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02.12.1999

Genug gerechnet, Blocher wählen

Für Sie gelesen: Artikel in der Weltwoche vom 2. Dezember 1999 Der SVP-Volkstribun muss in die Regierung. Nicht nur zwecks Domestizierung. Erproben wir seine Politik. Sie passt zu einer Generation in der Zwickmühle der Modernisierung. Von Ludwig Hasler Wohnen wir einem politischen Akt bei, oder sitzen wir in der Arithmetikstunde? Dauernd klimpert der Zählrahmen: SP 51 Nationalratssitze, CVP 35, SVP 44. Reimt sich das zum Verhältnis 2-2-1 im Bundesrat? Nein. Doch die Ständeräte hinzuaddiert, sieht es schon besser aus: 57-50-51. Das bricht zwar der genialste Parteimathematiker nicht auf die Formel 2-2-1, macht aber nichts, er wechselt den Rahmen und zählt die Jahre, die seine Partei auf ihre zwei Regierungssitze hat warten müssen. Überhaupt: Wählt denn das Volk den Bundesrat? Alles korrekt - und daneben. Zählrahmen plus Formelkram machen noch keine Politik. Der springende Punkt ist doch: Christoph Blochers SVP ist zur ersten politischen Kraft avanciert. Soll dieser Erfolg jetzt unter jahrzehntealte Usanzen geraten? Es geht nicht um Regelkonformität. Es geht um Legitimierung der Regierung im Lichte der Wahlen. Und diese Legitimation gelingt, nach Blochers Kandidatur, nur mit Blochers Wahl. Ob er unseren Geschmack trifft, ist nicht die Frage. Ebenso wenig, ob uns eine Mitte-Rechts-Regierung gefällt. Entscheidend ist einzig die Funktionstauglichkeit unserer Demokratie. Die aber würde mit einem in die Opposition verbannten Blocher arg strapaziert. Ein Blocher, der "draussen" agiert, wird das Plebiszit radikalisieren, bis die Abstimmungs- demokratie zur Stimmungsdiktatur verkommt. Einen Vorgeschmack gibt die Initiative "Einbürgerungen vors Volk". Der Volksabsolutismus, der ihm vorschwebt, lebt vom Ressentiment gegen die parlamentarische Demokratie, insgeheim von der Verachtung eines zivilisierten Ausgleichs der Interessen. Der Mythos der kollektiven Volksidentität dient dabei nur als Chimäre einer autoritären Politik, die den Staat privaten Kapitalinteressen gefügig machen will. Wer nicht riskieren will, dass dieser begabte Populist seine eigene Volksherrschaft organisiert und finanziert, muss ihn in die Verantwortung nehmen. Nur mit Blocher "drinnen" entschiede sich endlich, was an seinen Parolen mehrheitsfähiges Programm ist - und was landjunkerhaft-absolutistische Überheblichkeit. Zumal seine Parolen im Zeitgeist fruchtbaren Humus finden. Mit seiner Trilogie der Negation - Ausländer raus, Europa nein, Steuerstaat ade - mobilisiert Blocher nicht nur das letzte Aufgebot der Aktivdienst-Generation. Er dirigiert die grösste Jugendpartei. 27 Prozent der 18- bis 39-jährigen Wähler. Christoph Blocher, die Galionsfigur der Dreissigjährigen? Das ist kein Witz. Die Jüngeren sitzen in der Zwickmühle. In der "Weltwoche"-Umfrage nennen sie als höchsten Wert die Familie; die Realität macht sie zu Einzelkämpfern, die mit Babys am Bein den Flexibilitätserwartungen kaum genügen. Sie finden Solidarität ganz gut, in der Praxis haben sie mit sich selber genug zu tun. Sie sehen sich politisch in der Mitte, doch mit Ausländern haben sie ein Problem. Sie wollen den Weltfrieden und Eier aus artgerechter Hühnerhaltung, aber bitte ohne Engagement, sie wollen das nur für sich. Wir 55-Jährigen hatten es auch nicht leicht. Aber die Perspektive war eindeutig: vorwärts, aufwärts. Diese Perspektive ist weg. Die Hochschulen stehen allen offen, doch die Abschlüsse sind zu nichts und allem zu gebrauchen. Die ganze Welt steht herrlich offen, doch was heute zählt, ist morgen vielleicht schon Schrott. Das Leben, ein Flickwerk. Bastelbiografien. Und bei dem Tempo weht ein ziemlicher kühler Wind. Angesichts solcher Modernisierungsstrapazen empfiehlt sich die simple Doppelstrategie: abhärten und aufwärmen. Blochers Rezept! Wirtschaftlicher