«Wir könnten frei drauflosfahren»

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 30. November 2000

Christoph Blocher droht mit stärkerer Opposition, falls das Parlament Samuel Schmid in den Bundesrat wählen sollte

Mit Christoph Blocher sprachen Markus Somm und Iwan Städler

Herr Blocher, die SVP hat für die Nachfolge von Adolf Ogi zwei Kandidaten nominiert, die nicht im Parlament sitzen. Fehlt es an guten Leuten in der Fraktion?

Christoph Blocher: Nein. Ich finde es ohnehin nicht gut, wenn die Bundesräte einzig aus dem Parlament rekrutiert werden. Dieses klüngelhafte Denken stört mich. Jeder hat den Marschallstab im Tornister. Sowohl Bundesrat Brugger als auch Frau Metzler waren wie Rita Fuhrer und Roland Eberle Regierungsräte, als sie gewählt wurden. Auch Bundesrat Schaffner war kein Parlamentarier, hat sich aber bestens bewährt.

Ruth Dreifuss ist ebenfalls Quereinsteigerin. Bewährt Sie sich auch?

Blocher: Sie macht ihre Arbeit sicher sehr gut – aus Sicht der SP.

Die Freisinnigen halten die Nomination von zwei Quereinsteigern für ein « Armutszeugnis ».

Blocher: Die müssen ja etwas sagen – nachdem sie zuvor erklärt haben, bei allen vier handle es sich um hervorragende Kandidaten. Behandelt man so zwei tüchtige Regierungsräte?

Haben Sie denn selbst in Ihrer grossen Zürcher Parlaments-Deputation keine geeigneten Kandidaten?

Blocher: Selbstverständlich haben wir das. Die haben aber nicht seit Jahren nur das Ziel einer Wahl in den Bundesrat vor Augen, wie das bei Samuel Schmid der Fall ist. Zudem haben wir uns schon lange auf Rita Fuhrer festgelegt.

Was spricht gegen Samuel Schmid und Christoffel Brändli?

Blocher: Was Leistungsausweis, Vertrauen in der Bevölkerung und Regierungs-Erfahrung anbelangt, sind Frau Fuhrer und Herr Eberle überlegen.

Schmid war immerhin Fraktionschef.

Blocher: Ich will das Amt des Fraktionspräsidenten nicht abwerten. Doch es ist etwas anderes, als Regierungsrätin in einem grossen Kanton Verantwortung zu tragen. Fraktionschef allein genügt nicht.

Dennoch hat die Nomination der SVP die übrigen Parteien kaum beeindruckt. Man fühle sich nicht gebunden, heisst es. Stört Sie das?

Blocher: Ich habe nichts anderes erwartet. Die wären nur zufrieden gewesen, wenn wir keinen uns genehmen Bundesratskandidaten nominiert hätten.

Befürchten Sie, dass die SVP aus dem Bundesrat hinausgeworfen wird, wie die SP das plant?

Blocher: Nein. Aber es ist eine Möglichkeit – jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Die bürgerlichen Parteien wissen nur zu gut, dass die Oppositionsrolle die SVP stärkt. Die würden in den Wahlen 2003 ihr blaues Wunder erleben. Am allerschönsten wäre es, wenn die SP die Grüne Cécile Bühlmann unterstützte und diese auch gewählt würde. Dann hätten die Sozialdemokraten nach der nächsten Vakanz für alle Zeiten nur noch einen Regierungsvertreter – so wie jetzt im Kanton Zürich.

Haben Sie sich in der Vergangenheit stets an die Vorschläge der Parteien gehalten?

Blocher: Nein. Letztes Mal habe ich zum Beispiel Peter Hess gewählt. Ich mache ja auch niemandem einen Vorwurf, wenn er die von uns nominierten Kandidaten nicht wählt. Jedermann ist frei. Ich bin auch dagegen, dass wir uns so verhalten wie die Sozialdemokraten bei der Wahl von Francis Matthey. Ich werde mich gegen einen Sitzungsunterbruch aussprechen, falls unsere Kandidaten durchfallen.

Empfänden Sie es nicht als Affront, wenn Samuel Schmid gewählt würde?

Blocher: Es wäre eine Niederlage für die Partei. Ich würde deswegen aber sicher nicht mit der schwarzen Krawatte herumlaufen.

Sondern?

Blocher: Wir würden vermehrt Opposition betreiben müssen.

Können Sie denn noch oppositioneller werden?

Blocher: Aber sicher. Wir sind ja zurzeit ausserordentlich zaghaft.

In welchen Fragen würden Sie vermehrt gegen die Regierung antreten?

Blocher: Zum Beispiel beim Elektrizitätsmarktgesetz. Als Opposition würden wir uns nicht auf einen Kompromiss einlassen, sondern bis zuletzt für eine vollständige Liberalisierung für alle Konsumenten kämpfen. Auch die Steuersenkungen würden wir notfalls mit einer Volksinitiative erzwingen, wenn Villiger noch lange zuwartet.

Freuen Sie sich darauf?

Blocher: Freiwillig gehen wir nicht in die Opposition. Sie hat aber ihren Reiz. Als Oppositionspartei müssten wir nicht mehr mit angezogener Handbremse fahren, sondern könnten frei drauflosfahren.

Jetzt bremsen Sie noch?

Blocher: Ja. Als Regierungspartei müssen wir Rücksicht nehmen. Wenn wir zwei Vertreter im Bundesrat hätten, gäbe es kaum einen Grund mehr, Opposition zu betreiben. Haben wir einen Bundesrat, sind wir zu 50 Prozent zu Opposition verpflichtet. Erhalten wir einen, den wir nicht wollen, dann sind es vielleicht drei Viertel.

