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09.07.2006

Blocher verteidigt Asylgesetz

Echte Flüchtlinge würden weiterhin aufgenommen, sagt der Justizminister. Den Gegner des verschärften Gesetzes wirft er vor, selber nichts für Flüchtlinge zu tun 09.07.2006, NZZ am Sonntag, Markus Häfliger Im September wird über das Asylgesetz abgestimmt. Ist das Ihr erster grosser Wurf als Bundesrat? Nein, kein grosser Wurf, aber es ist gut, dass das Parlament jetzt mit dem Asyl- und Ausländergesetz eine klare Politik vertritt: Eine Politik, die unsere humanitäre Tradition bewahrt und zugleich den Missbrauch verhindert. Dank unserer Asyl- und Ausländerpolitik funktioniert das Zusammenleben der einheimischen und der ausländischen Bevölkerung im Ganzen recht gut. Leider gibt es im Asylbereich und bei der illegalen Einwanderung Probleme, die nun gelöst werden sollen. Was meinen Sie genau mit Problemen? Von diesen rund 10'000 Asylsuchenden sind nur ca. 1’500 echte Flüchtlinge, dazu kommen noch zahlreiche vorläufig Aufgenommene. Und die illegale Einwanderung nimmt zu. Darunter verbirgt sich auch viel Kriminalität. Besonders der Drogenhandel wird wesentlich von illegal Anwesenden bestimmt. Viele Asylsuchende vernichten zudem ihre Papiere und geben ihre Identität nicht preis. Wir haben in der Schweiz derzeit allein aus dem Asylbereich etwa 10 000 Personen, die zurückreisen müssten. Rund 7’000 Personen davon kehren nicht zurück, weil sie tatsächlich oder angeblich über keine Ausweispapiere verfügen. Das bringt der Schweiz hohe Kosten und unhaltbare Zustände. Was bringt hier das neue Gesetz? In Zukunft soll es nicht mehr attraktiv sein, seine Ausweise wegzuwerfen. Wer innerhalb von 48 Stunden keine Identitätspapiere vorweisen kann und seine Identität verschweigt, auf dessen Gesuch wird nicht mehr eingetreten, ausser er kann glaubhaft begründen, warum er keine Ausweise hat. Echte Flüchtlinge werden weiterhin aufgenommen, gleichgültig, ob sie Ausweise haben oder nicht. Das ist bereits heute so geregelt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass neu explizit nur noch Reise- und Identitätspapiere anerkannt werden. Reise- und Identitätspapiere sind in der Regel gültige Papiere. Führerscheine, Geburtsurkunden und andere Papiere sind dagegen sehr oft gefälscht. Echte Flüchtlinge haben in rund 80 Prozent Papiere. Bei den andern, die keine Flüchtlinge sind, ist es gerade umgekehrt. Es gibt aber auch jene 20 Prozent echte Flüchtlinge, die keine Papiere haben. Diese müssen ihren Namen und die Herkunft angeben. Das kann überprüft werden. Wenn die Flüchtlingseigenschaft glaubhaft gemacht wird, werden sie aufgenommen. Auch Zweifelsfälle kommen ins Asylverfahren. Selbst wenn das neue Gesetz zu weniger Asylgesuchen führen sollte, bleibt die Schweiz für Leute aus armen Ländern attraktiv. Sie werden statt auf dem Asylweg illegal einreisen und sich jeder behördlichen Kontrolle entziehen. Dann sind sie von Anfang an illegal im Land und bekommen nicht - wie Personen im Asylbereich - Sozialhilfe. Oft arbeiten sie schwarz. Das ist ein kleineres Problem, aber auch das müssen wir lösen. Sie erhoffen sich eine abschreckende Wirkung auch vom Sozialhilfestopp für abgewiesene Asylbewerber. Sie sollen nur noch Nothilfe erhalten, damit sie rascher ausreisen. Das funktioniert? Das ist wirksam. Wir haben bereits zwei Jahre Erfahrung mit dem Sozialhilfestopp für jene, auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde. Viele verlassen sofort die Schweiz. Als wir das eingeführt haben, warnten die Städte, dass einfach mehr Leute untertauchen und in die Kriminalität abrutschen würden. Diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Ihr Ziel ist die Ausreise. Man weiss aber, dass nur knapp 15 Prozent kontrolliert ausreisen. Was ist mit den anderen 85 Prozent? Zusätzlich führen wir rund 10 Prozent zurück. Und rund zwei Drittel reisen unkontrolliert ab. Dies ist zusehends besser als früher, als auch Personen mit einem Nichteintretensentscheid noch Sozialhilfe bezahlt wurde. Zudem: Auf Schlepperorganisationen wirkt die rasche Ausreise belastend und hindernd. Die Einreise unechter Flüchtlinge ist dadurch bereits zurückgegangen. Woher wissen Sie, dass sie ausgereist sind? Wir wissen es natürlich nicht ganz genau. Aber wir haben verschiedene Hinweise, dass sie nicht mehr hier sind, weil sie nicht auftauchen und Nothilfe beziehen und auch nicht mehr aufgegriffen werden. Aber Sie wissen nicht, wo sie sind. Das müssen wir auch nicht wissen. Wenn so viele noch hier wären, würden sie aufgegriffen, denn die Schweiz ist zu dicht besiedelt, als dass Tausende nicht bemerkt würden. Es gibt immerhin gegen 100 000 Sans-Papiers, deren Aufenthalt man offiziell auch nicht kennt. Sans-Papiers sind Leute ohne Aufenthaltsbewilligung. Meist solche in Schwarzarbeit. Die genaue Zahl kennt niemand. Mit Rolf Bloch kämpft einer der prominentesten Schweizer Juden gegen das Asyl- und Ausländergesetz. Was sagen Sie ihm? Ich würde ihm nichts anderes sagen als Ihnen: Mit dem neuen Gesetz werden die Ausländer hier besser behandelt, Flüchtlinge aufgenommen, aber Missbräuche verhindert. Die Juden denken an die Situation im Zweiten Weltkrieg, als es vorkam, dass jüdische Menschen an der Grenze abgewiesen wurden, obwohl sie im heutigen Sinn echte Flüchtlinge waren. Die damalige Situation ist nicht zu vergleichen mit den