«Ist unser Land erpressbar?»

Standortbestimmung anlässlich der 12. ordentlichen Mitgliederversammlung der AUNS vom 26. April 1997 in Bern

Liebe Mitglieder
Meine Damen und Herren

Als wir die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz vor gut 10 Jahren gründeten, konnten wir nicht ahnen, wie dringend die Verteidigung der Souveränität, der Unabhängigkeit, der Selbstbestimmung und der Neutralität unseres Landes werden würde. Wir konnten damals nicht ahnen, wie sehr Behörden, Politiker, Bundesrat und Parlament in dieser kurzen Zeit bei der Verteidigung unseres Landes gegen Angriffe von aussen versagen werden.

Seitdem ich am 1. März 1997 in Zürich zum Thema “Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg – Eine Klarstellung” einen Vortrag gehalten habe, der seither in über 50’000 Exemplaren auf deutsch, französisch, italienisch oder englisch verschickt worden ist, spüre ich erst richtig, wie gross das Dilemma in unserem Land geworden ist: Von der Grosszahl von Zuschriften haben mich diejenigen von Auslandschweizern in Übersee am meisten berührt. Sie bestellten die englische Fassung gleich in mehreren Exemplaren und teilten mir mit: “Bisher konnte uns niemand der offiziellen Schweiz sagen, was heute eigentlich passiert und was während des Zweiten Weltkrieges schlimmes passiert sein soll”. Oder – so schreibt ein Auslandschweizer-Arzt aus Kanada: “Wir fühlen uns von der offiziellen Schweiz schmählich im Stich gelassen”.

Drohe, dann bekommst Du Geld!
Warum nur – so frage ich – ist die offizielle Schweiz gegenüber den masslosen, unbegründeten Anschuldigungen und Verunglimpfungen in- und ausländischer Kreise nicht entschiedener aufgetreten? Warum hat unsere Regierung, unser Parlament die erpresserischen Geldforderungen aus New York nicht von allem Anfang an entschieden zurückgewiesen? Ist unser Land erpressbar geworden?

Die Schweizer Behörden und das Parlament führen sich auf wie Richter in weichen Plüschsesseln, die als internationale Beobachter über die Schweiz zu Gericht sitzen. Die Aufgabe von Bundesrat und Parlament ist aber eine andere, nämlich die, sich als Fürsprecher und Advokaten für die Schweiz einzusetzen – für die Schweiz Partei zu nehmen.

Nur ein Staat, der sich für seine berechtigten Anliegen wehrt und auch wehren kann, nur ein Staat, der sich für seine Bewohner und deren Interessen einsetzt, verdient in der internationalen Gemeinschaft Respekt. Auch als kleines Land muss sich die Schweiz nicht jeden Dreck über den Kopf schütten lassen.

Um entschieden und überlegen aufzutreten und die Interessen der Schweiz zu verteidigen muss man allerdings zur Schweiz und ihren Werten stehen!

Wenn man die Neutralität nicht mehr ernst nimmt, überall nach Anpassung ruft, die direkte Demokratie und den Wählerwillen zusehends missachtet, sich im Ausland für Volksentscheide entschuldigt, die direkte Demokratie und die Neutralität durch die Eingliederung der Schweiz in die Europäische Union “relativieren” oder gar verunmöglichen will, wenn man an der Souveränität des Landes selbst zweifelt, besitzt man die Voraussetzung und die Kraft nicht mehr, die Interessen des Landes zu wahren.

Meine Damen und Herren, wo diese Werte nicht mehr respektiert werden, wo man nicht mehr die Kraft besitzt, diese Werte zu vertreten und hochzuhalten, wird ein Land erpressbar. Die Rede des Bundespräsidenten am 5. März 1997 hat gezeigt: Nationalbank und Bundesrat sind erpressbar geworden. Dem ist im Interesse des Landes Einhalt zu gebieten.

AUNS – nötiger denn je
Auch hier stellt sich heute – wie so oft in der Geschichte – wieder die Frage: Widerstand oder Anpassung? Deshalb ist die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz heute so aktuell. Die Verteidigung der Schweiz und ihrer Werte ist zur vornehmsten Aufgabe geworden.

Es ist erfreulich, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger dieses Anliegen erkennen. Heute gehören unserer Organisation bereits über 25’000 Mitglieder an. Allein im letzten Jahr hat sich der Mitgliederbestand wieder um 10 % erhöht! Immer mehr Menschen in diesem Land sehen ein, dass die Verteidigung unserer Staatssäulen zum wichtigsten politischen Anliegen unserer Zeit geworden ist. Die letzten Monate haben erneut bewiesen, dass noch nie in diesem Jahrhundert Unabhängigkeit, Neutralität und Selbstbestimmung der Schweiz stärker bedroht waren als in diesen Jahren – und zwar von innen, von Seiten der Regierung und des Parlamentes.

