«Ich bin kein Volksverführer»

Interview mit « swissinfo.org » vom 9. November 2003

von Ariane Gigon Bormann und Etienne Strebel

Er ist eine der umstrittensten Figuren der aktuellen Schweizer Politszene – und hat damit grossen Erfolg. Christoph Blocher hat mit der SVP die Parlamentswahlen 2003 gewonnen.

swissinfo: Welche Bedeutung hat die Ausland-Schweizer-Gemeinde für Sie?

Blocher: Die Auslandschweizer sind für uns ausserordentlich wichtige Imageträger. Sie sind Repräsentanten unseres Landes. Sehr viele Auslandschweizer verspüren eine grosse Heimatliebe. Ich bedaure, dass wir zu wenig Kontakt zu diesen Leuten pflegen.

Eine klare Mehrheit der Auslandschweizer möchte einen EU-Beitritt bis zum Jahr 2007. Dies sei das dringendste Problem, das die schweizerische Politik heute lösen müsse. Was antworten Sie ihnen?

Blocher: Ich begreife das von ihrem Standpunkt aus. Das ergäbe Vereinfachungen. Aber es wären in erster Linie administrative Erleichterungen wie etwa bei Arbeitsbewilligungen. Doch diese persönlichen Vereinfachungen können nicht über die schwerwiegenden Nachteile für unser Land hinwegtäuschen im Falle eines EU-Beitritts. Und wenn man den Leuten erklärt, was für tiefgreifende Folgen die Preisgabe unserer Neutralität und Souveränität, der Verlust der direkten Demokratie nach sich ziehen würde, dann begreifen sie meistens unsere Haltung. Alles in allem würde die Schweiz politisch, wirtschaftlich und kulturell verlieren.

Hat die Entwicklung der EU die Position der EU-Gegner gestärkt?

Blocher: Selbstverständlich. 1992, als wir über den Europäischen Wirtschaftsraum EWR abgestimmt haben, gab es noch keine Europäische Union, sondern eine lockere Europäische Gemeinschaft ohne gemeinsame Währung, ohne die Absicht, eine vereinheitlichte Aussen- und Sicherheitspolitik zu schaffen. Ich habe immer gesagt, es ist nicht die Frage, ob wir der Europäischen Union beitreten sollen. Die Frage ist, welcher? Wenn es sich um einen lockeren Staatenbund gehandelt hätte, wären wir wahrscheinlich dabei, weil wir ohnehin mit Europa verbunden sind.

Sie werden immer wieder mit Le Pen und Haider verglichen. Stört Sie dies?

Blocher: Ja, das sind unsinnige und hilflose Vergleiche. Ich kenne diese Leute nicht persönlich, nur aus der Zeitung. Auch habe ich mit deren Politik nichts am Hut. Haider ist ein Opportunist und Le Pen ein monothematischer Krakeeler.

Aber Sie sind ein Populist, ein Demagoge?

Blocher: Ein Demagoge ist ein Volksverführer. Das bin ich nicht. Ich versuche, das Volk zu überzeugen. Manchmal sind die Leute mit mir einverstanden, manchmal nicht. So ist das eben in einer Demokratie. Und ich kämpfe für meine Positionen, ob sie nun « populär » sind oder nicht.

Aber ein Verführer sind sie ja schon. Sie können gut reden.

Blocher: Gut reden, ja. Ich gebe mir auch Mühe, so zu sprechen, dass die Leute mich verstehen. Alles, was man gut durchdacht hat, ist einfach. Und wenn man eine Sache nicht einfach darlegen kann, dann hat man keine richtige Vorstellung davon.

Also steht « einfach » nicht für « vereinfacht »?

Blocher: Nun gut, das ist nicht so schlimm. Dann kommt halt mal eine vereinfachte Lösung vor. Das normalisiert sich alles wieder. Die Leute sind gar nicht so dumm, wie man immer meint. Sie sind nicht dümmer als das Parlament, die Volksvertretung. Dort haben die Gescheiten und die Dummen ihre Vertreter.

Sie haben den Begriff « Scheininvalide » kreiert

Blocher: Ich habe keinen anderen passenden Begriff dafür gefunden. Wir haben sehr viele IV-Rentner, die nicht wirklich invalid sind. Und eigentlich weiss das jeder. Wie sollte man aber ein Problem lösen, wenn man es nicht einmal beim Namen nennen darf?

Könnte das nicht den Eindruck erwecken, alle Invaliden seien Betrüger?

Blocher: Das ist eine Gefahr. Aber sie dürfen doch einen Missbrauch, der uns Milliarden kostet, nicht einfach bestehen lassen und mit Steuergeldern weiter finanzieren, nur weil es nicht nett ist, darüber zu reden. Da muss sich jeder betrogen vorkommen, der ehrlich ist und arbeiten geht. Diese Kampagne hat immerhin einen Lösungsprozess in Gang gesetzt. Jetzt wird endlich gegen diesen Missbrauch gearbeitet.

