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08.12.2000

Christoph Blocher über die Bundesratswahl

Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000 Mit Samuel Schmid ist bei den Bundesratswahlen kein offizieller SVP-Kandidat gewählt worden. Was bedeutet das für die Konkordanz? Christoph Blocher: Wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin gewählt wird, der oder die von der Partei vorgeschlagen ist, so sind die Loyalität und die Kompromissbereitschaft natürlich wesentlich grösser. Das liegt in der Natur der Sache. Haben Sie als Taktiker in Wahrheit nicht sogar darauf gesetzt, dass Samuel Schmid gewählt wird, weil Sie damit Ihre erfolgreiche Politik zwischen Regieren und Opponieren auch in Zukunft besser rechtfertigen können? Blocher: Das ist gesucht. Nein, das haben wir nicht getan, aber wir haben erwartet, dass Schmid gewählt würde. Die Positionen, welche Herr Schmid vertritt, stimmen mit meinen nicht überein, deshalb habe ich mich nicht für ihn eingesetzt. Der gemässigte Berner Flügel ist gestärkt worden durch die Wahl von Samuel Schmid. Erwarten Sie jetzt innerhalb ihrer Partei die Forderung nach einem Kurswechsel der Gesamtpartei? Blocher: Bis jetzt ist diese Forderung nicht gekommen. Eine Minderheit soll ihre Minderheitsposition vertreten, und wenn sie zur Mehrheit wird, wird sie zur Mehrheit. Ich habe diesbezüglich keine Bedenken. Ich merke in der Fraktion nicht, dass hier eine solche Bewegung stattfindet. Die Sitzungen in unserer Fraktion finden eigentlich in recht harmonischem Klima statt. War die Wahl von Samuel Schmid ein Schuss vor den Bug der SVP? Blocher: Ich weiss es nicht, ich habe es jedenfalls nicht so empfunden. Und Schüsse vor den Bug, von denen man nichts merkt, nützen wenig. Aber es ist klar: Die SVP ist in den Wahlen derart erfolgreich, das man uns mit allen Mitteln stoppen will. Ob es die richtigen Mittel sind, weiss ich nicht. Wenn ich auf der Gegenseite wäre, würde ich etwas anderes tun. Die SP hat die SVP in diesen Bundesratswahlen angegriffen. Werden Sie ihrerseits bei den nächsten Wahlen um einen frei werdenden SP-Sitz wieder einen eigenen Kandidaten vorschlagen? Blocher: Wir sind der Meinung, dass es nicht einzusehen ist, weshalb die SP zwei und die SVP nur einen Sitz haben soll. Seit die CVP mehr Sitze hat, als ihr gemäss Wähleranteil zustehen, wird die Konkordanz nicht mehr eingehalten. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir bei einem Rücktritt von Bundesrätin Dreifuss einen eigenen Kandiaten aufstellen werden.

30.11.2000

«Wir könnten frei drauflosfahren»

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 30. November 2000 Christoph Blocher droht mit stärkerer Opposition, falls das Parlament Samuel Schmid in den Bundesrat wählen sollte Mit Christoph Blocher sprachen Markus Somm und Iwan Städler Herr Blocher, die SVP hat für die Nachfolge von Adolf Ogi zwei Kandidaten nominiert, die nicht im Parlament sitzen. Fehlt es an guten Leuten in der Fraktion? Christoph Blocher: Nein. Ich finde es ohnehin nicht gut, wenn die Bundesräte einzig aus dem Parlament rekrutiert werden. Dieses klüngelhafte Denken stört mich. Jeder hat den Marschallstab im Tornister. Sowohl Bundesrat Brugger als auch Frau Metzler waren wie Rita Fuhrer und Roland Eberle Regierungsräte, als sie gewählt wurden. Auch Bundesrat Schaffner war kein Parlamentarier, hat sich aber bestens bewährt. Ruth Dreifuss ist ebenfalls Quereinsteigerin. Bewährt Sie sich auch? Blocher: Sie macht ihre Arbeit sicher sehr gut - aus Sicht der SP. Die Freisinnigen halten die Nomination von zwei Quereinsteigern für ein "Armutszeugnis". Blocher: Die müssen ja etwas sagen - nachdem sie zuvor erklärt haben, bei allen vier handle es sich um hervorragende Kandidaten. Behandelt man so zwei tüchtige Regierungsräte? Haben Sie denn selbst in Ihrer grossen Zürcher Parlaments-Deputation keine geeigneten Kandidaten? Blocher: Selbstverständlich haben wir das. Die haben aber nicht seit Jahren nur das Ziel einer Wahl in den Bundesrat vor Augen, wie das bei Samuel Schmid der Fall ist. Zudem haben wir uns schon lange auf Rita Fuhrer festgelegt. Was spricht gegen Samuel Schmid und Christoffel Brändli? Blocher: Was Leistungsausweis, Vertrauen in der Bevölkerung und Regierungs-Erfahrung anbelangt, sind Frau Fuhrer und Herr Eberle überlegen. Schmid war immerhin Fraktionschef. Blocher: Ich will das Amt des Fraktionspräsidenten nicht abwerten. Doch es ist etwas anderes, als Regierungsrätin in einem grossen Kanton Verantwortung zu tragen. Fraktionschef allein genügt nicht. Dennoch hat die Nomination der SVP die übrigen Parteien kaum beeindruckt. Man fühle sich nicht gebunden, heisst es. Stört Sie das? Blocher: Ich habe nichts anderes erwartet. Die wären nur zufrieden gewesen, wenn wir keinen uns genehmen Bundesratskandidaten nominiert hätten. Befürchten Sie, dass die SVP aus dem Bundesrat hinausgeworfen wird, wie die SP das plant? Blocher: Nein. Aber es ist eine Möglichkeit - jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Die bürgerlichen Parteien wissen nur zu gut, dass die Oppositionsrolle die SVP stärkt. Die würden in den Wahlen 2003 ihr blaues Wunder erleben. Am allerschönsten wäre es, wenn die SP die Grüne Cécile Bühlmann unterstützte und diese auch gewählt würde. Dann hätten die Sozialdemokraten nach der nächsten Vakanz für alle Zeiten nur noch einen Regierungsvertreter - so wie jetzt im Kanton Zürich. Haben Sie sich in der Vergangenheit stets an die Vorschläge der Parteien gehalten? Blocher: Nein. Letztes Mal habe ich zum Beispiel Peter Hess gewählt. Ich mache ja auch niemandem einen Vorwurf, wenn er die von uns nominierten Kandidaten nicht wählt. Jedermann ist frei. Ich bin auch dagegen, dass wir uns so verhalten wie die Sozialdemokraten bei der Wahl von Francis Matthey. Ich werde mich gegen einen Sitzungsunterbruch aussprechen, falls unsere Kandidaten durchfallen. Empfänden Sie es nicht als Affront, wenn Samuel Schmid gewählt würde? Blocher: Es wäre eine Niederlage für die Partei. Ich würde deswegen aber sicher nicht mit der schwarzen Krawatte herumlaufen. Sondern? Blocher: Wir würden vermehrt Opposition betreiben müssen. Können Sie denn noch oppositioneller werden? Blocher: Aber sicher. Wir sind ja zurzeit ausserordentlich zaghaft. In welchen Fragen würden Sie vermehrt gegen die Regierung antreten? Blocher: Zum Beispiel beim Elektrizitätsmarktgesetz. Als Opposition würden wir uns nicht auf einen Kompromiss einlassen, sondern bis zuletzt für eine vollständige Liberalisierung für alle Konsumenten kämpfen. Auch die Steuersenkungen würden wir notfalls mit einer Volksinitiative erzwingen, wenn Villiger noch lange zuwartet. Freuen Sie sich darauf? Blocher: Freiwillig gehen wir nicht in die Opposition. Sie hat aber ihren Reiz. Als Oppositionspartei müssten wir nicht mehr mit angezogener Handbremse fahren, sondern könnten frei drauflosfahren. Jetzt bremsen Sie noch? Blocher: Ja. Als Regierungspartei müssen wir Rücksicht nehmen. Wenn wir zwei Vertreter im Bundesrat hätten, gäbe es kaum einen Grund mehr, Opposition zu betreiben. Haben wir einen Bundesrat, sind wir zu 50 Prozent zu Opposition verpflichtet. Erhalten wir einen, den wir nicht wollen, dann sind es vielleicht drei Viertel. Hätten Sie mit Samuel Schmid mehr Grund zur Opposition als mit Adolf Ogi? Blocher: Bei Herrn Ogi lief es tragisch: Wir Zürcher kämpften 1987 dafür, dass er Bundesrat wird. Wir verstanden uns menschlich gut und hatten politisch keine grossen Differenzen. Bis 1991 ist das auch so geblieben. Doch dann verfolgte er eine