Neoliberalismus plus gesellschaftlicher Wertekonservativismus. Dazwischen schrumpft der Staat auf ein Minimalpensum: Kriminelle verhaften, Ausländer ausschaffen, Lonza subventionieren. Simpel, doch nicht unlogisch. Wer permanent im Überlebenstraining steckt, kann sich nicht noch um andere kümmern. Wer der Globalisierungsfalle ins Auge sehen muss, mag nicht noch ideologische Restbestände (Political Correctness, Solidarität mit Minderheiten, Toleranz für Graffitisprayer) mitschleppen. Also abhärten, abschotten, Besitzstand wahren, Gewinn maximieren. Und für die Kälte der Globalkonkurrenz Entschädigung suchen. Am besten bei konservativen Ersatzwärmespendern. Die alten Werte. Die Familie. Die gute alte Schweiz. Das wärmt zwar nicht wirklich, erwärmt schon gar nicht für andere, Fremde. Mehr als der Schein humaner Werteordnung darf es nicht sein. Sonst müsste man sie ja noch in der Praxis befolgen. Blochers Politik als Offerte für Modernisierungsgeplagte in der Zwickmühle. Es geht nicht allein darum, Christoph Blocher zu domestizieren. Seine Politik muss in der Regierung ihre Chance erhalten. Damit ihre Tauglichkeit, ihre Risiken und Nebenwirkungen offenbar werden.

01.12.1999

«Ich denke nicht an einen Verkauf»

Interview mit "Finanz und Wirtschaft" vom 1. Dezember 1999 lnterview: Peter Schuppli Herr Blocher, falls Sie am 15.Dezember in den Bundesrat gewählt werden, hätten Sie einiges neu zu regeln. So müssten Sie aus allen Verwaltungsräten ausscheiden und die operative Leitung der EMS-CHEMIE neu besetzen. Hingegen sei es möglich, sagten Sie kürzlich am Radio, dass Sie über die Emesta AG Mehrheitsaktionär der EMS-CHEMIE Gruppe bleiben würden. Als Eigentümer könnten Sie aber jederzeit Einfluss auf die Konzernleitung nehmen. Wo bliebe Ihre Unabhängigkeit? Wäre das nicht ein permanenter Interessenkonflikt? Blocher: In der "Samstag-Rundschau" sagte ich, dass es für Bundesräte klare Regelungen gibt: Er darf für keinen anderen bezahlten Posten tätig sein. Das hiesse für mich: Rückzug aus allen Verwaltungsräten und Exekutivfunktionen. Aber: Ich bin doch kein Unternehmer, der wartet, bis er unter Umständen in den Bundesrat gewählt wird, um zu überlegen was passiert, wenn er morgen nicht mehr zur Verfügung steht. Es gibt wahrscheinlichere Fälle, dass ich morgen nicht mehr da bin als derjenige, dass ich zum Bundesrat gewählt werde! Wie hoch stufen Sie denn Ihre Chancen ein, dass Sie gewählt werden: 10%, 50%, über 50%? Blocher: Weniger als 1%! Ich habe von der Partei den Auftrag, Bundesrat zu werden. Dieser Auftrag wird sich aber nicht erfüllen lassen, weil die bürgerlichen Parteien wollen, dass die SP im Bundesrat vertreten bleibt. Also werde ich draussen bleiben und mehr Opposition machen müssen. Bereitet Ihnen diese absehbare Niederlage keine Mühe? Blocher: Ich bin ein Spezialfall: Aus Niederlagen bin ich stets gestärkt hervorgegangen. Sie erwähnten im Radiointerview auch, es sei, was die Ems-Gruppe betrifft, alles geregelt... Blocher: ...natürlich. Das hat aber mit der Bundesratswahl direkt nichts zu tun. Ich muss mir doch überlegen, wie es mit der EMS-Gruppe im Todesfall weitergeht. Solche Überlegungen und Lösungen gehören doch zum Pflichtenheft eines jeden Unternehmers. Sie hätten aber keine Mühe über die Emesta AG Mehrheitsaktionär der EMS-Gruppe zu bleiben, falls Sie zum Bundesrat gewählt würden? Blocher: Ich bin Eigentümer einer privaten Holding, der Emesta AG. Ich sehe überhaupt nicht ein, weshalb ein Bundesrat keine Holdinggesellschaft besitzen darf. Jeder Bundesrat besitzt schliesslich ein Vermögen, das ihn gedanklich und finanziell beschäftigt. Ich denke auch nicht daran, die EMS-CHEMIE Gruppe zu verkaufen. Es ist ab er schwer vorstellbar, dass Sie als Eigentümer die EMS-Gruppe ihrem Schicksal überlassen könnten... Blocher: Es ist klar, dass meine Familienangehörigen in der Emesta