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11.05.2001

«Herr Blocher, was verstehen Sie unter Neutralität?»

Boris Banga (SP/ Solothurn), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission, befragt den Zürcher SVP-Nationalrat Streitgespräch mit Nationalrat Boris Banga im Blick vom 11. Mai 2001 Heisst Neutralität, dass die Schweiz Kriegsverbrecher wie Slobodan Milosevic gewähren lassen muss? Wie ernst ist es den Gegnern von Auslandeinsätzen der Armee mit ihrem verstärkten Engagement in der zivilen Hilfe? SP-Nationalrat Boris Banga (51), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission, fühlt für BLICK Christoph Blocher (60) auf den Zahn Heute geht es nur um die Bewaffnung. Warum haben Sie das Referendum nicht ergriffen, als Aus-landeinsätze 1995 mit einer Militärgesetzrevision ermöglicht wurden? Christoph Blocher: Unbewaffnete Soldaten, das ist ein Widerspruch. Doch der Bundesrat gab 1995 zur Antwort, es gehe nur um Einsätze, die keine Waffen brauchen. Zum Beispiel Hilfeleistung durch Genie- und Rettungstruppen in Erdbebengebieten. Was hat der Bundesrat getan? Einmal mehr wur-den wir über den Tisch gezogen, es wurden unbewaffnete Soldaten in Kriegsgebiete geschickt. Dort haben Schweizer Soldaten - weder bewaffnet noch unbewaffnet - nichts zu suchen. Sie behaupten, Auslandeinsätze würden die humane Solidarität verhindern. Verstehen Sie mehr da-von als IKRK-Präsident Jakob Kellenberger, der das Gegenteil sagt? Blocher: International anerkannte Experten halten die Idee der bewaffneten Einsätze heute für einen Fehler und verlangen die Trennung von militärischen Aktionen und ziviler Aufbauhilfe. Als EU-Turbo unterstützt Jakob Kellenberger die Internationalisierung der Verteidigungspolitik, um die es wirklich geht. Wir gefährden den seit 150 Jahren andauernden Frieden in unserem Land und werden unsere Soldaten für fremde Händel opfern. Sie haben die Liebe zur Entwicklungszusammenarbeit und ziviler humanitärer Hilfe entdeckt. Sind Sie auch bereit, mehr Geld dafür zur Verfügung zu stellen? Blocher: Die SVP ist schon lange für die Schaffung eines humanitären Korps für zivile Zwecke. Und das kostet wesentlich weniger als die Rüstungspläne der Generäle, die sich von der Widerstandsar-mee verabschieden wollen. Ich kann nicht begreifen, dass Sie als Sozialdemokrat die Ausrichtung auf die Nato mitmachen. Früher konnten wir uns wenigstens noch darauf einigen, dass der Anschluss an ein Militärbündnis nicht in Frage kommt. Der Nato-Beitritt steht nicht zur Diskussion. Ich stelle aber fest, Sie befürworten keine zusätzlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Blocher: Ich befürworte von Fall zu Fall den Einsatz eines humanitären Korps für die zivile Aufbauhil-fe. Ein Swisscoy-Soldat kostet monatlich 42000 Franken, ein Mann des Katastrophenhilfekorps nur 12000 Franken. Die Mittel für die zivile Aufbauhilfe könnten viel effizienter eingesetzt werden. Sie sehen die Neutralität in Gefahr. Was verstehen Sie überhaupt darunter? Blocher: Glaubwürdige Neutralität bedeutet, keine Partei zu ergreifen in internationalen Auseinandersetzungen. Neutralität ist ein Friedensgarant für den Kleinstaat Schweiz. Sie hat uns über 150 Jahre vor Kriegen bewahrt. Ein Soldat, der im Ausland eingesetzt wird und von seiner Waffe Gebrauch macht, ergreift Partei. Sie sehen die Schweiz also genau in der Mitte zwischen Saddam Hussein und der Uno oder Slobodan Milosevic und der Nato. Was soll es für die neutrale Schweiz zwischen Kriegsverbrechern und der Staatengemeinschaft zu vermitteln geben? Blocher: So einfach liegen die Dinge nie. Denken Sie an den Konflikt zwischen Israel und den Paläs-tinensern. Unrecht gibt es stets auf beiden Seiten, aber auch Elend. Zur Ausbildungszusammenarbeit schreiben Sie "Warum sollen wir fremden Truppen unseren starken Trumpf, unser Gelände preisgeben?" Und "fremde Truppen wird man so leicht nicht mehr los". Glauben Sie im Ernst, dass der nächste Krieg gegen Frankreich geführt wird oder ausländische Soldaten in Thun oder Payerne die Schweiz besetzen wollen? Blocher: Ich glaube nicht an einen Krieg. Ich weiss nur eines: Es gibt nichts Wechselhafteres als in-ternationale Lagen. Die Armee ist dazu da, unser Territorium, unser Land, unser Volk und unsere Freiheit zu verteidigen. Unsere Stärke dabei ist das Gelände. Wer behauptet, die autonome Verteidi-gung des eigenen Territoriums sei für ein kleines Land nicht möglich, leidet an Grössenwahn. Ich will keine fremden Truppen, die in unserem Land mit unserer Armee Übungen durchführen und keine Manöver unserer Armee im Ausland, weil das den Zweck der gemeinsamen Kriegsführung hat. Das läuft auf eine der Nato unterstellte Angriffsarmee statt einer Widerstands- und Verteidigungsarmee hinaus.