völlig andere Europapolitik als wir. Hätte Ogi die Mehrheitsmeinung des Bundesrats bloss loyal vertreten, wäre es ja noch gegangen. Aber nein: Ogi stellte sich mit wehenden Fahnen an die Spitze der EU-Befürworter. Die Tatsache, dass wir ihn vorgeschlagen haben, verlangte aber ein gewisses Mass an Loyalität ihm gegenüber. Das wäre bei Samuel Schmid nicht mehr der Fall? Blocher: Nein. Ihn schlägt die SVP nicht vor. Insofern könnten wir bei einer Wahl von Schmid leichter Opposition betreiben. Das Parlament kann ja nicht besondere Loyalität gegenüber einem Bundesrat erwarten, den die Mehrheit der Partei nicht will. Sie haben bereits verlauten lassen, Schmid wäre "einfach nicht unser Bundesrat". Blocher: Jawohl. Das ist meine Meinung. Aber Schmid ist Mitglied der SVP. Blocher: Es kann doch nicht Sinn der Konkordanz sein, einfach jemanden zu wählen, hinter dessen Name noch SVP steht. Die SP hätte ja auch keine Freude, wenn wir Ursula Koch in den Bundesrat wählen würden, nur weil sie Mitglied der SP ist. Erhält die Idee der Volkswahl Auftrieb, wenn Rita Fuhrer nicht gewählt wird? Blocher: Zweifellos. Auch wenn Roland Eberle gewählt wird? Blocher: Ja. Es geht hier um eine grundsätzliche Frage. Regierung und Parlament müssen auf die gleiche Ebene gestellt werden. Es zeigt sich doch, dass die Regierungsräte in den Kantonen viel seriöser ausgewählt werden als die Bundesräte. Offenbar haben Sie das Projekt einer solchen Initiative aber sistiert? Blocher: Wir können nicht alles auf einmal machen. Wir haben bereits die Gold- und die Asylinitiative durchgezogen und das Referendum gegen bewaffnete Truppen im Ausland ergriffen. Das ist eine enorme Leistung für eine Partei ohne Verbände. Die Volkswahl des Bundesrats muss deshalb etwas hinten anstehen. Wie lange noch? Blocher: Ich glaube nicht, dass wir die Initiative innerhalb der nächsten zwölf Monate starten können. Auch nicht wenn Rita Fuhrer und Roland Eberle übergangen werden? Blocher: Auch dann nicht. Wir dürfen nicht im Affekt handeln. Die Volkswahl muss eine grundsätzliche Sache bleiben. Rita Fuhrer will sich nicht dafür engagieren. Blocher: Das ist doch klar. Alle Regierungsräte sind gegen die Volkswahl. Enttäuscht Sie das? Blocher: Nein, nein. Mir war zum Voraus bewusst, dass Frau Fuhrer nicht für die Volkswahl reden wird. Sie wird sie aber nicht bekämpfen. Das kann ich versichern. Ist es nicht etwas eigenartig, dass Rita Fuhrer Streitgespräche mit Samuel Schmid verweigert? Blocher: Das muss ich ihr überlassen. Ich würde mich wohl auch nicht auf solche Gäggeli-Diskussionen über Berner Flügel und Zürcher Flügel einlassen. Vielleicht hat Rita Fuhrer auch Angst, sie würde in einem solchen Streitgespräch alt aussehen. Blocher: Wenn ich Rita Fuhrers Gesicht anschaue, sieht sie auf jeden Fall jünger aus als Samuel Schmid. Würde sich die SVP mit Fuhrer oder Eberle im Bundesrat stärker eingebunden fühlen? Blocher: Eindeutig. Inwiefern würden Sie moderater politisieren? Blocher: Wir würden vor allem bei nicht zentralen Dingen eher Kompromisse schliessen müssen. Können Sie denn aus Ihrer oppositionellen Haut heraus? Blocher: Da muss ich gar nicht raus. Wenn ich eine andere Umwelt habe, ist auch die Haut anders. Sie würden also nicht mehr von einer "classe politique" sprechen? Blocher: Ich spreche solange von der "classe politique", wie sie eine ist. Glauben Sie denn, dass der Bundesrat mit Rita Fuhrer oder Roland Eberle weiter rechts politisieren würde? Blocher: Vielleicht ein bisschen. Immer vorausgesetzt, dass sich die Gewählten so verhalten, wie wir es erwarten. Oft verändert sich das Verhalten mit der Wahl in die Regierung. Sie kennen ja den Volksspruch: Sobald das Füdli auf einem anderen Stuhl hockt, denkt der Grind anders. Sie selbst wollen nicht mehr Bundesrat werden? Blocher: Ich wollte es noch nie werden. Immerhin haben Sie dafür kandidiert... Blocher: ...nur weil in jener aussichtslosen Ausgangslage niemand anders antreten wollte. Jetzt hat sich das geändert. Wenn das Parlament einmal jemanden abgelehnt hat, sollte man ihn nicht nochmals aufstellen. Wenn das Parlament nicht will, hat es eben gehabt.

28.09.2000

Der Pubertierende schlägt oft den Sack und meint den Esel

Neun Fragen an Christoph Blocher zum Thema Rechtsextremismus Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, 28. September 2000 Interview: se. In der Diskussion über die Ursachen des Rechtsextremismus wird generell eine Verrohung der politischen Kultur beklagt. Es steht die Frage im Raum, ob provokative politische Kampagnen das Terrain für rechtsextremistische Strömungen ebnen. Nationalrat Christoph Blocher zeigt sich vom Gegenteil überzeugt: Nur das Unterdrücken von Themen - wie etwa in der Asylfrage - habe den Rechtsextremismus geschürt. Christoph Blocher nimmt im Folgenden zu neun Fragen Stellung, die ihm die NZZ nach einem vorbereitenden Gespräch schriftlich zukommen liess. Herr Blocher, wo sehen Sie die gesellschaftlichen und politischen Ursachen für rechtsextremistische Strömungen? Blocher: Was verstehen Sie unter "rechtsextremistischen Strömungen"? Meinen Sie kriminelle Gewalttaten gegen Menschen und Sachen? Denken Sie an die Verherrlichung des Totalitarismus, des staatlichen Kollektivs, des Naziterrors? Meinen Sie den braunen Rassenhass, der ebenso verabscheuungswürdig ist wie der rote Klassenhass? Meinen Sie kahlköpfige Skinheads, oder meinen Sie gar alles, was nicht links ist? Vielleicht sogar das Einstehen für die Schweiz und einen gesunden Patriotismus? Heutzutage ist es ja bald so weit, dass diejenigen, die sich für eine unabhängige, neutrale, föderalistische und direktdemokratische Schweiz einsetzen, bereits als "rechtsextrem" gelten. Dies ist umso bemerkenswerter, als bis vor zehn, fünfzehn Jahren praktisch alle Bürgerlichen unseres Landes noch einmütig zu diesen Werten gestanden sind und die Schweiz diese in den schweren Jahren 1933 bis 1945 in bewundernswürdiger Weise gegen Rechtsextremisten verteidigt hat. Jede Art von Extremismus ist eine untolerierbare Überreaktion auf Bewegungen, die den eigenen Anschauungen widersprechen oder bestehende Missstände tabuisieren. Diese Überreaktionen können so weit gehen, dass sie ganze Wertordnungen, insbesondere den Schutz der persönlichen Integrität der Mitmenschen, in Frage stellen. Was sind Ihrer Meinung nach die richtigen Mittel, um gegen den Rechtsextremismus vorzugehen? Blocher: Wer sich kriminell verhält, wer droht, schlägt, schiesst und einschüchtert, ist mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen. Das ist Sache der Polizei und der Gerichte. Es gibt kein einziges politisches Motiv, weder auf der rechts- noch auf der linksextremen Seite, das solches Treiben rechtfertigen würde. Das Verheerende am Wirken von Diktatoren und Massenverbrechern wie Hitler oder Stalin war eigentlich nicht, dass sie krank- und wahnhafte Vorstellungen hatten, sondern dass ihnen eine allmächtige Staatsorganisation ermöglichte, diese in schrecklicher Weise in die Wirklichkeit umzusetzen. Das "beste Mittel": SVP Soweit Extremisten nicht Straftäter sind, tritt man ihnen am besten mit einer glaubwürdigen Politik entgegen. Das beste Mittel gegen den Rechtsextremismus ist daher, die Politik der SVP zu unterstützen: Wir kämpfen wie niemand sonst gegen die ständige Ausbreitung der Staatsallmacht und gegen die Missachtung des Individuums. Totalitäres Gedankengut ist zu verabscheuen, ob es von links oder rechts kommt. Bei vielen Skinheads handelt es sich aber auch um Pubertierende. Je mehr man sich über ihre Äusserlichkeiten (Haartracht, Kleidung, Sprache, ausgestreckte Arme usw.) aufregt, desto interessanter finden sie sich. Der SVP aber auch der Auns wird von verschiedener Seite der Vorwurf gemacht, sie seien mit ihrer Politik und mit ihren provokativen Kampagnen Wegbereiter für den Rechtsextremismus. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen? Blocher: Es handelt sich um niederträchtige Vorwürfe und Konstruktionen politischer Gegner oder des "Blicks" und ähnlicher notorischer Lügenblätter. Sie haben ein Ziel: uns mundtot zu machen. Die SVP wie die Auns führen inhaltlich prononcierte politische Kampagnen mit Themen, die zahlreiche Bürgerinnen und Bürger dieses Landes beschäftigen. Das Artikulieren solcher Themen verhindert Extremismus, das Unterdrücken der Diskussion und die Untätigkeit durch die Regierenden fördern ihn. Darum sind gerade diejenigen die grössten Förderer des Rechtsextremismus, die so laut rufen: "Haltet den Dieb!", um von ihrer Tatenlosigkeit abzulenken. Halbwüchsige Skinheads geben als Motiv für ihre Gewalttaten "Hass gegen Linke und Fremdean. Wie kommen jugendliche Rechtsextremisten Ihrer Meinung nach auf solche Motive? Blocher: Da müssten Sie diese selber fragen. Waren die Meinungsmacher in Politik, Medien und Kultur früher mehrheitlich konservativ und die Pubertierenden links, ja sogar linksextrem, so schlägt das Pendel heute auf die andere Seite, weil die veröffentlichte Meinung mehrheitlich links steht. Der Pubertierende reagiert kopflos, schlägt oft den Sack und meint den Esel. Darum hat man den Missbrauch unseres Asylwesens sowie den Kriminaltourismus - nicht zuletzt im Interesse der bei uns ansässigen Ausländer, die sich tadellos verhalten - zu bekämpfen. Wer das nicht tut, fördert den Extremismus. Am Asylmissbrauch und an der illegalen Einwanderung sind weniger die Einwanderer als die untätigen Verantwortlichen schuld. "Gefühl der Hilflosigkeit und Wut" Blocher: Ein übersteigertes nationalistisches Verhalten ist möglicherweise auch eine Gegenreaktion zum ständig betonten Internationalismus der Classe politique, zur selbstverleugnenden, kriecherischen Haltung gegenüber andern Staaten und internationalen Organisationen. Vielleicht handelt es sich um den Ausdruck eines Gefühls der Hilflosigkeit und Wut, dass die offizielle Politik dieses Landes sich um die Interessen der eigenen Bürger zuletzt zu kümmern scheint Pubertierende haben ja ein gewisses Gespür, wenn bei der Autorität etwas nicht stimmt. Sie reagieren auf ihre Weise darauf. Sie vertreten Haltungen wie "Die Schweiz den Schweizern". Fördert eine solche Einstellung nicht den Fremdenhass? Blocher: Nein. Denn jedes Land dieser Welt hat das Recht, seine historische, kulturelle und gesellschaftliche Eigenart vor einem unkontrollierten Zustrom von Fremden zu bewahren, die allein durch ihre Masse die Identität dieses Landes gefährden würden. Den Fremdenhass fördern jene, welche die Augen vor den Problemen einer unbegrenzten Immigration verschliessen. Allerdings verkennen chauvinistische Extremisten die Tatsache, dass der wahre Patriotismus zwar die Liebe und die Identifikation mit der Heimat bedeutet, niemals aber die Verachtung anderer Länder und von deren Menschen. Die SVP hatte in den letzten Jahren grosse Wahlerfolge zu verzeichnen. Sie hat dabei unter anderem den kleinen Parteien am rechten Rand des Parteienspektrums den Boden abgegraben. Gab es damit einen Rechtsrutsch innerhalb der SVP? Blocher: Wenn Sie unter "rechts" das Einstehen für eine freiheitliche Gesellschafts- und Marktordnung, für die Selbstverantwortung der Bürger, für die Betonung des Einzelmenschen anstelle der staatlichen Vermassung und den Kampf für weniger Staat und weniger Steuern verstehen, kann ich diesen Rechtsrutsch nur begrüssen. Es ist ja interessant: Bürgerliche Politiker beteiligen sich an sogenannten "Demonstrationen gegen rechts", die "Weltwoche" tritt einem internationalen Medienverbund "Netz gegen rechts" bei. Mit andern Worten: Selbst Vertreter von FDP und CVP oder die Journalisten der "Weltwoche" sagen neuerdings: Wir bekämpfen alles, was nicht links ist! Das ist ja wohl auch der Sinn des heuchlerischen Kampfes gegen Skinheads, die ohnehin von 99,99 Prozent aller Leute abgelehnt werden. "Gesinnungsschnüffelei" In verschiedenen Kantonen hatten Sie schon Probleme mit Parteimitgliedern, die als Rechtsextremisten verschrien sind. Herr Maurer hat angekündigt, man werde künftig sorgfältiger hinsehen bei neuen Parteimitgliedern. Wird das gemacht? Blocher: Extremisten und Fundamentalisten gibt es in jeder Partei, in jedem Verein, in jeder Kirche und in jedem Wirtschaftsverband. Probleme gibt es nur, wenn diese den Ton angeben und die Übermacht erringen. Die FDP schloss Fischbacher aus, ein freisinniger Ex-Grossrat stellt seine Räumlichkeiten Skinheads zur Verfügung, die Tessiner CVP ortet Kriminelle mit Mafia-Kontakten in ihren Reihen. Bei der SP stehen die Verherrlicher totalitärer, mörderischer Unrechtsregimes noch heute in Amt und Würden, und bei 1.-Mai-Demonstrationen schlagen ihre Freunde ganze Strassenzüge in Trümmer. Solche Missstände muss man bekämpfen und handeln, aber eine systematische Gesinnungsschnüffelei lehne ich aus Gründen der Meinungsfreiheit ab. Herr Blocher, Sie werden mit Attributen wie Nationalkonservativer, Nationalist oder Rechtspopulist versehen. Was halten Sie von solchen Zuschreibungen? Blocher: Ich bin liberalkonservativ; wie mich meine Gegner benennen, ist ihre Sache. Liberal bin ich in meinem Einstehen für die Freiheit des Einzelnen, für die Marktwirtschaft, für das Eigentum und in meinem ständigen Kampf gegen die Allmacht des Staates. Ein Wertkonservativer bin ich in meiner Achtung vor dem über lange Zeiträume organisch Gewachsenen, vor den nationalen und regionalen Eigenarten und schliesslich vor der Familie und andern privaten Kreisen als Gegenkonzept zum staatlichen Organisationsprinzip. Zum Schluss: Was halten Sie von der Antirassismus-Strafnorm? Blocher: Eine solche Strafnorm ist in einer freien Gesellschaft äusserst fragwürdig. Ich habe dem Bundesrat vor deren Einführung empfohlen, die Hände von einem Antirassismusartikel zu lassen, denn diese Strafnorm werde Holocaust-Leugnern und ähnlichen Wirrköpfen nur eine riesige Plattform bieten und den Rassismus allgemein fördern. Genau so ist es leider herausgekommen! Als Bundesrat und Parlament diesen Artikel genehmigten, wollte ich dann nicht gegen die Vorlage antreten, um nicht den Applaus aus der falschen Ecke zu erhalten. Als Freund der Freiheit ist mir jede Gesinnungs-Tyrannei - wie sie etwa die selbst ernannten "Rechtsextremismus-Experten" und linke Berufsschnüffler betreiben - ein Greuel. Dasselbe gilt für die bundesrätliche Antirassismus-Kommission: Man zementiert damit einen wissenschaftlich unhaltbaren "Rassen"-Begriff, während längst feststeht, dass weder Schweizer noch Juden oder Schwarze usw. eine "Rasse" sind. Es ist im Übrigen immer falsch, wenn der Staat Lehrämter über die Gesinnung errichtet, denn solche Lehrämter werden ja nie an die Geeigneten übertragen, sondern immer an jene, die ihre Hände am gierigsten danach ausstrecken Übereifer von Gutmenschen Strafrechtler und Politiker wollen jetzt die Ausweitung des Antirassismusartikels auf Äusserungenim Privat- und Familienkreis ernsthaft einführen. Dieser Übereifer von "Gutmenschen" führt zu viel gefährlicheren totalitären Tendenzen als das provokative Treiben einiger pubertierender Skinheads, die mit ihrem unreifen Gedankengut unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung gewiss nicht zum Einsturz bringen werden.

