Die Zukunft ohne Blocher

Christoph Blocher regelt seine Nachfolge und passt gleichzeitig die Strategie der Ems-Chemie an

Interview im CASH vom 20. September 2002

Pascal Schumacher, Victor Weber

Christoph Blocher, mit einer derzeitigen Eigenkapitalquote von 46,8 Prozent verfügt die Ems über ein dickes Polster. Trotzdem haben Sie am Kapitalmarkt viel Geld aufgenommen. Weshalb?

Christoph Blocher: Wir haben in diesem Jahr die Finanzierung der nächsten acht Jahre in der Höhe von rund einer Milliarde Franken sichergestellt, obwohl wir das Geld nicht unbedingt brauchen: Sorge in der Zeit, so hast du in der Not. Wir haben für rund 600 Millionen Franken Bankkredite abgelöst.

Mit 2,8 Prozent haben Sie eine sehr tiefe Verzinsung auf Ihren Anleihen, andere Firmen (ABB, Von Roll, Ascom) stehen dramatisch schlechter da.

Blocher:
Man darf Sanierungsfälle nicht als Massstab nehmen. Für sie wird es allein schon wegen der hohen Finanzierungskosten schwierig werden. Sie haben sich zu sehr verzettelt.

Wieso? Hatten diese Firmen zu viele externe Berater?

Blocher: Vielleicht. Aber Berater helfen hier auch nicht weiter.

Weshalb nicht?

Blocher:
Strategien sind Chefsache. Einfache, überprüfbare Strategien statt hohe Theorien, etwas mehr « handglismet ». Bis heute bin ich so besser gefahren.

In welchen Bereichen zeigt sich das am meisten?

Blocher: Im Vertrauen in die Führung! Eine überzeugende und nachvollziehbare Unternehmenspolitik sowie Durchsetzungskraft und die Nähe zum Markt wirken mehr als jede Theorie und Kommunikationswissenschaft.

Jetzt steht bei der Ems eine wichtige Strategieentscheidung an. Werden Sie sich von der Börse zurückziehen oder Ihren Anteil verkleinern?

Blocher: Ein schwieriger Entscheid. Aber es steht ja nicht das Überleben der Firma zur Diskussion. Es geht darum, das langfristige Interesse der Firma, die Interessen der Minderheitsaktionäre und die Erbschaft zu berücksichtigen. Im Zweifelsfalle gebe ich den unternehmerischen Interessen gegenüber den privaten Vorrang. Bis Ende Jahr werde ich mich definitiv entschieden haben.

Welche Kriterien werden beim Entscheid eine wichtige Rolle spielen?

Blocher: Bleibt die Ems an der Börse kotiert, werden meine vier Kinder kaum in der Lage sein, die horrenden Vermögenssteuern zu zahlen. Es sei denn, sie würden ihren Wohnsitz in London nehmen, weil dort keine Vermögenssteuern erhoben werden. Doch nur wegen der Steuern in einem anderen Land leben müssen? Nein.

Gibt es auch andere als familiäre Gründe, die für ein Going Private sprechen?

Blocher: Als privates Unternehmen ist man freier in der Firmenführung. Andererseits wäre die Ems – eine Firma mit einer Börsenkapitalisierung von über zwei Milliarden Franken – als Familienunternehmen einfach zu gross, um den weiteren Ausbau mit privaten Mitteln zu finanzieren.

Welches Ihrer Kinder soll denn einmal die Ems-Chemie übernehmen?

Blocher: Diese Frage ist offen. Ich dränge keines meiner vier Kinder zu diesem Entschluss. Mein Vater hatte damals auch nicht über meinen Lebensweg entschieden.

Im Moment tendieren Sie also mehr für einen Verbleib an der Börse.

Blocher:
Für die Entwicklung des Unternehmens wäre es wahrscheinlich besser. Zumal der Zugang zu Kapital für ein Privatunternehmen heute ungleich schwieriger geworden ist.

Weshalb?

Blocher: Erstaunlicherweise finanzieren Banken heute nicht mehr so einfach private Firmen, obwohl viele substanziell solider dastehen als manche an der Börse kotierte.

