Von Bern aus gesehen: Demokratie und Föderalismus in der Europäischen Union

Ansprache anlässlich des Bremer Tabakkollegiums vom 9. Juni 2005 in Horgen (Schweiz)

09.06.2005, Horgen

Es gilt das gesprochene Wort

Meine Herren,

Sie haben mich heute eingeladen einerseits wohl

– Als Bürger eines Landes, dessen Bevölkerung sich bis heute einem Beitritt zur EU widersetzt hat, zu sprechen.

– Ich spreche heute zu Ihnen aber auch als Mitglied der Schweizer Regierung, die zwar vor 13 Jahren in Brüssel ein EU-Beitrittsgesuch eingereicht und in selbem Jahr den Beitritt der Schweiz zum «strategischen Ziel» erklärte, aber es bei der Einreichung dieses Gesuches belassen musste und das strategische Ziel wieder offen gelassen hat.

– Drittens hören Sie jenen Politiker, der in den vergangenen 20 Jahren unzählige Auseinandersetzungen für eine unabhängige, direktdemokratische und föderalistische Schweiz – und damit natürlich auch gegen einen EU-Beitritt – geführt hat.

Solche Streiter – meist in Opposition zum Regierungskurs – werden üblicherweise mit allerlei Unflätigkeiten eingedeckt: Vom hoffnungslosen Romantiker und Idealisten zum altväterlichen Eidgenossen, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat; vom Bewunderer des Sonderfalls Schweiz bis zum bornierten Isolationisten, vom redegewandten Volkstribun bis zum gefährlichen Populisten finden sie alle freundlichen und weniger freundlichen Kosenamen.

Doch sie dürfen eines wissen: Bevor ich in die Regierung eingetreten bin, leitete ich ein international tätiges und erfolgreiches Unternehmen. Wir exportierten 92% unserer Produkte ins Ausland – 60% in die EU-Staaten. Ich habe hunderte von Fabriken in allen Erdteilen gebaut – allein über 70 in China – habe alle diese Länder meist mehrmals bereist und bin stets nach Hause zurückgekehrt in der Überzeugung: Es lohnt sich, für eine selbstständige, unabhängige, demokratische und föderalistische Schweiz einzustehen. Ich bin und war stets der Meinung, dass dies für uns Schweizer – vom Standpunkt der Freiheit und des wirtschaftlichen Wohlergehens aus gesehen – der bessere Weg ist, als uns in einen grossen Staatenbund einzugliedern, um dort unser Selbstbestimmungsrecht, unsere Staatsform, unsere Errungenschaften ganz oder teilweise abzugeben. Ich achte die Souveränität aller Länder, auch die des eigenen Landes.

Aber – und das gilt es ebenso entschieden zu sagen – ich bin für eine weltoffene Schweiz. Das war und ist die Schweiz auch. Wir wollen mit allen Staaten auf respektvoller, freundschaftlicher und deren Selbstständigkeit achtender Ebene verkehren. Auch sind wir offen für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, schliessen miteinander Verträge ab, arbeiten zusammen, wo es sinnvoll ist, aber stets ohne uns für die Zukunft institutionell einzubinden.

Die Schweiz mit ihren 26 Kantonen, 3000 Gemeinden, ihrer geteilten Verantwortung, ihrer langsamen Gesetzgebung – was zum Glück auch für gesetzgeberische Dummheiten gilt – scheint für Aussenstehende sehr unübersichtlich. Man könnte diese Staatsform kaum konstruieren wollen. Die Schweiz ist eben ein historisch gewachsener Staat. Kein staatsrechtliches Lehrbuch kann einen solchen Staat rational erklären. Und trotzdem: Wir halten daran fest. Schon deshalb, weil dieses System funktioniert – auf jeden Fall mindestens so gut wie die staatsrechtlich vorbildlich organisierten Staaten.

Was ist die Schweiz?

Müsste ich das Charakteristische der Schweiz mit einem Satz bezeichnen, so würde ich sagen, die Schweiz ist die Staatsform des Misstrauens! Die Bürger trauen dem Staat, der Regierung, den Politikern wenig. Darum wählen sie zwar, aber achten gleichzeitig darauf, dass sie dem Gewählten nicht zu viel Macht und nicht zu viele Kompetenzen überantworten. Die Bürger schränken umgehend die Befugnisse der Politik ein. Über mehr oder weniger wichtige Dinge wollen sie selbst entscheiden – an der Urne – auf jeder Ebene, in der Gemeinde, den Kantonen und im Bund. Etwas vereinfacht gesagt: In der Schweiz ist das Volk auch die Opposition. Die Demokratie ist nicht nur die Möglichkeit zu wählen, sondern auch die Möglichkeit, Nein zu sagen! «Geht das?» werden Sie vielleicht fragen. Bis jetzt hat es jedenfalls funktioniert. Und im Vergleich mit anderen Staaten dürfen wir uns durchaus sehen lassen.

