer toll. Sie ist nie falsch. Die Frage ist nur, ob man sie
durchsetzen kann. Und hier fehlt mancherorts das Einmaleins der
Unteroffiziersschule. Dort lernt man mit 21 Jahren, wie man sechs
Soldaten führt. Man lernt die drei K: Kommandieren, kontrollieren,
korrigieren. Wer etwas anordnet, muss es kontrollieren und korrigieren.
Mühselige Kleinarbeit.

FACTS: Man hört den Oberst Blocher heraus: Führen heisst befehlen.

Blocher:
Befehlen – Auftrag erteilen – ist ein Teil. Das Durchsetzen –
den Erfolg erzielen – braucht mehr. In den guten Jahren ist das weniger
zur Geltung gekommen. Oft hatte einer auch Erfolg, ohne etwas
beizutragen. Man hat den Chef eigentlich gar nicht gebraucht, so gut
ging es. Die Bankdirektoren konnten doch nichts dafür, dass sie solche
Gewinne erzielten, nur weil die Börse 25 Prozent stieg. Doch sie sagten:
«Wir haben so hohen Gewinn, also sind wir gute Manager.» Dabei kann man
dies nur in schwierigen Zeiten beurteilen.

FACTS: Brauchts mehr Kontrolle?

Blocher:
Nur nicht zu viel vorschreiben. Einfache Lösungen. Das Problem
sind die grossen Publikumsgesellschaften. Das liegt daran, dass es hier
keine fassbaren Eigentümer gibt. Das Eigentum ist pulverisiert. Wenn sie
hunderttausend Eigentümer haben, dann gibts in Wirklichkeit keinen
Eigentümer mehr. Wie beim kommunistischen System, dort sind ja auch alle
Eigentümer, aber es gibt keinen, der das Eigentum schützen kann. Darum
entsteht eine Nomenklatura. So sind unsere grossen Verwaltungsräte zur
Nomenklatura verkommen. Sie können machen, was sie wollen, weil kein
Eigentümer zum Rechten schauen kann. Deshalb ist es für den Schutz des
Eigentums absolut notwendig, dass die oberste Führung wenigstens die
eigenen Saläre und Bezüge veröffentlicht, jährlich, mit Namen. Dies zum
Schutz des Privateigentums. Das Zweite: Man muss das Depotstimmrecht der
Banken abschaffen. Man kann einen Verwaltungsrat heute nicht
auswechseln, denn die Banken müssen mit dem Depotstimmrecht für den
Verwaltungsrat stimmen. Das ist, wie wenn man sagen würden, wer nicht an
die Urne geht, der stimmt für den Bundesrat.

FACTS: Die Depotstimmen haben oft die Mehrheit?

Blocher: Sie sind oft massgebend, wo gros-se Aktionäre fehlen. Das muss
verschwinden. Es muss so geregelt sein, dass eine ausdrückliche,
schriftliche Vollmacht vorliegen muss für einen bestimmten Entscheid.

FACTS: Brauchts eine Obergrenze bei den Löhnen?

Blocher: Nein. Bei sehr guten Leistungen und Erfolg ist die Frage, ob
zehn oder eine Million, nicht massgebend. Doch nur wenn die
Entschädigung extrem erfolgsabhängig ist, sind zehn Millionen
gerechtfertigt.

FACTS: Wie viel verdienen Sie?

Blocher:
370’000 Franken, im letzten Jahr.

FACTS: Alles inklusive?

Blocher: Ja, weil ich keinen Bonus beziehen konnte. Wir hatten das Ziel
nicht erreicht, also gabs keinen Bonus. Als es sehr gut ging, habe ich
1,5 Millionen verdient. Ein System, das auch für meine Direktoren gilt.
Sie haben kleine Löhne, im Durchschnitt 200’000 Franken. Aber wenn sie
sehr gut arbeiten, können sie in Extremfällen bis auf eine Million
kommen. Das begreifen die Leute auch. Aber die Leute begreifen nicht,
wenn ich letztes Jahr gesagt hätte, ich nehme zehn Millionen als Bonus
heraus, obwohl das Ziel nicht erreicht ist.

FACTS: Wir stecken in einer Wirtschaftskrise. Wird es wieder besser?

Blocher:
Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, wer ein bisschen
Lebenserfahrung hat und die Wirklichkeit sieht, der weiss, dass es in
der Wirtschaft immer Hochkonjunkturen und Rezessionen geben wird, das
ist vom System her notwendig. Der Mensch macht in guten Zeiten immer
Fehler, im privaten Bereich übrigens auch. Ich habe ganz vernünftige
Leute gesehen, die in der New-Economy zu Geld gekommen sind. Was die mit
diesem Geld gemacht haben, war dann fertiger Blödsinn. So ist es auch in
den Firmen. Mir geht es genauso. Wenn ich heute durch das Unternehmen
gehe, sehe ich so viele Dinge, die ich in den guten Jahren bewilligt
habe und wo ich sagen muss: Das wäre jetzt also auch nicht unbedingt
nötig gewesen. Zum Beispiel ein zu schönes Bürogebäude.