heutigen Massenbewegungen von Asylsuchenden, die keine echten Flüchtlinge sind. Damalss gab es noch kein Asylgesetz und keine Flüchtlingskonvention. Heute wird jeder Fall einzeln geprüft. Es mag edel tönen, wenn man gegen das Asylgesetz ist. Man kann sagen «Ich bin für die Armen und die Schwachen», ohne selber etwas tun zu müssen. Die Leute, die entscheiden müssen, wer bleiben kann und wer gehen muss, haben es viel schwieriger. Sie sind es, die sich für die Schwachen einsetzen, indem sie auch Missbräuche verhindern. Die Gegner befürchten, dass gerade aufgrund der Verschärfung bei den Anforderungen an die Papiere das Risiko steigt, dass auch echte Flüchtlinge zurück geschickt werden. Wie gesagt, das Risiko steigt nicht. Jeder Abgewiesene hat zudem das Recht, Beschwerde bei der Asylrekurskommission einzureichen. Die neuen Gesetze bringen zudem den ausländischen Menschen, die bereits in unserem Land leben, zahlreiche Verbesserungen. Was für Verbesserungen? Es gibt neu Verbesserungen bei der vorläufigen Aufnahme und bei der neuen Härtefall-Regelung. Diese Härtefall-Regelung ermöglicht es auch bei einem hängigen oder abgeschlossenen Asylverfahren in Sonderfällen eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen zu erteilen. Im Weiteren konnten bisher Ausländer innerhalb der Schweiz ihren Arbeitsort nur mit grossem bürokratischem Aufwand wechseln: dies wird viel einfacher. Neu dürfen Ausländer beim Familiennachzug nicht mehr zuwarten, bis die Kinder beinahe volljährig sind. Das ist für die Integration eine wichtige Massnahme. Je früher die Kinder eingeschult werden können, desto besser werden sie integriert und werden eher eine Lehrstelle finden und eine Lehre erfolgreich abschliessen können. Sie forderten stets, der Bundesrat dürfe keine Abstimmungskämpfe führen. Jetzt kämpfen Sie selber für das Asyl- und das Aulsändergesetz. Ich führe keinen Abstimmungskampf, ich bitte Sie. Früher finanzierte der Bund zum Beispiel Broschüren und zahlte Meinungsumfragen, die geheim geblieben sind. Damit ist in meinem Departement Schluss. Was machen Sie denn jetzt anders? Ich informiere über die Vorlage, halte Vorträge und gebe Interviews. Mehr nicht. Das habe ich auch nie beanstandet.

23.06.2006

Sicher und zuverlässig; Zum Erfolgsgeheimnis schweizerischer Finanztugenden

Referat von Bundesrat Christoph Blocher zum 75-Jahr-Jubiläum der Pfandbriefzentrale der Schweizerischen Kantonalbanken, am 23. Juni 2006 in Zürich 23.06.2006, Bern Bern. In seiner Rede zum 75-Jahr-Jubiläum der Pfandbriefzentrale der Schweizerischen Kantonalbanken rühmte Bundesrat Christoph Blocher den Schweizer Finanzplatz und gratulierte der Jubilarin, die ihren Beitrag zu einer prosperierenden Marktwirtschaft mit der Zuverlässigkeit und der Ausdauer eines Schweizer Präzisionsuhrwerks leiste. 1. Was ist eigentlich eine Pfandbriefzentrale? Als Politiker hat man sich zu vielem zu äussern. Das umgibt ihn mit der Aura der Allwissenheit. Der Politiker hat zu allem und jedem eine Meinung. Zum Glück werden meist nur Oberflächlichkeiten von ihm verlangt. So kann er sich zu gesellschaftlichen Fragen, zu wirtschaftspolitischen Themen, zu juristischen Spitzfindigkeiten, zu aktuellen Vorgängen in der Welt, zur Kultur, zur Wissenschaft und in diesen Tagen sogar zum Fussball äussern. Die Bandbreite ist horrend und eigentlich ohne ein gewisses Mass an Schauspielkunst und Bluff nicht zu bewältigen. Als mich der Bundesrat zum 75-Jahr-Jubiläum der Pfandbriefzentrale delegierte, fragte ich mich, was das eigentlich genau sei: Pfandbriefzentrale? Pfandbriefe? Es war gar nicht so leicht herauszufinden. Die meisten, die ich gefragt habe, begannen jeweils so: „Das ist wie wenn…“. Ich will aber nicht wissen, „wie wenn“ etwas ist, sondern was es ist. Dafür gibt es geeignete Nachschlagewerke. Hier findet sich folgende Definition: „Der schweizerische Pfandbrief ist ein mit besonderen Sicherheiten ausgestattetes obligationenähnliches Wertpapier. Er wird nicht durch einzelne Banken herausgegeben, sondern ausschliesslich durch die besonders hiefür geschaffenen beiden Pfandbriefzentralen.“ Die Pfandbriefzentrale gibt es, seitdem es ein Pfandbriefgesetz gibt. 1930 beschloss die Bundesversammlung eine Erlaubnis für so genannte Pfandbriefzentralen mit folgendem Ziel (Artikel 1, Absatz 1): „Die Pfandbriefzentralen haben den Zweck, dem Grundeigentümer langfristige Grundpfanddarlehen zu möglichst gleichbleibendem und billigem Zinsfusse zu vermitteln.“ Das ist eine schöne, löbliche, hehre Absicht. Jeder Wohneigentümer, jeder Gewerbetreibende, der einen Betrieb baut oder erweitert, wünscht sich stabile und günstige Darlehen. Absatz 2 des Pfandbriefgesetzes definiert das Ausgaberecht: „Das Recht zur Ausgabe von Pfandbriefen steht zwei Anstalten zu, nämlich je einer Zentrale der Kantonalbanken und der übrigen Kreditanstalten.“ 2. Wer garantiert die Sicherheit? Wir feiern heute die Zentrale der Kantonalbanken. 75 Jahre das ist nicht nichts. 