Einsitz nehmen müssten... ....die sind zurzeit noch nicht in der Familienholding? Blocher: Nein, noch nicht. Aber wir sind gerade in einer Übergangssituation. Würde ich in den Bundesrat gewählt, müsste meine Familie sofort die Funktionen in der Familienholding übernehmen, die ich ausübe. Was in der EMS-CHEMIE Gruppe geschähe, darüber möchte ich mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äussern. Es nähme seinen Lauf, so wie das für den Fall meines plötzlichen Ablebens vorgesehen ist. EMS-CHEMIE würde mehrheitlich in Familienbesitz bleiben? Blocher: Ja, natürlich. Ein Verkauf der Emesta oder der Beteiligung an EMS-CHEMIE kommt also nicht in Frage? Blocher: Ich denke nicht daran. Warum haben Sie dann seinerzeit überhaupt das Opting-out in die Statuten aufgenommen, wenn Sie ja nicht an einen Verkauf denken? Blocher: Die Opting-out-Klausel haben wir auf Grund der seinerzeit mit EMS-CHEMIE gesammelten Erfahrungen in die Statuten aufgenommen. Das Unternehmen geriet 1983 ins Trudeln. Wenn damals das gleiche Aktienrecht wie heute gegolten und EMS-CHEMIE keine Opting-out-Klausel gehabt hätte, wäre diese Gesellschaft heute am Boden. Ich hätte damals nicht die Möglichkeit gehabt, sämtliche Aktien zu kaufen. Und ein anderer hätte diese Gruppe in diesem Zustand nicht übernommen. Damit will ich sagen: Es gibt durchaus Notsituationen, in denen ein Opting-out gut sein kann. Es könnte beispielsweise auch der Fall eintreten, in dem ich einen Teil meiner Aktien verkaufen muss. Und wie steht es mit der Gleichbehandlung der Aktionäre, für die Sie sich stets ausgesprochen haben? Blocher: Opting-out heisst nicht, dass ich die Aktionäre nicht gleich behandeln darf. Es heisst umgekehrt aber auch nicht, dass man die Publikumsaktionäre unter allen Umständen gleich behandeln muss. Ich will im Handeln frei bleiben. Massgebend ist für mich die Notwendigkeit vom Unternehmen her und die Wahrung der Aktionärsinteressen. Es war für die anderen Aktionäre kein Nachteil, dass ich seinerzeit "nur" die Mehrheit und nicht das ganze Aktienkapital erworben habe. Unter welchen Umständen würden Sie nur in einen Verkauf von 100% der Aktien einwilligen? Blocher: Gesetzt den Fall, EMS-CHEMIE würde an einen Konkurrenten gehen, würde ich darauf beharren, dass dieser ein Kaufangebot an sämtliche Aktionäre richtet. Denn in einem solchen Fall könnte es für die Publikumsaktionäre nachteilig werden wenn ein Käufer nur einen Teil der Aktien übernähme. Aber nochmals: Mein Wille ist, eine gesamtunternehmerische Lösung zu finden, falls EMS-CHEMIE jemals in eine solche Situation geraten würde, unter der Voraussetzung der Gleichbehandlung aller Aktionäre. Nur wenn aus unternehmerischen Interessen eine Ungleichbehandlung der Aktionäre sich als opportun erweist, ist die Opting-out-Klausel gut. Macht sich die Konjunkturbelebung in Europa verstärkt auch im Geschäftsgang der EMS-CHEMIE Gruppe bemerkbar? Blocher: In den ersten acht Monaten waren wir hinter den Budgetwerten zurück. Wir werden aber dank der Geschäftsbelebung in den letzten Monaten und trotz der Umstrukturierung innerhalb der Gruppe das Betriebsergebnis des Vorjahres wieder erreichen. Es gibt keine Gewinnwarnung, aber das Resultat wird auch nicht signifikant besser als erwartet ausfallen. Es ist bekannt, dass wir im Bereich polymere Werkstoffe einige alte Produkte aus dem Sortiment eliminiert und in erheblichem Umfang in neue Produkte investiert haben. Im laufenden und im nächsten Jahr wird die EMS-CHEMIE Gruppe auf operativer Ebene keine grossen Sprünge schaffen. Im Finanzbereich sind die Mittel gebunden in den Beteiligungen an Algroup und Lonza. Da werden wir bekannt geben, wie hoch die stillen Reserven etwa sind. Wird die EMS-Chemie Holding an beiden Konzernen beteiligt bleiben? Blocher: Diese Frage muss offen bleiben. Wir haben noch keinen endgültigen Entscheid getroffen.