Hätten Sie mit Samuel Schmid mehr Grund zur Opposition als mit Adolf Ogi?

Blocher: Bei Herrn Ogi lief es tragisch: Wir Zürcher kämpften 1987 dafür, dass er Bundesrat wird. Wir verstanden uns menschlich gut und hatten politisch keine grossen Differenzen. Bis 1991 ist das auch so geblieben. Doch dann verfolgte er eine völlig andere Europapolitik als wir. Hätte Ogi die Mehrheitsmeinung des Bundesrats bloss loyal vertreten, wäre es ja noch gegangen. Aber nein: Ogi stellte sich mit wehenden Fahnen an die Spitze der EU-Befürworter. Die Tatsache, dass wir ihn vorgeschlagen haben, verlangte aber ein gewisses Mass an Loyalität ihm gegenüber.

Das wäre bei Samuel Schmid nicht mehr der Fall?

Blocher: Nein. Ihn schlägt die SVP nicht vor. Insofern könnten wir bei einer Wahl von Schmid leichter Opposition betreiben. Das Parlament kann ja nicht besondere Loyalität gegenüber einem Bundesrat erwarten, den die Mehrheit der Partei nicht will.

Sie haben bereits verlauten lassen, Schmid wäre « einfach nicht unser Bundesrat ».

Blocher: Jawohl. Das ist meine Meinung.

Aber Schmid ist Mitglied der SVP.

Blocher: Es kann doch nicht Sinn der Konkordanz sein, einfach jemanden zu wählen, hinter dessen Name noch SVP steht. Die SP hätte ja auch keine Freude, wenn wir Ursula Koch in den Bundesrat wählen würden, nur weil sie Mitglied der SP ist.

Erhält die Idee der Volkswahl Auftrieb, wenn Rita Fuhrer nicht gewählt wird?

Blocher: Zweifellos.

Auch wenn Roland Eberle gewählt wird?

Blocher: Ja. Es geht hier um eine grundsätzliche Frage. Regierung und Parlament müssen auf die gleiche Ebene gestellt werden. Es zeigt sich doch, dass die Regierungsräte in den Kantonen viel seriöser ausgewählt werden als die Bundesräte.

Offenbar haben Sie das Projekt einer solchen Initiative aber sistiert?

Blocher: Wir können nicht alles auf einmal machen. Wir haben bereits die Gold- und die Asylinitiative durchgezogen und das Referendum gegen bewaffnete Truppen im Ausland ergriffen. Das ist eine enorme Leistung für eine Partei ohne Verbände. Die Volkswahl des Bundesrats muss deshalb etwas hinten anstehen.

Wie lange noch?

Blocher: Ich glaube nicht, dass wir die Initiative innerhalb der nächsten zwölf Monate starten können.

Auch nicht wenn Rita Fuhrer und Roland Eberle übergangen werden?

Blocher: Auch dann nicht. Wir dürfen nicht im Affekt handeln. Die Volkswahl muss eine grundsätzliche Sache bleiben.

Rita Fuhrer will sich nicht dafür engagieren.

Blocher: Das ist doch klar. Alle Regierungsräte sind gegen die Volkswahl.

Enttäuscht Sie das?

Blocher: Nein, nein. Mir war zum Voraus bewusst, dass Frau Fuhrer nicht für die Volkswahl reden wird. Sie wird sie aber nicht bekämpfen. Das kann ich versichern.

Ist es nicht etwas eigenartig, dass Rita Fuhrer Streitgespräche mit Samuel Schmid verweigert?

Blocher: Das muss ich ihr überlassen. Ich würde mich wohl auch nicht auf solche Gäggeli-Diskussionen über Berner Flügel und Zürcher Flügel einlassen.

Vielleicht hat Rita Fuhrer auch Angst, sie würde in einem solchen Streitgespräch alt aussehen.

Blocher: Wenn ich Rita Fuhrers Gesicht anschaue, sieht sie auf jeden Fall jünger aus als Samuel Schmid.

Würde sich die SVP mit Fuhrer oder Eberle im Bundesrat stärker eingebunden fühlen?

Blocher: Eindeutig.

Inwiefern würden Sie moderater politisieren?

Blocher: Wir würden vor allem bei nicht zentralen Dingen eher Kompromisse schliessen müssen.

Können Sie denn aus Ihrer oppositionellen Haut heraus?

Blocher: Da muss ich gar nicht raus. Wenn ich eine andere Umwelt habe, ist auch die Haut anders.

Sie würden also nicht mehr von einer « classe politique » sprechen?

Blocher: Ich spreche solange von der « classe politique », wie sie eine ist.

Glauben Sie denn, dass der Bundesrat mit Rita Fuhrer oder Roland Eberle weiter rechts politisieren würde?

Blocher: Vielleicht ein bisschen. Immer vorausgesetzt, dass sich die Gewählten so verhalten, wie wir es erwarten. Oft verändert sich das Verhalten mit der Wahl in die Regierung. Sie kennen ja den Volksspruch: Sobald das Füdli auf einem anderen Stuhl hockt, denkt der Grind anders.

Sie selbst wollen nicht mehr Bundesrat werden?

Blocher: Ich wollte es noch nie werden.

Immerhin haben Sie dafür kandidiert…

Blocher: …nur weil in jener aussichtslosen Ausgangslage niemand anders antreten wollte. Jetzt hat sich das geändert. Wenn das Parlament einmal jemanden abgelehnt hat, sollte man ihn nicht nochmals aufstellen. Wenn das Parlament nicht will, hat es eben gehabt.

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