Ein Marschhalt ist nicht schlecht

22.12.2004, Der Bund (Patrick Feuz, Jürg Sohm)

Das Jahr 2004 war für den Bundesrat ein relativ erfolgloses Jahr. Das Stimmvolk hat Avanti, Mietrecht, AHV-Revision und Steuerpaket abgelehnt. Ist der Aufbruch zur «bürgerlichen Wende», wie sich diese die SVP erhofft hat, schon gestoppt?

In dieser Frage ist so viel falsch, dass man zuerst die Frage korrigieren müsste. Das mit der «bürgerlichen Wende» stammt jedenfalls nicht von mir.

Aber von der SVP.
Die SVP hat lediglich gesagt, die Wende wäre nötig. Ich selber habe nie daran geglaubt. Nur weil eine Partei einen Vertreter mehr in der Regierung hat, ist das noch lange keine Wende. Festzuhalten ist, dass das Volk ausnahmslos Vorlagen von der alten Regierung und dem alten Parlament abgelehnt hat.

Die Vorlagen vom 16. Mai wurden von bürgerlichen Politikern durchaus als Aufbruch zu einer rechteren Politik aufgegleist und interpretiert.
Sie haben Recht. 2003/2004 hat das Volk alle Vorlagen mit Veränderungen von links und rechts abgelehnt. Es könnte die Botschaft sein: Wir trauen neuen Lösungen nicht. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Die Schweiz ist in einer Umbruchsituation. In solchen Zeiten ist es es zunächst nicht so schlecht, wenn einmal vorerst nichts ändert. Wenn es einem Unternehmen schlecht geht und die Richtung nicht stimmt, ist auch ein Marschhalt nötig.

Was kommt nach dem Marschhalt?
Jetzt muss man die einzelnen Probleme isoliert anschauen und überlegen, wie man die Polarisierung überwinden kann. Der Bundesrat muss vermehrt das Gespräch mit den Parteien suchen. Natürlich bringt das nicht überall Erfolg.

Bei der AHV gibt es dringenden Handlungsbedarf. Da kann man nicht allzu lange warten. Wie müsste eine mehrheitsfähige Vorlage aussehen?
Ein Fehler war wohl, dass man zu viel auf einmal bringen wollte. Einzelteile wie zum Beispiel das AHV-Alter 65 für alle hätten vermutlich Chancen, angenommen zu werden.

Also ein gestaffeltes Vorgehen?
Ja.Wenn man zu viel in eine Vorlage packt, ist die Gefahr natürlich grösser, dass sie verworfen wird.

Sie wollen den Druck aufrechterhalten, dass der Staat die Steuern senkt. Wie muss hier eine mehrheitsfähige Lösung aussehen?
Hier gilt das gleiche wie bei der AHV. Die Entlastung der Familien und der Hauseigentümer – wobei es für bestimmte Gruppen auch Mehrbelastungen gegeben hätte – war vermutlich zu viel auf einmal. Am dringendsten wäre eine Unternehmenssteuerreform. Das brächte der Wirtschaft am meisten und würde Arbeitsplätze schaffen. Für sich allein wäre dies wahrscheinlich auch mehrheitsfähig.

Sie beklagen die «Verregulierung» als Haupthindernis für das Wirtschaftswachstum. Warum aber wehren Sie sich gegen Parallelimporte etwa im Medikamentenbereich, also gegen eine Deregulierung?

Weil dies ein grosser Eingriff in die Eigentumsfreiheit wäre. Ein Unternehmer muss bestimmen können, was mit seinen Produkten passieren soll. Wenn man den Patentschutz schwächt, wird niemand mehr forschen und entwickeln.

Wo wollen Sie denn mit der Deregulierung konkret ansetzen?

Bauen Sie einmal ein Haus oder eine Fabrik: Die Vorschriften, die Ihnen dabei gemacht werden, sind unglaublich. Oder schauen Sie einmal, was den Unternehmern im Umweltschutz alles auferlegt wird.

Sie wollen die Umwelt nicht mehr schützen?
Die Frage ist, ob man die Umwelt nicht einfacher schützen kann als mit solchen Regulierungen. Nehmen Sie die CO2-Abgabe: Da werden die Unternehmen mit einer gewaltigen Bürokratie konfrontiert. Wir können das alles machen, aber dann darf man sich nicht beklagen, wenn die Wirtschaft nicht wächst.

Soll den späteren Generationen schlechte Luft zugemutet werden?
Nein. Es braucht Verbote und Grenzwerte. Das ist einfacher.

Verbote?
Klar. Man kann festschreiben, wie viel CO2 ausgestossen werden darf. Ich war auch nie gegen die Katalysatorpflicht bei Autos. Das ist eine kleine Regulierung.

Wir verstehen die Idee mit dem Verbot gegen schlechte Luft nicht.
Sie können im Bauwesen jedes Detail vorschreiben und Einsprachen ermöglichen, oder Sie können einfach die Grenzwerte und Grenzabstände vorschreiben und fertig. Bei der schlechten Luft können Sie auch sagen, wieviel ausgestossen werden darf.