11.05.2001

Wir ziehen doch nicht in den Krieg

Streitgespräch mit Nationalrat Josef Leu in der Neuen Luzerner Zeitung vom 11. Mai 2001 Sie sind erbitterte Gegner und wollen doch das Gleiche: Der Luzerner CVP-Nationalrat Josef Leu und der Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher kämpfen beide für eine sichere Schweiz. Doch zur laufenden Militärgesetzrevision haben sie total gegensätzliche Meinungen. Von Gregor Poletti und Eva Novak Herr Blocher, haben Sie nicht genug Argumente, dass Sie eine Kampagne führen, die sich derart hart an der Anstandsgrenze bewegt? Christoph Blocher: Ich weiss nicht, wovon Sie reden. Wir thematisieren die Grundfrage dieses Urnengangs. Politisch geht es darum, ob unseren Generälen die Möglichkeit gegeben werden soll, mit anderen Armeen zusammenzuarbeiten, um im Ausland im Kriegsfall Krieg zu führen. Sollen in Zukunft unsere Söhne für fremde Händel sterben? Denn der Soldat muss kämpfen und sterben können. Darum spielt man nicht mit Soldaten. Die Armee ist nur dazu da, um im Notfall Volk, Land und Freiheit zu verteidigen. Die Befürworter wollen diesen Weg nun verlassen. Das ist der Sinn dieser tiefsinnigen Kampagne. Josef Leu: Ich bezweifle sehr, dass diese tiefsinnig ist. Eure Kampagne spricht vor allem Emotionen an, die nicht der Realität entsprechen. Und es ist geradezu zynisch angesichts der Angehörigen von Hilfsorganisationen, die ihr Leben tagtäglich in viel grösserem Ausmass aufs Spiel setzen. Da hätten wir Ihrer Logik folgend ja schon längst diese Einsätze verbieten müssen. Blocher: Sie reden von der Vergangenheit, wir von der Zukunft. Jetzt werden die militärischen Grundlagen geschaffen, damit unsere Armee in Ausbildung mit fremden Militärs geschult wird, um in den Krieg im Ausland zu ziehen. Damit werden Tür und Tor geöffnet für Verwicklungen in fremde Händel, und das bedeutet eine grosse Kriegsgefahr und die Abkehr von einer glaubwürdigen Neutralität. Leu: Das stimmt einfach nicht. Wir ziehen doch nicht in den Krieg, nur weil wir einen Teil unserer Ausbildung im Verbund mit anderen Armeen machen. Diese hat ja zwei Ziele: Einerseits eine effiziente und kostengünstige Ausbildung zu ermöglichen. Denn gewisse Übungen sind in der Schweiz aus geografischen Gründen nicht möglich. Blocher: Das können wir ohne Gesetzesänderung. Aber bisher waren wir allein auf diesen Übungsplätzen. Die Ausbildungsvorlage will jedoch, dass wir mit den anderen Armeen gemeinsam den Krieg üben, das ist der Unterschied. Leu: Aber es geht weiter darum, unsere Leistungen im Sicherheitsbereich in einer Art Wettbewerb mit den ausländischen Militärformationen zu messen. So haben wir die einmalige Gelegenheit, auszutesten, wo wir gut sind und wo wir noch Lücken aufweisen. Aber damit wird doch die Neutralität aufgeweicht, da gemeinsame Ausbildung auf gemeinsame Einsätze abzielt. Leu: Neutralität muss doch der jeweiligen Zeit entsprechen und immer wieder angepasst werden. Was vor 50 Jahren gut war, muss nicht zwingend heute ebenso gut sein. Neutralität ist nicht ein Ziel, sondern Mittel zum Zweck und soll mithelfen, unsere Sicherheit zu garantieren. Blocher: Es ist eine Frage der Sicherheitspolitik, ob wir neutral sind oder nicht. Die Generalität und viele Politiker wollen die Neutralität anpassen, um mit anderen Armeen kooperieren zu können. Leu: Das ist falsch. Ich bin seit Anfang der Neunzigerjahre Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates, und davon war nie die Rede, auch nicht bei der Ausarbeitung des Brunner-Berichts. Blocher: Die meisten Politiker und Generäle haben genau dort gesagt, sie seien nur noch für die Neutralität, weil das Volk das so wolle. Für sie ist Neutralität ein Hindernis. Die 150-jährige Tradition der bewaffneten Neutralität zeigt doch, dass diese Strategie für unser Land richtig war und ist. Jetzt will man unter dem Deckmantel von "Sicherheit durch Kooperation" still und leise alles auf die Nato-Struktur ausrichten. Es gibt also Pläne, Herr Leu, die Schweiz langsam in die Nato zu führen? Leu: Die beiden Vorlagen, insbesondere die verstärkte Ausbildung mit anderen Armeen, hat mit einer Unterstellung unter die Nato rein gar nichts zu tun. Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Nato im militärischen Bereich die Standards setzt und wir uns diesen bis zu einem gewissen Grad angleichen müssen, wollen wir als Verteidigungsarmee glaubwürdig bleiben. Zudem verbietet uns die in der Verfassung festgehaltene Neutralität einen Nato-Beitritt. Blocher: Und jetzt wird deshalb die ganze Armee in einer kostspieligen Übung umgemodelt, damit sie in die Nato Standards passt. Diesen internationalen Fimmel jetzt auch noch auf die Armee auszuweiten ist doch barer Unsinn. Es geht zwar heute nicht um den Nato-Beitritt, aber um die Unterstellungsfähigkeit der Schweizer Armee unter fremde Kommandos. Leu: Aber Sie gaukeln den Leuten vor, dass es am 10. Juni nebst dem Verlust der Neutralität genau um die Kernfrage eines Nato-Beitritts geht. Blocher: Unbestreitbar geht es um die Neutralität und den Nato-Anschluss. Schauen Sie sich doch das Budget an, welches Bundesrat Schmid für die nächsten Jahre vorgeschlagen hat. 4,3 Milliarden Franken pro Jahr sind nur deshalb notwendig, weil das VBS die Armee Nato-tauglich machen will. Und auf die Zusicherung des Bundesrates, damit werde kein Nato-Beitritt in die Wege geleitet, gebe ich nicht viel. Das ist doch immer so, wenn die Landesregierung eine neue Vorlage präsentiert: Sie verspricht dieses und jenes. Wie war das mit der Lastwagenlawine? Der Bundesrat hat bei der Beratung der