Sie könnten doch die Ems aufteilen. Einen Teil kotiert lassen, den andern als Familienfirma weiterführen.

Blocher: Dies würde der langfristigen Strategie der Ems-Chemie widersprechen. Als Chemiefirma und für die Overheads (Finanzwesen, Controlling usw.) braucht die Ems eine gewisse Minimalgrösse, sonst kann sie nicht überleben. Sicher gibt es gewisse Teile, im Engineeringbereich beispielsweise, die man ausgliedern könnte. Ems ist mit 80 Prozent im Bereich der polymeren Werkstoffe tätig. Das müssen Sie zusammenlassen.

Aber Ems-Dottikon wäre doch eine Tochter, die man ausgliedern könnte.

Blocher: Das wäre eine Möglichkeit. Aber wir haben sie seinerzeit erworben, weil wir sie zur Abrundung brauchten. Das Gegenteil macht wenig Sinn.

Die Lösung des Problems wäre eine Fusion von Ems-Dottikon mit Lonza?

Blocher: Wir sind an Lonza mit über 10 Prozent bereits beteiligt. Mit den Schwierigkeiten der BZ-Gruppe – mit 20 Prozent der grösste Aktionär – ist jetzt natürlich eine neue Situation entstanden. Die Gruppe dominiert noch den VR, muss aber gleichzeitig ihr Aktienpaket verkaufen …

… auch die ZKB muss verkaufen, weil mit dem Lonza-Anteil aus den Ebner-Visionen ein Klumpenrisiko entstanden ist.

Blocher: Die ZKB hat erklärt, sie wolle keine Führungsrolle im Lonza-VR übernehmen. Wenn Sie aber 10 Prozent an einem Unternehmen halten, besteht nun mal eine Führungsverantwortung. Und sei es auch nur in der Generalversammlung.

Wie sicher sind Sie denn, dass Ebners 20-Prozent-Beteiligung heute bereits zur Disposition steht?

Blocher: Ich beziehe mich auf die öffentlichen Verlautbarungen.

Sie werden es wohl kaum zulassen, dass Lonza von einem ausländischen Finanzinvestor übernommen wird.

Blocher:
Nein, irgend ein Finanzinvestor, das ist nicht nach unserem Sinn. Ich denke, dass ein solches Szenario auch die ZKB als Staatsbetrieb nicht zulassen könnte. Diese Gefahr geht natürlich auch von einem grossen europäischen Chemiekonzern aus, der danach seine Interessen auf Kosten der Lonza durchsetzt.

Sie würden also mithelfen, eine Verteidigungsallianz aufzubauen, um die Lonza vor einer fremden Übernahme zu schützen?

Blocher: Das kann ich jetzt nicht generell beantworten.

Aber Sie wollen für einen solchen Fall gewappnet sein.

Blocher: Das mit Sicherheit.

Wo liegt denn Ihr Interesse an der Lonza?

Blocher: Primär ist es eine Finanzbeteiligung. Die Chancen im Feinchemiebereich sind gut. Die Lonza ist aber noch nicht bereinigt. Die Firma muss noch den Polymerbereich ausgliedern.

Mit den rund 350 Millionen, die noch von der Kapitalaufnahme verblieben sind, könnten Sie doch jetzt Ihre Lonza-Beteiligung aufstocken.

Blocher: Mit den Anleihen haben wir uns einen finanziellen Handlungsspielraum offen gelassen. Ein Aufstocken der Lonza-Beteiligung schliesse ich nicht grundsätzlich aus.

Beispiel Novartis: Die Firma hält noch 20 Prozent an ihrer Konkurrentin Roche. Wäre eine Fusion zwischen den beiden nicht von Vorteil für Basel oder für die Schweiz?

Blocher:
Sicher gäbe es bei einer Fusion der beiden Pharmariesen Vorteile in gewissen Bereichen, zum Beispiel an der Verkaufsfront oder im Bereich Forschung und Entwicklung. Grundsätzlich glaube ich aber, dass die hoch beschworenen Synergien gar nicht so viel bringen, weil sie meist durch den Integrationsaufwand wieder zunichte gemacht werden.

Ist das der Grund, weshalb Sie Ems-Patvag nicht integriert haben?

