Streitgespräch mit Fulvio Pelli

Interview in der «Zürcher Landzeitung» vom 4. November 2009 mit Lukas Odermatt

Fulvio Pelli, von der FDP ist in Sachen Klumpenrisiko wenig zu hören gewesen. Fassen Sie als Verwaltungsratspräsident der Tessiner Kantonalbank im Eingeninteresse die Kollegen der Grossbanken mit Samthandschuhen an?

Pelli: Das ist eine lustige Frage. Aber die Kantonalbanken gehören ja nicht zu den Banken, die ein Klumpenrisiko darstellen. Wir wollen, dass die Schweiz ein Bankenplatz bleibt. Bankenplätze ohne Grossbanken gibt es aber nicht. Neue Regeln müssen auf den Bankenplatz Rücksicht nehmen. Es darf daher zu keiner Überregulierung kommen.

Christoph Blocher, Sie schlagen quasi die Zerschlagung der Grossbanken vor. Ist das Ihre späte Rache, weil sie 1991 nach zehn Jahren aus dem Verwaltungsrat der Bankgesellschaft geflogen sind?

Blocher: (lacht) Nein. Die Schweiz soll ein wichtiger Bankenplatz bleiben. Aber wir haben Grossbanken, die so bedeutungsvoll geworden sind, dass sie den Staat bei schlechtem Geschäftsgang in den Bankrott reissen können.. Too big to fail! – zu gross um zu sterben! Das darf es nicht geben. Die Schweiz haftet faktisch mit einer Staatsgarantie. Das muss sich ändern. Würden beide Grossbanken – z.B. wegen Problemen in den USA – ins Trudeln kommen, zahlt die Schweiz.

Herr Pelli, für Sie stellt das Klumpenrisiko kein Problem dar?

Pelli: Das Systemrisiko existiert hier wie in andern Ländern auch. Unser Bankenplatz hat Systembedeutung für die Volkswirtschaft. Mit diesem Risiko müssen wir leben. Kein System ist ohne Risiken. Wir müssen sie eingrenzen, abschaffen können wir sie nicht, ausser wir verzichten auf Grossbanken. Dann wird eine ausländische Bank zum Klumpenrisiko, weil kleine Banken von ausländischen Banken übernommen werden können. Doch diese wird gleiche Risiken eingehen wie die UBS. Die Schweizer Banken hätten keine Chance, international tätig zu sein.

Blocher:. Es geht um die Existenz der Schweiz! Die Bilanzsumme der beiden Grossbanken ist fünfmal grösser als das ganze Bruttoinlandprodukt. Dasjenige der grössten Banken in den USA ist nur das 0,9-fache. Das grosse Risiko ist nicht die Tätigkeit der Banken in der Schweiz, sondern das Engagement im Ausland, vor allem in den USA. Es ist dafür zu sorgen, dass diese amerikanischen Gesellschaften  im Konkursfall nicht auch die schweizerischen Geschäftsbanken mitreissen.

Pelli: Die Welt ist nicht nur schwarz-weiss. Wir hatten eine Krise, die aufgrund von Entscheiden einer Bank entstanden ist. Die UBS hat strategische Fehlentscheide getroffen. Daraus müssen wir lernen. Die Finanzmarktaufsicht Finma hat mit Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften auf die Fehler reagiert. Hätte damals die Finma ihre Aufsicht wahrgenommen, hätten wir vielleicht die Krise nicht gehabt.

Blocher: In der Wirtschaft ist das Risiko von Fehlentscheiden stets vorhanden. Die Politik hat aber dafür zu sorgen, dass dann nicht die ganze Volkswirtschaft mitgerissen wird.. Es ist erfreulich, dass auch die Nationalbank heute so denkt.

Daher wollen Sie, Herr Blocher, die Grossbanken nun zerschlagen?

Blocher: Nein, es braucht neben einer Neuordnung des Konkursrechts und neuen Eigenmitteln auch Vorschriften zur Entflechtung, nicht Zerschlagung! Z.B. müssen die ausländischen Banktätigkeiten als selbstständige Tochtergesellschaften geführt werden, ebenso die schweizerischen. Die Gesellschaften  könnten unter einer gemeinsamen Holding stehen. Im Falle eines Konkurses einer dieser Gesellschaften wird vielleicht auch die Holding in den Abgrund gezogen. Aber – und das ist entscheidend – nicht die schweizerische Tochter. Der Staat hätte nicht einzugreifen.

Pelli: Das ist illusorisch. Wenn die US-Tochterfirma in Konkurs geht, wäre die ganze Holding betroffen, auch die Schweizer Filiale. Ihr Vorschlag, Herr Blocher, bringt keine Lösung. Ein einziger Teil kann nicht losgelöst von der Holding fallen gelassen werden.