75 Jahre haben Sie sich mit den Pfandbriefen langfristige, möglichst günstige Mittel zur Pflege des Hypothekargeschäftes beschafft. Im Unterschied zu gewöhnlichen Anleihensobligationen bietet der Pfandbrief besonders weitgehende, gesetzlich geregelte Sicherheiten, deshalb wird der Pfandbrief als mündelsicher bezeichnet. Die Rückzahlungs- und Zinsansprüche des Gläubigers sind speziell abgesichert. Unter anderem haftet das Pfandbriefinstitut – in diesem Fall die Kantonalbanken – mit seinem ganzen Vermögen und Besitz. Da die Kantonalbanken – mit wenigen Ausnahmen – eine umfassende Staatsgarantie ablegen, haftet letztlich der Staat. Diese garantierten Sicherheiten machen denn auch die Attraktivität der Geldanlage aus. Besonders Versicherungen und Pensionskassen schätzen den Pfandbrief. Eben all jene, die nach einer solchen Mündelsicherheit verlangen. * Der Pfandbrief ist gut für die Gläubiger: Die Banken refinanzieren damit ihre Hypotheken. * Der Pfandbrief ist gut für die Schuldner: Sie bekommen eine äusserst sichere Geldanlage. * Der Pfandbrief ist gut für die Bürger: Sie bekommen günstige Darlehen für ihr Wohneigentum von den Banken. Und sie können eine relativ sichere Verzinsung ihrer Pensionskassengelder erwarten. Und der Bürger lernt auch die Zusammenhänge des Geldmarktes kennen: Wer auf der einen Seite möglichst günstige Hypothekarzinsen wünscht, muss auf der anderen Seite in Kauf nehmen, dass auch sein Vermögen – beispielsweise in der Pensionskasse – entsprechend niedrig verzinst wird. 3. Der Pfandbrief als Perpetuum mobile des Geldmarktes? Der Pfandbrief scheint auf den ersten Blick also eine segensreiche, kaum mit Risiken behaftete Geldanlage zu sein. Aber, wie jeder Ingenieur weiss, es gibt kein Perpetuum mobile. Auch der Pfandbrief ist kein Perpetuum mobile des Geldgeschäftes. Das kann nicht funktionieren, genauso wenig wie die Nationalbanken einfach Geld drucken dürfen, um die Staatsdefizite zu decken. Es hängt somit alles zusammen: * Es braucht Pensionskassen, die Pfandbriefe als Geldanlage kaufen. * Es braucht Kantonalbanken, die die Pfandbriefe ausgeben, um ihr Hypothekargeschäft zu finanzieren. * Es braucht Wohneigentümer, die die Banken um Kredite für ihr Wohneigentum angehen. * Es braucht Arbeitnehmer, die ihre Sozialversicherungsbeiträge einzahlen in der Hoffnung, dass sie diese mit einer guten Verzinsung als Rente wieder erhalten. * Es braucht Arbeitgeber, die dafür sorgen, dass es Arbeitnehmer gibt, die überhaupt etwas einzahlen können. Und spätestens hier kommt der Staat ins Spiel. 4. Pfandbrief und Staat Der Staat muss wirtschaftliche Rahmenbedingungen setzen, damit sich die Unternehmen erfolgreich entfalten können. Was heisst das? Möglichst wenig Regulierung, möglichst viele Freiheiten, ein investitionsfreundliches Klima, niedrige Steuern und Abgaben, damit diese Gelder dort eingesetzt werden können, wo es die Privatwirtschaft für sinnvoll erachtet. Eine prosperierende Volkswirtschaft bildet die Grundlage des allgemeinen Wohlstandes. Und somit auch der Institution Pfandbrief und Pfandbriefzentrale. Wo es keine starke Wirtschaft gibt, hat der Bürger kein Geld. Ohne Bürger mit Geld werden keine Pfandbriefe gekauft. Wo keine Pfandbriefe gekauft werden, sind die Bedingungen für die Hypotheken schlecht, wo es schlechte Hypothekarbedingungen gibt, gibt es keinen Wohnungsbau, wo es keinen Wohnungsbau gibt, gibt es keine Bauwirtschaft, wo es keine Bauwirtschaft gibt, kommt es zum wirtschaftlichen Niedergang! 5. Bedeutung des Finanzsektors Neben guten wirtschaftlichen Bedingungen, braucht es auch tüchtige Banken. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Der Schweizer Finanzplatz ist mit dem Gedeihen der Schweiz verbunden und die Schweiz mit dem Gedeihen des Finanzplatzes. Das verdeutlichen drei Kennzahlen. * Der Finanzsektor (dazu gehören auch die Versicherungen und Pensionskassen) erwirtschaftet rund 14 Prozent der Wertschöpfung in der Schweiz. * Ein Viertel des schweizerischen Ertragsbilanzüberschusses geht auf den Finanzsektor zurück. * Der Anteil des Steueraufkommens des Finanzsektors am gesamten Steueraufkommen (juristische und natürliche Personen) betrug in den letzten Jahren durchschnittlich rund 10 Milliarden Franken. Das sollten auch diejenigen wissen, die diese Milliarden dann gerne wieder verteilen, ja deren ganzes politische Programm darin besteht, das von anderen erwirtschaftete Geld umzuverteilen. Warum sind die Banken so erfolgreich? Die Banken haben begriffen, dass trotz oder gerade wegen des rasanten Wandels bestimmte Faktoren Bestand haben müssen. Es ist kein Zufall, dass der Finanzsektor an Werten festhält, die man gerne als „konservativ“ oder „altbacken“ denunziert. Werte, wie: Vertrauen. Konstanz. Verlässlichkeit. Diskretion. Stabilität. Der Pfandbrief scheint nachgerade die zur Geldanlage gewordene Verkörperung solcher Tugenden zu sein. 6. Kreatives Kapital Wir müssen also besorgt sein, dass wir die wirtschaftliche Kraft erhalten und die politische Sicherheit bewahren können. Sicherheit und Verlässlichkeit strahlen vom Staat auf die Wirtschaft und von der Wirtschaft auf den Staat zurück. Aber um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Die Grundlage des Wohlstandes bildet noch immer eine prosperierende Marktwirtschaft. Wo sie nicht existierte, gingen Staaten und Völker gleichermassen Bankrott. Die Aufrechterhaltung der Marktwirtschaft ist die soziale Forderung unserer Tage! Die Pfandbriefzentrale leistet dazu seit 75 Jahren ihren Beitrag. Zuverlässig und mit der Ausdauer eines Schweizer Präzisionsuhrwerks. Ich darf Ihnen – jetzt, wo ich weiss, was die Pfandbriefzentrale ist und was sie tut – mit Überzeugung zu Ihrem 75. Geburtstag gratulieren.

19.06.2006

Wie viel Unternehmertum erträgt die Politik?