31.08.2000

Nicht so ernst nehmen

Interview mit FACTS vom 31. August 2000 Neonazis soll man ignorieren, solange sie nicht straffällig werden, meint Christoph Blocher. Und die Befürworter der 18-Prozent-Initiative kann er gut verstehen. Von Sabine Windlin und Markus Schneider An der diesjährigen Albisgüetli-Rede haben Sie gesagt, die Gefahr sei gross, dass sich Volksvertreter, kaum sind sie gewählt, über das Volk erheben. Haben Sie sich über das SVP-Volk erhoben? Christoph Blocher: Wie kommen Sie auf diese Idee? In Zusammenhang mit der 18-Prozent-Initiative. Blocher: Wer eine andere Meinung hat, braucht sich deswegen nicht über das Volk zu erhe ben. Sich über das Volk erheben heisst: das Volk nicht ernst nehmen, es verachten. Das ist bei mir nicht der Fall. Die Probleme der Überfremdung sind ernst zu nehmen, allerdings taugt eine Bestandesquote nicht als Lösung. Nur: Wer eine Quote will, ist deswegen doch kein Rassist, Rechtsextremer oder Fremdenfeind. Er will einen meines Erachtens falschen Weg. Sie werden nicht zum ersten Mal von Ihrer Basis überstimmt. Bei den bilateralen Verträgen ist die Auns ausgeschert. Blocher: Ich war der Meinung, die Auns solle keine Parole ausgeben, weil das kein Thema für die Auns war. Die Auns ist eine Lobby für die Unabhängigkeit und die Neutralität und keine Partei. Die Mitgliederversammlung war dann anderer Meinung. Das gehört doch zur Demokratie. Sonst müssten wir gar keine Abstimmungen durchführen, wenn die Mitglieder keine andere Parole fassen dürften als der Präsident. Wenn man mir vorwirft, ich hätte die Basis nicht mehr im Griff, ist das die Sprache von Diktatoren. Nur Diktatoren haben Leute im Griff. Sie haben gesagt, die bilateralen Verträge seien schlechte Verträge... Blocher: ...eindeutig. Und trotzdem haben Sie diese Verträge nicht bekämpft. Sie haben auf die Wirtschaft Rücksicht genommen, Sie sind ein Opportunist. Blocher: Einer der wenigen Vorwürfe, die ich noch nie gehört habe. Ich habe bereits im Nationalrat erklärt, diese Verträge seien schlecht, denen könne ich nicht zustimmen. Aber ich war gegen das Referendum. Denn selbst wenn das Volk diese Verträge abgelehnt hätte, hätte ja dieselbe Regierung neue Verträge aushandeln müssen. Das Resultat wäre kaum besser geworden. Es gibt Situationen in der Politik, in denen man sich auch mit Schlechtem, Ungenügendem abfinden muss. Wir erleben Sie sonst mit anderem Temperament. Blocher: Ich kämpfe für das Wesentliche. Beim EWR-Vertrag lohnte es sich, bis zu den Grenzen der Erschöpfung zu gehen, denn wenn der EWR durchgegangen wäre, wäre die Schweiz innert kürzester Zeit in der EU gelandet. Da musste ich alles geben. Bei den bilateralen Verträgen hätte sich der Einsatz nicht gelohnt. Und bei der 18-Prozent-Initiative muss ich auch nicht auf die Barrikaden, weil es 190 andere Parlamentarier gibt, die dagegen ankämpfen - zudem erst noch all die Moralisten, all die selbstge rechten und selbst ernannten Apostel. Sie meinen die Leute vom "Appell für eine tolerante Schweiz"? Blocher: Ich meine die, die jetzt jeden Tag in der Zeitung sagen, man müsse tolerant sein. Das sind doch Heuchler. Es gibt kein Land auf der ganzen Welt, das die Einwanderung nicht beschränkt. Sie, Herr Blocher, spielen den Wirtschaftspolitiker, und Ihr Auns-Sekretär Hans Fehr ist der Mann fürs Grobe, der einmal gegen die Bilateralen, dann für die 18- Prozent-Initiative kämpft. Eine ideale Arbeitsteilung. Blocher: Wir haben nichts abgemacht, ich habe gar nicht gewusst, dass Hans Fehr nach Genf geht und für die 18-Prozent-Initiative redet. Er ist gewählter Nationalrat, er vertritt sei ne Meinung, ich die meine. Ihr Mann fürs Grobe? Blocher: Ich kenne Fehr schon lange. Er hat einen direkten politischen Stil und sagt, was er denkt. Er trägt seine Gedanken holzschnittartig vor, und das ist gut so. Holzschnitzartig? Blocher: Nein, holzschnittartig. Wer einen Holzschnitt macht, muss sich differenziert mit einem Gegenstand befassen, um ihn dann aufs Wesentliche zu reduzieren, um ihn in wenigen Zügen aufs Papier bringen zu können. Wer als Politiker nicht anstösst, malt so lange, bis er am Schluss keine Konturen mehr hat. Werden Sie nun von rechts überholt? Blocher: Das weiss ich nicht, das ist mir auch egal. Rechts von der SVP sollte es keine demokratisch legitimierte Partei geben - und andere interessieren mich nicht. Die Berner SVP-Nationalrätin Ursula Haller klagt über den ausländerfeindlichen Ton in der SVP. Blocher: Ich habe mit Ursula Haller schon ein paar Mal darüber gesprochen. Sie ist persönlich betroffen, weil sie einen Adoptivsohn aus Indien hat. Ich sage ihr: Du darfst nicht so empfindlich sein. Es hat niemand etwas gegen deinen Adoptivsohn. Adolf Ogi sprach vom Flugsand der Unzufriedenen. Blocher: Ich wehre mich gegen das Wort "Flugsand". Nazis haben Menschen als Flugsand bezeichnet. Ich wehre mich dagegen, dass man Leute, die unzufrieden sind, als Flugsand bezeichnet. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Kanonenfutter. Sie überfordern Ihre Basis intellektuell. Wirtschaftlich sind Sie weltoffen, politisch ein Isolationist. Blocher: Wir sind doch keine Isolationisten, so ein Unsinn. Politisch schon. Blocher: Nein. Wir sind für eine weltoffene Schweiz, aber wir sind dagegen, dass man die Schweiz so einbindet, dass sie nicht mehr selber entscheiden kann. Das hat nichts mit Isolation zu tun. Ich betrachte es auch als Überheblichkeit, es als intellektuelle Überforderung zu bezeichnen, wenn die Basis anderer Meinung ist. Die einfachen Leute durchschauen die politischen Zusammenhänge nicht schlechter als die Intellektuellen. Bei der 18-Prozent-Initiative sieht die SVP-Basis wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht. Blocher: Diese Leute wollen ein Zeichen setzen, damit denen in Bern klar wird, dass die Politik zu ändern ist. Leute, die nicht so gebildet sind, haben andere Antennen. Dass die schlechter sind, glaube ich nicht. Es ist leichter, Intellektuelle oder höhere Kader mit einer falschen Theorie hinters Licht zu führen als einfache Leute. Am leichtesten ist es bei den "Halbgebildeten". Die Arbeiter aber fragen: Meint er wirklich, was er sagt? Steht er zum Unternehmen? Steht er zu uns? Das Motiv ist ihnen das Wesentliche. Aus einem guten Motiv resultiert selten etwas Schlechtes, aber aus einem schlechten Motiv kommt selten etwas Gutes. Die Intellektuellen glauben gern an die Theorie, die ja konstruiert sein kann. Übernimmt der rechte Rand der Unzufriedenen die Mehrheit der SVP? Blocher: Nein. Und was heisst schon die Unzufriedenen? Der Mittelstand ist heute zu Recht unzufrieden. Warum soll er nicht den Ton angeben? Ich bin auch unzufrieden, dass die Schweiz von allen OECD-Staaten dasjenige Land ist, das in den letzten Jahren die Steuern am meisten erhöht hat - erst noch mit bürgerlicher Mehrheit. Sind Sie auch unzufrieden, dass der 1. August von Neonazis gestört wurde? Blocher: Ich bin nicht zufrieden, wenn 1.