27.10.1999

Die SVP muss im Dezember antreten

Christoph Blocher zur Regierungsbeteiligung seiner Partei Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 27. Oktober 1999 Nach dem für sie sehr positiven Ausgang der Wahlen haben Exponenten der Schweizerischen Volkspartei bereits mehrmals den Anspruch auf eine Zweiervertretung im Bundesrat erhoben. Inlandredaktor Max Frenkel hat sich mit Christoph Blocher über die Rahmenbedingungen einer solchen Vertretung unterhalten. Wird die SVP im Dezember mit zwei Kandidaten zur Bundesratswahl antreten? Blocher: Das muss die Fraktion entscheiden. Aber für mich ist es klar, dass wir den Anspruch auch mit einer Kandidatur untermauern müssen. Haben Sie Hinweise darauf, dass eine Zweierkandidatur chancenreich sein könnte? Blocher: Nein, sie ist es nicht. Die andern Parteien verlangen von uns, dass wir zuerst Konzessionen machen. Darauf können wir nicht eingehen. Man verlangt das ja auch von der SP nicht. Bisher war es bei einer Änderung der Regierungsform immer so, dass das Parlament zur Überzeugung kam, dass eine neue Kraft eingebunden werden müsse. Ich erinnere an Minger, aber auch an die CVP und die SP. Dann erst, in der Regierungsarbeit, kam der Konsens. Franz Steinegger (fdp.) - er schiebt zwar Adalbert Durrer (cvp.) vor - will uns, mindestens für die nächste Legislaturperiode, keinen zweiten Sitz zugestehen. Wäre aber ein Vertreter Ihrer SVP-Richtung im Bundesrat auch konsensfähig? Blocher: Selbstverständlich. Das ist ja das schweizerische Regierungssystem. Wenn man nicht in der Regierung ist, dann trägt man seine Opposition nach aussen aus, sonst im Gespräch nach innen. Kommen wir gleich zum Szenarium Ihrer eigenen Einsitznahme in den Bundesrat. Blocher: Dazu wird es nicht kommen. Das Parlament wählt mich nicht. Ich bin auch nicht ein Mann der Verwaltung und strebe deshalb nicht nach diesem Amt. Aber ich wäre, wie jeder Parlamentarier sein muss, bereit, es zu übernehmen. Es wäre eine Last, aber ich würde sie übernehmen. Können Sie sich tatsächlich in einem Kollegium vorstellen? Blocher: Wieso nicht? Ich war und bin in vielen Kollegien. Ich pflege natürlich meine Meinung einzubringen. Aber man konnte und kann mit mir sowohl im Gemeinderat Meilen (ich erinnere an meine Vorstösse zum Leuensaal und zur Privatisierung der Elektrizitätswerke) wie in der Gesellschaft für Chemische Industrie reden. Das Kollegialsystem verlangt aber auch, dass man die Meinung der Regierung vertritt, selbst wenn es nicht die eigene ist. Blocher: Auch das würde mir keine Probleme machen. Ich würde es tun, auch wenn man mir - und hier bin ich ja nicht der einzige - meine eigenen Präferenzen vielleicht anmerken könnte. Sie sind jedoch auch Industrieller. Wie würden die daraus entstehenden Bindungsprobleme gelöst? Blocher: Selbstverständlich wäre das nötig. Dazu habe ich Vorstellungen. Aber es wäre noch früh genug, nach einer Wahl darüber zu reden. Mit wem wird die SVP im Dezember antreten? Blocher: Das hängt von der Fraktion und von den andern Parteien ab. Wenn wir das Signal bekommen, dass man unseren Anspruch - auch ohne mich - sowieso nicht akzeptiert, können wir nicht zum Beispiel eine Regierungsrätin wie Rita Fuhrer "verheizen". Aber einen Christoph Blocher könnte man opfern? Blocher: Einen Christoph Blocher könnte man opfern. Wie stellen Sie sich zu einer SVP-Bundeskanzler-Kandidatur? Blocher: Das strebt die SVP nicht an. Der Kanzler macht Traktandenlisten. Aber wenn man einen SVP-Kanzler wählt, werden wir uns nicht dagegen stemmen. Nehmen wir an - mit Ihnen übrigens -, dass es im Dezember bleibt, wie es ist, wie geht's dann weiter mit der SVP? Blocher: Wir werden unsere Position vor allem auch in der Westschweiz ausbauen und dann in vier Jahren wieder antreten. Heisst das, dass Sie davon ausgehen, dass Ihre Initiative auf Volkswahl des Bundesrats dann noch keine Wirkung zeigt? Blocher: Die Initiative ist ja auch in der SVP selbst umstritten. Wer nach einem von der Bundesversammlung vergebenen Amt strebt, ist dagegen. Und ich sehe das mit ihr aufgeworfene Problem der Minderheitenvertretung ebenfalls. In vier Jahren wird es jedenfalls noch nicht so weit sein, dass das Volk den Bundesrat wählt. Auch wenn das in den Kantonen gut funktioniert und die Probleme der Zauberformeln automatisch löst.