Aber der CO2-Ausstoss ist doch nicht mit Verboten zu regulieren.

Warum nicht? Vielleicht nicht mit Verboten im herkömmlichen Sinn. Aber man kann eine Ausstossmenge definieren und dann Anreize schaffen, dass mehr mit Klima schonendem Diesel statt mit Benzin Auto gefahren wird. Beim Auto haben wir die Schadstoffe durch die Katalysatorpflicht reguliert. Autos ohne Katalysator sind verboten.

Das Ziel der CO2-Abgabe ist es, dass weniger Auto gefahren wird, weil das Benzin verteuert wird. Das ist auf den ersten Blick bestes liberales Verursacherprinzip.

Erstens stimmt es aber wahrscheinlich nicht, dass dann weniger Auto gefahren wird. Und zweitens profitiert von dieser Lösung nur, wer in Zürich neben dem Hauptbahnhof wohnt. Der aus dem Münstertal ist der Dumme. Das CO2-Gesetz ist zudem ein gutes Beispiel für die unglaubliche Beratungsfirmen-Bürokratie in der Verwaltung. Auf dem Papier sieht alles schön aus. Aber für die Unternehmen ist dies hinderlich. Wir können es machen, aber dann schwächen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit.

Auf Ihren Antrag hin will der Bundesrat abklären lassen, wie die Bundesausgaben um bis zu 40 Prozent gekürzt werden könnten. Was soll eine so realititätsfremde übung bringen?

Wenn Sie die Staatsausgaben senken wollen, müssen Sie wissen, was im Staat wichtig ist und was nicht. Im Laufe der Jahre sammelt sich immer Unwichtiges an. Um das herauszufinden, müssen Sie mit einer hohen Sparvorgabe starten. Nur so gibt es den Zwang, die Kosten der einzelnen Aufgaben herauszufinden und diese Aufgaben dann zu bewerten und zu gewichten. Sie können dann immer noch sagen, wir begnügen uns mit Einsparungen von 20 oder 10 Prozent.

Wo sehen Sie vertretbare, kräftige Schnitte?
Ich will diese Frage nicht beantworten. Sobald einer ruft, das ist die Lösung, ist die Übung schon gestorben. Deshalb müssen Sie das Ziel vorgeben und in einem Prozess Varianten erarbeiten.

Damit setzen Sie sich dem Vorwurf aus: grosse Sparsprüche, keine konkreten Vorschläge.
Wer das Richtige will, muss diesen primitiven Vorwurf ertragen.

Sie möchten am liebsten öffentliche Bundesratssitzungen. Mehr Transparenz in Ehren: Wenn alle Bundesräte einfach auf ihren Showpositionen beharrten, wäre konstruktive Regierungsarbeit viel schwieriger.
Ich weiss natürlich, dass es kaum je öffentliche Bundesratssitzungen geben wird. Ich will mit dieser Forderung nur sagen: Es gibt nichts zu verbergen. Die heutige Praxis führt zu Indiskretionen, die nur die halbe Wahrheit enthalten und in der öffentlichkeit zu Fehlbeurteilungen führen. Eine Regierung, die öffentlich wäre, würde an Vertrauen gewinnen. öffentliche Positionen sind nicht Showpositionen.

Die Bundesräte wären unter ständigem Druck ihrer Partei und Klientel und könnten viel weniger Hand bieten zu mehrheitsfähigen Lösungen.
Der einzige Unterschied zwischen dem Bundesrat und Parlament liegt darin, dass der Bundesrat kleiner ist als das Parlament. Wie die Parlamentsfraktionen fahren auch die Bundesräte oft mit Maximalpositionen ein. Am Schluss geht es darum, einen Kompromiss zu haben. Die Bundesräte müssen genau wie die Parlamentarier Konzessionen machen. Die Positionen und ihre Verfechter darf man kennen, und auch die Abstriche an diesen Positionen sollten öffentlich sein.

Sie sagen, bisher hätten die Parteien nicht die profiliertesten Köpfe in den Bundesrat geschickt. Sie sagen damit, Sie seien der einzige profilierte Kopf im Bundesrat.
So einen Unsinn habe ich nie behauptet und werde es auch nie tun. Im Bundesrat sitzen heute sieben verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Positionen und unterschiedlichem Charakter. Das ist ein schwieriges Gremium. Das war schon immer so. Wir müssen jetzt nicht so tun, als seien früher sieben Gleichgesinnte Fritzen in einem Saal gesessen und hätten sich gegenseitig gelobt. Es gab schon früher Zeiten, da ging es im Bundesrat heftig zu und her und solche, da ging es weniger heftig zu – letztere waren nicht die besten Zeiten. Am Anfang meiner Bundesratstätigkeit gab es eine gewisse Reserve gegenüber einer harten Diskussion. Heute ist das nicht mehr so. Es wird gestritten und gerungen. Das ist gut und führt zu besseren Ergebnissen.