bilateralen Verträge betont, eine solche werde es nicht geben. Und was haben wir heute? Leu: Der Bundesrat hat immer gesagt, dass es in der Übergangszeit mehr Schwerverkehr geben wird. Aber Sie weichen aus, Herr Blocher, bleiben wir bei der Armee. Wir können uns doch nicht nur für die unwahrscheinlichste Variante, nämlich die Verteidigung des Territoriums, wappnen. Damit negieren Sie, dass sich das sicherheitspolitische Umfeld komplett geändert hat. Sich nur auf die Landesverteidigung zu konzentrieren läuft darauf hinaus, die Armee abzuschaffen. Herr Blocher, wollen Sie insgeheim die Armee abschaffen? Blocher: Diesen Vorwurf glaubt niemand. Aber gerade weil wir in einem stabilen Umfeld leben, ist eine Kooperation zum Schutz der Schweiz weniger notwendig denn je. Leu: Gerade deshalb dürfen wir nicht nur passiv zuschauen. Wir müssen auch kompetent, und das heisst sich zum Selbstschutz mit einer Waffe verteidigen zu können, unseren Beitrag vor Ort leisten, dort, wo die Konflikte sind. Tragen wir zusammen mit anderen dazu bei, den Frieden vor Ort zu ermöglichen, kommt uns das letztlich zugute: Denn dann müssen wir die Auswirkungen von grossen Flüchtlingsströmen nicht ausbaden. Blocher: Die Flüchtlingsströme aus dem Balkan setzten ja ein, weil diese Region in sinnloser Art und Weise von der Nato verbombardiert wurde. Leu: Aber nur dank den Bemühungen der Friedenstruppen, bei denen die Schweiz auch mitgeholfen hat, konnten wir erreichen, dass viele Flüchtlinge schnell wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Blocher: Aber dafür brauchen wir doch keine Soldaten zu schicken, da braucht es den Einsatz von humanitärer Hilfe. Und diese leisten wir billiger, wirkungsvoller und glaubwürdiger im Rahmen unserer Neutralität, als wenn wir Soldaten in Kriegsgebiete schicken. Leu: Aber deren Arbeit ist nur möglich, wenn sie von Soldaten auch beschützt werden. Ich war mehrmals vor Ort und habe gesehen, dass dieser Schutz notwendig ist. Blocher: Schweizer Soldaten, ob bewaffnet oder nicht, gehören nicht in ausländische Konfliktgebiete. Das ist ein Missbrauch der Armee, und damit läuft man Gefahr, den Krieg ins eigene Land zu tragen. Denn wer bereit ist, von der Waffe Gebrauch zu machen, der wird Partei. Jetzt wird argumentiert, wir seien lediglich vor Ort, um den Frieden zu erhalten, und nicht, ihn zu erzwingen. Es kommt doch keiner daher, schwingt die weisse Fahne und sagt, die Friedenserhaltung ist vorbei, jetzt kommt die Friedenserzwingung, jetzt hören wir auf mit dem Kampf. Leu: Deshalb gehen unsere Soldaten nur in ein Krisengebiet unter dem Mandat der UNO oder der OSZE. Zudem haben es Bundesrat und Politiker in der Hand, je nach Fall zu entscheiden, ob wir gehen oder nicht. Es zwingt uns niemand. Blocher: Ich bin dezidiert dagegen, dass wir unseren Politikern, dem Bundesrat und den Generälen die Kompetenz erteilen, solche Einsätze zu bewilligen. Wir sollten solche Armeeabenteuer nicht eingehen. Ich kämpfe deshalb so leidenschaftlich gegen diese Vorlagen, weil es um den Frieden des Landes und unsere Sicherheit geht. Leu: Auch ich kämpfe mit Leidenschaft für die Revision, weil es um unsere ureigensten Interessen geht, nämlich gemeinsam Sicherheit zu produzieren und damit die Schweiz zu schützen.

11.05.2001

Mit Soldaten spielt man nicht

Gegner und Befürworter der Militärvorlagen streiten sich über die Bewaffnung von Friedenssoldaten Streitgespräch mit Nationalrat Ulrich Siegrist in der "Südostschweiz" vom 11. Mai 2001 Am 10. Juni wird über die Revision des Militärgesetzes abgestimmt. Es geht um die Bewaffnung von Schweizer Soldaten in Friedenseinsätzen und die Ausbildungs-Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Für SVP-Nationalrat Christoph Blocher (Zürich) gefährden die Vorlagen die Neutralität. SVP-Nationalrat Ulrich Siegrist (Aargau), Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, befürwortet sie. Gesprächsleitung: Andreas Schmid und Gion-Duri Vincenz, Bern Herr Blocher, Bundesrat Schmid hat Ihnen vorgeworfen, Sie lügen im Abstimmungskampf die Leute an. Haben Sie kein schlechtes Gewissen? Christoph Blocher: Nein. Ich habe es langsam satt, vom Bundesrat bei jeder Abstimmung als Lügner bezeichnet zu werden. Das tat er bei der Freigabe der 40-Tönner und beim Krankenversicherungsge-setz auch. Wer ist denn jetzt der Lügner? Zumindest Ihre Plakate mit dem Soldatenfriedhof sind doch geschmacklos. Blocher: Es ist ein sehr tiefsinniges Plakat. Darum sind die Befürworter ja so betroffen davon. Schauen Sie: Der Soldat ist der Einzige in unserem Land, der - leider - töten können muss. Zum Wesen gehört aber auch, dass er bereit ist zu sterben. Darum spielt man nicht mit Soldaten. Bei den Militär-vorlagen geht es letztlich darum, unsere Armee im Ausland einsetzen zu können und Nato-fähig zu machen. Damit kommen unsere Soldaten in fremde Händel und müssen dafür sterben. Und genau das zeigen unsere Plakate. Die Generäle wollen globalisieren Herr Siegrist, Sie haben sicher keine Freude an diesen Plakaten? Ulrich Siegrist: Was Herr Blocher über die Nato-Unterstellung behauptet, sind interessante Pauschal-vermutungen. Aber das ist nicht das Thema am 10. Juni. Bei den Militärvorlagen geht es darum, ob Schweizer Soldaten im Ausland bewaffnet eingesetzt werden dürfen oder nicht. Damit unsere Söhne und Töchter nicht im Krieg umkommen, müssen wir dafür sorgen, dass es keinen Krieg gibt. Dafür brauchen wir Stabilität in Europa. Kriegsverhinderung und Friedenssicherung sind laut Bundesverfassung wichtige Aufgaben unserer Armee. Auf diese Weise sollen Soldatenfriedhöfe