Der Auftrag ist das entscheidende Element

Keine Führungsunterschiede nach gesellschaftlichen Bereichen

Mein Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung vom 21. November 2000

Wie oft hört man: “So kann man in der Politik nicht führen, das kann man allenfalls in der Wirtschaft” oder: “Der führt die Partei wie ein Unternehmen” und meint damit etwas Verwerfliches. Neuerdings höre ich im Militär, das über die älteste und durchdachteste Führungsphilosophie verfügt: “Die Führung muss ziviler werden.” Es herrscht offenbar die Auffassung vor, in Wirtschaft, Politik und Armee gelte es unterschiedliche Führungsgrundsätze zu befolgen. Davon halte ich nichts. Wo richtig geführt wird, bleibt das Grundsätzliche und damit das Erfolgsentscheidende überall gleich.

Führung misst sich am Erfolg

Wo heute über Führung gesprochen, gelernt oder doziert wird, spricht man – oft ohne es zu merken – vor allem über Führungshilfsmittel wie Kommunikation, Umgangsformen, zwischenmenschliche Beziehungen, Grundsätze der Teamarbeit und Motivation. So wichtig solche Hilfsmittel sein mögen, sie machen nicht das Wesentliche der Führung aus. Auch der viel zitierte Wandel in der Führung bezieht sich mehr auf Äusserlichkeiten, Nebensächlichkeiten und Hilfsmittel.

Wenn Führung bedeutet, mit Mitarbeitern, Kollegen, Mitstreitern, Soldaten oder wie immer man Untergebene nennen will, ein vorgegebenes Ziel zu erreichen, so ist klar, dass sich die Qualität der Führung und der Führenden an einer einzigen Grösse zu messen hat, nämlich am erreichten Ziel, am Erfolg. Und weil jeder Führende stets sowohl Vorgesetzter als auch Untergebener ist – und damit stets einen Auftrag hat – ist seine Führungsqualität an der Erfüllung seines Auftrages zu messen. Das hat überall, wo geführt wird, zu gelten! Wird diese Grundwahrheit in der Wirtschaft weitgehend anerkannt, so ist sie in der Armee – vor allem in Friedenszeiten – verwässert worden und in der Politik fast vollständig verschwunden.

Oft ist die Beliebtheit, die Anerkennung, die eigene Karriere wichtiger als die Erfüllung des Auftrages: Unternehmensleiter profilieren sich auf Kosten des Unternehmens, Parteipräsidenten sonnen sich in der Beliebtheit, während die Partei von Misserfolg zu Misserfolg eilt, militärische Kommandanten vergessen vor lauter Karrieredenken Auftrag und Soldaten.

Unnötige Begründungen von Misserfolgen

Es kann nicht genug betont werden: Allein die Erfüllung des Auftrages, die Erzielung des Erfolges ist in der Führung entscheidend. Der Auftrag steht im Mittelpunkt – und zwar der eigene. Deshalb ist erfolgreiche Führung immer auftragsorientiert. Von “menschenorientierter” Führung – die letztlich die eigene Person in den Mittelpunkt stellt – halte ich weder in Wirtschaft, Politik noch Armee etwas.

Ebenfalls halte ich nichts von der Unsitte, dass Führungskräfte ihren Misserfolg begründen. Vor allem Politiker neigen dazu, einen Grossteil der Zeit damit zu vergeuden. Ich staune oft über das hohe Mass an kreativer Fähigkeit, das Chefs – vor allem Politiker, die sonst nicht durch besondere Kreativität auffallen – entwickeln, wenn es darum geht, den eigenen Misserfolg, die Nichterfüllung des Auftrages, wortreich zu begründen. Auch die oft gehörte Ausrede, der Grund des Misserfolges liege in der mangelhaften Qualität der Mitarbeiter oder in vorgegebenen Strukturen, ist inakzeptabel. Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, nur schlechte Chefs. Das gilt auch, wenn man seine Untergebenen nicht selbst auswählen kann. Gute Chefs sorgen für gute Mitarbeiter, machen aus schlechten gute oder merzen deren Mängel aus, indem sie intensiver führen oder die Schwachen umgehen.

Völlig abzulehnen ist die verbreitete Meinung, in der Politik gebe es Sachzwänge, gegen die man nichts unternehmen könne. Auch unfähige Manager berufen sich häufig darauf, um nichts machen zu müssen. Das Vorschieben von Sachzwängen ist nichts anderes als die Begründung des Misserfolges auf Vorrat.

Das Laster der Gefallsucht

Wenn ich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten der Gegenwart und Vergangenheit analysiere, stelle ich fest, dass sie trotz verschiedensten Charakteren vor allem eine gemeinsame Eigenschaft auszeichnet: eine – manchmal fast unheimliche – Verpflichtung gegenüber der Sache, ein Ernstnehmen ihres Auftrages. Alles – auch und gerade die eigene Person – ordnen sie diesem unter.

