Ein Lob dem Steuerföderalismus – die Schweiz bewegt sich

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung SVP, 4. April 2007, in Oberengstringen ZH

04.04.2007, Oberengstringen

Oberengstringen. Anlässlich einer SVP-Informationsveranstaltung sprach Bundesrat Christoph Blocher über den Steuerföderalismus in der Schweiz. Er bezeichnete dabei den Steuerwettbewerb als grosse Stärke der Schweiz, die eng mit zwei wichtigen Faktoren verbunden ist: dem Föderalismus, der den Steuerwettberweb erst ermöglicht, und den Volksrechten. Diese geben den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, über die Höhe der Steuern an der Urne mitzubestimmen. Der Bund solle in Zukunft noch mehr Aufgaben abbauen und dadurch den finanziellen Spielraum der Kantone und Gemeinden erhöhen, forderte Bundesrat Blocher.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

1. Die dekadenten 90er Jahre

Wenn wir heute über den Steuerwettbewerb reden und vor allem über die Notwendigkeit des Steuerwettbewerbs, dann müssen wir zuerst einmal zurückblenden. Denn wir korrigieren heute mühsam, was in den 90er Jahren mit leichter Hand alles falsch gemacht wurde.

Erinnern Sie sich? In den 90er Jahren haben wir nichts gehört von der EU in Steuerfragen. Da hat kein EU-Botschafter den Zeigefinger erhoben und unseren Steuerwettbewerb für schädlich bezeichnet. Da belehrte uns kein deutscher Finanzminister über unser Fiskalsystem. Da kam keine Kritik aus den Nachbarstaaten. Warum auch? In den dekadenten 90er Jahren pfiff die Schweiz auf ihre Stärken und kopierte die Fehler anderer Länder, vor allem auch jener EU-Staaten, die uns heute kritisieren. Wenn alle das gleiche tun, kann sich auch keiner positiv abheben. Auch in der Schweiz wurden die Steuern kräftig erhöht. Auch in der Schweiz wuchsen die Ausgaben des Staates ungebremst. Auch in der Schweiz gehörten Milliardenschulden zur Tagesordnung.

Die dekadenten 90er Jahre waren Jahre der Verschwendung und der Verschuldung. Die Ausgaben des Bundes wuchsen von 31,6 Mia. Franken (1990) auf 51,4 Mia. Franken (2005). Die Schulden des Bundes haben sich von 38,5 Mia. Franken (1990) auf 130,3 Mia. Franken (2005) erhöht.

2. Besinnung auf Schweizer Stärken

Was war passiert in den 90er Jahren? Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus, nach dem Fall der Berliner Mauer glaubten gerade die führenden Leute in der Politik und in den Medien ein neues, wunderbares, friedliches Zeitalter sei angebrochen. Es gibt keinen Krieg mehr, wurde verkündet. Also braucht die Schweiz auch keine Armee. Es gibt keinen Krieg mehr, also gehört auch die Neutralität in den Sperrmüll. Zu Ehren der SVP sei gesagt, sie stimmte nicht in diesen naiven Chor ein. Sie verteidigte die Neutralität.

Mit der gleichen Naivität setzten die Schweizer Eliten in den 90er Jahren unsere Selbstbestimmung aufs Spiel. Einhellig hiess es: Lasst uns ein gemeinsames Europa „gestalten“. Wir bauen am Haus Europa. Wir möchten die Vereinigten Staaten von Europa. Politiker, Professoren, Zeitungen, Fernsehen, Wirtschaftsverbände, Parteien: Alle sangen sie das gleiche Lied. Unabhängigkeit, direkte Demokratie, unsere einmaligen Volksrechte, die Neutralität, der Föderalismus, die Steuerhoheit galten plötzlich als antiquierte Werte und gehörten nach dem Willen dieser EU-Phantasten auf den Müllhaufen der Geschichte. Diese Phantasten pfiffen letztlich auf all das, was unser Land einmalig, stark und erfolgreich werden liess. Die SVP, die aber diese schweizerischen Werte hoch hielt, geriet dadurch unweigerlich in die Opposition.

