Ähnliche Weichenstellung wie damals bei der Swissair

Justizminister Christoph Blocher über die Swisscom, Trusts und Reformen

27.11.2005, Sonntagszeitung, Reto Gerber, Arthur Rutishauser

In einem Interview mit der Sonntagszeitung äusserte sich Bundesrat Christoph Blocher über die Gründe für den Verkauf der Bundesbeteiligung an der Swisscom. Zur Sprache kamen auch andere Betriebe, an denen der Bund ebenfalls beteiligt ist, wie Post, SBB und Ruag, sowie deren allfällige Privatisierung. Zusätzlich beantwortete Bundesrat Christoph Blocher Fragen zur Führung des Justizdepartements sowie zu der grossen Anzahl von Vorlagen im Dienste der Wirtschaft, die das Departement erarbeitet hat.

Herr Blocher, der Bund will seine Beteiligung an der Swisscom verkaufen. Weshalb?
Die Swisscom will expandieren, eine internationale Grossfirma werden. Da kann der Bund nicht Eigentümer sein.

Warum?
Stellen Sie sich vor, die Swisscom hätte Telekom Austria gekauft und wäre in Schwierigkeiten geraten; die Schweiz hätte bezahlt. Die kleinste Sanierung in Österreich hätte zu einer Krise nicht für die Swisscom, sondern zwischen der Schweiz und Österreich geführt. Das Gleiche gilt für jede andere Grossakquisition. Das Risiko für die Schweiz ist viel zu gross. Es kann nicht der Sinn sein, dass die schweizerische Eidgenossenschaft in fremden Ländern den Service public auch noch sicherstellt.

In welchem Zeitrahmen soll der Bund aussteigen?
Wenn bis Ende 2005 eine Vorlage erarbeitet ist, dann könnte diese – wie die bilateralen Verträge – im Schnellverfahren beschlossen werden. Das dürfte inklusive Referendum in einem Jahr zu machen sein – wenn man will. Solange der Bund die Mehrheit hat, darf die Swisscom keine Ausland-Akquisitionen tätigen.

Sind denn solche Akquisitionen nicht sinnvoll?
Die Swisscom steht an einer ähnlichen Weichenstellung wie damals die Swissair in guten Zeiten: Auch die Swisscom ist heute – wie damals die Swissair – eine gute, florierende Gesellschaft, auch dank früherer geordneter Märkte mit Monopolen, Kartellen und Absprachen. Nun ändert sich das, und wie damals die Swissair hat die Swisscom viel Geld und gute Erträge. Also will man grösser werden und expandiert ins Ausland und kauft Firmen. Bei der Swissair führte dies zum Zusammenbruch.

Wo ist das Bundesrisiko?
Stellen Sie sich vor, der Bund wäre an der Swissair mit 66 Prozent beteiligt gewesen wie heute bei der Swisscom! Natürlich kann dies auch gelingen. Aber das Risiko ist sehr hoch – für die Swisscom, aber noch viel mehr für die Schweiz. Denn sie steht in einer politischen «Garantenstellung» als Grossaktionär! Sie haftet – nicht rechtlich, aber politisch – praktisch unbeschränkt.

Was halten Sie persönlich davon, dass die Swisscom ins Ausland expandieren und dazu über 20 Milliarden Franken Schulden machen will?
Es stimmt: Die Swisscom hat zu viele Eigenmittel. Ein Verhältnis Eigenmittel zu Fremdmitteln von maximal 60 zu 40 ist anzustreben und wäre immer noch sehr komfortabel. Die Swisscom sagt, sie könnte 22 Milliarden Franken Fremdmittel aufnehmen. Aber statt 20 Milliarden im Ausland zu investieren, soll sie diese Mittel zurückzahlen. Sie könnte zum Beispiel vom Bund die Beteiligung von heute 17 Milliarden zurückkaufen oder auch ausschütten, dann löst sich ihr Eigenmittelproblem ohne gewaltige Risiken.