-August-Feiern gestört werden, ob von Neonazis oder von anderen. In diesem Jahr buhten sie bei Bundesrat Villiger, letztes Jahr bei mir. Aber es darf doch einer Buh rufen, wenn ich rede. Auch wenn es ein Neonazi ist? Blocher: Dann vor allem. Ich bin froh, wenn er mit mir nicht einverstanden ist. Ich bedaure, dass es da so Spinner gibt, Wirrköpfe wie Skinheads. Ihre Gestaltungskraft muss man nicht so ernst nehmen. Spinner? Nicht ernst nehmen? Blocher: Spinner können gefährlich werden. Wenn sie Unrecht begehen, schiessen, gewaltsam werden, dann sind sie wie Kriminelle zu behandeln. Aber nur weil jemand Buh ruft, kann man ihn nicht einkacheln. Die Neonazis haben auf dem Rütli nicht nur Buh gerufen. Blocher: Das weiss ich nicht. Hingegen weiss ich, dass kürzlich ein chilenischer Exminister zu einer Vorlesung an die Uni Zürich eingeladen wurde. Er wurde gehindert, seine Rede zu halten. Ich habe nun im "Tages-Anzeiger" gelesen, das sei auch eine demokratische Meinungsäusserung, wenn man einen Redner nicht zu Wort kommen lasse. Da bin ich anderer Meinung. Wird man am Reden gehindert, ist die Versammlungsfreiheit in Gefahr. Wenn Villiger auf dem Rütli am Reden gehindert worden wäre, hätte man diese Leute strafen müssen. Wie soll der Staat gegen Neonazis vorgehen? Blocher: Wir haben eine Rechtsordnung. Wenn die verletzt wird, muss man diese Leute bestrafen. Fertig. Auf der andern Seite muss man untersuchen: Was sind das für Junge? Was führt diese Jungen in diese Zirkel? Eine verbale Verurteilung wird wohl das Gegenteil bewirken. Soll man sie ignorieren? Blocher: Solange sie nicht kriminell werden, kann man sie ignorieren. Sein lassen. Die wichtigste Grundlage, mit dem der Bundesrat gegen Neonazis vorgehen will, ist das Anti-Rassismus-Gesetz. Da waren Sie nur halbherzig dafür. Blocher: Nachdem der Bundesrat diesen unseligen Artikel vorgelegt hatte, wollte ich nicht antreten, um nicht den Applaus der falschen Leute zu erhalten. Ich habe in der Vernehmlassung jedoch dem Bundesrat geschrieben, er solle den Artikel nicht vorlegen. Der Rassismus-Artikel werde den Rassismus fördern. Das traf leider auch ein. Wenn die Gesinnung unter Strafe gestellt wird, findet der Rassismus im Untergrund statt und dehnt sich dann aus. Ich bin der Meinung, Rassismus soll man gar nicht erst aufkommen lassen, indem man ihn offen widerlegt. Sie fordern Prävention? Blocher: Ich habe diese Skinheads nur einmal gesehen, bei einer Kundgebung von uns in Zürich. Mein Frau sagte ihnen, dass wir sie bei unserem Umzug nicht dabei haben wollten. Sie machten einen innerlich verwahrlosten Eindruck, abstrus und ausgestossen. Bei den Skinheads gibt es keine geistigen Köpfe wie damals bei der Roten-Armee-Fraktion, die gewaltsam den Staat umkrempeln wollte. Sie verharmlosen. Blocher: Ich wiederhole: Wenn sie straffällig werden, muss man gegen sie vorgehen, strikt, und nichts entschuldigen mit einer schweren Jugend oder sonstwie. Man muss gegen die vorgehen wie gegen ein Kind in der Pubertät: Man muss klare Grenzen setzen. Skinheads tun ja auch wichtig. Wenn die ihre Hand in die Höhe halten und merken, dass uns das stört, tun sie es wieder. Bei Nichtbeachtung hören sie von selbst auf. Welche nächsten Ziele verfolgt der Politiker Blocher? Blocher: Die Steuern, Abgaben und Gebühren müssen runter. Als ich im Albisgüetli vor drei Jahren sagte, wer zu viel Steuern zahle, schade der Heimat, gab es ein furchtbares Gejaule. Aber jetzt will auch Villiger um eine Milliarde senken. Im Kanton Zürich haben wir die Erbschaftssteuer abgeschafft, die Kantonssteuern wurden um 3 Prozent gesenkt, aber wir wollen sie um weitere 17 Prozent senken. Der Kanton Zürich ist ein wichtiger Kanton, das gibt einen Schneeballeffekt. Die Nationalratswahlen waren erfreulich heilsam: Wir haben jetzt ein viel stärkeres Gewicht. FDP und CVP nehmen in den Sachvorlagen jetzt aus Angst vor Wählerschwund mehr Rücksicht. Wo? Blocher: In der Europafrage ist es ganz frappant, aber auch in der Steuerfrage. Ich merke es im Rat, bei den Abstimmungen, etwa bei der zweiten Gotthardröhre. Das ist auch der Sinn von Wahlen, dass etwas passiert. Es ist erfreulich, dass die Freisinnigen bei den drei Energieabstimmungen auf das Dreimal-Nein eingeschwenkt sind. Kommt es zum Drei-mal-Nein, will die Linke die Liberalisierung des Stroms verhindern. Ein Eigengoal. Blocher: Dann werden wir eine Volksinitiative zur Liberalisierung der Elektrizitäts-Versorgung einreichen, da- mit der Strom endlich billiger wird. Was heisst wir? Blocher: Ich werde mich in der SVP dafür einsetzen, dass wir dies tun. Dann hoffe ich auf die Unterstützung der Wirtschaftsverbände. Eine künstliche Verteuerung der Energie werden wir nicht zulassen. Sie wollen die SVP zur Wirtschaftspartei Nummer eins machen? Blocher: Punkto Ordnungspolitik sind wir seit Jahren die führende Partei. Dazu passt das Ja zur 18-Prozent-Initiative aber ganz und gar nicht. Blocher: Eine Partei entscheidet nie ganz lupenrein ordnungspolitisch. Doch die Gesamtbilanz der SVP ist erfreulich. Wird die SVP, wenn Ogi zurücktritt, aus dem Bundesrat geworfen, wie es Christiane Brunner fordert. Blocher: Ich glaube es nicht, aber das war schon immer der Wunsch der Sozialdemokraten. Sie wollen uns draussen haben, dann werden sie stärker in der Regierung. Das müssen vor allem die andern bürgerlichen Parteien entscheiden. Wir sind ja heute schon halb draussen. Obwohl wir die stärkste Partei sind, haben wir nur einen Sitz im Bundesrat. Das ist ein Auftrag zu vermehrter Opposition. So gesehen ist das Ja zur 18-Prozent-Initiative nur logisch. Blocher: Wenn wir zwei Bundesräte hätten und diese beiden Bundesräte in der Partei verankert wären, hätten die mit der Partei vorher reden müssen. Die hätten dann den SVP-Delegierten erklären können, warum eine Regierungspartei, die zwei Sitze im Bundesrat hat, gegen diese 18-Prozent-Initiative antreten müsste. Aber sie hätten auch darlegen müssen, was zur Lösung des Ausländerproblems getan wird. Herr Blocher, wir kommen vom Eindruck nicht los: Im Grunde genommen finden Sie es ganz gut, dass die SVP die Ja-Parole ausgegeben hat. Blocher: Nein. Ich bedaure das. Aber ich verachte die SVP-Delegierten deswegen nicht.