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung des Verbandes der Schweizerischen Cementindustrie cemsuisse, 19. Juni 2006 in Bern 19.06.2006, Bern Bern. Bundesrat Christoph Blocher sprach sich an der Generalversammlung des Verbandes der Schweizerischen Cementindustrie cemsuisse für vermehrtes unternehmerisches Handeln in der Politik aus. Er zog Parallelen zwischen privaten Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung und zeigte auf, dass an beiden Orten nur mit einer deutlichen Führungsstruktur, Effizienz, sowie ausgeprägtem Kostenbewusstsein die Ziele erreicht werden können. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Wie viel Unternehmertum erträgt die Politik? Wie viel Unternehmertum erträgt die Politik? lautet die Frage meines Referats. Ich könnte jetzt sagen: Die Politik erträgt ziemlich wenig Unternehmertum und damit meine Ausführungen beenden. Aber wir wollen ja nicht die Bereitschaft der Politiker unternehmerisch zu denken als Massstab heranziehen. In meiner jetzt zweieinhalbjährigen Tätigkeit im Bundesrat habe ich feststellen können: Es ist mehr Unternehmertum möglich in der Verwaltung, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dazu braucht es aber 1. eine entsprechende Führung. 2. eine klare Zuteilung der Verantwortungsbereiche. 3. ebenso klar definierte Ziele, die es zu erreichen gilt. Bevor ich auf einzelne Beispiele zu sprechen komme, möchte ich zuerst einmal das Grundsätzliche geklärt wissen. Ich habe festgestellt, dass heutzutage viele Begriffe und ihre eigentliche Bedeutung verschüttet sind. Wir müssen also zunächst einmal festhalten: Was ist ein Unternehmer und worin besteht das unternehmerische Handeln? 2. Was ist ein Unternehmer? Ein klassischer Unternehmer ist ein Mensch, dem eine Firma gehört und der diese auch selbst führt. Er ist Manager und Eigentümer in einem. Sein Dasein – man könnte etwas pathetisch auch von Schicksal reden – ist eng mit der Firma verbunden, weil sein Kapital in der Firma steckt. Das unterscheidet ihn vom Manager, der als Angestellter die Firma führt. Aufgrund der Erfahrungen der letzten 200 Jahre ist es wohl unbestritten, dass privatwirtschaftliche, florierende Unternehmen die besten Arbeitsplätze bereit stellen, hohen Verdienst, breiten Wohlstand, Reichtum, Steuersubstrat ermöglichen und damit die Voraussetzungen für einen sozialen Staat schaffen. Als Unternehmer sagte ich mir stets: „Meine sozialste Aufgabe ist, das Unternehmen erfolgreich zu führen“, denn erfolgreiche Unternehmen schaffen Beschäftigung und sind die Quelle für allgemeine Wohlfahrt. Als Bundesrat sage ich mir, es ist die sozialste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass im Land möglichst viele Unternehmer ihr Unternehmen erfolgreich führen können. 3. Unternehmerisch handeln Der Erfolg eines Unternehmens ist abhängig von der Führung. Entscheidend ist die Führungspersönlichkeit oder das Management an der Spitze: „Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, sondern nur schlechte Chefs!“ Das gilt überall: In den Unternehmen, in Organisationen, Verbänden und Parteien. Das gilt auch in den Schulen und Universitäten und – wenn Sie mir diese kollegiale Bemerkung erlauben – das gilt auch für den Bundesrat. Darum ist es die Hauptaufgabe des Unternehmers, ein gutes Management bereit zu stellen. Das heisst aber auch: Ein Versager an der Spitze des Unternehmens ist unverzüglich abzusetzen, denn die Spitze des Unternehmens sorgt für das Resultat – für das gute oder das schlechte. Wer Verantwortung übernimmt, muss also auch unangenehme Entscheidungen auf sich nehmen und bereit sein, diese Unannehmlichkeiten zu tragen. Wie aber kommt man zu Entscheidungen? Im Unternehmen läuft die Entscheidungsfindung zweistufig ab. Wir haben uns immer zwei Fragen zu stellen. Erstens: Wie ist es? (Wo stehen wir?) Und zweitens: Wie sollte es sein? (Wohin sollen wir kommen?). Wie es sein sollte, ist einfach und schnell gesagt. Besonders Politiker lassen sich gerne und sehr ausführlich darüber aus, wie es sein sollte. Weit anspruchsvoller ist es aber, den Ist-Zustand zu erkennen. In der Politik kommt dazu, dass die Benennung des Ist-Zustands oft mit Tabus belegt ist. Ich erinnere nur an das Beispiel des IV-Missbrauchs oder den Missstand im Asylwesen. Wenn erst einmal der Ist-Zustand erkannt und der Soll-Zustand benannt ist, gilt es die Differenzen zu beseitigen. Ist also entschieden, muss der Entscheid durchgesetzt werden. Sie mögen einwenden, dass es sich hierbei um Binsenwahrheiten handelt. Aber Hand aufs Herz: Diese Binsenwahrheiten sind weder in Unternehmen und schon gar nicht in der Verwaltung eine Selbstverständlichkeit. 4. Kostenbewusstsein stärken Warum ist es so schwierig in der Bundesverwaltung die Kosten zu senken? Bei dieser Frage sind wir wieder beim Zentralen jeder Entscheidungsfindung angelangt: Bevor ich einen Zustand ändere, muss ich den Ist-Zustand kennen. Das ist beim Bund gar nicht so einfach, besonders dann nicht, wenn es sich um die Kosten handelt, denn das Kostenbewusstsein ist erschreckend mangelhaft ausgeprägt. Weder besteht eine brauchbare Kostenrechnung, noch weiss man, welche Leistung im Staat wie viel kostet. Was für einen Privatunternehmer alles Selbstverständlichkeiten wären. Der Bundesrat will nun aber klarere Kostenrechnungen einführen. Ich hoffe, es gelingt. Als Unternehmer wusste ich: Kosten und Nutzen sind die wichtigen Entscheidungsfaktoren. Nicht so im Bund. Standardantworten – auf bisher kaum gestellte Fragen – finden Sie bis in die obersten Etagen hinauf, die zum Beispiel so lauten: „Im Bund muss man weder mit Abschreibungen noch Zinsen rechnen. Und auch die Personalkosten muss man nicht rechnen, denn die Leute sind ja sowieso da!“ Gezielte Kostensenkungen können auf dieser Basis gar nicht durchgeführt werden. Ich spreche von Kostensenkungen, die keinen Leistungsabbau bringen. Für jeden Handwerker ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er in seinem Betrieb Leistung und Effizienz steigert, die Qualität erhöht und gleichzeitig die Kosten tief hält. Sollen nur beim Staat andere Regeln gelten? Warum soll ein Staat denn nicht fähig sein, effizienter zu arbeiten? Warum soll ein Bundesbetrieb sein Angebot nicht verbessern können, ohne gleich an der Preisschraube drehen zu müssen? Ich war von Anfang an überzeugt: Kostensenkungen wären möglich. Aber der Wille fehlt! Vor allem auch deshalb, weil der Druck, der auf dem Unternehmer lastet, beim Politiker fehlt. Der Politiker verlegt sich einfach auf höhere Steuern, Abgaben und Gebühren, um seine höheren Ausgaben zu finanzieren. Der Unternehmer versucht jedoch primär, mit den bestehenden Mitteln und Möglichkeiten bessere Ergebnisse zu erzielen. Dazu muss er auch bereit sein, Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen. Denn die Alternative heisst: Bankrott, Niedergang, Konkurs des Unternehmens. 5. Was uns Erfolg bringt Das schweizerische Erfolgsmodell basiert auf einem massvollen Staat mit freier, prosperierender Wirtschaft. Es gibt keinen vernünftigen Grund, davon abzuweichen! Wir sind uns bloss in den letzten 20 Jahren untreu geworden. Wir sollten uns wieder auf unser liberales Erbe besinnen: Auf Fleiss und Eigenverantwortung, Wettbewerb und offene Märkte, freie Preisbildung und stabile Geldpolitik, auf Privateigentum statt Umverteilung und mehr Freiheit und weniger Staat! Ich sagte Ihnen dies früher als Unternehmer und als Parlamentarier. Diese Überzeugung hat sich bei mir noch verstärkt, seit ich im Bundesrat bin. Im Unterschied zu vielen anderen Politikern sehe ich eine Verwaltung gar nicht als Gegensatz zu einem Unternehmen. Es braucht an beiden Orten eine deutliche Führungsstruktur, die klare Ziele erreicht durch Effizienz und ausgeprägtes Kostenbewusstsein. In diesem Sinn müssen wir uns nicht zaghaft fragen: Wie viel Unternehmertum erträgt die Politik. Sondern: Wir haben die Politik unternehmerisch zu gestalten. Punkt. Denn nur so schaffen wir eine prosperierende Wirtschaft, allgemeine Wohlfahrt und damit die Grundlage für einen Staat, der die ihm zustehenden Aufgaben bewältigen kann.