Die Politik auf Abwegen
Meine Damen und Herren, obwohl das Volk in den vergangenen Jahren bei allen Vorlagen, bei denen die Unabhängigkeit und Neutralität nach Antrag des Bundesrates oder von Initianten hätte eingeschränkt werden sollen (UNO-Beitritt, EWR-Vorlage, Blauhelm-Vorlage, Volksinitiative für eine Schweiz ohne Kampfflugzeuge, Regierungs- und Verwaltungsreform, erleichterte Einbürgerung, Grundstückerwerb für die Ausländer, Alpeninitiative), hat sich das Volk klar für die Unabhängigkeit und Neutralität entschieden. Trotzdem halten Bundesrat und Parlament am Ziel des EU-Beitrittes fest. Zwar versucht man in Bern – aus taktischen Gründen – nicht mehr allzu laut davon zu sprechen.

Erfreulich ist dagegen, dass wirtschaftliche Kreise heute mehr und mehr einsehen, dass ein EU-Beitritt nicht in Frage kommen kann und dass mit wenigen Ausnahmen – es sind vor allem schlecht geführte Firmen – nicht mehr von einem EWR- oder EU-Beitritt geschwärmt wird. Die heutigen Schwierigkeiten in der Europäischen Union, die fast gigantische Arbeitslosigkeit, die Probleme mit der ökonomisch fragwürdigen Währungsunion haben Leute mit einigermassen wirtschaftlichem Sachverstand und Überblick einsehen lassen, dass der EU-Beitritt nicht in Frage kommen kann.

Bei den Politikern dauert diese Einsicht wesentlich länger. Ein EU-Beitritt bringt ihnen Machtzuwachs, darauf wollen sie nicht verzichten. Deshalb haben wir, meine Damen und Herren, wachsam zu bleiben. Zweifellos werden erneut Volksabstimmungen auf uns zukommen, die uns fordern. Wir haben uns bereitzuhalten und müssen jederzeit eingreifen können, wenn es darum geht, ein unbefriedigendes Ergebnis der bilateralen Verhandlungen, einen allfälligen erneuten EWR-Beitritt, einen EU-Beitritt zurückzuweisen.

Zu den bilateralen Verhandlungen
Erinnern Sie sich an die Schreckensszenarien, die im Vorfeld der EWR-Abstimmung verbreitet worden sind? Erinnern Sie sich beispielsweise noch an die Prophezeiung, bei einer Verwerfung des EWR werde das Vertrauen in unser Land, unsere Währung massiv sinken, der Schweizerfranken werde schwach werden und die Zinsen massiv steigen? Niemand – so wurde dem Schweizervolk vorausgesagt – wolle bei einem EWR Nein noch Schweizerfranken kaufen. Und heute? Unser Problem ist nicht die Schwäche des Schweizerfrankens, sondern vielmehr dessen Stärke. Land und Währung haben Vertrauen, unter anderem gerade wegen des EWR Neins.

Auch wurde dem Schweizervolk damals gesagt, das Land werde isoliert, denn im Falle eines EWR Neins sei es vorbei mit dem Abschluss zwischenstaatlicher (d.h. bilateraler) Verträge. Was ist passiert? Allfällige Nachteile, die sich aus dem EWR Nein für die Wirtschaft hätten ergeben können, wurden bereits bilateral erledigt. So sind seit 1992 beispielsweise in Kraft getreten:

– das Versicherungsabkommen
– die Regelung betreffend Zertifizierung der Produkte für die EU-Länder, indem sogar in der Schweiz eine eigene Zertifizierungsstelle eingerichtet worden ist indem durch Verwaltungsvereinbarung die Mehrwertsteuer-Abrechnung so geregelt worden ist, dass die Schweiz heute fast wie ein EU-Staat die Mehrwertsteuer abrechnen kann
– dass ab 1. Januar 1997 der Vertrag betreffend die paneuropäische Kumulation – und damit der bisher schwerste Nachteil eines Staates im Verkehr mit der Europäischen Union nämlich betreffend den passiven Veredlungsverkehr nicht nur unterschrieben, sondern in Kraft gesetzt ist.

Dies sind ein paar Beispiele bedeutungsvoller Abkommen, die in aller Stille entstanden sind. Zudem ist seit dem 6. Dezember 1992 auch das GATT neu ausgehandelt worden (WTO), so dass die Hauptnachteile bei den öffentlichen Ausschreibungen bereits beseitigt sind.

