Gespräch mit Christoph Blocher

Interview im »Schweizer Monatsheft»

Herr Blocher, was halten Sie von einem Quiz?

Das kommt auf die Quizfrage an.

Warum haben wir ein chronisches Regierungsproblem? Antwort eins: Es ist ein Problem der Institutionen bzw. Wahlmechanismen. Antwort zwei: Es ist ein Problem der Persönlichkeiten bzw. ihrer Prinzipien.

Die Regierungskrise ist eine Folge der unbefriedigenden Bundesrats-wahlen. Sie sind zu einem unappetitlichen Gesellschafts- und Karrierespiel ausgeartet. Wer will noch? Wer hat noch nicht? Wer ver-zichtet, obwohl er gar nie gefragt wurde? Niemand fragt: Wer ist fähig? Wer vertritt glaubwürdig klare Positionen? Wer hat die Kraft, zu streiten und sich in die Konkordanzregierung einzubringen?

Es sind die Parteien, die dieses Spiel orchestrieren.

Ja, weil das Parlament – der Wahlkörper – aus Parteipolitikern besteht. Es geht diesem Land seit 50 Jahren gut, besser jedenfalls als unseren Nachbarn. Als Unternehmer weiss ich: Gute Zeiten sind gefährlich. Der Zwang zur Leistung fehlt, die Kultur der Ernsthaftigkeit verlottert. Gute Zeiten spülen meist schwache Leute in die Spitzenpositio-nen.

Die Parteien bezeichnen starke Persönlichkeiten als nicht „konsensfähig“ und halten ihre Parlamentarier an, sie nicht zu wählen.

Hier vermischen sich zwei irrige Meinungen. Erstens: Was ist eine starke Persönlichkeit? Nicht eine, die sich an der staatlichen Macht berauscht, sondern eine, die freiheitlich denkt und sich an die Devise hält „Nur so viel Staat wie nötig!“. Zweitens: Die Rede von der „Konsensfähigkeit“ ist dummes Zeug. Die Konkordanz funktioniert nur, wenn starke Personen in den Bundesrat gewählt werden, die die Positionen ihrer Partei glaubwürdig vertreten. Sonst ist es eine blosse Scheinkonkordanz. Die Konkordanz will bewusst eine Regierung in der die vier grössten  Parteien vertreten sind, mit je verschiedener Auffassung. Anspruchsvoll, aber machbar.

Die Polarisierung fiel damals weniger ins Gewicht.

Die Linken waren früher viel provokativer als heute, weil sie einem geschlossenen bürgerlichen Block gegenüberstanden. Die Politiker hatten mehr Kampfgeist, waren aber gleichzeitig toleranter. Sie wussten: Erst wenn unterschiedliche Positionen in den Bundesrat einfliessen, kann sinnvoll über einen Kompromiss gestritten werden. Heute hingegen denken viele: Zuerst muss man seine Positionen preisgeben oder am besten gar keine haben, und dann einigt man sich mit den anderen am schnellsten. Oft wählt man harmoniefähige Konsensfiguren in den Bundesrat und wundert sich, wenn die Bundesräte von einem Fettnäpfchen ins nächste treten. Typische Erscheinung guter Jahre – auch in  der Wirtschaft.

Die Bundesräte sind so harmoniesüchtig wie viele ihrer Miteidgenossen.

Viele Politiker sind heute oft vor allem daran interessiert, ein gutes Ämtchen zu bekommen und Karriere zu machen. Als Bundesrat ist man angesehen, hat einen guten Lohn, eine schöne Pension. Aber wo sind die Leute, mit dem Motiv: « Auf in die Regierung, um zu sorgen, dass es den Schweizern – nicht mir selbst – gut geht, weil wir dem Druck der EU, dem Druck der USA standhalten müssen! »

Hier liegen die Schwierigkeiten. Denn was ist das Wohl des Landes? Darüber besteht eben keine Einigkeit.

Darüber muss auch keine Einigkeit bestehen. Jeder soll seine Vorstellung im Bundesrat einbringen, deshalb wurde er ja gewählt. Dann wird gestritten, abgewogen – der errungene Kompromiss ist eine gute Sache, aber nur der errungene.

Warum halten Sie wie alle anderen auch an dieser Konkordanz fest? Die Idee ist nicht gottgegeben, sondern gilt erst seit 1943, als der erste SP-Vertreter in den Bundesrat gewählt wurde.

Eine Konkordanzregierung, in die die grössten Parteien eingebunden sind, macht in der Schweiz Sinn. Denn in der direkten Demokratie ist das Volk die wahre Opposition. Es hat die Möglichkeit Nein zu sagen. Zweitens: Es ist einfacher, unter sieben Leuten einen Kompromiss zu erzielen als unter 200 wie im Parlament. Und drittens: Wir haben mit der Konkordanz gute Erfahrungen gemacht. Warum sollen wir das Bewährte ändern?

