1. August-Rede 2011 auf dem Eggplatz in Unterlangenegg / BE

Ansprache von a. Bundesrat Christoph Blocher, gehalten am 31. Juli 2011

Gruss der Schwarzenegger Bevölkerung,
den Bernerinnen und Bernern,
Liebe Miteidgenossen,
Liebe Geburtstagsgäste,


Willkommen zur 720. Geburtstagsfeier

Wir sind heute hier auf der Schwarzenegg – einem wundervollen Ort am Übergang vom Berner Oberland zum Emmental – zusammengekommen, um den 720. Geburtstag der Schweiz, unseres Heimatlandes, zu feiern. Und Sie haben mich zur Festrede geladen. Das ist für mich Ehre und Besonderheit, insbesondere, weil dieser kleine Erdenfleck Geburtsort von geschichtsträchtigen, sehr verdienstvollen Persönlichkeiten ist.

Ich rede von Ulrich Ochsenbein, dem Erfinder der modernen Schweiz, und Karl Lennart Oesch, 1944 bedeutender finnischer General unter Mannerheim im Grossangriff der Russen.

Gut eidgenössische Art Geburtstag zu feiern

So also dürfen wir in gut eidgenössischer Tradition den Geburtstag unseres Landes feiern: Bescheiden, in zahllosen Gemeinden der ganzen Schweiz, mit Festansprachen, Höhenfeuern, mit Landeshymne, in Freude und Dankbarkeit.

Jede Feier ist stellvertretend die Feier für das ganze Land. Eine zentrale staatliche Feier will die Schweiz nicht. Doch wann ist die Geburtsstunde eines Landes? Länder kommen nicht wie Menschen in einer genau zu bestimmenden Minute auf die Welt. Oft wurden sie « von oben »  konstruiert, gegründet und geschaffen: Durch Beschlüsse und Dekrete von Kaisern, Königen oder andern Staatsoberhäuptern. Nicht so die Schweiz. Sie ist gewachsen, von unten, von Bürgern, die sich selbständig machen wollten. Gleichsam Rebellen, die sich gegen eine sie unterjochende Obrigkeit erhoben.

Die Geburtsstunde der Schweiz

Aber einzelne geschichtliche Ereignisse sind doch auszumachen. So eben zum Beispiel das Jahr 1291, als mitten im Sommer ein paar einfache Landsleute im Bundesbrief ihren Willen zu Unabhängigkeit und Selbstbehauptung zum Ausdruck brachten. Darum gilt 1291 als Geburtsjahr der schweizerischen Eidgenossenschaft, und darum dürfen wir heute den 720. Geburtstag feiern.

Unsere Geburtsurkunde ist äusserlich kein grossartiges Dokument:
–  Eine einzige Pergamentseite bloss, 25 cm hoch und 32 cm breit,
–  beginnend mit der Anrufung Gottes: « Im Namen Gottes des Allmächtigen »
bis heute Überschrift der schweizerischen Bundesverfassung.

1291 gelobten sich in feierlicher Stunde die Landsleute von Uri, Schwyz und Unterwalden:
–  In Zukunft keine fremde Herrschaft zu dulden;
–  keiner solle sich straflos gegen Ruhe und Ordnung vergehen
–  nur noch eigene Richter (Regierung) sollen geduldet werden. Also keine Fremdherrschaft.

Dieser Bundesbrief gilt als die Geburtsurkunde unseres Landes, weil damit klar wurde:

Die neu gegründete Schweiz
–  will Freiheit
–  will keine fremden Richter (was damals der Name für die Obrigkeit schlechthin war!)
–  will die Zukunft selber bestimmen
–  schafft selbst Ruhe und Ordnung
–  Nur Gottes Allmacht soll anerkannt werden

Meine Damen und Herren, dieses kurze Dokument ist wie in Stein gemeisselt für alle Zeiten gültig. Und stets aktuell. Auch heute wieder.
Wir wissen, dass in der Geschichte oft ausländische Mächte den Schweizern diese Freiheit nehmen wollten, aber auch, dass die Freiheit von Innen immer wieder in Frage gestellt wurde und wird.