Kann der Bund eine Expansionsstrategie verhindern, wenn der Verwaltungsrat das Gegenteil tut?
Ein Verwaltungsrat, der gegen den Willen des Mehrheitsaktionärs handelt und dessen ernsthafte Beweggründe kennt, muss sich das gut überlegen. Das Gesetz sieht Massnahmen vor, zum Beispiel eine ausserordentliche Generalversammlung. Im negativen Fall sieht das Gesetz die Verantwortlichkeitsklage vor. Aber im Vordergrund steht das Gespräch. Ich glaube nicht, dass ein verantwortungsvoller Verwaltungsrat dies beiseite schiebt.

Was geschieht, wenn der Swisscom-Verwaltungsrat oder das Management zurücktreten?
Meinungsverschiedenheiten zwischen Eigentümern – also Unternehmern und dem Management – sind nichts Ausserordentliches. Wenn das Management zurücktritt, muss es ersetzt werden.

Hat der Vorschlag, sämtliche Swisscom-Aktien abzustossen, politisch eine Chance? Jens Alder glaubt nicht daran.
Ich bin überzeugt, dass das Schweizervolk diese hohen Risiken nicht tragen will. Die Grundversorgung der Schweiz ist so oder so gewährleistet. Aber Grosskonzerne im Ausland mit Milliarden auf Kosten der Bürger zu kaufen, das will die Volksmehrheit kaum. Das Schweizervolk will doch nicht, dass die Eidgenossenschaft im Ausland den Service public gewährleistet, Arbeitsplätze schafft und Milliardenrisiken eingeht.

Kann sich der Bund im Sinne eines Kompromisses auch die Beteiligung mit einer Sperrminorität vorstellen?
Solche Details sind zu diskutieren. Eine Sperrminorität – das heisst wohl 331/3 Prozent – mildert die politische Garantenstellung nicht. Was auch die Swisscom täte, vor allem im Ausland, würde der Schweiz angelastet.

Wie wird, auch mit Blick auf ein mögliches Referendum, dem Volk die Angst vor einer Übernahme der Swisscom durch einen ausländischen Grosskonzern genommen?
Natürlich kann man in den Statuten vorsorgen. Aber der Bund behält das Recht der Grundkonzession. Das ist massgebend. Aber die Schweizer müssten sich entscheiden, ob sie eine sichere Versorgung mit Milliardenrisiken im Ausland oder eine sichere Versorgung durch Unternehmen im Wettbewerb wollen.

Neben der Swisscom ist der Bund noch an der Post, den SBB und der Ruag beteiligt. Soll dies alles privatisiert werden?
Die Trennung von der Swisscom passiert nicht aus «Privatisierungsgründen». Die Beteiligung ist für den Bund und die Swisscom ein zu hohes Risiko. Und für die Versorgung ist die Beteiligung unnötig. Bei den SBB dagegen kann man das Schienennetz nicht privatisieren. Schienen haben Monopolcharakter. Dort muss man aber die Defizite runterbringen. Immerhin beträgt das Defizit des öffentlichen Verkehrs jährlich 7,6 Milliarden – mehr als doppelt so viel, wie der Bund für die ganze Landwirtschaft bezahlt. Bei der Post fängt der Konkurrenzdruck an zu spielen. Ein Bundesbesitz ist hier weniger fragwürdig, sofern die Post im Inland bleibt. Das Ziel ist es, eines Tages die Ruag zu privatisieren, wenn die Voraussetzungen gegeben sind.

Auch die Elektrizität ist weit gehend in staatlicher Hand.
Bei der Elektrizitätswirtschaft ist eine staatliche Netzwerkgesellschaft mit freiem privatem Zugang oder eine gemeinsame private Gesellschaft mit klaren Zugangsregeln das Richtige. Dies ist in Vorbereitung.