26.10.1999

Die Kursfrage ist definitiv geklärt

Christoph Blocher über den Wahltriumph der SVP und die Zukunft der Zauberformel Interview mit der Zürichsee-Zeitung vom 26. Oktober 1999 Die Debatte um den Kurs der SVP ist mit den Wahlen definitiv geklärt: Gewonnen hat die SVP-Politik nach Zürcher Art, wie der Dominator vom Wochenende, Christoph Blocher, gegenüber dieser Zeitung erklärt. Nun nimmt er die Zusammensetzung des Bundesrats ins Visier - und schont, eher überraschend, Adolf Ogi. Mit Christoph Blocher sprach Luzi Bernet Haben Sie gut geschlafen? Blocher: Ja, danke. Ich bin zwar etwas später als üblich zu Bett gegangen... ...weil Sie üppig gefeiert haben. Blocher: Es geht. Die zahlreichen Medienauftritte haben mich stark absorbiert. Nur zwischen acht und halb neun Uhr war ich kurz bei der Partei. Erst gegen elf Uhr kehrte ich zurück, um bis etwa ein Uhr noch etwas zu feiern. Sie ziehen sich ja bekanntlich nach Siegen eher zurück. Auch diesmal? Das ist diesmal anders als beim EWR, der ja viel wichtiger war als die gestrigen Wahlen. Ich bin Unternehmer, und als solcher muss ich im November nach Asien fahren. Das ist fällig, und meine Präsenz hier ist ja auch nicht mehr so wichtig. Diese Woche allerdings ist jetzt noch wichtig, damit die Weichen innerhalb, aber auch ausserhalb der Partei richtig gestellt werden. Wir haben einen Wählerauftrag erhalten, über dessen Erfüllung wir zu diskutieren haben. Was darf man von dieser Woche an Entscheidungen konkret erwarten? Blocher: Zunächst steht die Analyse der Wahlresultate an. Allmählich sehen wir etwas klarer, weil die Namen der Gewählten vorliegen. Was fällt Ihnen da auf? Blocher: Bis jetzt hat man immer von einer Blocher-SVP bzw. einem Zürcher Flügel gesprochen. Diese Bezeichnung steht für eine konsequente Parteilinie, die nun in alle Kantone ausgestrahlt hat - auch in jene Kantone, deren SVP-Sektionen bisher eine weniger konsequente Haltung gepflegt haben. Die Zurückhaltung der Parteispitze führte im Kanton Bern leider zu einer Stagnation. Bereits drei Prozent hätten in Bern für einen Mandatsgewinn gereicht, und insofern ist das dortige Resultat enttäuschend. Aber immerhin zeigt sich bei den Gewählten im Kanton Bern ein erfreuliches Bild. Alle, die auf unserer Linie liegen, haben nämlich gut abgeschnitten. Damit ist für die SVP die Kursfrage definitiv geklärt. Hat sich gegenüber Ihren ersten Stellungnahmen Ihre Einschätzung des Wahlresultats verändert - auch nach Vorlage der Zürcher Zahlen? Blocher: Nein. Das Zürcher Resultat kommt einem Erdbeben gleich. 13 Sitze sind ein grosses Mandat. Hingegen war die Aufteilung in zwei SVP-Listen unglücklich (Ost und West). 1991 waren die Listen noch ausgeglichen, 1995 betrug das Verhältnis fünf (Ost) zu vier (West), und jetzt beträgt das Verhältnis neun zu vier. Viele Leute haben wegen der Namen "Blocher" und "Maurer" einfach die Liste Ost gewählt und die Liste West gar nicht beachtet. Das müssen wir beim nächsten Mal ändern. Vielleicht kommen wir nur mit einer Liste, oder wir bilden eine Stadt- und eine Landliste. Die gewählten Zürcher SVP-Vertreter fahren alle einen sehr profilierten Kurs, wie zum Beispiel Christoph Mörgeli, der die eigentliche Überraschung ist und trotz der Tatsache, dass er praktischen keinen Wahlkampf geführt hat, gewählt wurde. Insgesamt verfügen wir über eine beruflich und fachlich sehr breit abgestützte Zürcher SVP-Vertretung in Bern. Wie verstehen Sie den Auftrag der Wähler? Wollen Ihre Anhänger eine Oppositions- oder eine Regierungspartei? Blocher: Wir haben ein klares Programm vorgelegt mit konkreten Vorschlägen zur Eindämmung des Asylmissbrauches, mit der Absicht, das Nationalbankgold für die AHV zu verwenden, mit