Ihre Frau hat öffentlich die Idee lanciert, das Parlament solle eine rein bürgerliche Regierung wählen. Kann die Konkurrenz in der schweizerischen Referendumsdemokratie funktionieren?
Natürlich kann sie funktionieren. Die Frage ist, ob man das will. Die Konkurrenz wie die Konkordanz haben ihre Vor- und Nachteile. Aber es ist langsam langweilig, dass wir immer wieder darüber sprechen. Die Frage wurde eigentlich bei den letzten Bundesratswahlen entschieden. Die SVP forderte damals zwei Sitze und sagte, andernfalls ginge sie in die Opposition. Die anderen wollten die SVP verständlicherweise nicht in die Opposition ziehen lassen, weil das für sie eine unangenehme Situation gewesen wäre.

Wo liegen die Vorteile der Konkurrenz?

Jene regieren, die gleicher Meinung sind – wenn sie es dann wirklich wären. Sie müssen ihre Entscheide dauernd an der Opposition messen. Diese starke Rücksichtnahme gibt auch gute Entscheide. Vor allem weiss man in der Konkurrenz, wer die Verantwortung trägt. Das ist heute nicht immer so klar. Später kann dann das Volk wenn nötig als Korrektiv wirken. Aber die Konkordanz hat natürlich auch grosse Vorteile: Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Positionen findet schon im Bundesrat statt – wenn sie stattfindet. Man kann mit beiden Regierungsformen leben.

Wären Sie persönlich als Bundesrat für eine Konkurrenzregierung zu haben?
Jetzt nicht. Ich bin heute in der Konkordanz. Aber wenn das Parlament sich für die Konkurrenz entscheidet, würde ich sagen, dann bin auch ich dafür. Sei es in der Regierung oder in der Opposition. Das ist ja im Grunde das gleiche. Die Unterschiede sind nur graduell. Wer glaubt, die Arbeit in der Opposition sei ganz anders als in der Regierung, versteht weder die Opposition noch die Regierung.

Die Opposition hat im Gegensatz zur Regierung weniger Verantwortung.
Natürlich. Die Regierung trägt die Verantwortung. Darum sollte man die Opposition in die Regierung nehmen. Das macht man ja. Die Parteien haben es in der Opposition aber viel schwieriger als in der Regierung. Sie müssen alles selbst erarbeiten, haben keinen Zugang zum Verwaltungswissen und im Gegensatz zum Ausland keine eigenen Medien. In den letzten Jahren war die Presse auf jeden Fall immer auf Seite der Regierung.

Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie als Bundesrat eines Tages mit Genugtuung zurücktreten könnten.
Ich werde wahrscheinlich nie mit Genugtuung zurücktreten können. Ich war 30 Jahre Unternehmer und bin nie mit Genugtuung vor die Presse getreten, sondern habe immer über Probleme gesprochen, die wir gelöst haben oder noch lösen mussten.

Dann fragen wir so: Wie müsste die Schweiz aussehen, dass Sie wenigstens mit ein bisschen Genugtuung zurücktreten?
Wenn die Schweiz sagen würde: Wir sind bereit, eine bessere und erfolgreichere staatliche Ordnung zu machen als die anderen Staaten. Das heisst weniger Geld ausgeben, den Bürgern mehr Freiheit geben, eine höhere Selbstverantwortung haben und damit ein höheres Wirtschaftswachstum und viele Arbeitsplätze erreichen – also ein ökonomisches Wunderwerk gegenüber den anderen Staaten schaffen, die immer noch regulieren und hohe Ausgaben machen. Diese Schweiz würde zweitens die direkte Demokratie beachten. Heute ist das nicht Mode. Gewisse Wirtschaftsleute wollen die Demokratie einschränken, und Herr Couchepin hat auch seine eigenen Demokratie-Ideen. Drittens müssten wir die Kraft haben, unser Land in Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten und nicht grossen Organisationen beitreten.

Sie sagen, die direkte Demokratie sei kein Hindernis für eine florierende Wirtschaft. Gleichzeitig bekämpft die SVP das Verbandsbescherderecht.
Es ist nicht die direkte Demokratie, die verantwortlich ist für die hohe Regulierung, wie das Wirtschaftsvertreter behaupten. Diese haben nicht erkannt, dass die Zahl der Interventionisten in Bern viel grösser ist als in der Bevölkerung. Das Volk hat zu vielen Interventionen gar nie etwas sagen können. Und viele Interventionen hat es verworfen, darunter manche Steuererhöhung. Das Verbandsbeschwerderecht ist kein Instrument der Demokratie.

Sie glauben also, das Volk für Ihre Vision eines schlanken Staates gewinnen zu können?
Sicher nicht in allen Teilen. Der Schritt, der zu tun wäre, ist relativ gross. Vor allem dort, wo die Leute auf etwas verzichten müssen. Es ist mir klar, dass es schwierig ist, den Leuten etwas wegzunehmen. Es ist aber schon gut, wenn wir nicht dauernd Neues verteilen.

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