All das fällt nicht in Ihre Zuständigkeit. Was machen Sie als Mann der Wirtschaft im Justizdepartement für die Wirtschaft?
Ich bin im Gesamtbundesrat für alle Geschäfte mitverantwortlich. In den vergangenen zwei Jahren haben wir zudem im Departement eine grosse Zahl von Vorlagen erarbeitet, die unserer Wirtschaft dienen. Beispielsweise die umfassende Revision des Aktienrechts mit der gesamten Corporate Governance, die noch im Dezember in den Bundesrat kommt.

Was ist denn da neu?
Zum Beispiel die Transparenz der Entschädigungen. Für die börsenkotierten Firmen ist das bereits beschlossen. Die Revisionsgesellschaft muss diese Angaben prüfen. Neu kann auch der Aktionär einer privaten Gesellschaft Auskunft darüber verlangen, wie viel der Verwaltungsrat und der Konzernchef verdienen. Das ist bei vielen Familiengesellschaften von Bedeutung. Nicht die Öffentlichkeit, sondern der einzelne Aktionär muss dies wissen können.

Was ändert sich in der Rechnungslegung?
Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Aktiengesellschaft, GmbH, Gesellschaft oder Einzelfirma. Die Grösse ist massgebend, nicht mehr die Gesellschaftsform. Für die grossen Gesellschaften gibt es erhöhte Publizitätsanforderungen, verlangt werden eine Geldflussrechnung und ein Lagebericht. Es werden aber nur Mindestanforderungen gestellt. Darüber hinaus gilt die Autonomie der Gesellschaft.

Konkret?
Grossunternehmen müssen wie bis anhin verschärfte Anforderungen erfüllen. Zu den «Grossen» gehören alle börsenkotierten Firmen und Unternehmen mit mehr als 20 Millionen Franken Umsatz, 10 Millionen Bilanzsumme und 50 Mitarbeitern. Die kleineren Gesellschaften geniessen mehr Freiheiten als Grossunternehmen. Bei KMU können Minderheitsgesellschafter einen Abschluss gemäss dem Prinzip «True and Fair View» fordern. Tun sie das nicht, gelten einfachere Vorschriften.

Welche Neuerungen haben Sie noch in der Hinterhand?
Wir unterschreiben voraussichtlich das Haager Trust-Abkommen. Der Trust ist eine ausländische Gesellschaftsform, deren Absicherung in der Schweiz vernachlässigt ist. Auf die Anerkennung von Trusts warten die Banken schon lange.

Weshalb sind Trusts wichtig?
Bislang anerkennt die Schweizer Gesetzgebung die Trusts nicht ausdrücklich. Wer solche Geschäfte machen und eine klare und sichere rechtliche Basis haben wollte, musste beispielsweise nach London ausweichen.

Das ist ein weiteres Instrument der Steuerumgehung. Was versprechen Sie sich davon?
Das Geld bleibt in der Schweiz. Es ist eine Dienstleistung mehr, die der Bankenplatz anbieten kann. Wir gehen in der Trust-Gesetzgebung nicht so weit wie gewisse Länder in Asien, eben um der Steuerproblematik auszuweichen.

Ein Kostenfaktor für die Wirtschaft ist das kantonal unterschiedliche Recht. Wann kommt die Vereinheitlichung der Strafprozessordnung?
Der Rechtsschutz in der Schweiz ist ein Problem. Unternehmen müssen sich mit 26 verschiedenen kantonalen Zivil- und Strafprozessordnungen herumschlagen. Das ist im internationalen Verkehr äusserst kompliziert. Die neue Strafprozessordnung kommt noch vor Ende Jahr in den Bundesrat.

Schaffen Sie auch das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt ab?
Ja. Mit der neuen Strafprozessordnung gibt es nur noch eine Staatsanwaltschaft des Bundes.