verhindert werden. Ihre Kampagne ist viel zurückhaltender als jene der Gegner. Siegrist: Wir haben die sachlichen Argumente auf unserer Seite. Angesichts der aktuellen Entwicklung in Krisengebieten wird es immer nötiger, dass sich Soldaten im Friedenseinsatz selbst verteidigen können. Diese Botschaft ist so klar, dass wir ruhig an die Vernunft appellieren können. Blocher: Ihr würdet besser an die eigene Vernunft appellieren und eure internationale Blauäugigkeit langsam ablegen. Hinter den Militärvorlagen steckt der pure Internationalismus. Es sind genau die gleichen Leute, die dafür kämpfen, wie damals beim EWR oder den Blauhelmen. Es sind die gleichen, die auf Kosten unserer Neutralität am liebsten der EU beitreten würden. Hier geht es wirklich um mehr als nur um die Bewaffnung von ein paar Soldaten. Es geht darum, den Weg der bewaffneten Neutralität zu verlassen. Herr Siegrist, wollen Sie die Neutralität aufgeben? Siegrist: Das ist völlig abwegig. Herr Blocher will einfach von der eigentlichen Frage ablenken. Es ist typisch, wie hier ständig der EWR, die EU und die Nato bemüht werden. Alles, was nach supranatio-naler Organisation aussieht, macht natürlich Angst. Niemand will in die Nato. Und aus dieser Angst schlagen die Gegner Kapital. Dabei geht es am 10. Juni um unsere eigenen nationalen Interessen. Blocher: Jetzt muss ich Sie aber schon bitten, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn Soldaten im Ausland für Kampfeinsätze eingesetzt werden können und gemäss neuem Gesetz mit anderen Armeen zu-sammenarbeiten sollen, verlässt man die autonome Verteidigung: Man will den Kampf im Verteidi-gungsfall ausserhalb der Schweiz führen. Es stimmt, die Militärvorlagen bewirken nicht den EU-Beitritt. Aber das Motiv ist das gleiche. Man spielt mit der Neutralität. Die Generäle wollen da draussen dabei sein, globalisieren. Aber die kleine Schweiz wird dabei überfahren. Siegrist: Herr Blocher, wenn wir wirklich neutral bleiben wollen, dann müssen wir gut ausgebildet sein, und dazu sind wir eben auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen. Falls wir uns not-falls alleine verteidigen müssen, brauchen wir für einen guten Ausbildungsstandard die richtige Infra-struktur. Und die ist im Ausland zum Teil eben deutlich besser. Die Ausbildungszusammenarbeit ist also geradezu die Voraussetzung für eine eigenständige Verteidigung. Mit dem neuen Militärgesetz vereinfachen wir die Zusammenarbeit und bieten unseren Soldaten einen besseren Rechtsschutz. Blocher: Die Ausbildung von Schweizer Truppen im Ausland ist heute schon möglich. Nur nicht mit anderen Armeen und nicht mit dem Ziel, mit diesen Krieg führen zu können. Das würde sich bei der Annahme der Gesetzesrevision ändern. Die Vergangenheit hat doch gezeigt, dass wir von Kriegen verschont geblieben sind, weil wir uns nicht auf militärische Kooperation eingelassen haben. Wir können ruhig an die Vernunft appellieren Ihr Verteidigungskonzept stammt also aus dem Zweiten Weltkrieg? Blocher: So reden nur Modernisten. Sicher stammt mein Konzept nicht aus dem letzten Weltkrieg. Eine Armee muss sich immer neuen Bedrohungsverhältnissen anpassen. Aber der Grundsatz, dass sich die Schweiz nicht in fremde Händel einmischen darf, bleibt für alle Zeiten bestehen. Siegrist: Die Situation im Balkan sind nicht einfach fremde Händel. Wenn dort die labile Stabilität wieder zusammenbricht, ist die Schweiz sehr direkt betroffen. Wenn wegen Massenerschiessungen, we-gen Vergewaltigungen und Menschenrechts-Verletzungen Zehntausende wieder flüchten müssen, gibt es neue Flüchtlingsströme in die Schweiz. Deshalb lohnt sich unser Beitrag an die Friedenserhaltung. Blocher: Gegen humanitäre Hilfe hat wirklich niemand etwas. Aber wer meint, wegen gut 100 Schwei-zer Soldaten in Kosovo kämen weniger Flüchtlinge, ist doch einfach naiv. Ist nach einem Nein am 10. Juni Schluss mit der Swisscoy in Kosovo? Siegrist: Man sollte nie vor einer Abstimmung die Konsequenzen vorwegnehmen. Blocher: Warum nicht? Sagen Sie doch, dass weiterhin Swisscoy-Truppen eingesetzt werden könnten. Siegrist: Es braucht eine klare Lagebeurteilung. Wie reagieren zum Beispiel unsere Partner, wenn wir weiterhin nicht bereit sind, Bewachungsaufgaben zu übernehmen? Können wir dann weiter auf die Zusammenarbeit bei der Ausbildung zählen? So oder so ist es der Schweizerflagge nicht würdig, wenn sie von ausländischen Soldaten bewacht werden muss. Was würde ein Nein für Sie bedeuten, Herr Blocher? Blocher: Ich würde mich nach einem Nein dafür einsetzen, dass keine Soldaten, sondern humanitäre Detachemente nach Kosovo geschickt würden. Ein ziviles Korps mit guten Berufsleuten würde viel mehr bringen und ist billiger. Das hat unsere Partei, bei der Herr Siegrist ja zumindest noch Mitglied ist, stets gefordert. Schweizer Soldaten, bewaffnet oder unbewaffnet, sind im Ausland fehl am Platz. Denn Soldaten sind da, um im schlimmsten Fall Krieg zu führen. Siegrist: In 90 Prozent der Fälle reichen die humanitären Organisationen. Aber dort, wo es nötig ist, braucht es militärische Unterstützung. Und die dürfen wir nicht einfach den anderen Ländern überlas-sen. Soldaten sind da, um die Sicherheit zu erhöhen, bevor Kriege entstehen. Ihre Prognose für den 10. Juni? Blocher: Ich glaube, es wird uns gelingen, dass das Schweizervolk die Militärvorlagen ablehnt und sich zur Neutralität bekennt. Siegrist: Weil es um die eigene Stärke und nicht um den Anschluss an irgendein Bündnis geht, wird das Schweizervolk Ja sagen.

07.04.2001

Was ist Miliz, was ist Filz, was ist bürgerlich, was ist links?