Unvereinbarkeiten

Bis ich in die Regierung eintrat, hatte ich in Deutschland natürlich vor allem mit Wirtschaftsleuten und nicht mit Ministern zu tun. Interessanterweise musste ich keinem deutschen Unternehmer unter vier Augen erklären, warum die Schweiz nicht der EU beitreten sollte. Meistens lieferten diese mir sogar Argumente, warum wir gut daran täten, draussen zu bleiben. Aber je mehr Repräsentanz angesagt ist, je grösser der offizielle Charakter eines Treffens ist, je politischer der Abend, desto wichtiger wird es auf die spezifisch schweizerische Rolle in Europa hinzuweisen. Ich will und muss es auch hier tun, denn gerade unter vier Augen befinden wir uns an diesem Anlass nicht.

Nehmen wir ein Beispiel: Wenn sich jetzt in Deutschland die Parteien uneins sind über die künftige Höhe der Mehrwertsteuern, streiten sich bloss die Politiker. In der Schweiz darf die Politik die Mehrwertsteuern nicht einmal um einen Zehntel Prozent erhöhen ohne Zustimmung der Mehrheit des Volkes und der Mehrheit der Kantone. Was glauben Sie, weshalb wir einen Mehrwertsteuersatz von 7,6 Prozent aufweisen im Gegensatz zu den mindestens 15 Prozent in den EU-Ländern? Etwa weil die Politiker es so wollten? Nein. Die Schweiz hat nicht die besseren Politiker als Deutschland und die Politik neigt überall dazu – das bestätigt meine Arbeit in der Regierung erneut – statt Probleme strukturell zu lösen – was eben mit unpopulären Entscheidungen verbunden wäre – die Misere mit neuen Einnahmen zu überdecken.
In der Schweiz verfügt jedoch der Souverän – das Volk – über das letzte Wort bei den Steuern.

Für die Ausgaben dagegen ist unser Parlament zuständig. Und hier zeigt sich ein entsprechend anderes Bild. Seit Jahren liegt das Ausgabenwachstum weit über dem realen volkswirtschaftlichen Wachstum, was zu massiven Defiziten im Staatshaushalt führte. Allein auf Bundesebene stiegen die Schulden von 38,5 Milliarden im Jahre 1990 auf 127 Milliarden. Das entspricht einer Verdreifachung. Bei all diesen Entwicklungen lässt sich eine weitere Beobachtung anstellen: Je kleinräumiger die politische Einheit ist, desto besser wirtschaftet sie. Die kommunalen Zahlen sind gesünder als die kantonalen und diese erfreulicher als die nationalen. Das dezentrale oder eben föderalistische System ist dem zentralistischen Aufbau überlegen.

Das kleine Beispiel über die Höhe der Steuersätze zeigt, dass die schweizerische Demokratie neben den Wahlterminen eben auch Abstimmungen über Sachgeschäfte kennt. Jede Änderung an der Verfassung ist dem obligatorischen Referendum unterstellt, muss also zwingend dem Souverän vorgelegt werden. Sie sehen:
Die Schweizer stimmen dauernd ab, sind ununterbrochen in politischen Diskussionen und Streitereien über die «beste Lösung» verwickelt.
Und ich will es Ihnen sagen: Wer die Partizipation der Bürger an seinem Staat wichtig findet, muss daran seine helle Freude haben.

Und damit ist das schweizerische Abseitsstehen von der EU eigentlich schon erklärt: Unsere direkte Demokratie, unser Föderalismus ist unvereinbar mit einem Beitritt zur Europäischen Union. Wer in die EU will, nimmt in Kauf, die nationale Klammer dieses Mehrkulturenstaates aufzulösen. Sollen wir dies tun? Ich habe die Frage entschieden mit Nein beantwortet. Ich spreche hier nicht für jedes einzelne Mitglied der Regierung. Ich spreche in meinem eigenen Namen. Doch täusche ich mich nicht, wenn ich sage, ein EU-Beitritt hätte vor dem Volk heute keine Chance.