Blocher: Die Holding ist nicht das Systemrisiko. Die « Filiale » ist es. Diese könnte auch verkauft werden. Haben Sie einen besseren Vorschlag, um das Problem zu lösen?

Also Herr Pelli, was schlägt die FDP vor?

Pelli: Wir müssen dieses internationale Problem international lösen ..
Blocher: Da bin ich nicht dagegen. …
Pelli: Aber Sie setzen auf die Extremlösung. Zuerst braucht es den internationalen Weg, um korrekte Kapitalvoraussetzungen, mehr Eigenmittel, zu schaffen. Bestrebungen laufen. Sind die Risiken global besser geregelt, ist es für die Schweiz im Detail denkbar, dass für risikoreichere Banktätigkeiten, wie das Investmentbanking, noch schärfere Eigenmittelvorschriften gelten.

Sie stört also auch, wenn das Geld des normalen Anlegers einfach in ein risikoreiches Investmentbanking fliesst?

Pelli: Das bestimmen sie selber, wenn sie Kunde einer Bank sind…

Blocher: Das weiss der Kunde in aller Regel nicht…

Pelli: Doch. Ein Kunde, der kein Risiko will, investiert in eine Kantonalbank, in die Raiffaisen, in einfache Sachen.

Blocher: (lacht) Nur in die Tessiner Kantonalbank. Doch beim Zusammenbruch der Grossbanken würden auch die kleinen Banken mitgerissen. Für die Schweiz ist das problematischer als für die USA.

Pelli: Ich bin nicht einverstanden. Die Schweiz griff ins Bankensystem ein. Und sie löste sich wieder in einer finanziellen Situation, die viel besser war als jene in Amerika. Die Risiken waren in Amerika grösser, die Massnahmen dort viel wichtiger, auch wenn das Verhältnis zwischen Bankengrösse und Bruttoinlandprodukt ein anderes ist als hier.

Blocher: Im Verhältnis sind die von der Schweiz eingeschossenen 46 Milliarden Schweizer Franken mehr als das, was die USA einsetzte. Und: die Bankenkrise ist noch nicht ausgestanden und alle zehn Jahre kommt eine neue. Die Krisen werden immer heftiger.

Pelli: Aber die Geschichte zeigt, dass diese Risiken kurzfristig waren. …

Blocher: Herr Pelli, da werde ich empfindlich. Jetzt heisst es, wir sind noch gut weggekommen. Tatsache ist: Vor einem Jahr war niemand ausser dem Staat und der Nationalbank bereit, der UBS noch Kapital zu geben. Wäre der Staat nicht beigestanden, wäre nicht nur die UBS sondern auch die CS in den Abgrund gezogen worden.. Es ist vorsorgliche Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass solche für den Staat gravierende Risiken nicht eintreten können.

Pelli: Herr Blocher, Sie unterschätzen die Kräfte der Schweiz. Kurze Zeit nach den Staatsinterventionen hat man rasch wieder Privatinvestoren gefunden …

Blocher: Natürlich mit faktischer Staatsgarantie….
.
Pelli: … das System ist nicht so schwach ist, wie Sie es beschreiben.

Blocher: Die sind eingestiegen, weil der Staat die Risiken der Banken trägt.

Pelli: Das glaube ich nicht. Sie unterschätzen das Schweizer System.

Zumindest bei den schärferen Eigenmittelvorschriften sind Sie einig. Nun wehrt sich aber die UBS bereits dagegen.

Pelli: Dann muss die UBS aufzeigen, dass sie ohne höhere Eigenmittel in der Lage wäre, die Probleme zu lösen. Die Erfahrung zeigt, dass Eigenverantwortung bei der UBS nicht funktioniert hat.

Blocher: Ich habe ein gewisses Verständnis für die Bedenken. Die gesetzliche Eigenmittelvorschrift ist für die Konkurrenzfähigkeit einer Bank entscheidend. Vorschriften für höhere Eigenmittel werden kommen – international. Es gibt eine Obergrenze, klar.

Will der Liberale Blocher wirklich per Gesetz Banktätigkeiten vorschreiben?

Blocher: Wenn ein für das Land existentielles Problem besteht, dann ja. Dann kann man auf eine Überregulierung verzichten.

Pelli: Die Politik ist nicht in der Lage, die Risiken einzuschätzen. Via Finma und Nationalbank sind die Banken theoretisch bereits extrem kontrolliert. Die Finma arbeitet mit wissenschaftlichen Risikoeinschätzungen. Die Politik hingegen aufgrund Empfindlichkeiten, die moralische Kriterien beinhalten.

