Ein Bundesrat ist doch kein Schauspieler

Interview mit der Basler Zeitung im Rahmen der Generalversammlung der Handelskammer der beiden Basel, an der Bundesrat Blocher als Gastredner eingeladen war.

10.06.2004, Basler Zeitung (Tobias Bossard, Pierre Weill)

Bundesrat Blocher ist der Sprung vom Unternhemer zum Bundesrat nicht leicht gefallen. Jetzt gefällt ihm aber der Job, wie er im Interview erklärt. «Aber ich habe Mühe, wenn man mir sagt, ich müsse bei einer Sache persönliche Begeisterung ausstrahlen.»

Herr Bundesrat Blocher, was ist einfacher: ein Bundesrat zu sein oder ein Unternehmer?
Als Unternehmer verliert man alles, wenn man seine Sache schlecht macht. Das Risiko als Unternehmer ist deshalb viel grösser als jenes eines Bundesrats. Ein Unternehmer kann aber auch viel mehr bewirken. In Bern muss man zuerst immer viele Gremien und Leute von einer Sache überzeugen. Das ist schwieriger, auch weil neben den sachlichen Aspekten noch sehr viele politische Erwägungen eine Rolle spielen. Dafür ist die Arbeit weniger risikoreich. Im Bundesrat sind Fehler möglich, ohne dass man gleich bestraft wird. Oder denken Sie an die 130 Mrd. Fr. Bundesschulden, deswegen verliert niemand seinen Job.

Sie sind seit fünf Monaten im Bundesrat. Wie haben Sie sich eingelebt?
Die erste Zeit war sehr schwierig, der Wechsel enorm. Mittlerweile kenne ich die Leute und Themen und sehe die Probleme und Lösungsmöglichkeiten.

Aber gefällt es Ihnen im Bundesrat?
Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist: Kann ich meine Anliegen verwirklichen oder nicht? In vielen Bereichen ist das möglich, ohne dass man es merkt; bei anderen nicht.

Viele haben den Eindruck, Sie fühlen sich in Ihrer Rolle nicht immer wohl.
Ich fühle mich sehr wohl. Schon als Unternehmer hatte ich Momente, die nicht immer lustig und fröhlich waren. Insgesamt habe ich aber Freude an meinem Job, sogar immer mehr.

In der Basler Zeitung sagte der Basler FDP-Nationalrat Johannes Randegger, dass Sie im Bundesrat Ihr «Format als Staatsmann erst noch finden» müssen.
Mir hat er das nicht gesagt. Was ist das überhaupt, «Format als Staatsmann», das müsste er mir zuerst erklären. Einige sagen auch, ein Bundesrat muss seine ihm zugeordnete Rolle übernehmen. Was ist denn das für eine Auffassung? Ein Bundesrat ist kein Schauspieler, sondern hat zu sagen, was er denkt. Einzig über die Dinge, die im Bundesrat diskutiert werden, kann er nicht öffentlich seine Meinung sagen.

Sie hätten Bundesrat Moritz Leuenberger zum Rücktritt aufgefordert, sickert zu den Medien durch. Wie gehen Sie mit solchen Indiskretionen um?
Ich lasse die einfach laufen und schaue zu. Zum Rücktritt aufgefordert habe ich ihn sowieso nicht, das liegt nicht in meiner Kompetenz. Was aber genau war, darüber spreche ich nicht, es ist ja auch nichts passiert. Wir hatten eine gute Diskussion. Ich muss darüber lachen, was alles geschrieben wird, und staune, was die Leute in der Bevölkerung wissen, obwohl ich dazu noch nie etwas gesagt habe. Am Dienstag habe ich zum ersten Mal seit fünf Monaten Fernsehen geschaut und bin ausgerechnet beim «Zischtigsclub» gelandet, in dem fünf Leute über die Vorgänge imBundesrat diskutiert haben, die noch nie im Bundesrat waren. Das war eine Diskussion über eine Fata Morgana.

Wie gehen Sie damit um, dass Sie als Bundesrat Dinge vertreten müssen, von denen Sie früher eine andere Meinung hatten – etwa beim Schengen-Dossier der Bilateralen II?
Damit habe ich keine Mühe. Mühe macht mir nur, wenn Leute meinen, ich müsse Argumente vortragen, die es gar nicht gibt. Ich habe auch Mühe damit, wenn man mir sagt, ich müsse bei einer solchen Sache persönliche Begeisterung ausstrahlen. Aber ich kann doch sagen, wo die Vor- und Nachteile bei einer Sache liegen, und warum der Bundesrat findet, die Vorteile überwiegen. Für meine Partei ist das vielleicht ein Problem, aber wir haben dies von Anfang an besprochen, dass ich in solchen Angelegenheiten für einen Kampf ausfalle. Aber gerade bei Projekten wie Schengen ist es wichtig, dass die Leute wissen, worum es geht. Wenn ich Nachteile aufzähle, verletze ich das Kollegialitätsprinzip nicht. Das wäre der Fall, wenn ich Schengen bekämpfen würde.