dem Anliegen, die Bundessteuer um zehn Prozent zu senken und mit dem Bekenntnis gegen einen EU-Beitritt usw. Diese Forderungen wollen wir durchsetzen - innerhalb der Regierung, wenn man uns einen zweiten Sitz im Bundesrat eingesteht, oder mit der Verstärkung der Opposition, wenn uns der zweite Sitz vorenthalten bleibt. Mit anderen Worten: Die Form hängt von den Mitteln ab, die man uns gibt. Das bedeutet, dass Sie Ihre Rolle als Opposition zurücknehmen, wenn Sie zwei Bundesräte haben? Blocher: Selbstverständlich. Mit zwei Vertretern in der Regierung werden wir uns bereits im Bundesrat besser durchsetzen können. Wir haben nie Opposition als Selbstzweck betrieben, sondern nur wenn es notwendig war. Aber Sie haben Stimmen in Kreisen gemacht, die eindeutig Protestwähler sind und von Ihnen Opposition erwarten? Blocher: Weil ihre Forderungen nicht erfüllt wurden, zum Beispiel die Freiheitspartei. Übrigens sind das alles ehemals freisinnige Wähler. Immerhin hat sich der Freisinn gehalten und nicht mehr viele Wähler nach rechts verloren. Blocher: Im Kanton Zürich ist die Position des Freisinns unklar. Aber in den anderen Kantonen haben jene Freisinnigen gewonnen, die einen ähnlichen Kurs wie wir fahren (Aargau, Schaffhausen zum Beispiel). In Zürich dürften viele Landesring-Wähler zur FDP gegangen sein. Dass die FDP trotzdem nicht zulegen konnte, ist ein Zeichen dafür, dass viele Freisinnige heute in Zürich nicht mehr FDP wählen. Übrigens auch in den ehemals freisinnigen Hochburgen am Zürichsee. Zur Zauberformel. Wenn Sie zwei Sitze beanspruchen, dann sind damit zwei Vertreter gemeint, die Ihren Kurs fahren. Blocher: Eindeutig. Wir akzeptieren kein Feigenblatt. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle Bundesrat Ogi? Blocher: In Wirtschafts- und Steuerfragen haben wir wie übrigens auch in Sachen Expo, Solidaritätsstiftung und Verkehrspolitik mit Bundesrat Ogi einen sicheren Wert in der Regierung. Es bestehen hingegen grosse Differenzen in der Aussen- und Neutralitätspolitik. Hier wird Adolf Ogi Korrekturen seiner Position vornehmen müssen. Glauben Sie ernsthaft daran, dass Ogi seine Positionen aufgibt? Und wenn nein, muss er dann gehen? Blocher: Nein. Exekutivmitglieder stimmen ja in der Regel nicht in allen Fragen mit der Parteimeinung überein. Wir werden Ogi sicher wieder aufstellen und auch unterstützen. Wer könnte denn neben ihm stehen? Blocher: Für diese Entscheidung bleibt noch viel Zeit. Es bleibt vor allem einmal abzuwarten, wie sich die anderen Parteien entscheiden. Im Klartext: Eine Änderung der Zusammensetzung der Landesregierung würde eine Abwahl eines bisherigen Bundesrats bedeuten. Blocher: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder zieht die kleinste Partei - die CVP - einen ihrer Vertreter zurück, oder aber die SP gibt einen Sitz her. Im ersteren Fall spielt die Konkordanz, wonach die grossen Parteien zwei und die kleinen einen Sitz beanspruchen. Im anderen Fall würde das ein Bekenntnis der CVP und der FDP zu einer Mitte-Rechts-Politik bedeuten. Es entscheiden also die Mittelparteien. Welche Variante würden Sie vorziehen? Blocher: Nun, unsere Gegner sind die Sozialdemokraten, also würde ich die zweite Variante mit nur einem SP-Vertreter bevorzugen. Aber natürlich kann ich auch mit einem Konkordanzmodell leben. Glauben Sie daran, dass das funktionieren könnte - zumal nach einem Wahlkampf, in dem sich die Parteien gegenseitig nicht geschont haben? Blocher: Selbstverständlich. Wir regieren ja nicht, um gleiche Meinungen zu haben, sondern obwohl wir verschiedene haben. Sie könnten also auch mit den bisherigen SP-Bundesräten zusammenarbeiten? Blocher: Ja. Ich selber hätte damit keine Mühe, obschon es nicht meine