Ein Streitgespräch zwischen Markus Hess (fdp) und Christoph Blocher (svp) Neue Zürcher Zeitung vom 7. April 2001Das Gespräch führten die NZZ-Redaktoren Kenneth Angst, Matthias Saxer und Felix E. Müller. Die Krise der Swissair hat Nationalrat Christoph Blocher zum Anlass genommen, in einem im "Tages-Anzeiger" publizierten Artikel (SAir-Krise und FDP-Filz) eine "freisinnige Verfilzung" von Wirtschaft und Politik zu kritisieren. Offensichtlich war, dass Blocher nicht nur aus Sorge um das Schicksal der Swissair zur Feder gegriffen hat, sondern auch klare politische Ziele verfolgt. Die NZZ hat aus diesem Grund die Präsidenten von FDP und SVP zu einem Streitgespräch geladen. Diese Form garantiert eine saubere journalistische Behandlung des Themas. Es war diese Überlegung gewesen, welche die NZZ dazu bewog, den von Blocher gewünschten Nachdruck des "Tages Anzeiger"- Artikels als Inserat abzulehnen, zumal dieses die Gefahr juristischer Nachspiele in sich barg. Im Übrigen gehört zur Pressefreiheit auch die Freiheit, Inserate nicht entgegennehmen zu müssen. Herr Blocher, Sie bezeichnen die Zürcher FDP als den politischen Hauptverbündeten der SVP. Gleichzeitig verunglimpfen Sie den Freisinn pauschal als krank, titulieren Sie viele seiner Exponenten als Versager. Ist das ein richtiger, nämlich ein vertrauensbildender Umgang mit einem politischen Partner? Geht es Ihnen nicht um etwas ganz anderes, nämlich um die absolute Mehrheit im Parlament, zumindest um noch mehr Wähleranteile vor allem auf Kosten des Freisinns? Blocher: Nein. Von ihrer Grundeinstellung her waren und sind die Freisinnigen unsere Hauptbündnispartner. Bis vor wenigen Jahren war es unser gemeinsames Bestreben, dem sozialistischen Gedankengut entgegenzutreten. Wir waren für weniger Staat, weniger Bürokratie, weniger Steuern, denn die ständige Erhöhung führte zu immer mehr Staat und Interventionismus. Obwohl die FDP und die SVP im Zürcher Kantonsparlament die absolute Mehrheit haben, kommen wir nicht voran, weil die FDP inzwischen stark nach links gerutscht ist. Sie hat zwar vor den Wahlen behauptet, sie sei auch für weniger Steuern, hat aber bei konkreten Steuersenkungen nicht mitgezogen. Sie hat auch jetzt wieder phantasievolle Ausflüchte, um Steuersenkungen zu verhindern. Sie sprechen von einem Artikel, dessen Abdruck die NZZ als Inserat leider verweigerte. Ich habe darin sachlich festgestellt, dass ein Grund für den freisinnigen Misserfolg in einem Versagen im Bereich der Freiheit und Selbstverantwortung bei Unternehmen zu suchen ist und dass die Verfilzung zwischen FDP-Politikern, Wirtschaft und Staat geradezu unheimliche Dimensionen erreicht hat. Viele freisinnige Wirtschaftsführer sind nur zu ihren Posten gekommen, weil sie in der Partei und in der Politik sind. Und wer in der Wirtschaft versagt hat, ist dank der Partei beim Staat "versorgt" worden. Die Auswirkungen sind für die Wirtschaft wie für die Politik verheerend. Hess: Das war jetzt ein typischer Blocher- Rundumschlag. In einem Satz: Linksrutsch der Freisinnigen, Steuersenkung und FDP-Filz. Das bringt uns allerdings nicht weiter. Offensichtlich geht es nur darum, denn Freisinn kaputtzureden. Im Übrigen: Es waren die Freisinnigen, die 1999 den Steuerfuss um 3 Prozent gesenkt haben. Die SVP hat das Budget 2000 mit dieser Steuersenkung abgelehnt. Es ist aber eine Tatsache, dass der Zürcher Freisinn in den letzten zehn Jahren fast ein Drittel der Mandate im Kantonsrat eingebüsst hat, die meisten davon direkt oder indirekt an die SVP. Wie erklären Sie sich diesen Vormarsch auf Kosten des Freisinns? Hess: Die FDP hat es nicht verstanden, ihre guten politischen Programme richtig zu vermitteln. Die Wahlen fanden in einem Umfeld statt, das von Verunsicherung geprägt war. Von einer Verunsicherung, die Herr Blocher natürlich ganz aktiv schürt, um daraus Kapital zu schlagen. Dies ist eine gefährliche Politik, weil sie die gut funktionierende Schweiz destabilisiert. Bisher war es die SP, die dieses unheilvolle Doppelspiel zwischen Regierungs- beteiligung und Opposition betrieb. Wenn eine bürgerliche Partei wie die SVP, die die grösste Fraktion im Kantonsrat und im Verfassungsrat stellt, hingeht und eine permanente Oppositionspolitik betreibt und dies vor allem dann, wenn es dem Wahlkampf dient, dann ist das verantwortungslos. Die FDP ist nicht nach links gerutscht. Sie ist die einzige glaubwürdige liberale und vor allem fortschrittliche Partei, welche die Zukunft der Schweiz aktiv gestalten will. Das ist der Unterschied zur SVP. Herr Blocher, in Ihrem Artikel haben Sie einen Zusammenhang hergestellt zwischen der Krise der Swissair und der Freisinnigen Partei. Worin besteht dieser? Blocher: Die Swissair ist seit vielen Jahren eine von Freisinnigen geführte Firma. Sie ist ein Paradebeispiel dieser verhängnisvollen Verfilzung. Das Debakel des Flugunternehmens beruht nicht zuletzt darauf, dass es sich praktisch jeder Kritik zu entziehen vermochte dank Verbindungen mit der FDP und der Politik, aber auch mit Wirtschaftsverbänden, den Banken und Medien. Dass man an die Spitze dieser Weltfirma einen Politiker setzte, der noch nie in der Wirtschaft war, ist unverantwortlich. Hess: Sie haben aber mit Alfred Gilgen auch einen ehemaligen Regierungsrat in den Verwaltungsrat Ihres Unternehmens aufgenommen! Blocher: Weil er fähig war. Er hat in seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat unser Kader geschult und ein blühendes Unternehmen - nicht