Freiheit, Unabhängigkeit und der Wille zur Selbstbestimmung sind Grundelemente unseres schönen, kleinen, aber freiheitlichen Landes.
Und darüber – meine Damen und Herren – diese Grundelemente sind zu wahren. Wer diese preisgibt, gibt das Land preis. Und darüber gibt es nichts zu verhandeln, weder in Brüssel – unter dem Begriff « institutionelle » Anpassung – noch sonst wo.

Arglist der Zeit

Meine Damen und Herren

Der Bundesbrief wurde – so steht es geschrieben – « in der Arglist der Zeit » beschlossen. Es waren 1291 die Habsburger, die den Eidgenossen die Freiheit rauben wollten. Aber in den letzten 720 Jahren hat unser Land viele « arglistige Zeiten » erlebt. Das wusste schon der Bundesbrief, dass dem so sein werde. Darum wurde festgehalten, « sich mit aller Kraft dafür einzusetzen », auch wenn dies gefahrvoll und mit Opfern verbunden is

Das musste denn die Schweiz im Laufe der Geschichte auch genügend tun.

In den vielen Schlachten – z.Bsp. Morgarten, Sempach, Näfels  und vielen mehr – oder für die Berner – in  den Burgunderkriegen, dann in den Schlachten im Schwabenkrieg, später in den verlorenen Schlachten in der Napoleonszeit, oder auch der Sonderbundskrieg, der leider ein Bruderkrieg im eigenen Land war, im ersten und zweiten Weltkrieg durch ein Grossaufgebot von Land und Armee.

Doch leider zeigt sich in der Geschichte auch Anderes: Nicht nur Widerstand, sondern leider auch Anpassung gab es stets im eigenen Land.
Persönlichkeiten fühlten sich oft zu fremden Mächten hingezogen  – sei es, dass sie am Erfolg der Schweiz zweifelten oder aber, weil sie sich von Grösse und Macht blenden liessen. Das gilt auch heute wieder:

Wie gebannt fühlt man sich
–  zur Europäischen Union und andern internationalen Gebilden hingezogen,
–  man akzeptiert unbesehen internationales Recht und so genanntes Völkerrecht
–  und vergisst, dass auch dies alles fremde Herrscher sind. Sie müssen nicht in Form fremder Heere kommen.
Die fremden Vögte kommen auf leisen Sohlen, am leichtesten mit Absprachen von Schweizern in führender Stellung.

Druck als Konstante

Meine Damen und Herren, die Schweizer Geschichte zeigt eine andere Konstante: Der Druck aus dem Ausland auf die schweizerische Freiheit. Und ebenso konstant waren auch kleinmütige Kreise in der schweizerischen Classe politique, die diesem Druck nachgeben wollten.

Aber die Dritte – erfreuliche – Konstante:

Stets konnte die Schweiz  diesem Druck – aufs Gesamte gesehen – Stand halten bis zum heutigen Tag.

Darum feiern wir hier und heute in Schwarzenegg in Freude und vor allem in grosser Dankbarkeit den 720. Geburtstag unserer Eidgenossenschaft. Am Geburtstag soll der Ruf erschallen: « Hütet Euch vor den Druckversuchen gegen unsere Freiheit. »

Der Geschichte treu bleiben

Dem Schweizervolk und vor allem ins Bundeshaus hinein sei gerufen:

Bleibt Euch und Eurer Herkunft treu! Beachtet Eure Geschichte.