Freunde sind, aber ich wäre gezwungen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir würden aber selbstverständlich unsere Meinung dezidiert einbringen. Glauben Sie, dass angesichts des Systems der Referendumsdemokratie ein Regierungs- / Oppositionsmodell funktionieren könnte? Blocher: Ja, das hat auch früher schon funktioniert, vor der Zauberformel. Aber Sie könnten doch mit Ihrem Referendumspotenzial eine Regierung blockieren. Blocher: Nicht komplett, aber in den wichtigen Fragen hätte das Volk das letzte Wort und würde entscheiden. Wie interpretieren Sie das Wahlergebnis der SP? Blocher: Schauen Sie: Vor vier Jahren hat die SP ein künstliches Resultat erzielt. Mit den Restmandaten einerseits und anderseits mit dem Paukenschlag des Rücktrittes von Bundesrat Otto Stich. Das war der ganze Triumph. Aber der war nicht langlebig. Namentlich langjährige SP-Wähler (Angestellte, Arbeiter) wählen heute SVP. Die SP ist zu einer Partei der gut verdienenden Staatsangestellten geworden. Die wirklichen Arbeiter der Privatwirtschaft beklagen sich ebenso über die steigende Abgaben- und Steuerlast und finden damit bei der SP kein Gehör mehr.

26.10.1999

Blocher lässt sich nicht so leicht einbinden

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 26. Oktober 1999 Christoph Blocher, Zürcher Nationalrat der SVP, kann sich nicht vorstellen, dass das Parlament ihn zum Bundesrat wählt. Auch nicht, um endlich Ruhe vor ihm zu haben. Mit Christoph Blocher sprach Markus Somm Herr Blocher, die SVP fordert einen zweiten Bundesratssitz. Heisst dieser zweite Bundesrat Christoph Blocher? Blocher: Nein. Das Parlament wird mich nicht wählen, und ich strebe dies auch nicht an. Aber wenn das Parlament Sie wählte, würden Sie das Amt annehmen? Blocher: Ja, dann müsste ich das tun. Das erfordert mein Amtszwangverständnis. Doch dieses Parlament wählt mich ohnehin nicht. Ist das Koketterie, um die anderen Parlamentarier zu provozieren? Blocher: Nein. Ich vertrete eine bestimmte Politik, und will, dass diese so weit wie möglich umgesetzt wird. Auch als Bundesrat. Würde ich jetzt verkünden, ich sei nicht bereit, mich wählen zu lassen, kämen doch alle und würden mir zu Recht fehlende Verantwortung vorwerfen. Aber befürchten Sie nicht, dass sich die Mitteparteien FDP und CVP sagen: Wenn wir schon der SVP einen zweiten Sitz verschaffen, dann wollen wir wenigstens die Gewähr haben, dass diese Partei nicht mehr auf Opposition macht. Und davor sind wir nur sicher, wenn Blocher im Bundesrat eingebunden wird? Blocher: Nein. Weil sich der Blocher nicht so leicht einbinden lässt. Im Bundesrat unterlägen Sie dem Kollegialitätsprinzip, im Bundesrat wären Sie in der Minderheit. Auch Sie müssten Kompromisse machen. Blocher: Diese Fragen müssen Sie den anderen Parteien stellen. Für uns steht die Frage der Person derzeit nicht im Vordergrund, entscheidend ist für uns: Erhalten wir einen zweiten Sitz oder nicht? Gilt die Konkordanz, dann müsste die SVP auf Kosten der CVP einen zweiten Bundesrat bekommen. Will die CVP aber ihren Sitz nicht abgeben, dann müssen sich FDP und CVP über eines klar werden: Wollen sie die Sozialisten stärken oder die Liberal-Konservativen? Was will denn die Oppositionspartei SVP? Blocher: Opposition ist für uns kein Selbstzweck. Unser Gegner ist der Sozialismus. Damit ist die Frage beantwortet. Uns ist lieber, die SP hat bloss einen Sitz. Noch einmal: Eigentlich müssen CVP und FDP doch alles Interesse daran haben, den ewigen Oppositionellen Blocher im Bundesrat zu zähmen. Blocher: Warum auch? Meinen Sie denn, die zwei SVP-Bundesräte würden nicht dafür sorgen, dass unsere Politik stärker zum Zuge kommt? Aber dann muss auch die SVP ihre Wähler mit