06.06.2006

Der Föderalismus – Garant für die Vielfalt Graubündens

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Einweihung des SRG-Studios "Chasa RTR" am 6. Juni 2006 in Chur 06.06.2006, Chur Chur. Anlässlich der Einweihung des SRG-Studios "Chasa RTR" referierte Bundesrat Christoph Blocher über den Kanton Graubünden, der mit seiner Vielfalt als Miniatur der Schweiz erscheine. Die regionalen Studios zeigten, dass auch die SRG der schweizerischen Vielfalt Rechnung trage. Bundesrat Christoph Blocher ermahnte die Medienschaffenden, die Vielfalt abzubilden und mit ihrer Arbeit dazu beizutragen, dass sie erhalten bleibe. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Wahl- und Schicksalsheimat Graubünden Mein Weg nach Graubünden führte über die Ems Chemie. Aber es blieb nie bei einem rein beruflichen Verhältnis. Dieser Kanton ist zu einer Art Wahl- und Schicksalsheimat für mich geworden. Ich komme um dieses Graubünden nicht herum. Die Landschaft, die Menschen, ihre Knorrigkeit, ihre Dankbarkeit, ihre Unarten sind mir ans Herz gewachsen. Die Haupttätigkeit des Unternehmens befand sich nun mal – wie der Name sagt – in Graubünden. Ich hielt aber auch als späterer Eigentümer immer am Produktionsstandort Graubünden fest. Was mich besonders freute, war zu zeigen, dass man auch in einer Randregion ein Unternehmen erfolgreich führen kann. Ein Unternehmen notabene, dessen Produkte weit über 90 Prozent für den Weltmarkt bestimmt sind. Neben dieser eher etwas schicksalhaften Beziehung ist die Begeisterung für die Schönheit der Bündner Landschaften eine Herzensangelegenheit. Die Berge – und damit meine ich das alpine Gebirge – haben mich immer angezogen, obschon ich in einer eher milden, hügligen Gegend aufgewachsen bin. Die Schweizer Alpen stehen da wie ein unverrückbares Monument, etwas schroff, auch abweisend, aber in sich ruhend und selbstgewiss. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Ursprünge der Eidgenossenschaft aus der Mitte dieser Gebirgstäler heraus stammen. Ich habe mich dieser Welt und dieser Mentalität immer verbunden gefühlt. Darum freut es mich, dass ich das Ehrenbürgerrecht der höchstgelegenen Gemeinde Europas – Lü-Lüsai im Val Müstair – besitze. Neben der Natur und der Freude an der Bergwelt hat mich Graubünden stets auch als politisches Laboratorium interessiert. Dieser Kanton erscheint ja wie eine Verkleinerung der sonst schon kleinen Schweiz. Nicht nur in geographischer Hinsicht eine Miniatur des Landes: Dreisprachig, vielgliedrig, strikt föderativ, teilweise rivalisierend, manchmal auch von höflicher gegenseitiger Nichtbeachtung geprägt; eine unglaubliche Verschiedenartigkeit trotz der geographischen Kleinheit; mit Kulturschätzen, die sich in fast jeder Ortschaft finden lassen; weltoffen, ohne den Eigensinn zu verlieren; touristisch, ländlich, auch mondän, dann wieder selbstgenügsam. Es ist diese Palette der Andersartigkeit, der Vielfalt, die den Reiz Graubündens ausmacht. Graubünden ist ein besonderer Kanton. Darum braucht der Kanton eigene Medien – mehrere und nicht nur eines. Darum habe ich seinerzeit das Bündner Tagblatt gerettet – dies aus Liebe zum Kanton und nicht aus geschäftlichen Gründen. Handlungen aus Liebe statt aus kommerziellen Gründen sind einem Unternehmer eigentlich verboten! Föderalismus: bewährt und erfolgreich Man kann sich diese Vielfalt jedoch nicht ohne den Föderalismus vorstellen. Er bildet gleichsam die politische Voraussetzung – und zwar auf allen Ebenen: Innerhalb der Gemeinden und des Kantons. Damit sich dieser Föderalismus aber ausgestalten kann, muss sich eben auch das ganze Land föderalistisch verwalten. Die Schweiz definiert sich von unten nach oben. Am stärksten kommt diese Konstruktion im Föderalismus und der direkten Demokratie zum Ausdruck. Ich möchte deshalb festhalten, dass ich ein überzeugter Föderalist, ja ein Erzföderalist bin. Dies aus geschichtlichen und politischen Gründen, aber auch aus Gründen der Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Auch die Effizienz führt mich zum Föderalismus. Darum habe ich im Unternehmen stets föderalistische – keine zentralistischen – Strukturen bevorzugt. Das heisst möglichst autonome Unternehmenseinheiten! Der Föderalismus ist deshalb keine abstrakte Theorie, sondern ein vielfach erprobtes Erfolgsrezept. So wie die Schweiz als Ganzes ist auch der Kanton Graubünden ohne Föderalismus undenkbar. Beruflich, politisch, kulturell Ich habe meine beruflichen und politischen Beziehungen zu Graubünden kurz angedeutet. Mindestens so stark hat mich auch die Geschichte angezogen. Für den historisch interessierten Menschen bietet Graubünden eine aufschlussreiche und auch turbulente Vergangenheit. Man kann hier die Besiedlung des Alpenraums nachvollziehen. Wie die Romanen bedrängt wurden und sich trotzdem behauptet haben. Wie die Valser die unwegsamsten Gebirgstäler eroberten. Wie die Reformation den Kanton teilte. Wie der Kanton durch die Ausrichtung einzelner führender Familien nach verschiedenen europäischen Grossreichen zerrissen wurde. Wie die Engländer den Tourismus in die Schweiz brachten und uns ein stückweit mithalfen, die Schönheit unseres Landes zu entdecken. Wie die Bündner eine Reihe tüchtiger Zuckerbäcker – nicht wenige Emser waren darunter - und