Der Föderalismus – Garant für die Vielfalt Graubündens

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Einweihung des SRG-Studios « Chasa RTR » am 6. Juni 2006 in Chur

06.06.2006, Chur

Chur. Anlässlich der Einweihung des SRG-Studios « Chasa RTR » referierte Bundesrat Christoph Blocher über den Kanton Graubünden, der mit seiner Vielfalt als Miniatur der Schweiz erscheine. Die regionalen Studios zeigten, dass auch die SRG der schweizerischen Vielfalt Rechnung trage. Bundesrat Christoph Blocher ermahnte die Medienschaffenden, die Vielfalt abzubilden und mit ihrer Arbeit dazu beizutragen, dass sie erhalten bleibe.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Wahl- und Schicksalsheimat Graubünden

Mein Weg nach Graubünden führte über die Ems Chemie. Aber es blieb nie bei einem rein beruflichen Verhältnis. Dieser Kanton ist zu einer Art Wahl- und Schicksalsheimat für mich geworden. Ich komme um dieses Graubünden nicht herum. Die Landschaft, die Menschen, ihre Knorrigkeit, ihre Dankbarkeit, ihre Unarten sind mir ans Herz gewachsen. Die Haupttätigkeit des Unternehmens befand sich nun mal – wie der Name sagt – in Graubünden. Ich hielt aber auch als späterer Eigentümer immer am Produktionsstandort Graubünden fest. Was mich besonders freute, war zu zeigen, dass man auch in einer Randregion ein Unternehmen erfolgreich führen kann. Ein Unternehmen notabene, dessen Produkte weit über 90 Prozent für den Weltmarkt bestimmt sind.

Neben dieser eher etwas schicksalhaften Beziehung ist die Begeisterung für die Schönheit der Bündner Landschaften eine Herzensangelegenheit. Die Berge – und damit meine ich das alpine Gebirge – haben mich immer angezogen, obschon ich in einer eher milden, hügligen Gegend aufgewachsen bin. Die Schweizer Alpen stehen da wie ein unverrückbares Monument, etwas schroff, auch abweisend, aber in sich ruhend und selbstgewiss. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Ursprünge der Eidgenossenschaft aus der Mitte dieser Gebirgstäler heraus stammen. Ich habe mich dieser Welt und dieser Mentalität immer verbunden gefühlt. Darum freut es mich, dass ich das Ehrenbürgerrecht der höchstgelegenen Gemeinde Europas – Lü-Lüsai im Val Müstair – besitze.

Neben der Natur und der Freude an der Bergwelt hat mich Graubünden stets auch als politisches Laboratorium interessiert. Dieser Kanton erscheint ja wie eine Verkleinerung der sonst schon kleinen Schweiz. Nicht nur in geographischer Hinsicht eine Miniatur des Landes: Dreisprachig, vielgliedrig, strikt föderativ, teilweise rivalisierend, manchmal auch von höflicher gegenseitiger Nichtbeachtung geprägt; eine unglaubliche Verschiedenartigkeit trotz der geographischen Kleinheit; mit Kulturschätzen, die sich in fast jeder Ortschaft finden lassen; weltoffen, ohne den Eigensinn zu verlieren; touristisch, ländlich, auch mondän, dann wieder selbstgenügsam. Es ist diese Palette der Andersartigkeit, der Vielfalt, die den Reiz Graubündens ausmacht. Graubünden ist ein besonderer Kanton. Darum braucht der Kanton eigene Medien – mehrere und nicht nur eines. Darum habe ich seinerzeit das Bündner Tagblatt gerettet – dies aus Liebe zum Kanton und nicht aus geschäftlichen Gründen. Handlungen aus Liebe statt aus kommerziellen Gründen sind einem Unternehmer eigentlich verboten!

Föderalismus: bewährt und erfolgreich

Man kann sich diese Vielfalt jedoch nicht ohne den Föderalismus vorstellen. Er bildet gleichsam die politische Voraussetzung – und zwar auf allen Ebenen: Innerhalb der Gemeinden und des Kantons. Damit sich dieser Föderalismus aber ausgestalten kann, muss sich eben auch das ganze Land föderalistisch verwalten. Die Schweiz definiert sich von unten nach oben. Am stärksten kommt diese Konstruktion im Föderalismus und der direkten Demokratie zum Ausdruck.

