Von Kaisern und Kindern

Ansprache, anlässlich der Eröffnungsfeier der Basler Mustermesse

18.02.2005

Es gilt das gesprochene Wort

Your Royal Highness
Meine Damen und Herren Regierungsrätinnen und Regierungsräte
Herr Messepräsident
Meine Damen und Herren

Die Basler sind feine Menschen: Nur drei Tage nach den Schnitzelbänklern darf jeweils auch ein Bundesrat in Basel sprechen. äusserer Anlass ist die Eröffnung der traditionsreichen Basler Mustermesse – der muba. Zur Abwechslung ist sogar ein Zürcher Bundesrat genehm.

Dass dieses Jahr gerade mir die Ehre zufällt, die Grüsse und Anerkennung der Landesregierung für die muba zu überbringen, freut mich besonders – besonders auch, weil Dänemark das Gastland ist.

Gruss an Dänemark

Mit Dänemark verbindet die Schweiz viel. Vielleicht auch deshalb, weil Kleinstaaten sich schon immer gut verstanden haben. Kleinstaaten haben ja eine grundsätzlich andere Optik auf das Weltgeschehen als die Grossen. Die Optik von unten, die Optik von der Seite her und darum wohl eine skeptische Distanz zu allem, was einfach nur gross ist und zu allem, das seine Bestimmung in noch mehr Grösse zu finden glaubt. Auch in Bezug auf Europa denken Schweizer und Dänen ähnlich. Dänemark ist zwar Mitglied der Europäischen Union, aber in vielem auch wieder halb draussen. Und die Schweiz ist draussen, aber in vielem auch halb drinnen.
Mit Ihrem Staate – Your Royal Highness – fühle ich mich seit Kindsbeinen verbunden. Ich schätzte Ihr Land längst bevor ich es besuchen durfte, denn in unserer dreizehnköpfigen Familie waren Volks- und Kunstmärchen ein wichtiges familiäres Bildungsgut. So lehrte uns unser Vater: « Die wirklich tiefe Wahrheit findet ihr in den Märchen. » Verstanden habe ich das als Kind natürlich nicht. Dafür später umso besser.

Hans Christian Andersen

Einen nicht unwesentlichen Anteil verdanke ich dabei Dänemarks grossem Dichtersohn Hans Christian Andersen, dessen Geburtstag sich heuer zum 200. Mal jährt. Ich weiss nicht, ob ich ohne Ihren grossen Dichter in der Vergangenheit meine zahlreichen folgenschweren Entscheidungen in Wirtschaft, in der Unternehmensführung und der Politik richtig getroffen hätte.

Hans Christian Andersen ist durch seine Märchen bekannt geworden. Diese sind von so tiefen allgemeingültigen Wahrheiten durchdrungen, dass mancher staunt, dass es sich hierbei nicht um alte Volkslegenden, sondern um Kunstmärchen handelt. Wer kennt sie nicht? Die Geschichte vom hässlichen Entlein? Oder die verwöhnte Prinzessin auf der Erbse? Oder die kleine Meerjungfrau? Andersen nannte seine Sammlung bescheiden « Märchen und Erzählungen für Kinder. » Wirklich nur für Kinder ?

Ich zumindest ziehe eine Erzählung von Andersen ganzen Bibliotheken der Managerliteratur vor. Ich würde dieses Märchen sogar allen Führungskräften und Managern dringend zur Lektüre empfehlen, denn dieses Märchen zeigt uns Führungsleuten Gefahren auf und gibt Mut zu selbstständigen Entscheiden. Ich spreche von der Geschichte mit dem Titel « Des Kaisers neue Kleider ».

Des Kaisers neue Kleider

Lassen Sie mich darum anlässlich der Eröffnungsfeier der muba, wo Politik und Wirtschaft, wo die Schweiz und Dänemark einander die Hand reichen, dieses Märchen kurz in Erinnerung rufen – auch wenn es vielleicht das erste Mal ist, dass ein Bundesrat mit einem richtigen Märchen die muba eröffnet:

Ein eitler Kaiser liebte nichts mehr als seinen Putz zu zeigen. Das war ihm weit wichtiger als alle Staatsgeschäfte. Dies realisierten zwei schlaue Geschäftemacher und so priesen Sie sich an, sie würden die schönsten Kleider anfertigen, die es überhaupt gibt. Und diese Kleider seien nicht nur die schönsten, sondern auch besonders, denn sehen könne sie nur, wer für sein Amt taugt und nicht unverzeihlich dumm sei. Als dieser Kaiser – eitel und eingebildet, wie er war – dies hörte, wollte er diese Gewänder natürlich umgehend für sich erstehen. Er beauftragte die wunderlichen Schneider, ihm das schönste Kleid zu fertigen.
Die Betrüger liessen sich zuerst üppig bezahlen, taten dann so, als ob sie die Kleider herstellten und übergaben sie anschliessend dem Hofstaat. Weder Minister noch Beamte noch der Kaiser selbst wollten aus Angst vor der Blamage zugeben, dass sie die neuen Kleider gar nicht sahen. Wer will schon freiwillig als dumm und untauglich gelten?

