Man kann immer missbraucht werden

«Justizminister Christoph Blocher rechtfertigt sein Treffen mit dem türkischen Amtskollegen Cemil Cicek kurz vor dem Armenierprozess in Lausanne.»

06.03.2007, Tages-Anzeiger, Verena Vonarburg

Herr Blocher, warum haben Sie ausgerechnet kurz vor dem Prozess gegen einen türkischen Völkermordleugner den türkischen Justizminister in der Schweiz empfangen?

Der Termin wurde anlässlich meines Besuchs in der Türkei im letzten Herbst vereinbart. Damals ist es gelungen, die zuvor schlechten Beziehungen mit der Türkei massgeblich zu verbessern. Das haben wir jetzt fortgesetzt. Es gab keinen Grund, den Besuch des türkischen Justizministers in der Schweiz abzusagen. Der bevorstehende Prozess in Lausanne war auch kein offizielles Thema. Wir haben über die Integration der vielen Türken in der Schweiz und über wirtschaftliche Interessen sowie über Garantien für den Vollzug von Auslieferungen gesprochen.

Nochmals: Warum haben Sie den Justizminister genau jetzt empfangen?
Das steht in keinem Zusammenhang mit dem Prozess gegen Herrn Perincek. Ich weiss auch gar nicht, was der Prozess in Lausanne und der Besuch von Cicek miteinander zu tun haben sollten. Es kann sich gar nicht um eine Beeinflussung des Gerichts handeln.

Aber es ist doch von symbolischer Bedeutung, wenn Sie einen türkischen Minister kurz vor diesem hoch emotionalen Prozess zu Gast haben.
Die Kritik ist an den Haaren herbeigezogen. Die Symbolik könnte höchstens darin bestehen, dass ein solcher Prozess die mittlerweile guten Beziehungen nicht trüben kann und darf. Es wäre das Dümmste gewesen, Herrn Cicek zu sagen: Kommen Sie nicht wegen dieses Prozesses!

Haben Sie inoffiziell über den Prozess gesprochen?
Am Rande des Treffens habe ich ihm gesagt, die Türkei müsse damit rechnen, dass Herr Perincek wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz verurteilt werden könnte. Das haben wir schon bei meinem Ankara-Besuch besprochen. Mein Amtskollege hat keinen Versuch unternommen, Einfluss auf den Prozess zu nehmen; ein solcher Besuch könnte auch in keinem Fall einen Prozess beeinflussen.

Sie werden von den türkischen Nationalisten als Held gefeiert. Haben Sie denn kein Problem damit?
Der « Tages-Anzeiger » hat davon geschrieben, ich habe bislang nichts gemerkt. Wenn schon, setze ich mich ganz sicher nicht für Herrn Perincek ein, sondern für die Meinungsäusserungsfreiheit. Aber es ist im Leben so: Man kann immer missbraucht werden. Das ist unangenehm, doch man kann nie ganz verhindern, dass sich die falschen Leute auf einen beziehen. Ich habe auch nicht gewusst, dass diese Nationalisten behaupten, dank ihnen wolle ich das Antirassismusgesetz revidieren: Das ist Unsinn.

Die Frage bleibt: War es opportun, dass Sie in Ankara von Ihrem Bauchweh in Bezug auf das Antirassismusgesetz geredet haben? Der Bundesrat hat Sie deswegen auch kritisiert.
Was ich in Ankara erklärt habe, war nichts Neues. Und es war nicht nur opportun, sondern notwendig, das zu sagen. Ich würde das nochmals tun. Der Bundesrat hat mir zudem auch nicht verboten, einen Vorschlag zur Revision des Gesetzes zu unterbreiten.

Halten Sie den Mord an den Armeniern für einen Genozid oder nicht?
Die Gräueltaten kann man nicht bestreiten. Der Bundesrat hat vor fünf Jahren festgehalten, die Bewertung dieser Frage sei nicht Sache der Regierung, sondern der historischen Forschung. Gleichzeitig hat die Schweiz der Türkei empfohlen, eine internationale Historikerkommission zu bilden, um diese Frage abzuklären. Damit ist die Türkei einverstanden.

Wann öffnet die Türkei ihre Archive?
Das ist ein wichtiges Ergebnis des neusten Treffens: Noch im letzten Oktober erklärte die Türkei, sie öffne ihre Archive, sofern die Armenier das Gleiche täten. Am Wochenende erklärte mein Amtskollege nun, die Türkei sei bereit, die Archive einseitig zu öffnen, und schweizerische Historiker hätten Zugang zu diesen Archiven.

Und wie weit ist Ihre Arbeitsgruppe eigentlich punkto Revision des Antirassismusgesetzes?
Wir diskutieren jetzt Varianten. Noch in diesem Halbjahr wollen wir einen Grundsatzentscheid im Bundesrat beantragen.

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