Blocher: Ems-Patvag stellt Zünder für Airbags her. Wie wollen Sie das in ein Feinchemie-Unternehmen integrieren? Das ist auch gar nicht nötig. Die Firma ist auch so ertragsstark.

Ed Fagan soll eine Sammelklage vorbereiten, weil Ems-Patvag auch Zünder für Minen herstellte.

Blocher: Wir stellten Zünder für Hohlladungen, aber nie für Minen her. Seit Wochen lese ich von einer Klage, aber bei mir ist noch keine eingetroffen (lacht). Das Ganze entspringt wohl eher der Fantasie gewisser Journalisten, die denken, man könne den Blocher da in etwas hineinziehen.

Unterstützen Sie die Absicht von US-Präsident Bush, den Irak anzugreifen?

Blocher: Zum Glück muss dies kein Schweizer entscheiden. Wenn die USA effektiv Beweise haben, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt und diese einsetzen will, muss etwas dagegen unternommen werden. Die Uno müsste handeln – bis jetzt tat sie es nicht. Der US-Präsident hat seinen Willen einzugreifen bekräftigt – notfalls auch ohne Uno-Resolution.

Bei der EWR-Abstimmung 1992 haben Sie vorgeschlagen, anstatt der politischen EU beizutreten, mit den USA die Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen. Hat sich Ihre Meinung inzwischen geändert?

Blocher: Nein, ich würde nach wie vor ein Freihandelsabkommen mit den USA einem EU-Beitritt vorziehen.

Sind uns die USA wohlgesinnter als die EU?

Blocher: Nein. Aber mit der EU haben wir längst ein Freihandelsabkommen. Die USA ist ein freies Land. Deshalb sollte sich die Schweiz wirtschaftlich eher den USA annähern.

Wenn es zu einer Auseinandersetzung mit dem Irak kommt, dürfte sich Ihre USA-freundliche Meinung wohl ändern. Schliesslich wird die Ems ja auch betroffen sein.

Blocher: Verschärft sich die geopolitische Lage, steigen die Ölpreise, und der Schweizer Franken wird gegenüber den anderen Währungen noch stärker. Die Investitionsbereitschaft sinkt. Darauf stelle ich mich als Unternehmer selbstverständlich ein.

Wie denn?

Blocher: Die Kosten sind tief zu halten. Es sind nur ertragreiche Produkte im Sortiment zu führen, damit wir notfalls mit unseren Reserven verlustreiche Jahre überstehen können. Die Gefahr eines Krieges ist allerdings nicht die Hauptproblematik, ernster ist die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.

Rechnen Sie mit einer länger dauernden Rezession?

Blocher: Wir stellen uns darauf ein. Darum nahmen wir unsere Expansionsziele zurück und reduzierten unsere Investitionen.

Müssten Sie denn jetzt nicht Investitionen tätigen, um dann vom Aufschwung überproportional zu profitieren?

Blocher: Doch. Wir haben mit einer Erhöhung der Investitionssumme bereits reagiert.

Schon vor vier Jahren haben Sie den Expansionskurs gedrosselt, weil Sie eine Konjunkturabkühlung erwarteten. Die meisten Analysten winkten damals ab. Sind Sie ein Hellseher?

Blocher: Die Vorhersagen waren alle leichtfertig optimistisch. Nach so viel Hochkonjunktur folgt erfahrungsgemäss eine Baisse.

Bezahlen wir heute die Zeche für die Übertreibungen der Neunzigerjahre?

Blocher: Natürlich. Diese führte zu Euphorie und Kritiklosigkeit. Ich wurde ausgelacht, als ich an den Bilanzmedienkonferenzen eine Eigenkapitalbasis von 40 bis 60 Prozent postulierte. Jetzt zeigt es sich, wie überlebenswichtig eine gesunde Bilanz ist. Das Konservative ist plötzlich modern.

War der Kauf von Atisholz der grösste Fehler, den Sie als Unternehmer je begangen haben?

Blocher:
Nein, der grösste Fehler war, dass ich Netstal nicht übernommen habe, als die Firma vor Jahren vor dem Konkurs stand.

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