unternehmerische Persönlichkeiten (leider sind sie mehr in Basel als im Graubünden tätig) hervorbrachten. Wie das Bergell und teilweise das Puschlav als einzige italienischsprachige Täler der Schweiz die Ideen der Reformation übernahmen. Man könnte noch unzählige weitere Begebenheiten anführen. Umso beglückter bin ich über den Umstand, dass die Ems Chemie als grösstes bündnerisches Unternehmen den Ruf in die moderne Welt hinausträgt und gleichzeitig mit dem Schloss Rhäzüns ein kulturell und historisch bedeutsames Bauwerk pflegen und erhalten kann. Ein Schloss ist immer eine Verpflichtung, nämlich das Erbe zu bewahren und weiterzuführen. Gerade für weltweit tätige, erfolgreiche und moderne Unternehmen gilt: Wer die Geschichte – die Wurzeln – nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten. Ein neues Studio Ich spreche hier anlässlich der Eröffnung eines neuen SRG-Studios und ich habe Ihnen gesagt, wie wichtig die Medien für die Schweiz – ein föderalistisches, direktdemokratisches Land - wie auch für den Kanton Graubünden sind. Es braucht konkurrenzierende Meinungen. Es braucht eine möglichst breite Information, schliesslich müssen die Menschen immer wieder über wichtige politische Sachverhalte abstimmen. Ich will Ihnen nichts vormachen, denn Sie wissen es längst: Ich bin kein Anhänger staatlicher Monopole und Medien – und dazu gehören auch das Schweizer Fernsehen und Radio. Ich bin für den Wettbewerb. Aber die regionalen Studios zeigen, dass auch die SRG der schweizerischen Vielfalt Rechnung trägt. Für Sie als Medienschaffende ist es eine Verpflichtung, dass Sie diese Vielfalt abbilden und durch ihre Arbeit dafür Sorge tragen, dass diese Vielfalt auch erhalten bleibt. Hüten Sie sich vor Einseitigkeit und Parteinahme. Zeigen Sie, was ist. Im Fall von Graubünden ein vielfältiger, aufregender und kantiger Kanton.

03.06.2006

Gesetzliche Lohnobergrenzen sind Unsinn

Am 31. Mai ist die Vernehmlassungsfrist zur Revision des Aktienrechts abgelaufen. Bundesrat Christoph Blocher äussert sich in einem Interview mit der «Finanz und Wirtschaft» über erste Eindrücke aus der Vernehmlassung, die anhaltende Diskussion um die Managerlöhne und die Problematik der hohen Dispoaktienbestände. 03.06.2006, Finanz und Wirtschaft, Corina Drack und Peter Morf Herr Bundesrat Blocher, am 31. Mai ist die Vernehmlassungsfrist zur Revision des Aktienrechts abgelaufen. Haben Sie schon einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse? Einen genauen Überblick haben wir noch nicht. Im Ganzen ist der Entwurf gut aufgenommen worden. Die Kritik betrifft eine Vielzahl von Einzelregelungen und ist dort sehr heterogen. Verwaltungsratsbestimmte Kreise kritisieren wie erwartet die Stärkung der Corporate governance, das heisst derjenigen Normen, die die Aktionärsrechte stärken. Zudem wird vereinzelt moniert, dass der Entwurf recht detailliert ist. Wir werden prüfen, ob eine gewisse Entschlackung der Vorlage möglich ist. Gibt es grundsätzliche Opposition gegen den Entwurf? Nein, wie gesagt, es sind Einzelpunkte, die beanstandet werden. Die von den Verwaltungsräten grosser Unternehmen dominierten Wirtschaftsverbände beanstanden die jährliche Wiederwahl der Verwaltungsräte. Sie wollen auch keine Abschaffung des Depot- und Organstimmrechts. Umgekehrt fehlen im Vorentwurf Bestimmungen, die die Stimmverfälschung unterbinden, also zum Beispiel die Praxis, dass Aktien für die Zeit der Generalversammlung ausgeliehen werden (Security lending, die Red.). Diesen Kreisen sind auch die Quoren für die Auskunftspflicht, zur Einberufung von Generalversammlungen oder für die Aufnahme eines Traktandums zu niedrig. Aber: Man kann den Bär nicht waschen, ohne dass das Fell nass wird. Werden die Ziele der Vorlage nach der Vernehmlassung erreicht? Ja, schon, soweit ich das nach einer ersten Übersicht beurteilen kann. Welche Ziele waren das? Das Aktienrecht muss an die neuen Möglichkeiten der modernen Kommunikationsmittel beispielsweise zur Durchführung der GV, von Sitzungen und so weiter angepasst werden. Das wird allgemein begrüsst. Ausserdem müssen die Rechte der Eigentümer, das heisst der Aktionäre, gestärkt werden. So zum Beispiel die Information von Seiten des Managements und dessen Kontrolle. Hier geht es um eine Regelung der Beziehung zwischen dem Management und den Aktionären, was zwangsläufig zu verschiedenen Auffassungen führt. Kleine Gesellschaften sind nicht den gleichen Regeln zu unterstellen wie die globalen Konzerne. Auch wenn nach der Vernehmlassung einige Punkte überarbeitet werden müssen, werden diese Ziele mit dem neuen Aktienrecht erreicht. Welche Punkte müssen überarbeitet werden? Die aus Sicherheitsgründen vorgesehene Abschaffung der Inhaberaktien, die es zum Beispiel in den USA mit Ausnahme von zwei Bundesstaaten nicht gibt, müssen wir noch einmal prüfen. Die Frage ist, ob der Kampf gegen Geldwäscherei und Kriminalität das zulässt. Umgekehrt soll dafür die Begrenzung des Partizipationskapitals aufgehoben werden, um völlig anonymen Anlegern entgegenzukommen. Kritisiert wird zudem, dass an der Problematik der Dispo-Aktien nichts geändert wird. Dort bleiben die Aktionäre ja auch anonym. Werden Sie diesen Punkt ebenfalls überarbeiten? Wenn die Namenpapiere nicht eingetragen werden, also