Schliesslich veranstaltete der Kaiser eine grosse Prozession, um sich im neuen Gewand zu präsentieren. Alle Ausrufer des Reiches – wohl auch alle Zeitungen, Fernsehstationen und Radios, sofern es sie damals schon gegeben hätte – verkündeten dem ganzen Volk, der Kaiser komme nun in seinen prächtigsten Kleidern und das besondere an ihnen sei, dass nur gescheite und fähige Menschen diese Pracht erkennen könnten.

Für dumme und untaugliche Menschen seien diese nicht zu erkennen. Und so geschah es, dass das ganze Volk lauthals die Schönheit der Kleider pries – bis ein kleines unschuldiges Kind ausrief: « Aber er hat ja gar nichts an! Der Kaiser ist nackt! » – « Hört die Stimme der Unschuld! » sagte darauf sein Vater und die Umstehenden erzählten weiter, was das Kind gesagt hatte. Bis am Ende das ganze Volk rief: « Er hat ja gar nichts an. »

Die Geschichte endet hier leider Gottes nicht. Denn Hans Christian Andersen kannte die Menschen nur zu gut, offenbar vor allem jene in führenden Positionen. Er kannte die Gefahr der Eitelkeit und den blinden Stolz von Regierenden. Hören wir, wie die kleine Erzählung endet:

« Er hat nichts an! » rief zuletzt das ganze Volk. Und das kroch in den Kaiser, denn ihm schien, sie hätten recht, aber er dachte: Jetzt muss ich während der Prozession durchhalten. Und dann hielt er sich noch stolzer, und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
Zu viele nackte Kaiser – zuwenig unschuldige Kinder

Ja, meine Damen und Herren, nach Jahren der Tätigkeit als Industrieller und Politiker stelle ich fest, die nackten Kaiser sind gar nicht so selten. Auch in unserem Land, wo es schon lange keine Kaiser mehr gibt. Wie oft habe ich ähnliches in Unternehmen, im Staat, bei Politikern und bei Regierungen erlebt. Wie oft liegt die offensichtliche Wirklichkeit vor unseren Füssen und trotzdem wird die Realität im grossen Chor verneint. Besonders dann, wenn die political correctness, der gute Ton, « alles, was Rang und Namen hat », der Mainstream und die veröffentlichte Meinungs-Harmonie dies gebieten und die Realität ausblenden. Und das Traurige ist, diese Kaiser – auch die selbsternannten – geben sich noch stolzer, selbst wenn jemand auftritt und den wahren Sachverhalt darstellt: « The show must go on » – wie in Andersens Märchen. Diese gespenstischen Szenen haben sich oft wiederholt. Zahlreiche Fehlentscheidungen aus Wirtschaft und Politik könnten hier aufgetischt werden. Sollen wir sie nennen? Nein – « hier schweigt des Sängers Höflichkeit ».

Es sind oft nicht nur zu viele eitle, eingebildete nackte Kaiser, sondern auch zu wenig unschuldige Kinder, die von Anfang an rufen, er ist ja nackt. Oft fürchten sich Führungskräfte vor der Wirklichkeit, obwohl Sie wissen, nur eine ungeschminkte Analyse der Wirklichkeit kann zu brauchbaren Lösungen führen. Und oft ist niemand da, der die Führungskräfte dazu zwingt. Die Wirklichkeit ist ja oft unangenehm. Wer aber auf der Basis von Wunschvorstellungen entscheidet, trifft zwangsläufig ins Leere.

Unternehmen werden ganz selbstverständlich gemessen an dem, was sie tun. Wer in der Wirtschaft die Wirklichkeit leugnet, den bestraft der Markt, den bestrafen die Kunden und die Konkurrenz. Darum verschwinden die nackten Kaiser in der Wirtschaft schnell.

Nackte Kaiser in der Politik

Aber – meine Damen und Herren – wie ist es mit den nackten Kaisern in der Politik? Wie steht es mit der Demokratie, den Bürgern, den Medien? Haben wir genügend Kritiker, haben wir genügend Kinder, die den Mut haben, zu rufen: « Hört doch auf, der Kaiser ist nackt. »

Und sollte einer tatsächlich rufen, werden die Verantwortlichen nicht noch stolzer, noch aufgeblasener herummarschieren? Und wieviele tragen dahinter die unsichtbare Schleppe weiter? Wo gibt es sie nicht? Die Realitätsfremden und Opportunisten, die Fehlentwicklungen unterstützen! Hans Christian Andersen’s Märchen vom nackten Kaiser ist hoch aktuell und leider bleibt es aktuell.