Die wem unterstellt ist?
Dem Bundesrat. Die Vorlage geht demnächst ins Parlament. Heute agiert die Bundesanwaltschaft unter geteilter Verantwortung, und mehr oder weniger operiert sie im «luftleeren» Raum. Das ist nicht gut. Es braucht eine ungeteilte Aufsicht. Die Erfahrung im In- und Ausland zeigt, dass es die Exekutive sein muss.

Ein guter Chef wird von seinen Angestellten geschätzt. Bei Ihnen im Departement sind die Angestellten laut Umfragen unzufrieden. Warum?
Wer Musse hat, solche Umfragen auszufüllen, hat offenbar noch zu viel Zeit. Zugegeben, in meinem Departement geht es schnell vorwärts. In den zentralen Diensten habe ich in einem halben Jahr 22 Prozent jährliche Kostensenkung beschlossen. Da klatschen nicht alle Beteiligten. Von einem negativen Betriebsklima zu sprechen ist aber abwegig.

Was ist Ihre nächste Baustelle?
Das Bundesamt für Migration ist ein grosser Brocken. Die konsequente Asylpraxis trägt Früchte, die Zahlen gehen zurück. Da müssen die zu umfangreichen Asylstrukturen reduziert werden.

Wie viele Stellen gehen weg?
Wir sprechen nicht von Stellen. Die Kostenreduktion beträgt 200 bis 300 Millionen Franken bis 2008. Zusätzlich werden in den Kantonen Kapazitäten abgebaut. Dies ist führungsmässig sehr anspruchsvoll.

Wie viele Personen trifft es in Ihrem Departement?
Wir haben in diesem Bereich den Stellenbestand von rund 800 auf 650 gesenkt. Bis 2008 werden es zirka 600 sein. Das löst sich weit gehend über natürliche Abgänge.

Sie denken an eine Kandidatur für den Nationalrat, damit Sie – falls sie als BR abgewählt würden – wenigsten noch diesen Sitz hätten. Wie kommen Sie dazu?
Die SVP weiss von einer Vereinbarung. Unter Führung der SP und der Grünen, zusammen mit einigen Freisinnigen und CVPlern, will man mich 2007 aus dem Bundesrat werfen, um meinen Einfluss in der Politik zu eliminieren. Es gibt in der SVP eine Gegenstrategie, dass ich wieder für den Nationalrat kandidiere. Aber nur wenn dieses Komplott wirklich besteht. Ich hoffe, dass dies Gedankenspiele bleiben. Wir sehen dann in ein bis anderthalb Jahren weiter. Ich bin bereit, auch nach 2007 als Bundesrat zu amten.

Wie soll der Plan, sich in den Nationalrat wählen zu lassen, konkret realisiert werden. Werden Sie nach einer allfälligen Wahl aus dem Bundesrat zurücktreten, um sich dann als Nationalrat neu in die Regierung wählen zu lassen?
Über solche Details mache ich mir jetzt keine Gedanken. Es ist nicht mein Ziel, wieder als Nationalrat zu kandidieren, sondern die Arbeit im Bundesrat fortzusetzen. Auf Ränkespiele muss dann zu gegebener Zeit reagiert werden.

Was wollen die denn? Seit Sie im Bundesrat sind, hat die SVP weniger Schwung als mit Ihnen als Nationalrat.
Sagen Sie das meinen politischen Gegnern.

Würden Sie gerne das Departement wechseln?

Ich habe im EJPD noch viel zu tun. Aber es geht vorwärts. Doch nach den nächsten Wahlen ist ein Departementwechsel zu überlegen, wenn ein solcher ansteht. Natürlich interessiert mich als Finanz- und Wirtschaftspolitiker vor allem das Finanzdepartement, aber auch das EDI mit der Lösung der Probleme im Bereich Soziales, auch das UVEK mit seinen vielen Baustellen. Aber auch das VBS und so weiter. Sie sehen: Arbeit gäbe es überall. Doch der Bundesrat entscheidet.

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