als so genannte Dispo-Aktien vorliegen, hat heute der Aktionär zwar kein Stimmrecht, behält aber das Vermögensrecht. Der Nachteil ist, dass die Verwaltung diese Aktionäre nicht kennt. Gewisse Kreise fordern, dass Dispo-Aktien nun auch die Vermögensrechte verlieren sollen. Das ist problematisch, denn wenn der Verwaltungsrat einen Aktionär aus irgendeinem Grund nicht eintragen will, würde dieser neben dem Stimm- auch noch das Vermögensrecht verlieren. Das stärkt das Management in einem nicht gerechtfertigten Ausmass. Weshalb? Im Ausland wird das teilweise auch praktiziert. Was die Sache nicht besser macht. Wollte man das tun, müsste man ein Verbot jeglicher Eintragungsbeschränkung erlassen, was niemand will. Ein nicht eingetragener Namenaktionär kommt dem Partizipationsschein-Inhaber gleich – er hat die Vermögensrechte, nicht die Stimmrechte. Dann kennt man wenigstens die Aktionäre. Die Kritik am hohen Dispo-Bestand geht ja dahin, dass die Gesellschaft ihre Aktionäre nicht kennt. Da stellt sich die Frage, ob die Verwaltung jeden kennen muss. Im Falle des Inhabertitels kennt das Management die Aktionäre auch nicht. Doch dieselben Kreise wollen die Inhaberaktie beibehalten. Sie hat aber – im Gegensatz zu den Dispo-Aktien – noch ein Stimmrecht! Aktivistische Aktionäre erhalten aber ein grösseres Gewicht. Im Fall Saurer hatte die Gesellschaft keinen Zugriff auf den Dispo-Bestand. Das Stimmrechtsgewicht der eingetragenen Aktien ist höher. Das macht die Unternehmen angreifbarer, auch für ungewollte Übernahmen. Grundsätzlich trifft das schon zu. Aber die Angst davor ist übertrieben. Ich kenne keine Übernahme, die wegen Dispo-Aktien gelungen wäre. Ein gut geführtes Unternehmen muss in der Regel keine Angst davor haben, denn mit der entsprechend hohen Börsenbewertung lässt sich mit einer Übernahme zu wenig herausholen. Ist für Sie der Status quo eine Alternative, also an den Inhaberpapieren festzuhalten und im Bereich der Dispo-Aktien nichts zu ändern? Das ist eine Möglichkeit, die wir prüfen werden. Es geht letztlich um die Frage, ob kriminelle Gelder in Aktien fliessen und dann die Besitzer erst noch stimmen können. Mit den Dispo-Aktien stellt sich dieses Problem nicht, weil sie nicht stimmberechtigt sind. Gibt es Anhaltspunkte, in welchem Umfang kriminelle Gelder so auf Unternehmen Einfluss nehmen? Mit Geldwäscherei und kriminellen Geldern operiert man im Dunkeln. Dass diese Leute auch anonyme Wertpapiere suchen, dürfte auf der Hand liegen! So geht die Gafi, ein internationales Gremium zur Bekämpfung der Geldwäscherei, davon aus, dass die Inhaberaktie zur Geldwäscherei verwendet wird. Die Schweiz sollte sich der weltweiten Kritik wegen Geldwäscherei und kriminellen Geldern nicht unnötig aussetzen. Mit der Aktienrechtsreform wollen Sie auch das Problem der überrissenen Managerlöhne in den Griff bekommen. Wie beurteilen Sie selbst diese Lohnexzesse? Ich habe mich als Bundesrat nicht dazu zu äussern, ob gewisse Manager zu viel verdienen oder nicht. Das ist Sache der Unternehmen, nicht der Politik. Mein Anliegen besteht darin, dass die Unternehmer, also die Eigentümer – und das sind in einer Aktiengesellschaft die Aktionäre –, in die Lage versetzt werden, ihre Eigentümerinteressen wahrzunehmen. Es ist Aufgabe des Staates, für den Schutz des Privateigentums zu sorgen. Hier bestehen bei der Aktiengesellschaft Lücken. Der Aktionär muss über die notwendigen Informationen verfügen und seinen Willen unverfälscht zum Ausdruck bringen können. Die Saläre der Manager sind Resultat der zu erbringenden Leistung beziehungsweise der erbrachten Leistung einerseits und des Marktwertes für Spitzenmanager andererseits. Es muss sichergestellt werden, dass die Information des Verwaltungsrats zu den Entschädigungen so ist, dass die Aktionäre entscheiden können und dass die Aktionärsstimmrechte nicht verfälscht werden. Für all das hat der Verwaltungsrat als Treuhänder der Eigentümer zu sorgen. Tut er es nicht, so verletzt er die Pflichten der Geschäftsführung. Für den Erfolg des Unternehmens ist die Führungsspitze massgebend. Darum sollen die Verwaltungsräte jährlich beurteilt und einzeln wiedergewählt werden. Damit wird natürlich auch indirekt über das Salär entschieden. Wäre es eine Lösung, wenn die Generalversammlung direkt über die Lohnhöhe abstimmte? Für die einzelnen Verwaltungsräte ist das neu indirekt der Fall. Ihre Saläre werden offen gelegt, und mit der Wahl kann der Aktionär indirekt darüber abstimmen. Offen gelegt werden soll auch der Lohn des Konzernchefs; für den Rest der Geschäftsleitung – deren Bezüge ja der Verwaltungsrat und nicht die Generalversammlung bestimmt – werden die Löhne in der Summe ausgewiesen. Das genügt. Zudem können die Statuten Richtlinien festlegen, wenn die Mehrheit der Aktionäre das wünscht. Bekommt die Salärfrage an den Generalversammlungen im Vergleich zu anderen, wichtigeren Fragen nicht einen zu hohen Stellenwert? Nur dort, wo es eben zu Exzessen kommt. Die eindeutigen Auswüchse, wo es um Bezüge von mehreren hundert Millionen Franken ging – und das erst noch mit schlechtem Geschäftsergebnis –, sind schon allein mit lückenloser Publizität der Bezüge praktisch nicht mehr möglich. Diese Transparenzvorlage wird auf den 1. Januar 2007 bereits in Kraft gesetzt. Die