3. Der Wandel

Und plötzlich drehte der Wind und mit ihm die Stimmung.
Die Wirtschaft will nicht mehr in die EU.
Der Bundesrat hat das „strategische Ziel“ EU-Beitritt gestrichen.
Die Mitte-Parteien vermeiden wenn immer möglich das Thema EU.
Selbst die SP hat den Beitritt an Bedingungen geknüpft, die kaum zu erfüllen sind.
Die Stimmung beginnt zu kehren. Nicht einfach so. Sondern, weil wir die Schweiz auch dann verteidigten, als es nicht Mode war. „Nid lugg lo gwünnt!“

4. Die Schweiz bewegt sich

Ja, heute können wir feststellen: Die Schweiz bewegt sich. Sie besinnt sich wieder auf ihre Stärken. Wir müssen doch auf das setzen, was uns besonders macht, was uns unterscheidet, worin wir besser sind als die anderen. Und sehen Sie, der Steuerwettbewerb zeigt sehr augenfällig die Stärke unseres Systems. Unsere Steuern sind ganz eng verbunden mit zwei Säulen der Schweiz:

Der Föderalismus ermöglicht den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen. Weil wir eben keine Vereinheitlichung kennen. Der Föderalismus schafft Auswahlmöglichkeiten. Die Bürger können sich in rund 3000 Schweizer Gemeinden umsehen und ihren Wohnort entsprechend auswählen. Gewiss: Die Steuern sind bloss ein Faktor bei dieser Entscheidung. Bestimmt nicht der einzige, sonst würden ja 7,5 Millionen Menschen nach Wollerau oder Pfäffikon oder Hergiswil ziehen. Aber die Steuersätze sind ein wichtiger Faktor und das ist auch richtig so.

Den zweiten Pluspunkt in unserem politischen System bilden unsere Volksrechte, die Mitbestimmung der Menschen in Sachgeschäften. Die Höhe der Steuern wird durch den Souverän, durch die Bürgerinnen und Bürger an der Urne bestimmt. Das ist einmalig auf der Welt und vor allem der Hauptgrund, warum die direkten Steuern in der Schweiz immer noch vergleichsweise niedrig sind.

Nach den dekadenten 90er Jahren, nach den Jahren der Verschwendung, Verschuldung und Stagnation, können wir heute jedoch feststellen: Die Schweiz bewegt sich. Seit zwei, drei Jahren haben die Kantone Steuersenkungsprogramme angekündigt, beschlossen oder bereits durchgeführt. Nicht immer freiwillig. Oft auf Druck, weil die Leute das Weite suchten, weil der Steuerwettbewerb funktioniert oder weil an der Urne entsprechende Abstimmungen gutgeheissen wurden. Denken sie an den Kt. Zürich. Abschaffung der Erbschaftssteuern, Steuerfuss-Senkung: Ohne die beharrliche Tätigkeit der SVP, die ich damals anführte, wäre dies nie möglich geworden.

5. Das Beispiel Obwalden

Vor rund zwei Jahren hat der Kanton Obwalden in gut demokratischer Weise ein neues Steuergesetz beschlossen. Was ist daraufhin passiert? Ein Schrei geht durch das Land. Kantone, die durch eine Hochsteuerpolitik und ein schlechtes Finanzgebaren den Weg Obwaldens nicht gehen wollen, sprechen von Wettbewerbsverzerrung. Politiker von links bis ins bürgerliche Lager kritisierten diesen Schritt, und schliesslich glaubte auch die EU, die kantonale Steuerhoheit in der Schweiz tadeln zu müssen.

Ein Kanton hat sich erfrecht, eigene Wege im Kampf um Arbeitsplätze und Steuerzahler zu gehen. Vor Obwalden sind andere Kantone Zug, Nidwalden, Schwyz ähnliche Wege gegangen. Mit Erfolg.

Der Staat redet ja viel von Wettbewerb. Nur meint er dann immer den Wettbewerb der Anderen – der Privaten. Im eigenen Bereich lässt er lieber keinen zu. Verständlich, denn man hat sich stets mit dem Tüchtigeren zu messen. Das zwingt jeden, es noch besser zu machen. Das ist anstrengend. Viele möchten dieser Anstrengung lieber aus dem Weg gehen. Wettbewerb ist jedoch notwendig. Denn er zwingt alle Beteiligten, besser, effizienter, günstiger zu werden und trotzdem gute Leistungen und Qualität zu bieten. Der Steuerwettbewerb zwingt die Politik, besser zu arbeiten.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns an den dynamischen Kantonen ausrichten. Die Harmonisierungsbestrebungen laufen in die andere Richtung. Dort orientiert man sich am Schwachen. Es ist eine Illusion zu glauben, der Schwache werde stärker, wenn man den Starken schwächt.