Themawechsel: Wie stehen sie zum Einsatz der Gentechnologie in der Landwirtschaft?

Blocher: Sehr offen. Ich habe keine Hemmungen davor, dass wir Gentechnologie in der Landwirtschaft einsetzen.

Wäre das nicht eine Nische für die Schweiz, keine gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Produkte anzubieten?

Blocher: Bei der Landwirtschaftspolitik habe ich gewisse Differenzen gegenüber meiner Partei. In der SVP gibt es Leute, die sagen, wir hätten mit einer gentechfreien Nahrungsmittelproduktion ein enormes Exportprodukt. Das sind Illusionen. Die gentechnologischen Nahrungsmittel sind qualitativ nicht schlechter. Wenn ich in Amerika bin, kann ich diese bedenkenlos essen. Ich habe noch nie einen Unterschied bemerkt zu den unsrigen. Und wenn die gentechfreien Lebensmittel dann noch mehr kosten, was absehbar ist, werden sie vom Markt bestraft.

Sie setzen sich ein für den Abbau von Begünstigungen und Subventionen. Aber nicht bei den Bauern. Weshalb möchten Sie dort die Sparschraube weniger fest anziehen?

Blocher: Wir wollen überall dort Subventionen abschaffen, wo die freie Marktwirtschaft wirken soll. Darum keine Förderung des Wohnungsbaus, des Tourismus, des Films, der Aussenwirtschaft etc. Auch das Swiss-Engagement war ein grosser Fehler.
Zur Landwirtschaft: Diese wird in sämtlichen Industrieländern geschützt und unterstützt. Die Bauern erfüllen einen Auftrag, nämlich die Bewirtschaftung des Bodens, damit dieser nicht vergandet, und sie garantieren bis zu einem gewissen Grad die Landesversorgung. Da muss der Staat auch dafür sorgen, dass solche Gemeinleistungen entgolten werden.
Man könnte es allerdings besser machen als heute. Ich würde für jeden Quadratmeter oder jede Hektare einen Betrag geben, der müsste so gross sein, dass der Bauer das Land gerade noch bewirtschaftet. Was er darauf pflanzt und produziert, ist seine Sache. Ich würde keine Produktions-Subventionen mehr auszahlen.

Würden Sie gerne die Bundesratslöhne senken?

Blocher: Ich trete seit Jahren für tiefere Saläre des Bundesrates ein. Sie dürfen finanziell nicht abhängig sein von diesem Amt. Und unsere Bundesräte verdienen mehr als beispielsweise der amerikanische Präsident. Mehr als der deutsche Bundeskanzler.

…aber weniger als Sie mit ihrer Ems-Chemie

Blocher: Ja, ja, aber mir zahlt das niemand. Ich habe nichts dagegen, wenn einer eine erfolgreiche Firma führt und reich wird. Aber Bundesräte sind Staatsangestellte und leben somit von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Ich habe immer gesagt, man sollte die Saläre halbieren. 200’000 Franken sind ein guter Lohn. Ein Bundesrat hat ja kein Risiko, ein Industrieller schon: Sein Geld steckt in der Firma.

Ihre Partei hat grossen Zustrom, Sie selbst werden immer mit Bestquoten gewählt. Eine Umfrage zeigt, dass 56% der Leute einen Bundesrat Blocher ablehnen würden. Ist das nicht eine Diskrepanz?

Blocher:
Nein, keine Partei hat die Mehrheit der Menschen hinter sich. Aber 32 Prozent sind für einen Bundesrat Blocher und das sind mehr als unser Wähleranteil. 32 Prozent würden bei einer Volkswahl genügen. Dort bräuchte es ja nur einen Siebtel, um gewählt zu werden.

Sie haben kürzlich gesagt: « Ich bin zu alt, um eine Diktatur einzurichten. » Und wenn Sie 20, 30 Jahre jünger wären?

Blocher: Dieser Satz stammt von De Gaulle. Als er vor der Übernahme der Staatsverantwortung stand, fragten seine Gegner: « Können Sie denn überhaupt auf Meinungen der anderen Leute achten oder wollen Sie alles an sich reissen? » Das war auch die Frage, die man mir gestellt hat. Man muss schon sehr böswillig sein, um die Ironie in meiner Antwort zu überhören. Ich bin ein absoluter Demokrat. Gerade deshalb kämpfe ich für die Meinungsfreiheit in diesem Land und ich nehme mir auch die Freiheit, Dinge zu sagen, die unbequem sind.

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