Unser Asylwesen hat langfristig keine Zukunft

03.05.2004, Basler Zeitung (Niklaus Ramseyer)

Herr Bundesrat Blocher, wohin würden Sie gehen, wenn Sie flüchten müssten?
Auf jeden Fall in ein reiches Land – am ehesten wohl nach Kanada.

Im Bundesrat sind Sie nun für die Flüchtlingspolitik zuständig. Haben Sie merken müssen, dass diese komplizierter ist, als sie es früher etwa in Referaten vor der Auns dargestellt haben?
Nein. Wenn ich die Flüchtlingspolitik als Politiker früher thematisiert habe, dann ging es mir vor allem um die Darstellung der Zustände. Und jetzt stelle ich nach eingehender Analyse fest, dass es zum Teil schlimmer ist, als ich gemeint hatte. Dass die Suche nach Lösungen im Staat kompliziert ist, das habe ich hingegen immer gewusst. Trotzdem nehme ich die dringensten Probleme jetzt auf und biete Lösungen.

Und welches sind die wichtigsten Lösungen, die Sie nun in der Sondersession durchbringen wollen?
Da ist vor allem die neue Drittstaatenregelung, gemäss der wir auf Gesuche von Leuten, die aus sicheren Drittstaaten zu uns kommen gar nicht mehr eintreten müssen. Dann das Beschwerdeverfahren an den Empfangsstellen und an Flughäfen und dort auch die Ausschaffungshaft. Schliesslich die Nothilferegelung nach Nichteintretensentscheiden, wie wir sie seit dem 1. April haben.

Das sind alles nur weitere Verschärfungen des Gesetzes. Was bringen Sie eigentlich wirklich Neues?
Ich frage meistens nicht, ob etwas neu sei oder nicht. Ich frage ob es etwas bringt. Und die Änderungen, die ich genannt habe,, würden die Situation schon ziemlich verbessern, wenn sie in der Sondersession nun durchkämen. Neu ist immerhin, dass man die Probleme offen auf den Tisch legt. Für die Kantone ist zudem wichtig, dass Bern ihre Sorgen ernst nimmt, und dass wir etwas machen wollen. Für mich ist vor allem aber die Erkenntnis neu, dass das Asylsystem, wie wir es jetzt haben, langfristig keine taugliche Lösung ist. Das gilt es mal offen einzugstehen. Und dann kann man neue Lösungen suchen.

Sie sind also der dezidierten Meinung, dass das Schweizer Asylwesen nur vorübergehend noch verbessert werden kann, dass aber später ein ganz neues System kommen müsste.
Ja. Nur heisst vorübergehend nicht einfach für die nächsten paar Monate. Was mir vorschwebt braucht eher Jahre, bis es umgesetzt ist. Und vorab müssen wir es mit anderen Ländern, vor allem mit unseren Nachbarländern, absprechen und koordinieren. Vorderhand verbessern wir darum dennoch das bestehende System, von dem ich aber überzeugt bin, dass es auf längere Sicht keine Zukunft haben kann.

Haben Sie diese Position mit dem Gesamtbundesrat abgesprochen?
Nein. Das sind nur erste Ideen, die ich jetzt in die politische Debatte werfe. Ich hoffe dabei, dass seriöse Kritik zurückkommt, oder dass sogar bessere Ideen kommen.

Wie sieht denn Ihr grundlegend neues System aus?
Ich gehe davon aus, dass wir heute fast eine Milliarde Franken im Jahr für ein bürokratisches System ausgeben, das nicht notwendig wäre, um 1000 Flüchtlinge bei uns zu beherbergen. Und es ist klar, dass wir für einen Bruchteil dieses Geldes ein Mehrfaches an echten Flüchtlingen aufnehmen oder direkt in Krisengebieten betreuen und unterstützen könnten.

Die Schweizer Hilfe direkt vor Ort in den Krisengebieten wird aber keinen einzigen jener Asylbewerber, die individuell über die grüne Grenze kommen, daran hindern können.
Darum gäbe es dann nur noch eine Asylpolitik für individuelle Flüchtlinge aus angrenzenden Ländern, direkt vor Ort, oder für Kontingente echter Flüchtlinge aus Krisengebieten.

Ist dieses grundlegend neue Asylwesen ein grosses Ziel, das Sie sich als Bundesrat gesetzt haben, wie etwa damals Frau Dreifuss mit ihrer Mutterschaftsversicherung?
Ja. Eine neue Asylpolitik zu erschaffen, die verstärkt den wirklich Verfolgten zu Gute kommt, und den teuren bürokratischen Leerlauf eindämmt und alle Asylsuchenden ohne Asylgründe abhält, das ist schon mein Ziel.

Und wie sieht Ihr Zeithorizont aus?
Zunächst muss ich mich jetzt mit den Verbesserungen an den bestehenden Regelungen auf das praktisch rasch Machbare konzentrieren. Gleichzeitig verfolge ich die Reaktionen auf meine langfristigen Vorschläge. Vielleicht kommen auch neue, bessere Ideen. Und dann werde ich eine kleine Gruppe einsetzen, die in aller Freiheit über das alles hinaus denkt. So bis Ende 2005 denke ich, sollten wir dann erste spruchreife Vorschläge haben. So dass man noch in dieser Legislatur etwas machen
könnte.

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