Vielleicht hätte Andersen sein Märchen 2005 etwas anders geschrieben. Die Macht der modernen Massenmedien, welche ganze Gesellschaften leiten und irreleiten können, machen Zwischenrufe schwieriger aber notwendiger. Rufer in der Wüste, die sich getrauen, gegen den Mainstream anzutreten und die Wirklichkeit beim Namen zu nennen, werden oft an den Pranger gestellt.

Sie kennen die vielseitigen Abmahnungen: « Er ist der einzige, der eine andere Meinung hat. » Oder: « Alle anderen Parteien sind anderer Meinung. » Oder: « Das darf man so nicht sagen. » Oder: « So direkt darf man auch wieder nicht sein. » Oder: « Wo bleibt den hier der Respekt vor Amt und Würde? »

Bestrafung der Mahner

Oft drischt die öffentlichkeit auf den armen « Wahrheitsrufer » ein, obwohl sie genau weiss, dass er Recht hat. Wie oft wird einer der Unzucht bezichtigt, nur weil er die nackte Wahrheit sagt! Heute besteht ein Skandal meistens nicht darin, dass einer eine Dummheit begeht, sondern der Skandal besteht darin, dass einer die Dummheit rügt und diese beim Namen nennt. Ich meine, auch in unserer Gesellschaft laufen zu viele nackte Kaiser herum. Oft erkennen Sie dies an ihren Leerformeln und Worthülsen. So sprechen Sie vom « Image », um die eigene Inhaltslosigkeit zu verdecken. Das Fordern von « Nachhaltigkeit » verdeckt oft die Untauglichkeit eines Vorschlages. Von « globaler Verantwortung » spricht, wer sich der Verantwortung im eigenen Bereich entzieht. « Solidarität » meint oft, dass andere für die eigene fehlende Selbstverantwortung bezahlen sollen.

Wo sind die unschuldigen Gemüter, die in solchen Momenten laut sagen: « Seht her, dass ist alles nur Luft und Schall und Rauch »?

Messen eliminieren nackte Kaiser

Meine Damen und Herren, es ist schön, dass an einer Messe wie der muba nackte Kaiser von vornherein verloren haben. An eine Messe wie dieser kommen nur Aussteller, die ihre Produkte zeigen dürfen. Hier muss sich jeder der Wirklichkeit aussetzen. Es wird ganz selbstverständlich geprüft und erprobt. Käufer und Konsumenten wollen keine Luftschlösser, keine schönen Versprechen. Sie wollen reale, nützliche, brauchbare, schöne Produkte. Dazu dient dieser grosse, offene Marktplatz. Die Mustermesse bietet das ideale Forum, um sich zu messen und zu mustern und sich mustern zu lassen. Wer hierher kommt, zeigt seine Produkte. Wer hierher kommt, weiss, dass auch andere, sogar direkte Konkurrenten, ihre Produkte der öffentlichkeit präsentieren. Wer also an die muba kommt, scheut weder die Konkurrenz noch den kritischen Einkäufer. Es wird begutachtet. Und dann eventuell gekauft. Dafür steht heute stellvertretend für alle Gewerbe- und Handelsmessen die Basler Mustermesse.

Wenn das alles doch für politische Produkte auch gelten würde. Wissen Sie, so eine grosse politische Mustermesse, wo die besten Rezepte für das Wirtschaftswachstum, wo Probleme, Lösungen, Entscheide, aber vor allem auch Taten der Politiker auf einem Marktplatz aneinander gemessen würden. Das brächte Bewegung in die Politik und verscheuchte die nackten Kaiser.

muba als Ort der Begegnung im IT-Zeitalter

Die wirtschaftliche Bedeutung einer Messe liegt auf der Hand. Messen dienen aber auch der Kontaktpflege und der Aufnahme neuer Kontakte. Obschon die Messen bis ins Mittelalter zurückgehen, sind sie noch heute besonders bedeutsam, denn menschliche Kontakte können nicht durch moderne Kommunikationsformen ersetzen werden.
Denn hinter jeder, auch noch so modernen Kommunikation stecken schliesslich Menschen. Die persönliche Begegnung, das Erfassen und Begreifen kann durch keinen Flachbildschirm, durch kein Internet, keinen digitalen Austausch ersetzt werden.

Dank

Angesichts der Wichtigkeit von solchen Messen danke ich Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich den Organisatoren auch im Namen der Landesregierung für die Durchführung der muba.

Ich danke dem Gastland Dänemark, dass es der Einladung Folge geleistet hat und freue mich auf weitere freundschaftliche Beziehungen und mit Respekt gedenke ich Ihrem grossen Dichtersohn Hans Christian Andersen für seine klugen Märchen. Meine Damen und Herren, Ihnen wünsche ich gute Kontakte und vor allem viele gute Geschäfte!

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