eine marode Firma - verlassen. Weshalb haben Sie Ihre Kritik erst publik gemacht, als die Swissair bereits am Boden war und die Leute, die dort drinsitzen, auch in der Defensive waren? Es wäre ja viel besser gewesen, wenn Sie sich früher geäussert hätten. Blocher: Gegen diese Verfilzung zwischen Staat und Wirtschaft kämpfe ich seit Jahren. Wenn wir Bürgerliche diese Missstände jetzt nicht selbst aufräumen, dann tun es die Sozialisten, aber auf ihre Weise und mit falschen Methoden. Hess: Das ist typisch: Ein Kern Wahrheit wird mit falschen Prämissen und falschen Schlussfolgerungen versehen, und schon hat man das mediale Ereignis, das man sucht. Und das ist eigentlich das Gefährliche an der ganzen Geschichte. Wenn es denn wahr wäre - was ich heftig bestreite -, dass bei der Swissair Leute in den Verwaltungsrat nur deshalb gewählt wurden, weil sie ein bestimmtes Parteibuch haben, wäre das wirklich zu hinterfragen. Immerhin, wer, wenn nicht eine Airline, hat genügend Grund, auch Politiker in den Verwaltungsrat zu wählen, damit direkte Informationen auch über politische Ereignisse und Entwicklungen in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden können? Die Aktionäre wählen Verwaltungsräte, nicht die Parteien. Und die Aktionäre haben - wohl mit gutem Grund - Herrn Honegger ihr Vertrauen ausgesprochen. Der Verwaltungsrat hat die Oberleitung über eine Gesellschaft. Das kann einmal gut, einmal schlecht gehen, es ist so, dass die Menschen leider auch fehlbar sind. Aber was das mit dem Freisinn zu tun hätte, ist mir einfach schleierhaft. Blocher: Tun sie doch nicht so naiv. Eric Honegger wäre als Nichtfreisinniger nie an diesen Posten gekommen. FDP-Parteisekretär Johannes Matyassy wäre nie Direktor mit Botschafterrang der ordnungspolitisch unsinnigen Organisation "Präsenz Schweiz" geworden, und Chef der ebenfalls unsinnigen staatlichen Handelsförderung wäre heute sicher nicht ein Versager aus der Privatwirtschaft, wäre er nicht FDP-Fraktionspräsident im Kanton Zürich. Und wie ist es mit Franz Steineggers Expo-Mandat? Anzuprangern ist auch die neuste Mode von "Beiräten" in grossen Firmen, wie etwa bei Swissair und Crédit Suisse, die mit Politikern durchsetzt sind. Sie erhalten dafür 120'000 Franken im Jahr, ohne jegliche Verantwortung zu tragen! Ich zitiere hier einen Grossaktionär der Crédit Suisse, der öffentlich erklärt hat, das sei der "Korruptionsrat". Hess: Ihre pauschalen Verunglimpfungen von Personen sind falsch, unqualifiziert und im Übrigen sattsam bekannt. Sie beweisen, dass es Ihnen nur um die Diskreditierung und Anschwärzung von engagierten Leuten geht. Weshalb kämpfen Sie, Herr Blocher, dann im Parlament dagegen, dass man die Politiker auf eigene Füsse stellt? Die Unabhängigkeit des Parlamentes wird auch dadurch gewährleistet, dass jemand nicht ständig nach einem Brotverdienst schielen muss. Blocher: Ich bin gegen das Berufsparlament. Das Milizsystem geht davon aus, dass die Arbeit in den Schulpflegen, Gemeinderäten und Parlamenten von der hauptberuflichen Erfahrung der Amtsträger profitiert. Aber das Milizsystem ist nicht dazu da, dass man Politiker ohne entsprechende Fähigkeiten in die Verwaltungsräte holt, um ihnen einen lukrativen Verdienst zuzuhalten oder damit diese Firma beim Staat etwas rausholen kann, was man in der liberalen Wirtschaft vom Staat nicht rausholen dürfte. Dies ist eine dekadente Auffassung des Milizsystems. Dagegen kämpfe ich im Interesse des Staates wie auch der Wirtschaft entschieden an. Sie können mir glauben, ich bin der Prototyp eines Milizpolitikers. Aber nicht unbedingt der repräsentativste. Blocher: Ich bin Unternehmer, ich bin Nationalrat, war Regimentskommandant. Ich habe doch nichts gegen das Milizsystem. Aber ich bin gegen dessen Missbrauch, um Unfähigen zu Pfründen zu verhelfen, weil es sonst Scherbenhaufen in der Wirtschaft wie auch im Staat gibt. Hess: Die Gesellschaft umfasst selbstverständlich Wirtschaft, Politik und Militär. Man trifft sich eigentlich immer wieder in verschiedenen Funktionen. Das ist typisch schweizerisch, davon lebt die Schweiz. Wir müssen das Milizsystem offen halten, nicht nur für Unternehmer, die sehr schnell sehr reich geworden sind wie Sie. Ich bin ein Kleinunternehmer, der nicht sehr schnell sehr reich geworden ist. Ich arbeite als KMUler und verstehe mich als einer, der von seiner täglichen Arbeit lebt und dennoch im Milizsystem seinen Beitrag leistet. Sie hintertreiben das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik. Was haben Sie denn davon? Und vor allem: Was haben wir in der Schweiz davon, wenn sich die Wirtschaft aus der Politik verabschiedet? Nur Nachteile. Wir haben höchstens eine herbeigeredete Kluft zwischen zwei Sichtweisen der Gesellschaft. Die Gesellschaft besteht aus Wirtschaft und Politik, sie umfasst beides. Solange wir das Milizsystem hochhalten wollen, ist es dringend nötig, dass immer auch Politiker mit wirtschaftlichem Sachverstand in der Wirtschaft tätig sind und umgekehrt. Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Und das wird von Ihnen jetzt aus parteistrategischen Gründen diskreditiert. Es gibt auch einen SVP-Filz. Die Pleite der Obstverwertungsgesellschaft Affoltern etwa, in welche Nationalrat Toni Bortoluzzi involviert ist, hat einen Blick auf diesen Filz freigegeben. Blocher: Das ist gerade ein schlechtes Beispiel. Hier wurde der Gemeindepräsident in die Firma gerufen, als diese in grossen Schwierigkeiten steckte. Hess: Wie bei der Swissair! Blocher: Natürlich sind Fehler in der Wirtschaft unvermeidlich. Aber ich stosse mich an den Fällen personeller Verfilzung, wo der Misserfolg geradezu vorprogrammiert ist. Es gibt zu viele solcher Pleiten. Diese Verfilzung will ich aufbrechen, im Interesse der Wirtschaft und des Staates. Bleiben wir noch etwas beim SVP-Filz. Die Axpo, die neue Gesellschaft, die entstehen soll, um im europäischen Stromwettbewerb mithalten zu können, hat als Vize-Präsidenten des Verwaltungsrat Ihren Partei- und Nationalratskollegen Christian Speck gewählt. Er ist von Beruf Bäckermeister. Wurde er deswegen in dieses Amt gewählt oder halt doch als Politiker? Blocher: Es sitzen in dieser Axpo ausschliesslich Vertreter der Kantone und somit Politiker der Kantone, weil diese die Aktionäre sind. Aber wenn die Axpo wie geplant in den freien Markt vorstossen will, kommt sie meines Erachtens nicht darum herum, dass sie privatisiert wird. Dann muss sie auch andere Verwaltungsräte haben. Herr Blocher stösst sich an der Tatsache, dass überdurchschnittlich viele Unternehmer, Manager, Verwaltungsräte Mitglied der FDP sind. Es könnte auch sein, dass das erstens heisst, zum Glück gibt es noch politisch engagierte Führungsleute der Wirtschaft, und es könnte sein, dass sie bei der FDP sind, weil diese Partei ihnen als Wirtschaftspartei politisch besonders nahe steht. Sind denn politisch abstinente Verwaltungsräte vorzuziehen? Hess: Die Frage ist richtig gestellt. Es ist tatsächlich so, dass viele FDP-Mitglieder in Chargen sind, das ist bestens bekannt. Was Herr Blocher macht und was ich ihm vorwerfe: Er nimmt nur Fälle, bei denen es schief gegangen ist, und leitet aus diesen Einzelfällen ab, dass der Freisinn krank sei. Das ist eine unerträgliche Verkürzung der Diskussion, die ich einfach nicht akzeptieren kann. Ich bin nicht auf die Suche gegangen, was für SVP-Exponenten denn vielleicht auch in einer Firma gewesen wären, die dann Pech gehabt, Fehlentscheide gefällt und vielleicht ein sehr widriges Wettbewerbsumfeld gehabt haben. Vielleicht kommt das ja alles noch, nicht? Aber das ist eben nicht der Punkt. Es ist diese polemisch verkürzte Diskussion, es gebe einen Parteifilz, der der Wirtschaft schade. Dies stimmt so nicht. Führen Sie, Herr Blocher, in dieser ganzen Debatte nicht einen Kampf gegen eine Chimäre der sechziger/ siebziger Jahre? Diese enge Verfilzung oder Verbindung von Freisinn und Wirtschaft hat sich doch, wenn man die letzten dreissig Jahre überblickt, enorm gelockert. Ausdruck dieser Entwicklung ist doch der Aufstieg der SVP. Blocher: Natürlich wählen viele Leute, die als Selbständige oder Angestellte im freien Markt stehen, heute SVP statt FDP. Ob diese Partei noch die Wirtschaftspartei ist, ist Ansichtssache. Neun von 13 Zürcher SVP-Nationalräten sind selbständige Unternehmer. Wie steht es aber bei den FDP-Nationalräten? Einer von ihnen ist mitverantwortlich für den Niedergang der Firma Sulzer, die ich übrigens seit Jahren kritisiere. Freisinniger Filz unter Einbezug von SP und Gewerkschaften bildete dort einen sicheren Wall gegen notwendige Innovationen. Sowohl SVP wie FDP werben um die Gunst der wirtschaftlichen Elite. Ist es nun so, dass die SVP tatsächlich der FDP das Wasser abgräbt? Hess: Ich bin mit der Wirtschaft täglich in Kontakt, vor allem mit den KMU, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden. Die sind damit beschäftigt, ihr Geschäft gut zu betreiben, zu arbeiten und nicht nur an den Finanzmärkten hohe Gewinne zu tätigen. In diesen Kreisen hat man manchmal eine grosse Lust, es dem Freisinn zu zeigen, zu sagen, jetzt geht doch endlich mit den Steuern runter. Die Leute haben aber längst gemerkt, hoppla, das schlägt in den Investitionen durch, in den Infrastrukturen, die wir doch eigentlich dringend nötig haben. Und wenn sie dann bei der SVP anfragen und nach Lösungen suchen, werden sie im Stich gelassen. Während sich die SVP um diese mühsame Knochenarbeit drückt, erarbeitet die FDP fundierte Lösungen. Trifft dieser Vorwurf zu, Herr Blocher? Blocher: Ein ökonomischer Berater des früheren US-Präsidenten Reagan hat kürzlich in einem Artikel festgestellt, die Politiker handelten immer gleich: Sie würden stets erklären, warum man die Steuern nicht senken könne. Wenn es der Wirtschaft gut geht, sagen sie, man müsse Schulden abbauen, damit man wieder die Möglichkeit hat, neue Schulden zu machen. Wenn es schlecht geht, erklärt man, jetzt könne man keine Steuern senken, sonst gebe es ein Defizit. Jederzeit finden Politiker Gründe, warum man die Steuern nicht senken kann. Man kommt nicht vom Fleck, als Parlament nicht, als Partei nicht und auch als Volk nicht, ausser man legt verbindlich den staatlichen Kostenplafond fest. Das ist unsere Aufgabe. Deshalb fordert die SVP: Es darf im Bund keine Steuererhöhungen mehr geben, die Steuern sind im Gegenteil um zehn Prozent zu senken. Auch für den Kanton Zürich haben wir klare Ziele gesetzt. 