Nicht mehr mit derselben Leidenschaft

SVP-Nationalrat Christoph Blocher über seine gebremste Lust, die bilateralen Verträge mit einem Referendum zu bekämpfen

Interview mit dem Tages Anzeiger vom 1. September 1999

Das Gespräch führten Jean-Martin Büttner und Walter Niederberger

Herr Blocher, Sie wirkten etwas fahrig bei Ihrem Ratsauftritt am Montagabend, als wären Sie nicht recht bei der Sache.

Blocher:
Kein Wunder: Ich musste vorher den ganzen Tag lang den Anderen zuhören. Ich will hier niemandem zu nahe treten, aber: Mit diesen Europafragen schlage ich mich seit 15 Jahren herum, während die anderen immer nur ihre alte Platte laufen lassen, wonach wir zu Europa gehören und sie für die Öffnung eintreten und so weiter. Eine klare Analyse aber, wofür diese bilateralen Verträge letzten Endes gut sein sollen, habe ich nicht vernommen.

Sie halten die Verträge zwar für schlecht; besonders engagiert wirken Sie dabei nicht.

Blocher:
Das ist wahr, aber so ist das immer wieder in der Politik – dass Sie etwas durchgehen lassen müssen, auch wenn Sie nicht davon überzeugt sind. Die Frage für mich ist: Wie schlecht dürfen diese Verträge sein? Wenn wir sie nämlich ablehnen und recht bekommen, muss derselbe Bundesrat, der dann selbstverständlich nicht zurücktreten wird, neue Verträge aushandeln. Bringt er dann bessere? Ich zweifle daran.

Er würde in einer solchen Situation doch gar keine besseren Verträge abschliessen können.

Blocher: Doch, davon bin ich überzeugt. Wenn der Bundesrat sein EU-Beitrittsgesuch zurückziehen und ohne Zeitdruck nochmals verhandeln würde, kämen garantiert bessere Verträge heraus. Bundesrat und Parlament haben die Schweizer Verhandlungsdelegation geschwächt. Aber das wäre auch im Wiederholungsfall so, und darum käme nichts Besseres dabei heraus.

Das kann doch nicht der einzige Grund für Ihre Zurückhaltung sein.

Blocher: Nein, es gibt noch andere. Zwei grosse Steine wurden aus dem Weg geräumt: Erstens sind die Einführung der Personenfreizügigkeit in sieben Jahren und die Osterweiterung der EU dem fakultativen Referendum unterstellt. Das gibt Sicherheit. Zweitens zeichnet sich ab, dass der Inlandverkehr durch die Bilateralen nicht diskriminiert wird. Wie das Ganze aber am Schluss herauskommt, bleibt offen. Deshalb werde ich erst am 8. Oktober, nach der Herbstsession entscheiden, ob ich die Verträge ablehne oder nicht. Es kann gut sein, dass ich zwar gegen die Verträge bin, aber selbst kein Referendum lanciere.

Wie schätzen Sie die Haltung Ihrer Partei in dieser Frage ein?

Blocher: Keine Partei allein schafft 50’000 Unterschriften in drei Monaten, das können Sie gleich vergessen. Also bleibt die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz, und auch die will erst das Resultat der Debatte abwarten.

Aber Ihre Auns, das wurde schon im Frühjahr deutlich, will das Referendum auf jeden Fall ergreifen. Geraten Sie da nicht in einen Konflikt mir Ihren grössten Fans?

Blocher: Natürlich wollen viele ein Referendum. Wenn ich anderer Meinung bin, muss ich sie halt überzeugen – auf die Gefahr hin, dabei zu unterliegen.

Aber es geht nicht nur darum, ob Sie das Referendum unterstützen, sondern auch wie. Und dabei wird deutlich spürbar, dass Sie dazu wenig Lust haben. Haben Sie Angst vor einer Abstimmungsniederlage?

Blocher: Nein; die Zurückhaltung hat mit dem Gewicht zu tun, das ich dieser Frage beimesse. Beim EWR habe ich einen Kolonialvertrag bekämpft, von dem ich wusste, dass er zwangsläufig in die EU führt. Heute stehen allenfalls innenpolitisch schlechte Verträge zur Diskussion. Es geht also um Innenpolitik, nicht um die Schweizer Souveränität. Mit derselben Leidenschaft und dem heiligen Zorn, der mich bei der EWR-Abstimmung begleitete, kann ich die Bilateralen nicht bekämpfen.

Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn die Schweiz die Verträge ablehnt?

Blocher: Für die Schweizer Wirtschaft ist das keine Katastrophe. Die EU wird uns zunächst einmal schneiden, und wir werden erst einmal abwarten. Spätestens nach einem halben Jahr wird Brüssel verhandeln wollen, weil ja der Transitvertrag abläuft und die EU die Alpendurchfahrt braucht. Ausserdem sind wir als Kunde für die EU-Länder die Nummer zwei, nach den USA und vor Japan. Das ist doch eine exzellente Ausgangslage.

Aber die Verträge bringen unzweifelhafte Vorzüge für die Schweiz: In der Bildung und in der Forschung, für die Exportwirtschaft und speziell für Swissair, für die Schweizer Grenzregionen…

Blocher:
Ich sehe gewisse Vorteile: Die Anerkennung von Schweizer Diplomen, die erleichterten Anstellungsbedingungen im Ausland. Von der Teilnahme an der europäischen Forschung halte ich dagegen nichts. Die nationale Forschung, das sagen auch Fachleute, ist weit wirkungsvoller ist als die europäische. Im Kern geht es immer darum, für die getroffenen Entscheide auch die Verantwortung zu übernehmen. Und wenn ein politischer Raum so gross ist wie die Europäische Union, muss niemand für Fehler gerade stehen.

Es gibt auch innenpolitische Gründe für Sie, die Bilateralen nicht zu torpedieren. Falls die Verträge nämlich durchkommen, haben Sie zunächst einmal Ruhe. Würden sie abgelehnt, käme sofort der Ruf nach einem EU-Beitritt.

Blocher: Das mögen Sie recht haben, aber der Ruf nach einem EU-Beitritt kommt sowieso, die Initiative ist ja hängig. Und die Zeit arbeitet für uns: Je länger wir der EU bei ihrer Entwicklung zuschauen können, desto weniger spricht für sie. Ich sage in jedem Fall eine massive Ablehnung des Beitrittsgesuchs voraus.

Die Europafreunde versuchen sich ja auch publizistisch zu profilieren; was halten Sie eigentlich von « Courage », dem europhilen Gratisblatt von vier pro-europäischen Schweizer Organisationen?

Blocher: Als das Projekt angekündigt wurde, bekam ich ein bisschen Angst: Noch mehr Europa-Propaganda? Jetzt, nach vier Nummern, kann ich nur sagen: Hoffentlich wird dieses Heft noch möglichst lange verteilt. Wer einen derartigen Mist unter die Leute bringt, nützt nur seinem Gegner – also uns.

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