In einer zerfahrenen Lage sollte man zumindest einmal über ein System von Regierung und Opposition nachdenken, wie wir es vor 1943 kannten.

Dafür ist es zu früh. Die Bevölkerung will die Konkordanz, das sehen Sie in den Exekutivwahlen der Kantone. Sie will, dass alle grösseren Parteien mit verschiedenen Positionen in der Regierung vertreten sind. Den Vorschlag unserer Partei kennen Sie: Volkswahl des Bundesrats. Damit würden die Parteienspielchen endlich weitgehend beendet.

Führt die Mediengesellschaft die Arbeitsmethoden des Bundesrats nicht ad absurdum? Jede Woche werden neue Indiskretionen bekannt.

Das stimmt. Aber nicht die Medien sind das Problem, sondern die läppische – auch verlogene – Geheimniskultur. Es gibt zu viele Ge-heimnisse, die gar keine sind. Die Bundesratssitzungen müssten eben öffentlich sein, damit die Bürger auch sehen, wie die Bundesräte un-tereinander streiten. Das gäbe Vertrauen in die Regierung. Damit würden auch Spielchen im Bundesrat unterbunden. Ich weiss aus Erfah-rung: Es gibt da die seltsamsten Manöver und Versteckspiele.

Keine Amtsgeheimnisse mehr und dafür gläserne Bundesräte?

Gläsern nicht – aber transparent. Geheimnis nur, wo dies die Sache gebietet. Es gibt natürlich Personelles, Sicherheitsfragen oder Abmachungen mit dem Ausland, die nicht öffentlich verhandelt werden sollten. Diese Dinge sind dann aber wirklich geheim und Vertraulich zu behandeln.

Bei der Volkswahl des Bundesrats könnten sich Regierung und Parlament auf den Volkswillen als Quelle der Souveränität berufen. Das gäbe endlose Debatten.

Das glaube ich nicht. Es wäre ein gutes System von Checks and Balances, (wie wir es heute in allen Kantonen haben). Die Exekutive stünde ja nicht über der Legislative, aber sie wäre unabhängiger von ihr, müsste aber mehr auf die Bürger hören als heute. Bundesrat und Parlament könnten auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Wichtig ist jedenfalls: Wenn das Volk statt das Parlament den Bundesrat wählt, wird die Wahl wieder zu einer ernsthaften Angelegenheit, wie in den Kantonen und Gemeinden.

Wären Sie auch für eine Volkswahl des Bundespräsidenten?

Nein. Ein starker Präsident würde dem nonzentralistischen Staatsmodell der Schweiz widersprechen. Das bisherige Modell mit einem primus inter pares, der ein Jahr das Präsidentenamt bekleidet, hat ganz gut funktioniert.

Damit bleiben wir der Binnenperspektive verhaftet. Ausländische Regierungen brauchen einen verlässlichen Ansprechpartner über mehrere Jahre.

Das wird völlig überschätzt. In meiner nur vierjährigen Amtszeit war ich am Schluss der amtsälteste Sicherheits- und Justiz-Verantwort-liche von allen ausländischen Kollegen. Eine Konstanz gibt und braucht es nicht. Schauen wir zurück in die Geschichte. Zweiter Weltkrieg, Nachkriegsverhandlungen mit den Amerikanern, WTO-Ver-handlungen – unsere Bundesräte haben das sehr gut hinbekommen. Warum? Weil sie nicht selbst verhandeln gingen. Das bundesrätliche Verhandeln widerspricht unserem System, da ein Bundesrat nicht allein entscheiden kann. Deshalb schickt er seine Diplomaten und Direktoren und führt die Verhandlungen von hinten. Früher galt die Regel: Ein Bundespräsident bleibt zu Hause. Da gehört er hin, und da kann er Probleme lösen.

Die ausländischen Regierungen dürften aber für unser System kaum Verständnis haben.

Meine Erfahrung lehrt mich das Gegenteil. Unternehmensführer, aber auch Staatsleute aus allen Herren Länder haben grossen Respekt vor Traditionen. Das Problem ist, dass wir nicht mehr in Übereinstimmung mit unseren Prinzipien handeln.

Sie halten nicht viel von den kursierenden Vorschlägen für eine Regierungsreform?

Sieben oder neun Bundesräte? Ein einjähriges oder zweijähriges Präsidium? Die Einführung von Staatssekretären, damit die Bundesräte mehr Zeit haben, um aufzutanken und in der Welt herumzureisen? Lassen wir doch diesen Chabis. Wählen wir besser, dann regieren sie besser. Es ist einfach!

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