Artikel
01.08.2004
30.06.2004
«Straffällige Ausländer müssen raus!»
30.06.2004, Blick (Georges Wüthrich und Urs Moser) Herr Bundesrat, haben wir ein Ausländerproblem? Ja, das haben wir. Vor allem halten sich zu viele Ausländer in der Schweiz auf, die gar nicht hier sein dürften. Und wir haben einen hohen Anteil an Ausländerkriminalität. Obwohl der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung bis 20 Prozent beträgt, lag der Ausländeranteil bei Verzeigungen im letzten Jahr bei rund 55 Prozent. Welches Ist Im Moment das dringendste Problem? Wir haben Mühe, Ausländer, die illegal da sind und zum Teil straffällig geworden sind, auszuschaffen. Was unternehmen Sie dagegen? Leider genügen die Verschärfungen im neuen Asyl- und Ausländergesetz nicht. Wir brauchen, nicht zuletzt auch auf Druck der Kantone, mehr Zwangs-Instrumente gegen renitente Ausländer. Die bisherige Ausschaffungshaft genügt bei weitem nicht. Deshalb braucht es eine neue Durchsetzungshaft, die länger dauert. Und was ist mit den Papierlosen? Wir haben jetzt einige Missstände unterbunden. Ohne Vorweisen rechtsgültiger Papiere dürfen künftig keine Prepaid-Karten mehr für Handys verkauft werden. Papierlose erhalten keinen Lernfahr- oder Führerausweis mehr. Der Asylausweis genügt nicht mehr. Es braucht gültige Papiere. Das hat der Bundesrats bereits beschlossen. Was kommt noch nach? Wir werden vorschlagen, dass Papierlose längere Arbeitsverbote haben als jene, die gültige Papiere vorweisen können. Auch der Familiennachzug soll für Papierlose erschwert werden. Diese Vorschläge gehen zur Konsultation an die Kantone, dann muss der Bundesrat entscheiden, ob wir sie dem Ständerat als Zusatzanträge einreichen. Für dieses Vorgehen ernten Sie bereits Kritik auf breitester Front... Ich habe die Sache im Nationalrat angekündigt, der Bundesrat weiss es und die Kommission des Ständerates hat signalisiert, dass wir so verfahren können. Glauben Sie im Ernst, dass Sie mit solchen Anträgen durchkommen? Sie müssen schon froh sein, wenn ihnen der Bundesrat grünes Licht gibt. Wenn ich mich ständig fragen würde, ob ich mit Vorschlägen durchkomme, könnte ich keine Probleme lösen. Bis jetzt habe ich keine Hinweise, dass der Bundesrat nicht zustimmt. Im Parlament haben Sie doch keine Chance. Die Linke tobt jetzt schon... Da bin ich nicht so sicher. Die Linke kann doch ihren Wählern nicht verkaufen, dass es gut ist, so viele Illegale und Kriminelle im Land zu haben, die wir nicht mehr loswerden. Vorstossen solche drastischen Massnahmen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention? Nein, sonst würde ich sie nicht vorschlagen. Sie reden jetzt viel von «Kriminaltouristen». Das grössere Problem bei der Ausländerkriminalität sind Leute, die bei uns einen ordentlichen Wohnsitz haben. Im Kanton Zürich, beispielsweise, sind beinahe 30 Prozent aller ausländischen Straftäter Illegale oder Asylsuchende. Das ist viel. Aber Sie haben Recht:. Wir müssen auch dort den Hebel ansetzen. Ich sage ganz klar, wer als Ausländer in der Schweiz straffällig wird, sollte keine Aufenthaltsbewilligung mehr erhalten. Wir arbeiten an einem neuen Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit. Mein Ziel ist, die Schwelle für den Entzug von Bewilligungen bewusst tief anzusetzen. Also: Jeder Ladendieb muss raus? Nein, Ladendiebstahl ist zwar auch nicht in Ordnung, aber ich rede hier von schweren Vergehen. Hat die Schweiz wegen der Ausländerkriminalität ein Sicherheitsproblem? Ja, das hat sie. Dazu tragen aber auch Schweizer Straffällige bei. Die schweren Straftaten nehmen zu, das muss man verhindern. Die Schweiz ist sonst kein sicheres Land mehr. Wird es mit dem Schengen-Abkommen besser oder schlechter? Es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Der Wegfall von Grenzkontrollen bedeutet im Prinzip einen Abbau von Sicherheit. Entscheidend ist, wie stark wir im Gegenzug die Sicherheitskräfte und Kontrollen im Hinterland ausbauen. Das braucht mehr Personal. Das müssen wir mit den Kantonen zusammen regeln. Und was bringt das Dubliner Asylabkommen? Das Dubliner Abkommen