Blocher: Sie haben recht: Die Politik kann die Risiken nicht beurteilen. Wir wissen nur eines: Es wird immer Risiken geben! Und wir wollen, dass diese nicht so gross sind, dass die ganze Volkswirtschaft mitgerissen wird.

Viele Länder attackieren die Schweiz, die EU will den automatischen Informationsaustausch. Können wir das Bankkundengeheimnis noch halten?

Blocher: Wenn wir das wollen, bestimmt! Aber die anderen Staaten müssen merken, dass wir das wollen. Es kommt darauf an, wieviel Druck wir erleiden mögen.

Pelli: Wir wollen das Bankgeheimnis, müssen aber das System anpassen. Die Verrechnungssteuer ist nicht modern. Dieses System hat Löcher. Es soll durch eine Quellensteuer ersetzt werden, die einen tieferen Prozentsatz hat. Wir müssen auch schauen, dass der Finanzplatz nicht nur aufgrund der Vermögensverwaltung von Schwarzgeld lebt. Daher wollen wir die Stempelsteuer abschaffen. Diese Steuer auf den Umsatz wird zum Problem für die Schweizer Firmen und den Finanzplatz.

Blocher: Seit 20 Jahren fordern wir die Abschaffung der Stempelsteuer. Warum passiert nichts? Der Bundesrat will es nicht – und Herr Merz auch nicht.

Pelli: Herr Merz hat Schritte angekündigt.

Blocher: Seit 20 Jahren wird angekündigt.

Kann das Bankgeheimnis nicht nur für Schweizer gelten, für Ausländer nicht?

Pelli: Warum sollen wir Kunden in Kategorien einteilen? Entweder schützt das System die Privatsphäre oder nicht. Zwei Systeme sind unwürdig.

Blocher: Man könnte es schon tun, aber auf lange Sicht würde man es nicht aufrecht erhalten können. Was ist ein Ausländer, was ist ein Schweizer?

Pelli: Nun, alle, die hier wohnen und den Lebensunterhalt verdienen, fallen unter das Bankgeheimnis.

Blocher: Und was machen Sie mit den Grenzgängern, mit Auslandschweizern?

Pelli: Das ist eine Detailfrage.

Blocher: Der Teufel steckt eben im Detail.

Ist es nicht unhaltbar, das Bankgeheimnis zum Geschäftsmodell zu machen?

Blocher: Die Gefahr besteht tatsächlich, dass dank des Bankkundengeheimnisses die Gelder nicht versteuert werden. Darum haben wir die Verrechnungssteuer eingeführt. Das müssen wir den andern Ländern auch anbieten – doch die wollen es nicht, weil sie die Informationspflicht haben wollen. Wenn wir es fordern, werden sie es wollen!

Pelli: Sie wollen die Verrechnungssteuer nicht, obwohl sie mehr einnehmen würden. Aber sie würden nicht wissen, wieso. Sie müssten sich fragen, warum ihre Bürger das Geld ins Ausland bringen. Die EU-Länder wollen den automatischen Informationsaustausch, um ihre eigenen, teils perversen Fiskalsysteme beizubehalten.

Blocher: Es ist der Kampf des Auslands gegenüber der erfolgreichen Schweiz: Konkurrenzkampf.

Und diesen Kampf muss die Schweiz mit allen Mitteln führen – auch Sistierung von Doppelbesteuerungsabkommen?

Blocher: Wenn’s nicht anders geht.

Pelli: Ja, genau.

Die Schweiz ist gegenüber den USA eingeknickt. Nun will die EU Gegenrecht.

Blocher: Es war ein grober Fehler. Und bei den OECD-Listen haben wir es verpasst, den Ländern das Bankkundengeheimnis zu erklären. Man gibt jeder Forderung, jeder Erpressung, nach.

Pelli: Ich sehe es anders. Die Schwarze Liste bestraft nicht den Finanzplatz, sondern den Werkplatz Schweiz. Deshalb war die Strategie des Bundesrats nicht falsch. Er gab auf einem Niveau nach, das noch korrekt ist, vielleicht korrekter als vorher. Zeitgleich mit allen anderen Finanzplätzen. Nun darf man keine Zugeständnisse mehr machen.

Blocher: Das höre ich nach jedem Zugeständnis. Als die graue Liste kam…

Pelli: Es war eine schwarze …

Blocher:. Ob schwarz, grau, grün, blau oder rot…

Pelli: (lacht) Das ist nicht unwesentlich …

Blocher: Wir haben auf einer schwarzen Liste als Exporteure sicher keine Vorteile. Man muss aber Druck ertragen können. Wenn man natürlich bei jedem, der kommt…

Pelli: …das war nicht jeder. Das war die G-20.

Blocher:. Auch gegenüber Grossen darf. man nicht einfach nachgeben. Es gilt der Grundsatz: « Tue recht und scheue niemand. »

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