14.07.2000

«Herr Cavalli, ich möchte Sie bitten, sauber zu denken»

Streitgespräch mit Nationalrat Franco Cavalli im Tages Anzeiger vom 14. Juli 2000 Ein Streitgespräch zwischen dem Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher und dem Tessiner SP-Fraktionschef Franco Cavalli zu Faschismus und Sozialismus - und zur Frage, ob die Sozialdemokraten immer noch darauf hinarbeiten, den Kapitalismus zu überwinden. Autor: Das Gespräch führten Jean-Martin Büttner und Markus Somm Franco Cavalli, Ihre Partei wird von Christoph Blocher heftig kritisiert. In seiner Streitschrift "Freiheit statt Sozialismus" wiederholt er seine Faschismusvorwürfe an die SP. Und in der Sommersession, nach den Bundesrichterwahlen, hat er Ihre öffentlichen Kommentare zu zwei SVP-Kandidaten sehr scharf verurteilt. Nehmen Sie solche Anwürfe politisch oder persönlich? Franco Cavalli: Ich behaupte von mir, tolerant zu sein und die Diskussion nicht zu personalisieren. Es passiert sehr selten, dass ich mich persönlich getroffen fühle. Aber als Herr Blocher und SVP-Fraktionschef Walter Frey mich in der Bundesversammlung so angegriffen haben, habe ich mich persönlich getroffen gefühlt in einer Weise, die ich nicht akzeptieren kann. Christoph Blocher, Ihre Kritik war tatsächlich heftig, auch Herrn Cavalli gegenüber. Geht es Ihnen um Politik, oder spielt Persönliches mit hinein? Christoph Blocher: Politik hat immer auch mit Personen zu tun. Sie ist nicht nur Sache des Verstandes, sondern auch der Emotionen, das ist auch gar nicht schlimm. Das Vorgehen von Herrn Cavalli bei der Bundesrichterwahl erfüllte mich mit Wut, das sage ich offen. Und ich habe das Vorgehen als absolutistisch verurteilt, typisch für die politische Geisteshaltung der SP. Aber warum denn diese Verletztheit? Was teilte denn die SP alles aus, beispielsweise auf die Wahlen hin und vor der Bundesratswahl? Aber das darf auch sein. Doch selbst wenn ich wütend war auf Herrn Cavalli, auch wenn ich seine politische Grundhaltung verurteile, ist er für mich kein Feind. Immerhin haben Sie ihn uns gegenüber als Stalinisten bezeichnet. Blocher: Jawohl, Franco Cavalli ist Marxist, und Stalin hat den Marxismus vollzogen; Karl Marx hat dazu die philosophische Grundlage geliefert. Es musste zur Katastrophe kommen, denn das Kennzeichen des Marxismus ist, das Kollektive über das Individuum zu stellen. Die Reaktionen von Herrn Cavalli auf meine Streitschrift, seine angedrohte Strafklage, der Gesprächsboykott seiner Partei, die Aufforderung zur kollektiven Entschuldigung, die Diffamierungskampagne gegen unseren Bundesgerichtskandidaten, den er im Zusammenhang mit dem Grossvater seiner Frau in Sippenhaft nahm - das alles halte ich für ein stalinistisches Vorgehen. Herr Cavalli nimmt für sich in Anspruch, tolerant zu sein, aber gerade das ist er nicht. Toleranz gilt nicht nur der eigenen Meinung gegenüber. Cavalli: Ich halte Sippenhaft für abscheulich und weise den Vorwurf in aller Form zurück. Ich habe nie gegen die Bundesgerichtskandidaten der SVP intrigiert. Was den Marxismus betrifft, so habe ich mich nie als Marxisten bezeichnet. Es gibt einige grosse Denker, die meinen intellektuellen Werdegang beeinflusst haben, darunter Marx, Darwin oder Freud. Marx hat Prozesse beschrieben, die heute Allgemeingut sind, sogar in den Reden von Christoph Blocher. Wenn dieser zum Beispiel seinen Gegnern vorwirft, nur ihre Interessen zu vertreten, dann nimmt er eine marxistische Erkenntnis auf. Marx war der Erste, der sagte, die Politik sei nichts anderes als ein Kampf gegensätzlicher Interessen. Also anerkenne ich Marxens Einfluss. Aber ich war nie Mitglied einer kommunistischen Partei, und hätte ich in der Sowjetunion unter Stalin leben müssen, wäre ich mit meinem frechen Mundwerk höchstwahrscheinlich in einen Gulag gesteckt worden. Blochers intellektueller Fehler liegt in seiner Behauptung, Stalin habe nur ausgeführt, was Marx gefordert hatte. Doch Marx dachte libertär und sagte, letzten Endes müssen wir den Staat abschaffen. Für mich stellt der Stalinismus, kurz gesagt, eine autoritäre und diktatorische Entartung des sozialistischen Gedankens dar, genauso wie der Faschismus eine totalitäre und diktatorische Entartung des Kapitalismus ist. Von diesen Zusammenhängen müsste man ausgehen, und von diesen Zusammenhängen schweigt Christoph Blochers Schrift. Blocher: Sicher wäre es eine Unterschiebung zu behaupten, Karl Marx habe das erreichen wollen, was Stalin später angerichtet hat. Aber die Philosophie des Marxismus hat dorthin geführt. Genauso wie der Nationalsozialismus von seiner Lehre her zum Absolutismus führen muss, das ist gar nicht anders möglich. Dasselbe gilt auch für den Sozialismus, jedenfalls wenn er absolut in die Praxis umgesetzt wird. Der Liberalismus dagegen lehnt das Absolute ab - und zwar aus Prinzip, auch das Verabsolutieren des Richtigen. Dass Menschen ihre eigenen Interessen vertreten, war schon immer so, dazu brauche ich nicht Marx zu lesen, das ist nicht das Entscheidende an seiner Lehre. Sein Ziel war ganz klar die Überwindung des Kapitalismus, also die Abschaffung der freien Marktwirtschaft und des Privateigentums. Das wollte er überwunden haben, und interessanterweise steht dieser Satz im heute noch gültigen Parteiprogramm der schweizerischen Sozialdemokraten von 1982. Und auch wenn sie ihn nicht besonders ernst nehmen mögen, halte ich fest: Die SP hat bis heute nicht die Kraft gehabt, diesen Satz aus ihrem Parteiprogramm zu streichen; moderne sozialdemokratische Parteien in anderen Ländern haben sich davon distanziert. Cavalli: Typisch, wie Sie mit verschiedenen Begriffen um sich werfen, ohne Sie richtig zu definieren; so wird das Ganze völlig irrational. Zunächst: Marx hat vor allem eine wissenschaftliche Methodologie entwickelt, wie man die kapitalistische Gesellschaft untersucht. Er hat diese Untersuchung geführt und dabei verschiedene Gesetzmässigkeiten dieser Gesellschaft beschrieben. So unter anderem die Entwicklung von der Sklaverei über die Feudalgesellschaft zur kapitalistischen Gesellschaft hin zu einer sozialistischen Gesellschaft. Aber was für eine? Es ist fast lächerlich, wie zerstritten die sozialistischen Bewegungen immer gewesen sind. Es gibt keine absolute Lehre, ganz im Gegensatz zum Faschismus. Die skandinavische Sozialdemokratie hat ein ganz anderes Gesellschaftsmodell aufgebaut als der sowjetische Stalinismus; und auch sie beruft sich auf Marx. Herr Cavalli, will die SP Schweiz nun den Kapitalismus überwinden oder nicht? Cavalli: Das Wesen des Kapitalismus ist die stetige Vermehrung des Kapitals; Privateigentum und Marktwirtschaft hat es schon vorher gegeben. Wie viel Marktwirtschaft möglich ist in einer Gesellschaft, in der das Kapital nicht mehr vorherrschend ist, wird von Sozialisten seit jeher diskutiert. So gesehen spielt dieser Satz für uns derzeit keine Rolle. Blocher: Warum streichen Sie ihn dann nicht? Cavalli: Weil die Mehrheit der SP-Mitglieder diesen Satz immer noch als utopische Vision des Sozialismus empfindet - genau wie die Christen an den Himmel glauben. Was der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama behauptet hat, dass nämlich der Kapitalismus die letzte gesellschaftliche Entwicklung darstelle, ist pure ideologische Verblendung. Ich denke, dass sich noch andere Gesellschaftsmodelle entwickeln werden, warum nicht ein genossenschaftlicher Sozialismus? So gesehen stört mich dieser Satz nicht; er hat auch keinen Einfluss auf unsere jetzige Politik. Blocher: Herr Cavalli, Sie versuchen sich herauszureden. Sie haben erklärt, dass die Mehrheit in Ihrer Partei nach wie vor von der Überwindung des Kapitalismus träumt. Damit wollen Sie letztlich die Aufhebung von Privateigentum und Marktwirtschaft. Darum haben die sozialistischen Länder, und nicht nur die stalinistischen, das Privateigentum aufgehoben und verstaatlicht. Und auch die Schweizer Sozialdemokraten haben für dieses Vorgehen grosse Bewunderung gehabt. Man darf jetzt nicht so tun, als sei das irgendeine Nebensächlichkeit. Dass die Planwirtschaft als Alternative zur Marktwirtschaft nicht funktioniert hat, ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die meisten westlichen Sozialdemokratien davon Abschied genommen und erkannt haben: Es kann nicht unser Ziel sein, den Kapitalismus zu überwinden. Denn erst der Liberalismus garantiert das individuelle Recht auf Privateigentum sowie die Handels- und Gewerbefreiheit für alle. Cavalli: Ein extremer Neoliberalismus, wie ihn Herr Blocher verteidigt, ist fast nur in einer Diktatur wie in Chile durchsetzbar. Und dass der erste grosse Versuch, schnell und radikal den Kapitalismus zu überwinden, in Russland gescheitert ist, hat mit der extremen Rückständigkeit dieses riesigen Landes zu tun, ein Land, das die Demokratie nie gekannt hatte und bis heute nicht kennt, ein Agrarland fast ohne Industrie, ohne Erfahrungen mit Kapitalismus und Liberalismus. Schon Marx hat anerkannt, dass der Kapitalismus im Vergleich zum Feudalismus einen riesigen Fortschritt darstellte. Nur hören wir nicht auf zu glauben, dass noch etwas Besseres kommt. Blocher: Herr Cavalli, ich möchte Sie bitten, sauber zu denken. Erstens wurde an Ihrem Parteitag für diesen Programmpunkt gekämpft, der Satz war keine Nebensache. Zweitens bleibt die Überwindung des Kapitalismus Ihr Ziel, weil viele SP-Mitglieder gar nicht auf dieses Ziel verzichten wollen. Und das werfe ich Ihnen vor; denn die Verwirklichung führt zum Absolutismus und zur Armut. Beides beweist die Geschichte. Immerhin kann man bei Marx nachlesen, dass diese Überwindung nur möglich sei, wenn eine Mehrheit diese auch wolle. Blocher: Selbst wenn die Mehrheit das demokratisch bestimmen würde, ist das absolutistisch. Wenn Sie kein Privateigentum zulassen und keine Marktwirtschaft, dann steht das Kollektiv dermassen im Mittelpunkt, dass der Einzelne missachtet wird. Es ist mein Anliegen, das auszudrücken, weil Sie, Herr Cavalli, das nicht wahrhaben wollen. Im Grunde sprechen Sie der SP rundweg ab, eine demokratisch gesinnte Partei zu sein. Blocher: Nein, aber ich stelle fest: Die SP grundsätzlich zu kritisieren, wie ich das in meiner Schrift getan habe, kommt offenbar einer Gotteslästerung gleich: Links ist so gut, dass man es auch absolutistisch durchsetzen darf. Cavalli: Die sozialdemokratische Idee ist es gerade, eine Politik im Interesse der Mehrheit zu machen. Weil wir behaupten, dass der Kapitalismus in seinen extremen Formen nur dem Interesse einer kleinen Minderheit dient und alle anderen weltweit verarmen lässt. Wir wollen auch nicht, dass - wie heute - die 380 reichsten Männer der Welt, zu denen auch Herr Blocher gehört, genauso viel haben wie die Hälfte der übrigen Menschheit. Das finden wir nicht zulässig. Das heisst doch nicht, dass wir den Leuten das Haus wegnehmen wollen oder das Auto. Blocher: Mit Ihrer Steuerpolitik tun Sie es weitgehend. Cavalli: Lassen Sie mich ausreden. Wir sind weder für noch gegen das Privateigentum und die Marktwirtschaft. Wir sagen nur: Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der so viele Menschen wie möglich die gleichen Chancen haben sollen, dann gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen der Markt sehr gut funktioniert. Und eben andere, wo er überhaupt nichts taugt - etwa im Gesundheitswesen, aber auch in der Bildungspolitik. Also muss die Frage lauten: Welches Modell funktioniert am besten im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung? Und noch etwas zum Privateigentum: Sie behaupten immer, sowohl die Sozialisten wie die Nationalsozialisten hätten das Privateigentum verstaatlicht. Der Faschismus hat das Privateigentum nie beschränken wollen. Er hat der Grossindustrie vielmehr Sklaven zur Verfügung gestellt. Er hat alles getan im Interesse der Privatwirtschaft. Blocher: Der Faschismus hat das Privateigentum nicht respektiert. Cavalli: Ach was! Blocher: Warten Sie. Das Privateigentum ist ein Schutz des Einzelnen vor der Enteignung durch den Staat. Der Faschismus hat ganzen Bevölkerungsgruppen, etwa den Juden oder den Regimegegnern, das Eigentum weggenommen. In keinem Programm der NSDAP wird das Privateigentum in Frage gestellt, im Gegenteil. Und dass die Juden enteignet wurden, hat nichts mit Sozialismus und alles mit Antisemitismus zu tun. Blocher: Tatsache ist, dass die Nationalsozialisten das Privateigentum nicht für alle geschützt und garantiert haben. Und der Sozialismus hat das Eigentum allen weggenommen. Was jetzt schlimmer ist, lassen wir beiseite. Ausserdem haben beide Systeme Meinungsäusserungsfreiheit und Gedankenfreiheit unterdrückt. Und sie haben unvorstellbar gemordet. Auch darüber gibt es nichts zu diskutieren. Die geistigen Wurzeln beider Systeme führen zum Absolutismus; darum geht es mir. Der Nationalsozialismus ist zum Glück diskreditiert bis zum Letzten; aber der Sozialismus bleibt hoch im Kurs. Cavalli: Faschismus und Sozialismus lassen sich ganz einfach auseinander halten: Der Faschismus zeichnet sich dadurch aus, dass eine kleine herrschende Schicht mit Gewalt ihre Macht verteidigt. In allen Ländern, die faschistisch geworden sind, in Deutschland, Italien, Spanien, gelang dies nur, wenn die wirtschaftlich führenden Kreise, kurz: das Grosskapital, das gewollt haben. Darum stellte der Faschismus das Privateigentum eben gerade nicht in Frage.Das hätten diese Kreise nie und nimmer akzeptiert. Wahr ist aber auch, dass die SP sich offiziell sehr zurückhaltend über die kommunistischen Regimes im Osten äusserte. Die Dissidenten dieser Länder wurden konsequent ignoriert. Cavalli: Im Rückblick ist diese Kritik sicher berechtigt. Aber man muss auch verstehen, in welchem Kontext es zu diesen braven Verlautbarungen kam: Es herrschte der Kalte Krieg, man befürchtete die atomare Katastrophe. Daher war uns jedes Mittel recht, etwas zur Entspannung beizutragen. Und ich denke, das war auch völlig richtig, man musste die Verständigung fördern. Blocher: Es geht hier nicht um Verständigung, sondern um die Bewunderung für diese Unrechtsregimes. Sie rechtfertigen alles. Cavalli: Überhaupt nicht. Ich will es bloss erklären. Zum zweiten Punkt: Es gab zweierlei Dissidenten. Die einen waren gute Demokraten, andere aber - das sehen wir jetzt, gerade im Osten - waren schlicht Nationalisten, Reaktionäre, die den Zar zurückholen wollten. Es war damals nicht so einfach, die Lage richtig einzuschätzen. Ähnliches gilt übrigens selbst für die Sowjetunion. Zum Beispiel die Befreiungskriege in der Dritten Welt: Ohne die Unterstützung der UdSSR hätten viele antikoloniale Bewegungen doch keine Chance bekommen, und viele Völker hätten sich nie emanzipiert. Blocher: Die Sowjetunion unterstützte sie aus reinen Machtinteressen. Cavalli: Selbstverständlich. Dennoch kann man das Ergebnis dieser Politik nicht einfach leugnen. Oft geschah dies unter entsetzlichen Umständen. Warum sagt die Linke nicht: Wir haben die kommunistische Unterdrückung nicht sehen wollen, und das war ein grosser Fehler? Cavalli: Ich möchte nur daran erinnern, warum so viele Linke, aber auch fortschrittliche Bürgerliche, Staatsmänner wie Roosevelt und andere, gerade die Sowjetunion zunächst ganz anders betrachtet haben. Selbst unter Stalin: Als dieser Diktator es in den Zwanzigerjahren fertig brachte, sein Land, ein rückständiges armes Land, innert fünfzehn Jahren zu industrialisieren, waren sehr viele Menschen im Westen tief beeindruckt. Von den Massenmorden wussten sie nichts. Das erinnert fatal an die Aussage, Hitler habe immerhin gute Autobahnen gebaut. Cavalli: Nein, es geht nicht um Autobahnen, sondern um die Geschichte. Und die Geschichte hat eben gezeigt, dass jede Industrialisierung Opfer gefordert hat, auch im England des 18. und 19. Jahrhunderts. Blocher: Es ist unerträglich, wie Sie die kommunistischen Gräueltaten verherrlichen. Cavalli: Unsinn. Ich verherrliche überhaupt nichts. Ich versuche bloss zu erklären, warum die Linke auf einem Auge blind war. Und wie gesagt: nicht allein die Linke. Aber wenn ein Bürgerlicher heute die neoliberalen Reformen unter Pinochet in Chile lobt, hielten Sie dies für ebenso unerträglich. Cavalli: Auch hier würde ich Ethik und Geschichte unterscheiden. Ich habe linke Freunde, die bei der Weltbank arbeiten. Die sagen mir: Pinochet war ein Metzger, keine