Feind in Sicht

Milizarmee im Alleingang für vier Milliarden Franken

Interview mit FACTS vom 16. Mai 2001

Zum ersten Mal präzisiert Christoph Blocher seine Vorstellungen zur Zukunft der Schweizer Armee.

Oberst Blocher, wie sieht Ihre Armee aus?

Christoph Blocher: Die Schweizer Armee ist für den Schutz unserer Freiheit und Unabhängigkeit da und nicht, um irgendwo im Grossraum Europa eingesetzt zu werden. Dafür braucht es eine Milizarmee, die bereit ist, wenn’s losgeht, in relativ grosser Zahl aufgeboten zu werden.

Eine Reservetruppe?

Blocher: Richtig, genau das ist ja die Milizarmee: Wenn man sie nicht braucht, ist sie zu Hause.

Wozu dient sie?

Blocher: Das Bedrohungsbild der Zukunft ist diffus. Es reicht von der unorganisierten Bedrohung eines “stellvertretenden Bürgerkriegs” von ausländischen Gruppierungen über den Cyberspace War zur Bedrohung aus der Luft und am Boden. Diffus heisst, es braucht an vielen Orten viel Bewachungen, Überwachungen und Schutz. Ein Beispiel: Die Kurden, welche damals die türkische Botschaft besetz-ten, drohten, sie würden verschiedene andere Orte gleichzeitig besetzen; da ist die Polizei schnell überfordert. Dazu kommt der Cyberspace-Krieg, also Internet-Krieg, elektronischer Krieg und so wei-ter. Da brauchts einige wenige Einheiten mit Spezialisten. Dann brauchen wir einen Luftraumschutz für die wahrscheinlichsten Fälle und nicht für die allerverrücktesten. Wir waren ja nie geschützt gegen die allerschlimmste Bedrohung, wo alle Armeen der Welt auf uns losgehen. Das ist aber auch nicht wahrscheinlich. Das ergibt eine Armee, die auf die neuen Gefahren besser vorbereitet ist.

Braucht es also keine Kampfpanzer und keine teuren Kampfjets mehr?

Blocher: Ich gehe nicht ins Detail. Aber Sie haben Recht. Eine grosse Panzerarmee steht in unserem Gelände nicht im Vordergrund. Die Armee wird sicher weniger teuer als jene, die jetzt geplant ist.

Bundesrat Samuel Schmid sagt, eine Armee à la Blocher komme “drei bis vier Mal teurer als die heu-tige Armee”.

Blocher: Das soll der mal beweisen. Das behauptet er einfach.

Sie reden immer von der autonomen Widerstandsarmee. Wie sieht sie aus?

Blocher: Wir sind vorbereitet, um im Ernstfall einem Aggressor Widerstand zu leisten. Das war immer die Spezialität der Schweiz. Wenn wir das glaubwürdig machen, schreckt das von vornherein ab.

Abschreckung, die glaubhaft sein will, kostet immens viel Geld.

Blocher:
Weniger als das, was jetzt geplant ist, nämlich eine Angriffsarmee, um zusammen mit ande-ren Armeen einen Krieg weit ausserhalb unseres Landes zu führen. Das gibt eine unbezahlbare Armee.

Wie teuer ist Ihre Armee?

Blocher: Ich würde die Kosten bei 4 Milliarden beschränken. Geplant sind jetzt 4,3 Milliarden. Eine Milizarmee ohne Auslandkriegseinsätze ist kostengünstiger.

Für die Wirtschaft wäre Ihre Armee viel teurer.

Blocher: Auch für die Wirtschaft wird’s billiger. Denn ein Milizsoldat bleibt zu Friedenszeiten zu Hause, der kostet uns nichts. Den Berufssoldaten hingegen kann man nicht einfach heimschicken, wenn es nichts zu tun gibt. Nun soll das Milizsystem zunehmend durch eine Berufsarmee ersetzt werden. Die ist erstens teuer und zweitens gefährlich. Es gibt nichts Gefährlicheres als Militärs, die nichts zu tun haben.

Wie sieht ganz konkret Ihre Armeeplanung aus?

Blocher: Ich würde Varianten verlangen für 4 Milliarden und darunter. Ohne Auslandengagement. Damit müssten die Armeeplaner auskommen. Mehrere Varianten und nicht nur eine, wie dies das VBS jetzt tut, indem es die Kriegführung mit anderen Armeen anstrebt.

Was nach allen ökonomischen Grundsätzen billiger wäre.

Blocher: Sie können überall kooperieren, nur nicht mit Armeen. Denn alle anderen Länder haben ihre eigenen Interessen und verteidigen die mit dem letzten Mittel, nämlich mit der Armee. Die neue Dokt-rin “Sicherheit durch Kooperation” baut auf die Hoffnung, die anderen würden uns helfen, und wir müssen den anderen auch helfen. Für Grossmächte ist das kein Problem. Für den Kleinstaat aber heisst das, wir werden dann auch in fremde Händel einbezogen. Wir sind nicht mehr neutral. Wenn wir im Zweiten Weltkrieg eine Armeedoktrin gehabt hätten, wie sie jetzt geplant wird, hätten wir vielleicht im Raum München Krieg geführt; stellen Sie sich das vor! Die Stärke auf eigenem Gelände ist nicht vorbei. Denken Sie an Vietnam, an Afghanistan, an Tschetschenien, wie die mit einfachsten Mitteln verbissen ihr eigenes Territorium verteidigt haben, und zwar gegen eine hoch technisierte Armee.