Die «Verfassung» Europas

Lassen sie mich einige Worte zur «Verfassung Europas» sagen. Kürzlich sagte mir ein deutscher Bekannter: Die Debatte in Frankreich um die neue EU-Verfassung spreche nicht unbedingt für einen Volksentscheid an der Urne.

Die Buntheit der Gegner und Kritiker hätte zuweilen groteske Formen angenommen. Ich will dieser Beobachtung nicht widersprechen.

An vorderster Front gegen die Verfassung kämpfte die äusserste Linke, weil sie um ihren nationalen Wohlfahrtsstaat fürchtete. Sie sah in der Verfassung ein neoliberales Machwerk. Da etwa Fragen des Freihandels und der Zölle künftig allein durch die europäischen Instanzen geklärt werden dürfen. Ich finde, aus ihrer Sicht hat die Linke sogar Recht mit ihrer Ablehnung. Die Sozialisten spüren, wir können das von uns aus gesehen Richtige nicht mehr tun. Ich finde es zwar falsch, was sie tun wollen, aber ich verstehe ihr Ohnmachtsgefühl.

Von liberaler Seite kamen konträre Bedenken: Nicht wenige sehen in einer starken europäischen Verfassung die Grundlage für den Ausbau eines in der Konsequenz zentralistischen Behördenstaates, der die wirtschaftlichen Freiheiten letztlich wieder gefährden würde. Ich müsste mich verleugnen, wenn ich den liberalen Skeptikern in ihrer Einschätzung nicht zustimmen würde.
Demokratische Puristen wiederum wehren sich dagegen, dass eine Verfassung ohne ausdrückliche Zustimmung der Bevölkerung ratifiziert werden soll. Ich habe von «demokratischen Puristen» gesprochen.

Man könnte diese auch schlicht als Schweizer bezeichnen. So gesehen leben Schweizer nämlich nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa, jedenfalls auch in Bayern. Dort hat nämlich ein CSU-Abgeordneter eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, da er der Überzeugung ist, Bundestag und Bundesrat seien nicht berechtigt, die Verfassungsordnung des Grundgesetzes durch ein anderes Verfassungssystem zu ersetzen. Dies sei ausschliesslich dem Souverän durch eine Volksabstimmung vorbehalten. Auch in diesem Fall kommt man als Schweizer kaum darum herum, dem Kläger und seiner Begründung Recht zuzubilligen. Für einen Schweizer ist es schicht unerträglich, dass über ein so weit reichendes Regelwerk die Bürger nicht abstimmen können!

Die Konservativen wiederum äusserten dahingehend Bedenken, mit einer gesamteuropäischen Verfassung werde die nationale Souveränität beschnitten. Sie fürchten die Entmachung der nationalen Parlamente. Und in der Tat wird es so sein, dass die Verfassung der EU über den Gesetzen der einzelnen Staaten zu stehen kommt. Insofern müssen wir auch den nationalkonservativen Standpunkt dieser Kritik anerkennen.

Die Befürworter eines starken Europas sind ihrerseits enttäuscht, dass die Verfassung zu wenig weit geht, zu wenig Kompetenzen nach Brüssel bringt, zu wenig für die «Einheit» Europas erreicht. Sie ahnen es, auch diesen Einwänden muss ich vom Standpunkt der EU-Politiker recht geben.

Wenn Sie nun meinen, wie ich dazu kommen kann, allen recht zu geben, den Kritikern von rechts und von links, den Liberalen und Eurokraten, wenn Sie mir zudem vorwerfen, wo alle recht hätten, habe am Ende keiner recht – dann muss ich Ihnen, wenn auch ungern. zugestehen: Auch Sie haben mit Ihrer Kritik vollkommen recht.

Diese Konfusion liegt in der Natur der Sache selbst: Europa weiss nicht, wohin der Weg gehen soll. Wohin sich die Europäische Union als Ganzes politisch entwickelt, ist unklarer denn je. Die Expansion scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Trotz wirtschaftlicher Divergenzen strebt die EU heute vornehmlich nach territorialer Grösse. Wie sie die Osterweiterung verkraften wird, ist noch völlig ungewiss. Ungeachtet dessen wird bereits der Beitritt der Türkei forciert. Auch hier stellt sich die Frage, was die Ziele der EU sind: nicht nur geographisch, sondern auch wirtschaftlich, rechtlich und – was oft verdrängt wird:

Über die kulturelle Dimension Europas kann – politisch korrekt – nicht gesprochen werden. Ich meine, das liege nicht an der Unfähigkeit der Leute. Ich glaube, es liegt vielmehr daran, dass man alle Staaten auf einen bestimmten Weg bringen will. Jeder Staat hat seinen Weg und der ist anders als in anderen Staaten. Also ist vielleicht die Einwegstrategie falsch.