Frage. Aber er hat, verdammt noch mal, wirtschaftlich etwas zu Stande gebracht. Und Chile ist diesbezüglich weiter als manch anderes lateinamerikanische Land. Herr Blocher, wir schreiben das Jahr 2000. Was haben Stalin, Mussolini und Hitler mit der aktuellen politischen Debatte zu tun? Blocher: Sehr viel. Meine Schrift ist eine Auseinandersetzung mit dem Sozialismus. Äusserer Anlass waren die dauernden Vorwürfe der SP, die SVP habe irgendetwas mit faschistischen Strömungen gemein. Der Grund der Schrift ist aber ein anderer: Ich möchte die Grundfrage stellen: ob unser Staat sozialistisch oder freiheitlich sein soll. Ich könnte auch liberal sagen, aber dieser Begriff ist so abgedroschen: Alle sind liberal, die SP, die Berner SVP und so weiter. Wie Franco Cavalli wurde ich politisch in den Sechzigerjahren an der Uni geprägt: Sie waren auf der damals vorherrschenden sozialistischen Seite, ich auf der freiheitlichen. Wir sind alle 68er. Während Sie Marx lasen, stützte ich mich auf die grossen Liberalen wie Ludwig von Mises, Röpke oder Hayek. Kurz, es waren grundsätzliche Haltungen, die wir uns aneigneten. Heute werden solche Grundsatzfragen in allen Parteien kaum mehr diskutiert, und daher übersieht man, wie die Grundfrage nach der persönlichen Freiheit in der Realität grundsatzlos entschieden wird. Zum Beispiel bezeichnet man das, was man dem Bürger als Einkommen belässt, als Steuergeschenk. Offensichtlich sind wir bereits so weit, dass man davon ausgeht, dass alles zuerst dem Staat gehört. Das Gegenteil ist der Fall: Alles, was der Bürger erarbeitet, gehört zunächst ihm. Cavalli: Das ist doch Wortklauberei. So wie Sie behaupten, die Nazis seien Sozialisten, weil sie sich Nationalsozialisten nannten. Wie viele Volksparteien, die sich so bezeichnen, haben mit dem Volk zu tun? Blocher: Es ist doch interessant, wie sich der Sprachgebrauch entwickelt. Das sind schleichende Tendenzen. So hat vor kurzem ein freisinniger Nationalrat, Marc F. Suter, gar vorgeschlagen, der Staat müsse entscheiden, ob ein Argument, das in einer Abstimmungskampagne vorgebracht wird, wahr oder falsch ist. Der Staat bestimmt die Wahrheit einer Meinung. Dabei sind die Menschen nicht böse, die das fordern. Cavalli: Danke. Blocher: Aber es ist verwerflich. Es verrät eine Denkweise, gegen die ich einschreiten muss. Ed zeigt, dass Sie den Menschen nichts zutrauen; Sie pflegen ein pessimistisches Menschenbild. Für einen Liberalen ist es unerträglich, wenn der Staat bestimmen soll, welche Meinung wahr ist und welche nicht. Cavalli: Aber in gewissen Fragen kann für Sie der Staat nicht genug einschreiten und verbieten: In der Abtreibung zum Beispiel, in der aktiven Sterbehilfe, bei den Drogen: Da rufen gerade Sie lauthals nach dem Staat. Im Grunde sind Sie es, auch wenn Sie das Gegenteil behaupten, der ein pessimistisches Menschenbild hat. Sie glauben nicht an das Gute im Menschen. Blocher: Lassen Sie mich das begründen: Nach meinem Staatsverständnis muss der Staat Leben schützen. Wenn er dies nicht tut, schlägt der Stärkere den Schwächeren zu Tode - willkürlich. Als schützenswertes Leben gilt für mich auch das ungeborene. Daraus erkennen Sie auch, dass ich nicht einen unbegrenzten Liberalismus befürworte: Ich bin kein Anarchist. Aber die Sozialisten sind die Pessimisten, weil Sie mit ihrer Ideologie den Menschen von der Wiege bis zur Bahre betreuen, schützen und bevormunden wollen. Cavalli: Kein Sozialdemokrat sagt so etwas. Blocher: Aber sie tun es. Alles, oder fast alles muss nach Ihrer Auffassung geregelt werden, weil die Menschen es sonst nicht selber schaffen. Cavalli: Ich möchte auf diese Vorwürfe gar nicht weiter eingehen. Sondern bloss festhalten: Herrn Blocher geht es in erster Linie darum, eine gewissermassen irrationale Stimmung in der Öffentlichkeit herzustellen. Auch seine Schrift dient diesem Zweck: Die Bürger wissen bald nicht mehr, was wahr oder falsch ist - können nicht mehr rational entscheiden. Alle wissen zum Beispiel, dass die Sozialdemokraten in ihrer überwiegenden Mehrheit antifaschistisch eingestellt waren. Darüber besteht weder in der historischen Forschung noch in der Öffentlichkeit ein Zweifel. Blocher stellt diese Tatsache einfach auf den Kopf und behauptet das Gegenteil. Das verwirrt die Menschen, und darum geht es ihm. Herr Blocher, Sie kritisieren vergangene SP-Kontakte mit kommunistischen Regimes. Gleichzeitig machen Sie heute Geschäfte mit China - und helfen mit, ein kommunistisches Regime zu stabilisieren, ein Regime, das systematisch die Menschenrechte verletzt. Blocher: Ich kritisiere nicht vergangene SP-Kontakte, sondern die Bewunderung der kommunistischen Regimes. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, allein mit guten Menschen oder anständigen Ländern Geschäfte zu machen. Dies bedeutet aber nicht, dass ich die dortigen Verhältnisse bewundere. Ich lehne kommunistische Systeme ab. Aber wegen Kontakten verurteile ich niemanden. Unterstütze ich mit meinen Geschäften das chinesische Regime? Die gleiche Diskussion führten wir früher in Bezug auf den Osthandel. Soll man mit dem Ostblock wirtschaftliche Beziehungen pflegen oder nicht? Ich war auch damals der Meinung, man sollte dies tun. Denn die Erfahrung zeigt, dass der freie Handel absolutistische Regimes meist untergräbt. Handel führt immer zu Beziehungen - und man kann diese nicht in wirtschaftliche oder politische oder kulturelle aufspalten. Beziehungen sind Beziehungen - man macht ein Geschäft, und bald redet man auch über Menschenrechte und über Politik. Dem widerspricht zum Beispiel Amnesty International: Bis heute hat sich die Menschenrechtssituation in China in keiner Weise gebessert - trotz der Tatsache, dass es seit 1983 westlichen Handel und westliche Fabriken zulässt, die dann die Arbeiter zu oft härtesten Bedingungen schuften lassen. Blocher: Ich selbst erlebe in China das genaue Gegenteil. Doch ich halte es ohnehin nicht für meine Aufgabe, in China andere Verhältnisse herzustellen - übrigens auch in Amerika. Mir gefällt die Todesstrafe in den USA auch nicht. Trotzdem mache ich in Amerika Geschäfte. Können Sie diese Position nachvollziehen, Herr Cavalli? Cavalli: In der Tat ist der Fall China gar nicht so einfach. Je rückständiger ein Land ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass es autoritär oder undemokratisch regiert wird - das zeigt die historische Erfahrung. So gesehen ist es zu begrüssen, wenn sich China wirtschaftlich - auch mit Hilfe des Westens - entwickelt. Das schafft immerhin die Möglichkeit, dass sich einmal demokratischere Verhältnisse einstellen. Doch dies ist keine zwingende Folge - wohlverstanden. Einen anderen Fall stellte Südafrika dar: Hier war offensichtlich, dass jede wirtschaftliche Entwicklung bloss das Apartheid-Regime stabilisiert. Daher waren wir für den Boykott. Blocher: Das ist nicht wahr. Die multinationalen Unternehmen haben sehr viel dazu beigetragen, dass die Apartheid überwunden wurde. Gute Politiker sind zu Selbstkritik bereit. Was bedauern Sie im Nachhinein? Was haben Sie in der Debatte der vergangenen Monate falsch gemacht? Blocher: Ich sehe nicht ein, warum öffentlicher Streit ein Unglück sein soll. Im Gegenteil, Konflikte werden zu selten ausgetragen, zu oft und zu früh beigelegt. Mir ging es darum, eine meiner Meinung nach verhängnisvolle Entwicklung zum Thema zu machen: Die schleichende Versozialisierung unserer Gesellschaft. Dies ist mir nur teilweise gelungen. Ich müsste das Thema in Zukunft noch viel stärker lancieren, noch breiter streuen. Das als Kritik an meinem Vorgehen. Cavalli: Selbstkritik? Nur zum Teil. Ich glaube, es war völlig richtig, dass sich unsere Partei gewehrt hat. Denn viele Leute schienen bald zu glauben, was Blocher behauptet. Seine Vorwürfe, seine Vergleiche waren für uns schlicht inakzeptabel. Deshalb haben wir von der SVP eine Klarstellung, eine Distanzierung verlangt. Und Parteipräsident Ueli Maurer hat diese zu unserer Befriedigung auch geleistet. Was aber haben wir falsch gemacht? Ich bedaure, dass es uns bisher nicht gelungen ist, eine eigene Gegenschrift zu verfassen. Ich hoffe, dass wir sie noch zu Stande bringen.