Das sind Rebellen-Armeen.

Blocher: Wenn Sie den Weltmassstab ansetzen, ist die Schweizer Armee eine Rebellen-Armee. Inso-fern, als dass sie nur in ihrem Territorium den Krieg führt und die Schweiz verteidigt.

Warum waren Sie dann nicht gegen den Kauf von Kampfpanzern und Kampfflugzeugen?

Blocher: Also beim F/A-18, das wissen Sie ja, war ich einer der wenigen Bürgerlichen, die Nein stimm-ten. Das war ja die grosse Attraktion. Und bei den Panzern habe ich lange gerungen. Führende Mili-tärs haben damals dargelegt, es sei die letzte Panzerbeschaffung. Ich will hier die Frage offen lassen. Wir brauchen eine spezifische Armee für unsere Bedürfnisse. Nur läuft im Moment alles in die gegen-teilige Richtung: Unsere Armee wird umgemodelt auf Nato-Standard, und zwar bis zur letzten Anhän-gerkupplung. Das wird teurer, ich kenne das aus der Wirtschaft: Der globalisierende Grössenwahn wird auch in der Armee nicht billiger. Sich der Nato anschliessen, wie es die Nato-Partnerschaft will, ist zudem für unser Land gefährlich und verletzt die Neutralität.

Ein Nato-Beitritt wäre doch eine Variante, und zwar erst noch eine billigere.

Blocher: Nur unter der Voraussetzung, dass man der Nato die Verteidigung überlässt. Das wäre dann aber die Preisgabe der Schweiz.

Belgien, etwa gleich gross wie die Schweiz, kommt als Nato-Land mit der Hälfte der Verteidigungskosten aus.

Blocher: Jedes Land hat seine eigenen Regeln. Erstens ist Belgien in der EU, zweitens in der Nato, und drittens war Belgien nie ein neutrales Land und darum auch vom Krieg nicht verschont. Wenn man das in Kauf nehmen will, kann man das. Ich würde das nie machen. Die Mehrheit der Schweizer bis heute auch nicht, denn sie wissen, dass die Aufgabe der Neutralität ein Kriegsrisiko wäre.

Eine autonome Landesverteidigung, wie sie Ihnen vorschwebt, bedingt realistischerweise ein Aufrüs-ten nach israelischem Muster.

Blocher: Nur dann, wenn wir eine Bedrohungslage hätten wie Israel, das haben wir natürlich nicht. Israel ist von Staaten umgeben, die alle einen Anspruch auf das Land erheben. Das war bei uns nicht einmal im Zweiten Weltkrieg der Fall. Der Vergleich mit Israel ist deshalb an den Haaren herbeigezogen.

Für eine autonome Landesverteidigung, das würde jeder israelische General bestätigen, bräuchten wir nicht 34 Kampfjets, sondern 300.

Blocher: Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus. Zuerst stellt sich doch die Frage: Welches ist die mögliche Bedrohungssituation?

Nämlich?

Blocher: Sicher nie die von Israel. Am wahrscheinlichsten ist für mich ein chaotischer Krieg. Mit diffusen, bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die an vielen Orten losgehen.

Werden die Jurassier einen Aufstand gegen die Berner anzetteln?

Blocher:
Nein, nein, ich habe nicht vom Bürgerkrieg, sondern vom stellvertretenden Bürgerkrieg gesprochen. Zum Beispiel Serben gegen Albaner in der Schweiz. Für solche möglichen Auseinanderset-zungen brauchen wir eine Milizarmee.

Ist das nicht Sache der Polizei?

Blocher: Zunächst sicher. Aber die reicht nicht. Wollte man dies nur mit der Polizei lösen, hätten wir einen Polizeiapparat, der in Friedenszeiten völlig überdimensioniert wäre. Schon nur eine Demonstra-tion für das Weltökonomieforum in Davos hat einen Grossteil der Polizeikräfte der Ostschweiz gebunden. Stellen Sie sich vor, wenn viele Bedrohungen an tausend Orten losgehen.

Tausend Davos in der Schweiz: Das ist mit Verlaub doch ein sehr hypothetisches Szenarium.

Blocher: Natürlich, weil es ja nicht tausend WEF gibt. Aber Auseinandersetzungen an tausend Orten gleichzeitig im Kriegsfall ist nicht sehr hypothetisch.

Militär gegen Zivilisten einzusetzen, damit hatte die Schweiz schon beim Generalstreik von 1918 denkbar schlechte Erfahrungen gemacht.

Blocher: Die Angst besteht immer, man setze das Militär gegen die eigenen Leute ein. Wenn ich vom stellvertretenden Krieg rede, sind das ausländische Gruppierungen, die in unserem Land gegeneinander Krieg führen. Das sind nicht Schweizer.

Also nicht die Hooligans im Eisstadion von Lugano?

Blocher: Nein, von denen rede ich jetzt nicht, denn da genügt die Polizei.

Würden Sie die Armee lieber abschaffen als der Nato beitreten?

Blocher: Nein. Das wäre ja, wie wenn man bei einem EU-Beitritt sagen würde, nun müssten wir die Schweiz aufheben. Dieser Meinung bin ich ja nicht.

Und wenn die Bedrohungslage keine Armee mehr braucht?

Blocher: Wenn die Bedrohungslage so wäre, dass wir keine Armee mehr brauchen, dann wäre ich nicht für eine Armee, aber leider ist sie so nicht.

Wird sie nie sein?

Blocher: Solange es Staaten und Menschen gibt, kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. So ist es halt leider.

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