«Sie wurden in eine Heimatlosigkeit getrieben»

Christoph Blocher über sein Heimatverständnis, Landsgemeinden und die Waffe zu Hause

Interview mit der SonntagsZeitung vom 13. Mai 2001

Interview: Christoph Lauener

Herr Blocher, was haben bewaffnete Schweizer Soldaten im Ausland mit unserem « Obligatorischen » zu tun?

Christoph Blocher:
Wieso?

An der Schützen-Landsgemeinde gestern wurde allen Ernstes behauptet, das neue Militärgesetz führe zur « Demontage der Schützentradition ».

Blocher:
Die Schweizer Armee hat Freiheit und Unabhängigkeit des Landes auf dem Boden der Neutralität zu verteidigen. Sie ist heute eine Milizarmee. Der Bürger ist auch Soldat. Symbolisiert wird dies dadurch, dass jeder Soldat seine Waffe zu Hause hat.

Und das soll bei Annahme des Militärgesetzes vorbei sein?

Blocher: Bei den beiden Vorlagen am 10. Juni steht der Auslandeinsatz im Mittelpunkt. Die Bewaffnungs- und Ausbildungsvorlagen sollen es der Schweizer Armee ermöglichen, Kriege zu üben, um mit anderen Armeen Kriege zu führen. Alles ist auf Nato-Unterstellung, auf Nato-Anschluss ausgelegt. Da hat die Schweizer Milizarmee nur noch wenig Platz. Darum setzen sich die Berufsmilitärs aus dem Verteidigungsdepartement so verbissen für diese Vorlage ein.

Der Bundesrat will aber eine Milizarmee, also bleibt das Gewehr im Schrank.

Blocher:
Vor jeder Abstimmung wird die Sache beschönigt.

Blocher sagt dies, der Bundesrat das Gegenteil: Bald weiss niemand mehr, worum es am 10. Juni eigentlich geht.

Blocher: Es gibt zwei Meinungen. Bundesrat Ogi war wenigstens noch ehrlich, während heute verwedelt wird.

Sie sind es doch, der ein Riesentheater um den 10. Juni macht. Es geht doch nicht um Sein oder Nichtsein der Schweiz.

Blocher: Nicht um Sein oder Nichtsein. Es geht darum, ob unsere Generäle mit anderen Armeen den Krieg üben sollen, um diesen im europäischen Grossraum im Kriegsfall auch führen zu können. Das ist das Sicherheitsrisiko und der Verstoss gegen die Neutralität.

Sie behaupten, bewaffnete Schweizer Soldaten setzten sich « unkalkulierbaren Risiken » aus und illust-rieren das mit Friedhofskreuzen.

Blocher: Ja, damit werden wir in fremde Händel gezogen und müssen früher oder später unsere Söhne opfern.

Das ist überrissene, Angst machende Polemik. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass die allermeisten Auslandsoldaten bei Unfällen ums Leben kamen.

Blocher: Sie haben die Argumentation des VBS gut übernommen…

…das sind Fakten, denen Ihre Totenkreuze nicht standhalten.

Blocher: Wenn die meisten Soldaten bei Unfällen umkommen, warum brauchen sie dann Waffen? Soldaten sind für den Krieg ausgebildet.

Der Auslandeinsatz steht ja grundsätzlich nicht zur Diskussion. Also muss man die Leute bewaffnen, sonst sind sie eine Belastung für die anderen Soldaten.

Blocher: Humanitäre Hilfe leisten humanitäre Organisationen wirkungsvoller und kostengünstiger als für den Krieg ausgebildete Soldaten. Wer schiesst, schafft sich Feinde, wird Partei. Darum haben Schweizer Soldaten im Ausland nichts zu suchen. Darum verbietet unser Land bis heute Armeeeinsätze im Ausland und auch freiwillige Söldnerdienste.

Das stimmt so nicht. Gerade die Landsgemeinde Sarnen, welche die SVP jüngst belebte, schickte Söldner in fremde Händel.

Blocher: Und deshalb wollen Sie das jetzt auch wieder einführen?

Nein. Aber Sie sagen nur das, was Ihnen ins Konzept passt.

Blocher: Der Gedanke, sich unter freiem Himmel zu treffen, zu diskutieren und abzustimmen, gefällt mir.