Vielleicht könnte man sich auf folgenden Gedanken einigen: Gegen den Willen der Menschen lässt sich kein Wunsch-Europa installieren. Und eine Zwangseinheit darf keine Option mehr sein in diesem fragilen und kulturell ausdifferenzierten Europa. Es kann ja nicht in unserem Sinn sein, ein zweites Jugoslawien zu schaffen.

Für ein Europa der Bürger

Dass in Deutschland – aber nicht nur dort – die Europäische Verfassung allein durch das Parlament bestätigt wird, zeigt die Furcht vor der eigenen Bevölkerung. Wer es aber nicht schafft, die Bürgerinnen und Bürger von einer gemeinsamen europäischen Verfassung zu überzeugen, verliert die Legitimation solche Projekte zu verwirklichen.

Dass man politische Gebilde nicht gegen den Willen der Menschen durchsetzen und behaupten kann, sollte die jüngste Geschichte ausreichend gezeigt haben.

Die Machtkonzentration der EU wird ihr nicht gut bekommen. Die EU-Osterweiterung dürfte die divergierenden Tendenzen zusätzlich verstärken. Über eine mögliche europäische Verfassung sollten jedenfalls die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in den einzelnen Staaten befinden können. Was bei uns eine Selbstverständlichkeit bedeutet, ja vom Gesetz her zwingend ist, scheint in vielen europäischen Ländern ein Gnadenakt der Regierenden zu sein. Dabei muss die EU sich dringend demokratisch legitimieren, damit die Entfremdung zwischen den elitären Technokraten und den Bürgern nicht noch weiter voranschreitet. Es gibt ja spöttische Stimmen, die nicht ohne Recht behaupten, die EU würde die Beitrittsbedingungen für die EU nicht erfüllen.

Die Schweiz in Europa und der Welt

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Inbrunst Politiker die ferne Zukunft gestalten wollen, während ihnen schon die Bewältigung gegenwärtiger Aufgaben und Probleme nicht gelingt. Ich nenne den überschuldeten Staatshaushalt, die explodierenden Sozial- und Gesundheitskosten, die stark gestiegene Kriminalität, die übermässig wachsenden Ausgaben der öffentlichen Hand, die zunehmende Regulierung und Bürokratisierung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, das stetige Ansteigen der Arbeitslosenraten. Da hilft uns auch ein EU-Beitritt nicht weiter. Denn ein Blick nach Europa zeigt, dass die EU keines der genannten Probleme gelöst hat, die wir angeblich nur mit Hilfe dieser Union lösen sollten.

Die weitere Entwicklung der Europäischen Union ist völlig ungewiss: Kann sie ihre vielen Versprechungen erfüllen? Wird die zunehmende Zentralisierung und Machtkonzentration wirklich zum Wohl des europäischen Zusammenlebens sein? Wo liegen die Grenzen der territorialen Expansion, jetzt da sogar die Türkei als Beitrittskandidat gehandelt wird?

Und vor allem: Wie wird die EU, die sich so gerne auf die europäischen Werte beruft, mit einem Land umgehen, das aus freiem Willen und mit guten Gründen nicht Mitglied werden möchte? Denn die Gleichung heisst nicht Schweiz gegen Europa, sondern freundschaftliche Koexistenz. Die Schweiz müsste bei einem EU-Beitritt ihre in vielerlei Hinsicht einzigartige Stellung opfern. Aber wofür?

Am liebsten wäre mir eine EU im Sinne einer gehobenen Freihandelszone. Einem solchen Europa gehören wir de facto bereits an. Eine politische Integration widerspricht jedoch unserer Geschichte und ist letztlich unvereinbar mit der direkten Demokratie. Wir hoffen, die Repräsentanten der EU respektieren diesen Entscheid und beweisen damit, dass sie die europäischen Werte nicht nur in ihren Sonntagsreden hoch halten. Die Volksrechte, die Neutralität und der Föderalismus bilden die historischen Grundlagen unseres Kleinstaates. Nur die Unabhängigkeit kann diese Grundlagen garantieren und nur so können wir den inneren Zusammenhalt dieses polykulturellen Landes sichern.