Wer dem Volk die eigene Geschichte raubt, wer all die Völkersagen, Mythen und Legenden der eigenen Vergangenheit ausrottet, macht das Land heimatlos und bringt ein Volk dazu, sich selbst aufzugeben. Es ist dann ein leichtes, das Volk irgendwo einzugliedern.1291 wäre es ins Reich der Habsburger gewesen. 2011 ins Reich der Europäischen Union. Freiheit, Unabhängigkeit und direkte Demokratie wären dahin.

Darum, meine Damen und Herren, die Schweiz verteidigen heisst, dem Druck von Kreisen im eigenen Land und dem Druck von ausländischen Ländern auf die Unabhängigkeit Stand zu halten.

Bundesstaatsgründung 1848 (insbesonders das Verdienst des Schwarzeneggers Ulrich Ochsenbein)

Meine Damen und Herren, Liebe Festgemeinde,

mit dem Bundesbrief von 1291 ist zwar die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung begründet, aber nicht abgeschlossen worden. Mit der wachsenden Zahl der Kantone, vor allem aber auch nach dem Einmarsch Napoleons in die Schweiz von 1798 und nach 50 Jahren dauernder Fremdeinmischung in die Schweiz wollten mutige Schweizer das Heft wieder neu und selber in die Hand nehmen. Es galt, den Bundesbrief aufzunehmen, anzupassen und einen eigenen Bundes-staat mit einerseits der Garantie der Unabhängigkeit, der immerwährenden Neutralität, der Landesverteidigung im Kampf gegen äusseren Druck und anderseits den Föderalismus, die demokratischen Volksrechte und viele Grundrechte der Bürger in der Bundesverfassung von 1848 festzuschreiben und dieselben demokratisch zu beschliessen.

Das wurde nicht nur gewollt und gesagt, sondern getan.
Es war die Gründung der modernen Schweiz.

Ulrich Ochsenbein

Und in dieser Situation, meine lieben Schwarzenegger, in dem entscheidenden Augenblick stand ein Mann an vorderster Stelle, der hier in Schwarzenegg 1811 geboren wurde und seine ersten – ich sage die entscheidenden – 7 Lebensjahre hier verbracht hat.

Ich spreche von Ihrem hochzuachtenden Mitbürger Ulrich Ochsenbein – hier nebenan im alten Bären geboren, wo sein Vater Gast- und Landwirt und Rosshändler war. Sie können stolz sein auf Ihren Mitbürger, Ulrich Ochsenbein, der zeitlebens den Kampf um Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit und Neutralität  führte. Ohne Ochsenbein gäbe es wohl die heutige Schweiz nicht. Schon als 23-Jähriger schrieb Ochsenbein:

« Retten wir die Ehre und das Dasein eines freien und unabhängigen Staates und Volkes! »

Ochsenbein wurde Generalstabsoffizier, bedeutender militärischer Kommandant, Bernischer Regierungspräsident, Präsident der Tagsatzung und der vorberatenden Kommission für die neue Verfassung der Schweiz. Er wurde Mitglied des ersten Bundesrates. Dank ihm entstand in nur 51 Tagen eine neue Bundesverfassung, die wohl den stabilsten, friedlichsten, freiheitlichsten, wohlhabendsten und demokratischsten Staat der Welt bis zum heutigen Tag begründete. Natürlich passte dies den europäischen Grossmächten nicht. Sie drohten der Schweiz. Wieder einmal mehr.
Frankreich liess sogar Truppen aufmarschieren. Ochsenbein trat entschieden entgegen – mit Erfolg.