Es fällt auf: Sie beschwören die Landsgemeinde, zitieren die « fremden Händel » aus dem Stanser Ver-kommnis, Niklaus von der Flüe mit « Zieht den Zaun nicht zu weit » – das ist kein Zufall.

Blocher: Das sind Allgemeingültigkeiten, die gerade für den 10. Juni hochaktuell sind. Auch Symbole haben für jedes Land ihre Gültigkeit.

Und die bei Globalisierung, Tempo und Internet auf fruchtbaren Boden fallen?

Blocher: Die Menschen besinnen sich zurück aufs Überschaubare. Sie wurden in den letzten Jahren in eine Heimatlosigkeit getrieben. Sie haben keine guten Erfahrungen gemacht. Wenn Sie nur die Wirtschaft betrachten: Zwei Drittel der fusionierten Grossgebilde waren nicht erfolgreich. Die Leute sagen sich wieder: Wir schauen besser wieder für uns, zu unserer nächsten Umgebung.

Gehen Ihnen am Ende noch die Heimatmüden, Ihre Lieblingsgegner, aus?

Blocher: Vielleicht, mich würde es freuen. Wer in den letzten Jahren sagte, die Schweiz sei ein Sonderfall, der wurde fast gesteinigt. Dabei will ich nicht werten: Die Schweiz ist ein Sonderfall, aber jeder andere Staat ist es auch.

Selbst gewichtige Teile der Linken haben jetzt Überfremdungsängste im Volk ausgemacht und wollen sich derer annehmen. Auch da geht’s letztlich um Heimat.

Blocher:
Auch CVP und FDP tun das. Es wird sich zeigen, ob diese endlich die Sorge der Bevölkerung ernst nehmen, oder ob dies nur eine Schlaumeierei aus wahltaktischen Gründen ist.

Vielleicht ist es der Anfang eines Wettbewerbs um die Besetzung des neo-modernen Begriffs « Heimat ».

Blocher: Das ist möglich. Aber wenn dieser Wettbewerb zu gross wird, sehen Sie mich plötzlich auf der anderen Seite, denn jede gute Sache kann man übertreiben. Die eigene Heimat liebt man, die des anderen hat man zu respektieren. Wird in Übersteigerung dieser Respekt versagt, wird es gefährlich.

« Heimat ist nicht einfach, sondern ist das, was wir uns erschaffen »: Das ist ein Motto des Expo-Projekts des Espace Mittelland. Was sagen Sie dazu?

Blocher: Zu intellektuell. Und wohl auch falsch. Und wenn man die Heimat nicht erschaffen hat? Hat man dann keine? Heimat ist weit gehend auch gegeben. Ein Kind hat seine Umgebung nicht geschaf-fen und doch ist diese seine Heimat.

Aber irgendwann ist die Nabelschau zu Ende. Auch Sie als Unternehmer schätzen Leute mit Auslanderfahrung. Noch einmal: Warum sollen Schweizer Soldaten nicht auch davon profitieren?

Blocher:
Sie können in Sport, Kultur, Wirtschaft – überall zusammenarbeiten. In der Armee nicht, da geht es um Krieg.

Das tun wir ja schon.

Blocher: Unter ganz strengen Richtlinien, ja. Aber es darf nicht so weit kommen, dass die Schweiz mit anderen Armeen den Kampf übt, faktisch mit der Nato.

Was ist so schlimm daran?

Blocher: Das bringt im Konfliktfall den Krieg in die Schweiz. Man übt miteinander den Krieg, um ihn im Ernstfall auch führen zu können. Das ist das Risiko und die Abkehr von der Neutralität. Bundesrat Samuel Schmid sagt wörtlich, es geht um die Zusammenarbeit mit anderen Armeen auch im Verteidi-gungsfall.

Nehmen wir an, in zwei Monaten wird ein Schweizer Soldat umgebracht, und er hätte sich wehren können, wenn das Volk Ja gesagt hätte zur Bewaffnungsvorlage. Das hätte Ihre Kampagne verhindert.

Blocher: Bei zweimal Ja ist die Gefahr viel, viel grösser. Wer Soldaten in Kriegsgebiete schickt, trägt dafür die Verantwortung. Aber wofür soll ich denn nicht schuld sein? Neuerdings auch noch am Nie-dergang der Swissair?

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