A N H A N G

Währungen

Es gibt aber auch handfeste wirtschaftliche Einwände gegen eine zu starke Föderation in Europa. Die Väter der Europäischen Union versprachen sich grosse wirtschaftliche Vorteile. Nun zeigt sich aber auch, dass die politische Ausgestaltung der EU die ökonomischen Ziele immer stärker behindert. Aus einer gehobenen Freihandelszone hat sich ein Europa der Institutionen und damit zwangsläufig auch der Bürokraten herausgebildet. Produkt dieser Vermischung ist der Euro.

In den 90er Jahren kam die Idee auf, über eine wirtschaftliche Integration ein geschlossener europäischer Grossstaat mit gemeinsamer Aussen- und Sicherheitspolitik und einem gemeinsamen Rechtsraum mit überstaatlicher Verfassung zu bilden.

Ich denke, das wachsende Misstrauen gegenüber der EU kommt daher, dass die Europa-Promotoren schon früher ein Wunsch-Europa schufen, das der Wirklichkeit nicht standhalten konnte. Um die politische Konstruktion zu fördern, kreierte man eine Einheitswährung.

Der Euro ist eine politische, nicht eine ökonomische Schöpfung. Sie wurde mit Versprechen verbunden, die so nicht eingetroffen sind. Frankreich und Deutschland trennten sich von ihren jeweiligen Währungen, weil man den Menschen mehr Wohlstand, grösseres Wachstum und niedrigere Arbeitslosenzahlen in Aussicht stellte. Diese Versprechen sind offensichtlich nicht in Erfüllung gegangen. Wobei man dafür nicht bloss die «Weltkonjunktur» oder sonst einen abstrakten Schuldigen verantwortlich machen kann. Es hat sicher auch mit der Einheitswährung zu tun, die eben aus liberaler Sicht eine politische Währung ist und keine ökonomische Notwendigkeit.

Als Schweizer kann ich die eigene Währung – den Schweizer Franken – und mit ihm die Möglichkeit einer unabhängigen Währungspolitik nicht hoch genug einschätzen. Er hat uns tiefe Zinsen und eine anhaltend niedrige Inflation gebracht. Letztes Jahr wurde in Schweden die Einführung des Euro deutlich abgelehnt, da dort selbst die Sozialdemokraten von der Wichtigkeit einer souveränen Geldpolitik überzeugt waren. So weit sind unsere Linken noch lange nicht. Nach Dänemark war Schweden der zweite Staat, der über den Euro abstimmen durfte. Beide Länder lehnten die Einführung ab. Ich glaube, auch Deutschland hätte den Euro abgelehnt.

In Grossbritannien hütet sich selbst die europhile Labour-Party eine Debatte über die Einführung des Euro anzufangen. Für uns ist der unabhängige Schweizer Franken zudem eine wichtige Anleger-Währung, die für den Finanzplatz von existenzieller Bedeutung ist. Wir wollen also den Schweizer Franken so wenig aufgeben wie die Briten ihr Pfund.

Der politisch motivierte Euro kann den unterschiedlichen Volkswirtschaften nicht gerecht werden. Der Euro erweist sich als monetäres Korsett. Für Deutschland zu eng, für Spanien zu weit, für Finnland gerade richtig. Ja, er kann nicht anders sein als ein solches Korsett: Schliesslich musste sich der Euro bestimmte Kriterien setzen, die im so genannten «Stabilitätspakt» definiert wurden. Wir alle wissen, dass dieser Pakt gebrochen wurde, noch bevor er überhaupt eingeführt war. Von kreativen Buchhaltungen gewisser Staaten, um dem Euro zu bekommen, will ich hier nicht sprechen. Mittlerweile haben vor allem die grossen Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich den Stabilitätspakt missachtet, obwohl gerade die beiden Länder zu den ideellen Euro-Promotoren gehören. Statt der ordentlichen Verfahren und Milliardenbussen wurden in diesem Frühjahr einfach die Konvergenzkriterien gelockert. So sieht weder eine unabhängige Geldpolitik noch eine seriöse Finanzpolitik aus.

Für ein Europa der Bürger

Seit Anfang der 90er Jahre hat die EU kräftig an Glanz verloren. Diverse Verträge (Maastricht, Amsterdam, Nizza) haben Europa verdichtet. Die im Vertrag von Nizza (2001) neu eingeführte Stimmengewichtung geht vor allem zu Lasten der Kleinstaaten. Das Einstimmigkeitsprinzip wurde weitgehend abgeschafft wie auch das Veto-Recht. Die EU-Kommission verlangt nach mehr Macht, was die Mitbestimmung der einzelnen Länder folgenschwer einschränken würde. Das Demokratiedefizit wächst mit der Grösse der Union.

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