Meine Damen und Herren, die Schweiz verdankt Ochsenbein viel! Er wird zu Recht als « Erfinder der modernen Schweiz » bezeichnet.
Doch je erfolgreicher Ochsenbein die gute Sache vorwärtstrieb, desto stärker wurden die Widerstände seiner Gegner im Landesinnern. Neid, Missgunst und Karrieregelüste führten zu Machenschaften und Intrigen, welche die Anliegen Ochsenbeins zu hintertreiben suchten. (Auch solches ist uns ja nicht ganz fremd: « Es gibt nichts neues unter der Sonne. ») Am meisten zu schaffen machten Ochsenbein seine früheren Kampfgefährten aus dem eigenen Kanton und dem eigenen politischen Lager. Diese organisierten denn auch die hinterhältige Abwahl aus dem Bundesrat. Ochsenbein stand da – als 43-Jähriger – mit Frau und acht Kindern. Ohne jeden Lohn. Er musste schliesslich sein Lebensende – für ihn besonders schmerzhaft – als französischer General verbringen, so dass er, gleichsam als Vertriebener, schrieb:

« Jedenfalls schmerzt es mich tief, mein Vaterland, das mir stets so teuer war und teuer sein wird, verlassen zu müssen. Schweizer und Republikaner werde ich überall bleiben. »

General Karl Lennart Oesch (1892-1978)

Ochsenbein hatte eine grossartige strategische und militärische Begabung. Wo er eingesetzt wurde, fand er grosse Anerkennung. Diese militärische Begabung scheint dem Schwarzenegger Boden zu entsprechen, denn dieser Ort brachte auch ein anderes militärisches Talent hervor: General Karl Lennart Oesch, von vielen als « Retter Finnlands »  bezeichnet. Sein Vater Christian Oesch hat 1880 mit seiner Frau die Heimat in der Nähe von Schwarzenegg verlassen, um sich als Käser in Finnland eine eigene Existenz aufzubauen.

Seinem Sohn Karl wurde 1944 in einer fast aussichtslosen Situation fast zwei Drittel der finnischen Armee unterstellt, um den russischen Grossangriff abzuwehren. Die zahlenmässige Überlegenheit der Russen war unglaublich. Was hat Oesch – der General mit Schweizer (genauer Schwarzenegger) Wurzeln getan?

Er tat ähnliches, wie der Schweizer General Henri Guisan. Dieser konzentrierte die ganze Armee in einem Alpenriegel – dem « Reduit ». Oesch zog ebenfalls alle Truppen zusammen in ein Reduit in der Südwestecke Finnlands. Und es gelang ihm, die russische Invasion zu stoppen, so dass Finnland am Ende des Krieges eine bessere Friedensordnung erreichte. Auch auf diesen Landsmann Karl Lennart Oesch darf Schwarzenegg stolz sein.
Und umgekehrt war Oesch stolz auf sein Land, denn er sagte immer wieder: „Geboren bin ich in Finnland, von der Herkunft aber bin ich eindeutig Schweizer.“

Auch General Oesch erhielt keine Loorbeeren für seine grossartige Leistung, sondern der Dank war 3 Jahre Russische Gefangenschaft. Er hat sich – nach Finnland zurückgekehrt – darüber nie beschwert.

Schlusswort

Meine Damen und Herren, so wollen wir am 720. Geburtstag unseres Landes all jenen danken und gedenken, die sich in der 720- jährigen Geschichte stets mutig hingestellt haben, um für die Freiheit unseres Heimatlandes, die schweizerische Eidgenossenschaft, zu kämpfen.

Also – selbstredend hier:
–  den alten Eidgenossen, die 1291 den Bundesbrief besiegelten,
–  als auch Ihrem grossen Mitbürger Ulrich Ochsenbein, dem Erfinder der modernen Schweiz.
–  aber auch Karl Lennart Oesch, der – stellvertretend für die Auslandschweizer – für unser Land Ehre eingelegt hat.

Ich bin überzeugt, dass wir Schweizer, wenn wir den Leitlinien des alten Bundesbriefes und der Bundesverfassung folgen, als ein freies unabhängiges Land bestehen können und so auch den 721. Geburtstag in Freiheit und Unabhängigkeit  feiern können.

Ich wünsche Ihnen
– liebe Schwarzenegger,
– liebe Miteidgenossinnen,
– liebe Miteidgenossen,

viel Wohlergehen und eine sichere Zukunft in Freiheit.

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