FACTS: Sieben magere und sieben fette Jahre?

Blocher: Ja, der biblische Zyklus gilt (lacht).

FACTS: Jetzt haben wir wie viele magere Jahre? Zwei?

Blocher: Im Grunde hats 1999 angefangen. Am Anfang sehen Sie es eben
noch nicht. Ich fange jetzt wieder an zu investieren für die
Hochkonjunktur. 2003 wirds noch nicht aufwärts gehen. Aber so 2004, 2005
bin ich der Meinung, dass es eine Besserung geben wird.

FACTS: Wann investieren Sie wieder in die Börse?

Blocher: Wir sind keine Finanz-Firma.

FACTS: Sie haben zeitweise viel Geld mit Aktien-Anlagen verdient

Blocher: Auch ein Industrieunternehmen muss seine Mittel entsprechend
bewirtschaften. Auch mit Aktien müssen Sie in der Rezession beginnen.

FACTS: Das heisst, jetzt, wo viele Aktien im Keller sind, ist ein guter
Moment zum Einsteigen?

Blocher: Ja, nur eine Firma, die unten ist, kann rasch höher werden. Ich
kann Ihnen jetzt natürlich keine Anlagerichtlinien geben.

FACTS: Das wäre aber spannend.

Blocher: Ich bringe ein Beispiel, keine Empfehlung: ABB ist jetzt am
Boden. Die geht wahrscheinlich zu Grunde, wenn die Asbest-Sache nicht
gelöst werden kann. Wer hier investiert, verliert das investierte Geld
in diesem Falle. Anderseits halte ich vom Chef, Jürgen Dormann, sehr
viel. Ich habe ihn verfolgt bei der Sanierung von Hoechst. Wenn einer
aus dieser Firma etwas machen kann, dann er. Gelingt es ihm, dann wird
ABB hoch bewertet.

FACTS: Sie haben schon ABB-Aktien gekauft?

Blocher: Ich mache keine Angaben über unser Wirtschaftsportefeuille.
Aber wer hier investiert, der investiert wie in der Forschung: Der
Erfolg ist 50 Prozent.

FACTS: Sie haben vermutlich nicht jetzt bei 4,5 Franken pro Aktien
gekauft, sondern als die Titel bei 2 Franken waren.

Blocher: Sie dürfen nicht stets auf den allerbesten Punkt schauen. Es
sind Risikoanlagen. Ich frage die Leute, die sich bei mir Rat holen:
Können Sie Ihre 20 000 Franken verlieren? Nein? Dann können Sies nicht
machen. Sie müssen das Risiko in Kauf nehmen können.

FACTS: Was empfehlen Sie heute einem jungen Menschen in der Schweiz, der
sich entwickeln möchte?

Blocher: Eine Berufslehre. Nicht studieren gehen. Davon bin ich
überzeugt. Nicht, weil ich selbst diesen Werdegang gemacht habe …

FACTS: Sie haben doch auch das Gymnasium besucht und studiert.

Blocher: Ja, nach der Berufslehre. Nachher sind alle Wege offen. Leider
habe ich mich bei allen meinen vier Kindern nicht durchgesetzt. Auf
meinen Vorschlag, die Kinder in die Lehre zu schicken, sagten die
Lehrer: «Das wäre Unrecht an Ihren Kindern.» Aber gut, jetzt müssen sie
die Lehre halt bei mir machen. Nach dem Studium ist man niemand, man
fängt bei Null an. Wenn Sie lesen und schreiben können und Sie machen
eine Lehre, haben Sie so einen wertvollen Fundus. Alles andere können
Sie später noch lernen.

FACTS: Kann man eine Karriere planen?

Blocher: Wenn mich einer fragt, wie man eine Karriere macht, sage ich:
Das können Sie gar nicht. Es ist ausgeschlossen, dass Sie das können.
Wenn Sie das wollen, dann gibts keine. Aber machen Sie eine gute, solide
Berufslehre und machen Sie überall, wo Sie sind, die Sache tipptopp, und
zwar unabhängig. Und unabhängig ist man dann, wenn man immer auf den Job
verzichten kann. Dann wird man stark. Sobald man abhängig wird und
denkt, ich darf dieses nicht sagen, ich darf jenes nicht machen, sonst
fliege ich raus, haben Sie nie Erfolg. Weil Sie das Richtige nicht
machen können. Bei Theodor Storm heisst es: «Der eine fragt, was kommt
darnach, der andere, was ist recht, und also unterscheidet sich der
Freie von dem Knecht.» Der Knecht fragt immer, was kommt nachher. Der
Freie sagt, ich mache es richtig, mir ist egal, was passiert. Das muss
man den jungen Leuten mit auf den Weg geben.

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