Kompromissen vertrösten. Und das könnten Ihre Wähler nicht verstehen. Blocher: Wir machen ja nicht Opposition um der Opposition willen. Wo wir können, sind wir an vorderster Front dabei, zum Beispiel in der Reform der Unternehmensbesteuerung. Aber ein Teil Ihrer Wähler wählt SVP, weil sie faktisch eine Oppositionspartei geworden ist. Blocher: Kennen Sie unsere Wähler so gut? Nein, wenn wir uns durchsetzen, müssen wir nicht opponieren. Und der Wähler wählt uns, weil er unser Programm erfüllt haben will. Wenn wir zwei Sitze fordern, dann ist das eine politische Aussage. Je mehr die Regierung einen Mitte-Rechts-Kurs steuert - wie dies übrigens noch vor acht Jahren selbstverständlich der Fall war -, desto weniger müssen wir dagegenhalten. Und wir werden unsere Meinung im Bundesrat mit aller Kraft einbringen. Also hat es keinen Platz mehr für Adolf Ogi? Blocher: Warum nicht? Weil Ogi in der Europafrage und der Neutralität dezidiert andere Positionen vertritt als die siegreiche Zürcher SVP. Blocher: Da wird er nach diesem Wahlsieg Korrekturen machen müssen. Das ist ganz klar. Das heisst, Sie stellen Adolf Ogi Bedingungen? Blocher: Nicht nur ihm. Aber auch ihm. Wie muss man sich das vorstellen? Blocher: Man wird mit ihm reden müssen. Und schlimmstenfalls muss Ogi um die Wiederwahl bangen? Blocher: Das nicht. Es gibt keine Regierungsmitglieder, die mit ihrer Partei hundertprozentig übereinstimmen. Europa ist eine Schlüsselfrage. Blocher: Ja, aber sehen Sie, bisher war es doch so, dass keiner Bundesrat wurde, der gegen den EU-Beitritt war. Das müssen auch die anderen Parteien überdenken. Glauben Sie, dass die SVP einen zweiten Sitz erhält? Blocher: Nein. Leider bleibt sehr wahrscheinlich alles beim Alten. Aber auch so muss man sehen, dass sich vieles verändert hat: Erstens wird man nach diesem klaren Wählerentscheid zu Gunsten einer bürgerlicheren Politik nicht zur Tagesordnung übergehen können. Zweitens sind sowohl in der SVP als auch in der FDP die rechten Flügel gestärkt worden. Drittens ergeben sich nun im Parlament rein numerisch ganz andere Mehrheiten. Die Linke hat drei Sitze verloren, wir haben 15 gewonnen. Das ist eine Verschiebung von 18 Stimmen. Das heisst, viele Abstimmungen können anders ausgehen als bisher. Die Möglichkeit, eine andere, eine Politik rechts der Mitte zu machen, ist da, ergreifen die anderen bürgerlichen Parteien diese nicht, werden sie 2003 die Quittung dafür erhalten. Mit anderen Worten, die SVP legt 2003 erneut zu? Blocher: Richtig. Aber rechts von der SVP liegt nur mehr die Wüste. Wo holen Sie noch Stimmen? Blocher: Wir haben in der Westschweiz noch ungeheure Möglichkeiten. Das hat diese Wahl deutlich gezeigt. Zudem liegt in den Deutschschweizer Kantonen, wo die SVP nur einen lauen Wahlkampf geführt hat, noch einiges drin. Zum Beispiel im Kanton Bern? Blocher: Die Berner SVP hätte mit Sicherheit viel mehr zulegen müssen. Dass sie sich nur gehalten hat, ist beileibe kein Erfolg. Erfüllt es Sie nicht mit Unbehagen, dass offenbar so viele rechtsextreme Wähler sich der SVP zugewendet haben? Blocher: Diese Aussage können wir nicht bestätigen. Wir haben ein klares, bestimmt nicht rechtsextremes Programm. Wir haben niemanden über unsere Ziele im Unklaren gelassen. Adolf Ogi hat via "SonntagsZeitung" angekündigt, er möchte die Mitglieder der SVP durchleuchten. Machen Sie mit? Blocher: Rechtsextremismus und Rassismus haben keinen Platz in unserer Partei. Exponenten, die solches Gedankengut vertreten, sind auszuschliessen. Aber ich halte es für Gesinnungsschnüffelei, jedes Parteimitglied zu durchleuchten. Zudem wird in diesem Zusammenhang viel geheuchelt. Keine Partei prüft ihre Wähler oder Mitglieder in dieser Art und Weise.