Die noch ausstehenden Fragen (insbesondere betreffend Verkehr, Personenfreizügigkeit und Forschung) sind fast ausschliesslich noch im Interesse der Europäischen Union oder kosten die Schweiz viel Geld und bringen wenig Nutzen. Die Schweiz kann sehr gut ohne diese Abkommen leben – auf jeden Fall besser, als mit unbefriedigenden Abkommen. Die Schweiz hat also keinen Grund, hier leichtfertig nachzugeben. Es lohnt sich, in den bilateralen Verhandlungen konsequent zu bleiben. Der Bundesrat wird aufgerufen, in den Verhandlungen standhaft zu bleiben.

Sollten Bundesrat und Parlament nachgeben und einem unbefriedigenden bilateralen Vertrag zustimmen, wird das Referendum ergriffen. So hat es die AUNS bereits 1995 beschlossen.

EWR II
Meine Damen und Herren, schlechte Verlierer unter der Bundeshauskuppel träumen vom EWR II. Ein EWR II hiesse, über 7’000 Seiten Gesetzgebung, die allein seit 1992 dazugekommen sind, zu übernehmen, es hiesse zudem, einen Kolonialvertrag zu unterzeichnen und insbesondere freie Durchfahrt auf den Strassen und Personen-Freizügigkeit. Eine Verwerfung des EWR II ist heute leichter möglich als 1992. Freier Nord-/Südverkehr und Personenfreizügigkeit spielten 1992 eine untergeordnete Rolle. Heute wird das Volk nicht mehr Ja dazu sagen.

EU-Beitritt
Gibt es eigentlich noch ernstzunehmende Kreise in unserem Land, die das wollen? Die Nachteile für die Schweiz sind heute wesentlich offensichtlicher als 1992, als es erst eine EG gab.

Bereit zum Kampf
Auch im vergangenen Jahr konnten wir dank den Mitgliederbeiträgen und Spenden sowie dank sparsamem Einsatz der Mittel die Kampfkasse unserer Vereinigung um weitere Fr. 650’000.- aufstocken, so dass Fr. 2,6 Mio. vorhanden sind. Ein ansehnlicher Grundstock für solche Abstimmungskämpfe, auch wenn wir wissen, dass diese Beträge nicht ausreichen. Bedenken wir: Wir haben es beim Gegner mit einem äusserst finanzkräftigen Club zu tun, der sich nicht scheut, sich auch in unverschämtester Weise unserer Bundeskasse und unserer eigenen Steuergelder zu bedienen.

Auf das Wesentliche konzentrieren
Voraussetzung ist aber auch, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren müssen und wollen, damit wir mit unserem Hauptanliegen – der Verteidigung der Unabhängigkeit und Neutralität – Erfolg haben. Es gilt auch dafür zu sorgen, dass wir keine Dummheiten machen und uns nicht auf Nebengeleise verführen lassen. Das ist der Grund, meine Damen und Herren, weshalb wir so viele Begehren unserer Mitglieder, auch an sich meist gerechtfertigte, ablehnen müssen.

Eines dieser Nebengeleise und eine Schwächung unserer Arbeit und unseres Auftrages bedeutet die Volksinitiative EU-Beitritt vors Volk der Schweizer Demokraten und der Lega. Bereits vor der Unterschriftensammlung hat unsere Vereinigung bei einer Mitgliederversammlung beschlossen, diese Volksinitiative nicht zu unterstützen und beim Unterschriftensammeln nicht mitzumachen, weil die Initiative einen staatspolitisch unhaltbaren Weg beschreitet. Leider haben die Initianten unsere Bedenken damals in den Wind geschlagen. Auch wenn der Grund der Initiative, nämlich das unverständliche Einreichen eines EU-Beitrittsgesuches durch den Bundesrat, unserem Gedankengut entspricht, dürfen wir uns jetzt nicht auf diesen Nebenkriegsschauplatz hinausbegeben. Die Initiative führt zu einer staatspolitisch fragwürdigen Kompetenzaufteilung, für welche das Volk erfahrungsgemäss kein Verständnis aufbringen kann. Die Unterstützung dieser Initiative würde uns viel Kampfkraft für nichts kosten und uns für unser Hauptanliegen schwächen.

Nachdem die Mitgliederversammlung bereits damals die Nichtunterstützung beschlossen hat, hat der Vorstand der AUNS entschieden, für die kommende Volksabstimmung an diesem Entscheid festzuhalten.

Volksrechte
Mit allergrösster Sorge stellen wir fest, dass überall Kräfte vorhanden sind, welche die direkte Demokratie an den verschiedensten Orten schwächen wollen. Es ist klar: Die Schweiz soll für die Eingliederung in die Europäische Union sturmreif gemacht werden, denn unsere Volksrechte stellen ein ganz grosses, schwerwiegendes Hindernis für einen EU-Beitritt dar. Deshalb sollen die Volksrechte leise abgebaut werden. Hier muss man entschieden Gegensteuer geben. Darum ist der heutige Nachmittag dem Problemkreis Volksrechte gewidmet.

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