Tatsache, dass es Lohnexzesse gibt und gegeben hat und dass die Generalversammlung über den Lohn entscheiden soll, lässt darauf schliessen, dass der Markt für Topmanager nicht oder nur schlecht funktioniert. Der Markt besteht, aber er wird vielleicht zu wenig berücksichtigt. Auf oberster Ebene sind Abwerbungen über das Salär selten. Auf zweiter oder dritter Führungsebene schon eher. Wenn es einen Markt für Manager gibt, muss in Kauf genommen werden, dass man ab und zu einen an die Konkurrenz verliert. Es ist doch selbstverständlich, dass niemand die Bezüge aus einer fremden Kasse selbst bestimmen kann! Wenn der Markt funktionieren würde, bräuchte es keine Staatsintervention. Der funktionierende Managermarkt ist eines. Hier wird der Verwaltungsrat gefordert. Aber die Frage ist: Wer entscheidet? Es muss der Eigentümer sein. Und hier hat der Staat dafür zu sorgen, dass der Eigentümer entscheiden kann. Das ist vorab in Publikumsgesellschaften mit sehr breit gestreutem Aktionariat wichtig. Für den klassischen Unternehmer, den Alleineigentümer, ist das nicht notwendig. Das Thema Managerlöhne betrifft nicht nur die Aktionäre, sondern hat auch eine politische Dimension, indem einige wenige Bezüger von Spitzensalären den Forderungen nach noch mehr Regulierung Auftrieb verleihen. Hilft das neue Aktienrecht, die Diskussion zu versachlichen? Eindeutig. Die Hauptkritik der Öffentlichkeit ist, dass der Markt nicht berücksichtigt wird und sich die wenigen Topmanager die Jobs gegenseitig zu übersetzten Bedingungen zuschanzen. Diesem Eindruck der Öffentlichkeit kann Gegensteuer gegeben werden. Ich bin überzeugt, dass die Offenlegung an der Generalversammlung und die Mitbestimmung der Aktionäre auch die Leistungserbringung erhöhen. Ein Manager, der in einer Krise geholt wird, geht ein hohes Risiko ein und wird im Erfolgsfall grosszügig entlohnt. Schon deshalb, weil es nur wenige gibt, die das können und wollen! Doch das muss von Anfang an transparent gemacht werden, sodass die Öffentlichkeit im Erfolgsfall die Gründe der Bezüge nachvollziehen kann. Noch herrscht keine Transparenz. Durch die Exzesse ist ein Klima entstanden, das den Druck erhöht, weitergehende Bestimmungen wie die Festlegung einer oberen Lohngrenze in das Aktienrecht aufzunehmen. Spürten Sie den politischen Druck während der Vernehmlassung? Ja, eindeutig. Doch die Transparenzvorlage wird bereits am 1. Januar 2007 in Kraft treten. Gesetzliche Lohnfestsetzung, Obergrenzen und so weiter sind Unsinn. Es wird über den Lohn von Novartis-Chef Daniel Vasella oder von UBS-Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel geredet, ohne ihn mit ihrer Leistung und dem Marktwert in Beziehung zu setzen! Das muss sich ändern. Kann das neue Aktienrecht Auswüchse verhindern? Die Aktionäre können besser entscheiden, ob es sich um Auswüchse handelt oder nicht. Es kann ja sein, dass die Aktionäre finden, der Manager sei so gut, dass er viel beziehen sollte. Braucht es überhaupt staatliche Eingriffe, wenn der Aktionär die Titel jederzeit verkaufen und so mit den Füssen abstimmen kann? Aufgabe des Staates ist der Schutz des Privateigentums. Einem Hausbesitzer kann man ja auch nicht das Grundstück verbauen mit dem Argument, er sei schliesslich frei, dieses Privateigentum jederzeit zu verkaufen – und das erst noch zu einem entwerteten Preis. Im Fall einer Publikumsgesellschaft wäre die Sachlage doch ein bisschen anders, der Aktienkurs würde fallen, was wiederum das Management unter Druck setzen würde. Gefallene Kurse bedeuten die Vernichtung von Werten der Eigentümer. Das ist doch keine Alternative. Die Aktionäre hätten im Fall einer Opposition nur die Möglichkeit, den Verwaltungsrat abzuwählen und so das Unternehmen zu destabilisieren, was auch nicht in ihrem Interesse sein kann. Ist damit die jährliche Wahl der Verwaltungsräte das geeignete Mittel, um die Lohnproblematik zu lösen? Kein Aktionär hat ein Interesse, sein Unternehmen zu destabilisieren. Er will Mehrwert! Ein Managementwechsel ist doch noch nicht eine Destabilisierung. Die Abwahl wird ein Extremfall bleiben. Doch eine maximal gute Lösung wird es für grosse kotierte Gesellschaften nie geben. Die Trennung von Unternehmensführung und Eigentum schafft immer Probleme. Man kann sie besser oder schlechter lösen. Der Entwurf des neuen Aktienrechts verbessert diesen Schutz eindeutig. Schwächt die jährliche Wahl der Verwaltungsräte nicht die Position gegenüber der Geschäftsleitung? In der Regel wird auch in Zukunft der VR als Gesamtheit beurteilt, aber einzeln gewählt. Hat der Einzelne eine bestimmte Aufgabe, zum Beispiel der Präsident, oder hat er besondere Verdienste oder besonderes Versagen, dann muss er selbst dafür geradestehen. Es darf nicht vergessen werden: Der Verwaltungsrat wird von Aktionären gewählt. Verwaltungsräte stehen in einem Auftragsverhältnis. Wie alle Angestellte haben sie einen Auftrag, an dem werden sie gemessen werden. Dann müsste man mit den Verwaltungsräten Verträge abschliessen? Die Wahl in den Verwaltungsrat mit einer bestimmten Entschädigung und mit den Pflichten gemäss Gesetz und Statuten begründet ein Mandatsverhältnis. Dieses Auftragsverhältnis kann durch die Wiederwahl jedes Jahr um ein weiteres Jahr verlängert werden oder eben auch nicht.