Sehen Sie als ehemaliger Unternehmer Möglichkeiten, die Regierungsarbeit effizienter zu gestalten, wie die Schaffung eines stärkeren Präsidentenamtes oder höhere Hürden für Referenden?

Nein, dies ist nicht nötig. Wir brauchen eine andere Politik. Wir müssen nicht die Volksrechte einschränken. Derartige Schritte würden am wahren Problem vorbeizielen.

Doch wieso lehnt das Volk Reformen ab, die viele als nötig empfinden?
Das Volk hat bis jetzt keine wahren Reformen abgelehnt. Das Elektrizitäts-marktgesetz habe ich selbst im Parlament noch abgelehnt, weil ich der Ansicht war, dass dies gar keine Liberalisierung ist. Es war eine verdeckte Verstaatlichung. Dann habe ich gesagt, es ist doch weniger schlimm als jetzt. Wenn man derartige Reformen vorlegt, die schwer verständlich sind oder eine Verschlechterung bringen, ist es nicht erstaunlich, wenn das Volk Nein sagt. Die 4,9 Mrd. Fr. zusätzliche Mehrwertsteuer hat das Volk abgelehnt.

Welche Wirtschaftsreformen sind notwendig, um die Wachstumsschwäche der Schweiz zu beheben?

Die dramatische Lage der Bundesfinanzen müssen wir korrigieren. Diese lähmen die schweizerische Wirtschaft. Deshalb wächst die Wirtschaft nicht. Wir sollten nichts anderes machen als den Haushalt in Ordnung zu bringen und das Wachstum zu fördern. Doch der Bund ist noch nicht so weit. Das ist tragisch. Es besteht die Gefahr, dass wir die gleichen Probleme wie Deutschland bekommen werden oder wie England, bevor Margaret Thatcher Regierungschefin wurde. Damals war das Bruttoinlandprodukt von Grossbritannien geringer als jenes der DDR. Es wäre schade, wenn wir so tief fallen müssten, bevor wir die nötigen Reformen einleiten.

Das EWR-Nein von 1992 schätzen Sie als Erfolg ein …

… ja, als gewaltigen Erfolg…

… aber seither ist die Schweiz von allen OECD-Staaten am langsamsten gewachsen. Besteht ein Zusammenhang?
Keinesfalls.

Aber die Liberalisierung des Binnenmarktes …
… meinen Sie, wir hätten liberalisiert, wenn wir EU-Mitglied wären? Deutschland ist schon lange in der EU Das Problem ist, dass wir von allen Industriestaaten in den vergangenen zehn Jahren unsere Fiskalquote am stärksten erhöht haben. Unsere Schulden sind bei Bund, Kantonen und Gemeinden auf 300 Mrd. Fr. angestiegen, deshalb geht es nicht vorwärts. Es ist nicht wahr, dass nicht liberalisiert wurde. Ich nehme die Handwerker in Schutz. Sie sind einem starken Wettbewerb ausgesetzt.

Die Landwirtschaft …

… die Landwirtschaft ist nicht in der freien Marktwirtschaft zuhause. Sie ist in keinem Land der Marktwirtschaft ausgesetzt. Aber man könnte das auch anders machen. Ich habe bereits Vorschläge gemacht, bevor ich im Bundesrat war. Jetzt muss ich mit Vorschlägen etwas vorsichtiger sein. Wenn wir in der EU wären, ginge es diesem Land miserabel. Wir hatten nur ein kleinesWachstum, aber wir haben noch immer ein relativ hohes Pro-Kopf-Einkommen, wir haben relativ wenig Arbeitslose und tiefe Zinsen, was ein Wettbewerbsvorteil ist. Das alles ist so, weil wir nicht in der EU sind. Und das weiss heute übrigens auch die Wirtschaft.

Welchen Einfluss nehmen Sie heute noch auf ihren ehemaligen Konzern, die Ems Chemie?
Gar keinen. Muss ich auch nicht. Ich bin nicht mehr daran beteiligt und sehe, dass es gut läuft.

Beraten Sie auch nicht die heutige Konzernchefin, Ihre Tochter Magdalena Martullo, wenn Sie sich treffen?
Wenn mich meine Tochter mit den Enkeln besucht, frage ich schon, wie es geht. Ist dies verboten?

Aber in den Zeitungen verfolgen Sie das Unternehmen intensiv?

Die Zeitungen lese ich generell intensiv, aber nicht speziell mit Blick auf die Ems Chemie.

Sie haben Ihren Anteil an der Ems Chemie Ihren Kindern teilweise verkauft und teilweise verschenkt. Wie habenSie Ihr Vermögen jetzt angelegt?
Das sage ich Ihnen, wenn alle Bundesräte bekannt geben, wo sie ihr Geld angelegt haben. Ich bin aber an keinem Unternehmen massgeblich beteiligt.

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