Ich möchte deshalb festhalten, dass ich ein überzeugter Föderalist, ja ein Erzföderalist bin. Dies aus geschichtlichen und politischen Gründen, aber auch aus Gründen der Effizienz und Wirtschaftlichkeit.

Auch die Effizienz führt mich zum Föderalismus. Darum habe ich im Unternehmen stets föderalistische – keine zentralistischen – Strukturen bevorzugt. Das heisst möglichst autonome Unternehmenseinheiten! Der Föderalismus ist deshalb keine abstrakte Theorie, sondern ein vielfach erprobtes Erfolgsrezept.

So wie die Schweiz als Ganzes ist auch der Kanton Graubünden ohne Föderalismus undenkbar.
Beruflich, politisch, kulturell
Ich habe meine beruflichen und politischen Beziehungen zu Graubünden kurz angedeutet. Mindestens so stark hat mich auch die Geschichte angezogen. Für den historisch interessierten Menschen bietet Graubünden eine aufschlussreiche und auch turbulente Vergangenheit. Man kann hier die Besiedlung des Alpenraums nachvollziehen. Wie die Romanen bedrängt wurden und sich trotzdem behauptet haben. Wie die Valser die unwegsamsten Gebirgstäler eroberten. Wie die Reformation den Kanton teilte. Wie der Kanton durch die Ausrichtung einzelner führender Familien nach verschiedenen europäischen Grossreichen zerrissen wurde. Wie die Engländer den Tourismus in die Schweiz brachten und uns ein stückweit mithalfen, die Schönheit unseres Landes zu entdecken. Wie die Bündner eine Reihe tüchtiger Zuckerbäcker – nicht wenige Emser waren darunter – und unternehmerische Persönlichkeiten (leider sind sie mehr in Basel als im Graubünden tätig) hervorbrachten. Wie das Bergell und teilweise das Puschlav als einzige italienischsprachige Täler der Schweiz die Ideen der Reformation übernahmen. Man könnte noch unzählige weitere Begebenheiten anführen. Umso beglückter bin ich über den Umstand, dass die Ems Chemie als grösstes bündnerisches Unternehmen den Ruf in die moderne Welt hinausträgt und gleichzeitig mit dem Schloss Rhäzüns ein kulturell und historisch bedeutsames Bauwerk pflegen und erhalten kann. Ein Schloss ist immer eine Verpflichtung, nämlich das Erbe zu bewahren und weiterzuführen. Gerade für weltweit tätige, erfolgreiche und moderne Unternehmen gilt: Wer die Geschichte – die Wurzeln – nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten.

Ein neues Studio

Ich spreche hier anlässlich der Eröffnung eines neuen SRG-Studios und ich habe Ihnen gesagt, wie wichtig die Medien für die Schweiz – ein föderalistisches, direktdemokratisches Land – wie auch für den Kanton Graubünden sind.

Es braucht konkurrenzierende Meinungen. Es braucht eine möglichst breite Information, schliesslich müssen die Menschen immer wieder über wichtige politische Sachverhalte abstimmen. Ich will Ihnen nichts vormachen, denn Sie wissen es längst: Ich bin kein Anhänger staatlicher Monopole und Medien – und dazu gehören auch das Schweizer Fernsehen und Radio. Ich bin für den Wettbewerb. Aber die regionalen Studios zeigen, dass auch die SRG der schweizerischen Vielfalt Rechnung trägt. Für Sie als Medienschaffende ist es eine Verpflichtung, dass Sie diese Vielfalt abbilden und durch ihre Arbeit dafür Sorge tragen, dass diese Vielfalt auch erhalten bleibt. Hüten Sie sich vor Einseitigkeit und Parteinahme. Zeigen Sie, was ist. Im Fall von Graubünden ein vielfältiger, aufregender und kantiger Kanton.

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