1999 hat die FDP vor der Festlegung des Steuerfusses zunächst erklärt, eine Senkung komme nicht in Frage. Unter dem Druck der SVP, welche eine zehnprozentige Steuersenkung forderte, hat sich dann die FDP mit einer dreiprozentigen Steuersenkung begnügt. Sie werden dann die Überschüsse und gleichzeitig den Ruf nach neuen Aufgaben erleben. Hess: Deshalb hat die FDP einen Vorstoss eingereicht, damit der Regierungsrat aufzeigen muss, welche staatlichen Aufgaben er nicht mehr erfüllen kann, wenn die Ausgaben plafoniert werden. Auf dieser Grundlage hat das Parlament dann eine politische Diskussion zu führen, welche dieser Aufgaben der Staat nicht mehr wahrnehmen soll. Folgen die SVP-Kantonsräte Christoph Blocher und verweigern diese Diskussion, dann stellen sie es dem Regierungsrat anheim, was er mit gekürzten Mitteln macht. Damit erfüllen sie ihren Wählerauftrag nicht. Denn sie übertragen die Kompetenzen ohne politische Leitplanken dem Regierungsrat. Das ist undemokratisch. Herr Hess und Herr Blocher, sehen Sie das künftige Verhältnis von SVP und FDP eher im Sinn einer Abgrenzung, eines Konkurrenzkampfes, oder sehen Sie noch Felder einer möglichen Zusammenarbeit? Hess: Wenn man die Tagesarbeit sieht im Kantonsrat, dann ist es eine Tatsache, dass die Fraktionen zusammenarbeiten. Ich glaube, dass man bei verschiedenen Themen gesehen hat - ich erwähne EKZ, Motorfahrzeugsteuer, eine Vorlage zur Sanierung des Strassenverkehrsfonds -, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert hat. Schwierig wird es immer dann, wenn ein Thema emotional ist, wenn es sich zum Wahlkampf eignet, dann kommt von Seiten der SVP wieder die angeblich klare Position, die nichts anderes ist als ein Diktat der Parteileitung. Als ich die erste Sitzung der Arbeitsgruppe eröffnete, welche eine gemeinsame finanz- und steuerpolitische Plattform erarbeiten sollte, habe ich darum gebeten, dass alle Teilnehmer zumindest etwas hätten, nämlich die Bereitschaft, zusammenzuarbeiten. Herr Blocher hat dann eingewendet, ich dürfe keine Vorbedingungen stellen. Ich habe in der Folge über die Presse die Vorbedingungen der SVP laufend entgegennehmen müssen. Dass unter diesen Vorzeichen Gespräche schwierig sind, leuchtet wohl jedermann ein. Die FDP steht für Steuersenkungen, das ist keine Frage, sie steht aber auch für einen gesunden Haushalt, für einen Schuldenabbau in dreistelliger Millionenhöhe, und sie will nicht heute, zu Beginn des Jahres 2001, ohne Grundlagen einen Entscheid treffen für eine Prozentzahl - ich weiss nicht, was dieser Zahlenfetischismus soll. Wir werden die Situation im Verlaufe des Jahres 2002 auf Grund der dannzumal bekannten Konjunkturdaten beurteilen und uns dann auf eine Zahl festlegen. Blocher: Wir sind für jede Zusammenarbeit, aber sie muss auf einer ernsthaften, konkreten Position der Partei beruhen. Wer positionslos ist, kann auch keine Kompromisse schliessen. Die FDP hat keine solche Positionen mehr. Kompromisse könnte es dann geben, wenn die Freisinnigen erklären würden, sie wollten zum Beispiel eine fünfprozentige Steuersenkung während die SVP eine siebzehnprozentige will. Dann könnten wir schauen, ob und wo wir uns einigen können. Aber wenn die FDP erklärt, "wir geben keine Zahlen bekannt, wir sind für einen Schuldenabbau in dreistelliger Höhe", können wir nicht seriös zusammenarbeiten. Können wir uns nicht einigen, gehen wir halt auseinander. Wir müssen ja nicht zwanghaft Gemeinsamkeiten suchen. Bisher sind wir gemeinsam in die Regierungswahlen gestiegen. Wenn wir aber keine Gemeinsamkeiten mehr haben sollten, können wir es vor unseren Wählern nicht mehr verantworten, gemeinsam in den Wahlkampf zuziehen. Wenn es auf das Gleiche herauskommen sollte, wie wenn wir die SP unterstützen würden, dann macht das Zusammengehen keinen Sinn mehr. Vielen Dank für das Gespräch.

01.04.2001

All about business… mit Christoph Blocher

Fragebogen in der Bilanz vom 1. April 2001 Für rund 20 Millionen Franken kaufte Christoph Blocher 1983 die angeschlagene Ems-Chemie. Heute hat sein Unternehmen einen Wert von vier Milliarden. Der 60-jährige Ems-Mehrheitsaktionär studierte auf dem zweiten Bildungsweg Jurisprudenz. Seine Leidenschaft gilt der Politik. Seit 1977 präsidiert er die Zürcher SVP. Dank seiner Kampf- und Finanzkraft avancierte der SVP national zur Partei mit dem höchsten Wähleranteil. In seiner herrschaftlichen Villa in Herrliberg beherbergt der Exportindustrielle eine beachtliche Sammlung mit Bildern Albert Ankers. Der Vater von vier Kindern verbringt seine wenigen Ferientage am liebsten auf Schusters Rappen. Wem könnten Sie noch etwas vormachen? Zahlreichen Theoretikern und Wirtschaftsbürokraten. Wie denken Sie über den wirtschaftlichen Hintergrund Ihrer Eltern? Sie waren wirtschaftlich nicht begabt, aber hervorragende Unternehmer: Mit kleinem Lohn elf Kinder grossgezogen und nie mehr ausgegeben als eingenommen. Was haben Sie nur mit schlechtem Gewissen gekauft? Ein teures Bild von Albert Anker. Für welchen Entscheid in Geldangelegenheiten schämen Sie sich? Nicht von allem Anfang an noch mehr Geld in das eigene Unternehmen gesteckt zu haben. Welche Charakterzüge haben Sie als Teenager bewundert? Aufrichtigkeit. Wem möchten Sie ähnlich sehen? Dem CEO von General Electric, Jack Welch. Wie erklären Sie einem Fünfjährigen die Wirtschaft? Die Welt ist geschaffen, dass du dich ernähren kannst. Nütze dies! Was möchten Sie gern mit Geld kaufen, was dafür nicht zu haben ist? Musse. Was ertragen Sie nur schwer in verschmutztem Zustand? Fabriken. Was möchten Sie gern mit einem Fingerschnippen ändern können? Die Geldverschleuderung im Staate. Was ist Ihre kleine Sucht? Ausweglose Situation zu meistern. Hilft es Ihnen bei der Arbeit, an Gott zu glauben? Natürlich. Glaube heisst Zuspruch Gottes. © Philipp Keel 2000_ Der Autor dieses Fragebogens schrieb die Bestseller "Alles über mich" und "Alles über uns" (Knaur Verlag), die zuerst auf Englisch erschienen sind, "All about Me", All about Us".