Zurück zu Obwalden. Was hat dieser kleine, bisher kaum beachtete Bergkanton getan? Zuerst hat der Kanton seine Regierung verkleinert. Am Anfang stand eine SVP-Initiative, die im Volk Zustimmung fand! Kleinere Regierung, weniger Ämter, höhere Effizienz, schnellere Entscheidungswege, niedrigere Kosten.

Als nächster Schritt hat die Regierung ihre Ausgaben stabilisiert. Praktisch auf der Basis der Teuerung eingefroren. Hier braucht es schon mehr Standhaftigkeit. Und man darf sich ruhig fragen, woher der Wille kommt, auch auf der Ausgabenseite anzusetzen. Ganz so freiwillig macht das keine Regierung. Dazu braucht es unbequeme Partner. Die SVP muss diese Aufgabe übernehmen.

6. Der Domino-Effekt

Nachdem Obwalden demokratisch und mit überwältigender Mehrheit sein neues Steuergesetz verabschiedet hatte, wollte die SP Schweiz den Kanton umgehend einklagen. So machen es die Linken: Sie rufen die Gerichte an, um die Demokratie auszuhebeln. Die Begründung lieferte der sozialdemokratische Parteipräsident Hans-Jürg Fehr: „Wir befürchten einen Dominoeffekt – wie bei der Erbschaftssteuer“ (Berner Zeitung, 19.12.2005). Ich kann nur sagen: Zum Glück gibt es diesen Domino-Effekt. Zum Glück bewegt sich die Schweiz. Zum Glück löst sich unser Land aus der Erstarrung der 90er Jahre. Zum Glück geht es vorwärts und aufwärts.

Der Steuerföderalismus sorgte für den Wettbewerb und der Wettbewerb sorgte für den Druck, etwas für die Bürger zu tun.

Ja, der Domino-Effekt, den die Linken als so furchtbar denunzieren, ist eingetreten. Glücklicherweise. In den letzten zwei Jahren beschlossen verschiedenste Kantone Steuersenkungen: Die beiden Appenzell, die Kantone Aargau, Bern und Glarus, Jura, Nidwalden, Thurgau. Auch der Heimatkanton des SP-Präsidenten Hans-Jürg Fehr, Schaffhausen, senkte seine Steuern: Das Steuerpaket, inklusive degressive direkte Steuern, wurde übrigens mit ausdrücklichem Segen der dortigen SP verabschiedet. Es folgten weiter die Kantone Solothurn, St. Gallen, Uri, Wallis und Zug. Zwei Drittel der Kantone ziehen mit. Viele unter Klagen und Murren. Andere Kantone tun nichts. Sie sind es meistens, die dann tüchtigere Kantone als „unfair“ hinstellen.

7. Und im Kanton Zürich?

Der SP-Präsident Hans-Jürg Fehr befürchtete einen „Domino-Effekt“, wir haben es gehört, und verwies auf das Beispiel Erbschaftssteuer. Es war die SVP des Kantons Zürich, die der Erbschaftssteuer den Todesstoss versetzt hat. Sie hat 1998 mit einer Initiative deren Abschaffung durchgesetzt.

Zürich spielte also bei den Erbschaftssteuern eine wichtige Rolle. Wie steht es bei den jetzigen Steuerentlastungsprogrammen? Wir stellen fest, dass das starke Zürich langsam aber sicher von steuergünstigen Kantonen umzingelt wird. Als Bundesrat will ich nicht in die kantonalen Angelegenheiten reden. Darum schweige ich jetzt zu den kantonalen Angelegenheiten.

8. Was ist zu tun?

Erfolgreiche Volkswirtschaften sorgen dafür, dass das Geld bei den Menschen und den Unternehmen bleibt. Damit die Leute konsumieren können, was sie wollen. Damit die Unternehmen investieren können, Arbeitsplätze schaffen können und damit Wohlstand für alle entsteht.

Darum muss gelten:

1.
Anstatt den Kantonen und Gemeinden mit immer neuen Bundesbeiträgen zu Hilfe zu eilen, sollte der Bund mit einem Abbau seiner Aufgaben und seiner Steuerlast die finanziellen Spielräume der Kantone und Gemeinden erhöhen.
2. Anstatt der Vereinheitlichung und Harmonisierung das Wort zu reden, ist der Wettbewerb der Systeme zu fördern. Nur der Föderalismus schafft diesen Freiraum.
3. Statt Zwangsumverteilung muss ein Wettbewerbssystem gelten.

Die hohe Steuerbelastung ist eines der grössten Probleme der westlichen Industrieländer. Mit unserem Steuerföderalismus können wir diesen fatalen Kreislauf durchbrechen.

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