“Image”, “gute Presse” und Beliebtheit haben in der Führung nichts zu suchen. Wenn man ganz bei der Sache ist, bleibt weder Kraft noch Zeit für Selbstverwirklichung, wenig Interesse an Selbstdarstellung, keine Lust, sich mit dem Beklagen eigener Mühsal und Sorgen zu beschäftigen. Wo erfolgreich geführt wird, steht die Auftragstreue im Mittelpunkt. Diese ist das eigentliche Geheimnis erfolgreicher Führung. Aus diesem Grund verlange ich in unserem Unternehmen von allen Vorgesetzten, dass sie nie einen Auftrag erteilen, ohne die Untergebenen über den eigenen Auftrag zu orientieren. Auf diese Weise gibt man sich als Vorgesetzter einerseits vor der Auftragserteilung nach unten Rechenschaft über den eigenen Auftrag, andererseits sieht, spürt und erfährt der Untergebene, dass auch der Vorgesetzte einen klar bestimmten Auftrag zu erfüllen hat. Dies hat auch in der Politik zu gelten, und darum halte ich es auch als Parteipräsident so.

Verantwortung ist unteilbar

Wer leitet, wer führt, wer “das Sagen hat”, ist in unserem Kulturkreis traditionsgemäss in erster Linie verantwortlich. Der Verantwortliche ist einem Auftrag unterworfen, untertan. Gerade Politiker sprechen verdächtig oft und leichtfertig von dieser Verantwortung. Worin besteht denn diese Verantwortung? Sie besteht darin, die Konsequenzen für Erfolg oder Nichterfolg persönlich zu tragen. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn man am Misserfolg keine Schuld trägt. Deshalb sind Positionen mit höherer Verantwortung auch besser bezahlt. Das heisst aber auch, dass die Zuständigen im Falle des Misserfolges verantwortlich gemacht werden. Es geht nicht an, unbrauchbare oder frühzeitig ausscheidende Führungskräfte mit Millionenbeträgen zu belohnen oder abgewählten oder vorzeitig zurücktretenden politischen Amtsträgern ihre Pension mit fürstlichen Renten zu vergolden. Das Tragen von Verantwortung bedeutet Risiko und darf nicht mit einem goldenen Fallschirm abgesichert werden.

Konzentration der Kräfte

Wer erfolgreich führt, weiss, dass es entscheidend ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die militärische Führungslehre spricht von “Schwergewichtsbildung”. Die Wirtschaft anerkennt dies heute erfreulicherweise auch. Sie spricht von “Fokussierung”. Völlig unbeachtet bleibt leider der Grundsatz der Konzentration in der Politik. Hier machen alle alles, aber niemand etwas richtig. Die Politiker meinen, sich überall einbringen zu müssen, weil sie sich nicht die Mühe und Zeit nehmen, Prioritäten zu setzen. Dasselbe gilt auch für die Parteien. Die Vorstellung, Politiker und Parteien müssten sich zu allem äussern, ist falsch. Ich verwende einen Grossteil der Arbeitskapazität in der Zürcher SVP für die Festlegung der Programmschwerpunkte, die auf Grund der bestehenden Hauptprobleme und notwendigen Grundbedürfnisse der Bevölkerung bestimmt werden.

Überall die gleichen Grundsätze

Es wäre Zeit, endlich anzuerkennen, dass die wesentlichen Führungsgrundsätze überall, wo geführt wird, die gleichen sind. Nachdem man sich in den letzten Jahren in Praxis und Theorie allzu sehr mit Führungsnebensächlichkeiten befasst hat, sollten sich Wirtschaft, Politik und Armee wieder um das Zentrale kümmern: Es geht zuerst und vor allem um den Auftrag, seine Erfüllung und das Tragen von Verantwortung. Missachtet man dies, gehen in der Wirtschaft Unternehmen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen für Mitarbeiter, Kapitaleigner und Gläubiger zugrunde. In der Politik trägt der Bürger den Schaden: Er wird das Opfer sinnloser Bürokratie, bezahlt zu viele Steuern für sinnlose Ausgaben und verliert immer mehr persönliche Freiheit an sich selbst verwirklichende und anmassende Politiker. Führungsschwäche in der Armee führt zum Verlust der Sicherheit und letztlich zur Preisgabe der Unabhängigkeit.

Würden der Auftrag und die Verantwortung wieder in den Mittelpunkt gestellt, bekämen Erfolg und Niederlage den ihnen zustehenden Stellenwert: Was heute vielfach als Erfolg bezeichnet wird, nämlich das Glänzen einer Person im Rampenlicht, verbirgt oftmals die Niederlage, die Nichterfüllung des Auftrages. Umgekehrt ist die Niederlage oft gerade ein Beweis für die erfolgreiche Auftragserfüllung. Alfred Escher, der in Ungnade gefallene Erbauer der Gotthardbahn, konnte nicht einmal an den Festlichkeiten des Tunneldurchstichs teilnehmen. Es war sein Auftrag, die Nord-Süd-Transversale für unser Land zu verwirklichen, und nicht, sich dafür öffentlich feiern zu lassen. Winston Churchill durfte im Sommer 1945 die europäische Friedensordnung nicht unterzeichnen, weil ihn im Juli 1945 an der Viermächtekonferenz in Potsdam die Nachricht erreichte, er habe in England die Wahlen verloren und müsse abtreten. Dies zeugt von seiner Führungsfähigkeit: Es war sein Auftrag, Europa vor der nationalsozialistischen Bedrohung zu retten, und nicht, die Wahlen zu gewinnen. Als Soldat habe ich gelernt, dass Land und Volk zu verteidigen sind, schlimmstenfalls unter Einsatz und Preisgabe des eigenen Lebens. Gibt es eine grössere persönliche Niederlage, als zu sterben? Gibt es eine grössere Auftragstreue, als das Leben für seinen Auftrag zu lassen?

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