besagt, dass man Asylbewerber einem anderen Land übergeben kann, wenn sie dort bereits ein Asylgesuch gestellt haben. Ob das Abkommen einen Vorteil bringt, hängt also ganz einfach davon ab, ob man mehr Asylbewerber aus Drittländern zurücknehmen muss oder abgeben kann. Wenn das Abkommen spielt, sollte es Verbesserungen geben. Aber man löst mit Dublin das Asylproblem nicht. Wir haben selbst etwas zu tun. Bundespräsident Joseph Deiss hat Sie öffentlich gerüffelt, weil Sie nicht klar zur Position des Bundesrates in Sachen Schongen und Dublin stehen. Wenn Bundespräsident Deiss an meiner Haltung etwas auszusetzen hat, kann er mir das direkt sagen. Ich führe mit ihm keine Diskussion über die Medien. Wir sehen uns schliesslich regelmässig, und jetzt gehen wir ja dann zwei Tage miteinander wandern. Stehen Sie nun zu den bilateralen Verträgen mit der EU und vertreten Sie sie auch in der Öffentlichkeit? Selbstverständlich, das ist meine Aufgabe. Ich muss erklären, warum der Bundesrat für Schengen ist. Genauso wie es meine Aufgabe ist, zusammen mit den Kantonen dafür zu sorgen, dass wir auch mit dem Sehengen-Abkommen die Sicherheit im eigenen Land wahren. Und bei den Einbürgerungsvorlagen im September, treten Sie da in den Ausstand? Nein, warum auch? Jedermann weiss, was ich als Nationalrat vertreten habe. Jetzt bin ich Bundesrat, jetzt zählt das nicht mehr. Ich habe kein Problem damit, wenn ich über Bundesrats-Beschlüsse informieren muss, über die ich anders gedacht habe. Schadet das auf Dauer nicht der Glaubwürdigkeit? Auch der Glaubwürdigkeit Ihrer Partei? Meine Partei hat eine Aufgabe und ich habe als Bundesrat einen anderen Auftrag, das muss man trennen. Nicht akzeptabel wäre, wenn ich im Bundesrat plötzlich etwas ganz anderes vertreten würde, als ich vor der Wahl versprochen habe. Aber dafür sehen Sie wohl kaum Anzeichen, oder? Stimmt jetzt die Geschichte, dass Sie 2007 für den Nationalrat kandidieren wollen, falls Sie davon ausgehen müssen, dass man Sie wieder aus dem Bundesrat rauswirft? Wir haben dieses Szenario tatsächlich vor den letzten Wahlen durchgedacht. Aber wirklich nur für den Fall, dass die anderen Parteien planen, Blocher als Bundesrat abzuwählen, damit er endlich von der politischen Bühne verschwindet.
10.06.2004
Ein Bundesrat ist doch kein Schauspieler
Interview mit der Basler Zeitung im Rahmen der Generalversammlung der Handelskammer der beiden Basel, an der Bundesrat Blocher als Gastredner eingeladen war. 10.06.2004, Basler Zeitung (Tobias Bossard, Pierre Weill) Bundesrat Blocher ist der Sprung vom Unternhemer zum Bundesrat nicht leicht gefallen. Jetzt gefällt ihm aber der Job, wie er im Interview erklärt. «Aber ich habe Mühe, wenn man mir sagt, ich müsse bei einer Sache persönliche Begeisterung ausstrahlen.» Herr Bundesrat Blocher, was ist einfacher: ein Bundesrat zu sein oder ein Unternehmer? Als Unternehmer verliert man alles, wenn man seine Sache schlecht macht. Das Risiko als Unternehmer ist deshalb viel grösser als jenes eines Bundesrats. Ein Unternehmer kann aber auch viel mehr bewirken. In Bern muss man zuerst immer viele Gremien und Leute von einer Sache überzeugen. Das ist schwieriger, auch weil neben den sachlichen Aspekten noch sehr viele politische Erwägungen eine Rolle spielen. Dafür ist die Arbeit weniger risikoreich. Im Bundesrat sind Fehler möglich, ohne dass man gleich bestraft wird. Oder denken Sie an die 130 Mrd. Fr. Bundesschulden, deswegen verliert niemand seinen Job. Sie sind seit fünf Monaten im Bundesrat. Wie haben Sie sich eingelebt? Die erste Zeit war sehr schwierig, der Wechsel enorm. Mittlerweile kenne ich die Leute und Themen und sehe die Probleme und Lösungsmöglichkeiten. Aber gefällt es Ihnen im Bundesrat? Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist: Kann ich meine Anliegen verwirklichen oder nicht? In vielen Bereichen ist das möglich, ohne dass man es merkt; bei anderen nicht. Viele haben den Eindruck, Sie fühlen sich in Ihrer Rolle nicht immer wohl. Ich fühle mich sehr wohl. Schon als Unternehmer hatte ich Momente, die nicht immer lustig und fröhlich waren. Insgesamt habe ich aber Freude an meinem Job, sogar immer mehr. In der Basler Zeitung sagte der Basler FDP-Nationalrat Johannes Randegger, dass Sie im Bundesrat Ihr «Format als Staatsmann erst noch finden» müssen. Mir hat er das nicht gesagt. Was ist das überhaupt, «Format als Staatsmann», das müsste er mir zuerst erklären. Einige sagen auch, ein Bundesrat muss seine ihm zugeordnete Rolle übernehmen. Was ist denn das für eine Auffassung? Ein Bundesrat ist kein Schauspieler, sondern hat zu sagen, was er denkt. Einzig über die Dinge, die im Bundesrat diskutiert werden, kann er nicht öffentlich seine Meinung sagen. Sie hätten Bundesrat Moritz Leuenberger zum Rücktritt aufgefordert, sickert zu den Medien durch. Wie gehen Sie mit solchen Indiskretionen um? Ich lasse die einfach laufen und schaue zu. Zum Rücktritt aufgefordert habe ich ihn sowieso nicht, das liegt nicht in meiner Kompetenz. Was aber genau war, darüber spreche ich nicht, es ist ja auch nichts passiert. Wir hatten eine gute Diskussion. Ich muss darüber lachen, was alles geschrieben wird, und staune, was die Leute in der Bevölkerung wissen, obwohl ich dazu noch nie etwas gesagt habe. Am Dienstag habe ich zum ersten Mal seit fünf Monaten Fernsehen geschaut und bin ausgerechnet beim «Zischtigsclub» gelandet, in dem fünf Leute über die Vorgänge imBundesrat diskutiert haben, die noch nie im Bundesrat waren. Das war eine Diskussion über eine Fata Morgana. Wie gehen Sie damit um, dass Sie als Bundesrat Dinge vertreten müssen, von denen Sie früher eine andere Meinung hatten - etwa beim Schengen-Dossier der Bilateralen II? Damit habe ich keine Mühe. Mühe macht mir nur, wenn Leute meinen, ich müsse Argumente vortragen, die es gar nicht gibt. Ich habe auch Mühe damit, wenn man mir sagt, ich müsse bei einer solchen Sache persönliche Begeisterung ausstrahlen. Aber ich kann doch sagen, wo die Vor- und Nachteile bei einer Sache liegen, und warum der Bundesrat findet, die Vorteile überwiegen. Für meine Partei ist das vielleicht ein Problem, aber wir haben dies von Anfang an besprochen, dass ich in solchen Angelegenheiten für einen Kampf ausfalle. Aber gerade bei Projekten wie Schengen ist es wichtig, dass die Leute wissen, worum es geht. Wenn ich Nachteile aufzähle, verletze ich das Kollegialitätsprinzip nicht. Das wäre der Fall, wenn ich Schengen bekämpfen würde. Sehen Sie als ehemaliger Unternehmer Möglichkeiten, die Regierungsarbeit effizienter zu gestalten, wie die Schaffung eines stärkeren Präsidentenamtes oder höhere Hürden für Referenden? Nein, dies ist nicht nötig. Wir brauchen eine andere Politik. Wir müssen nicht die Volksrechte einschränken. Derartige Schritte würden am wahren Problem vorbeizielen. Doch wieso lehnt das Volk Reformen ab, die viele als nötig empfinden? Das Volk hat bis jetzt keine wahren Reformen abgelehnt. Das Elektrizitäts-marktgesetz habe ich selbst im Parlament noch abgelehnt, weil ich der Ansicht war, dass dies gar keine Liberalisierung ist. Es war eine verdeckte Verstaatlichung. Dann habe ich gesagt, es ist doch weniger schlimm als jetzt. Wenn man derartige Reformen vorlegt, die schwer verständlich sind oder eine Verschlechterung bringen, ist es nicht erstaunlich, wenn das Volk Nein sagt. Die 4,9 Mrd. Fr. zusätzliche Mehrwertsteuer hat das Volk abgelehnt. Welche Wirtschaftsreformen sind notwendig, um die Wachstumsschwäche der Schweiz zu beheben? Die dramatische Lage der Bundesfinanzen müssen wir korrigieren. Diese lähmen die schweizerische Wirtschaft. Deshalb wächst die Wirtschaft nicht. Wir sollten nichts anderes machen als den Haushalt in Ordnung zu bringen und das Wachstum zu fördern. Doch der Bund ist noch nicht so weit. Das ist tragisch. Es besteht die Gefahr, dass wir die gleichen Probleme wie Deutschland bekommen werden oder wie England, bevor Margaret Thatcher Regierungschefin wurde. Damals war das Bruttoinlandprodukt von Grossbritannien geringer als jenes der DDR. Es wäre schade, wenn wir so tief fallen müssten, bevor wir die nötigen Reformen einleiten. Das EWR-Nein von 1992 schätzen Sie als Erfolg ein ... ... ja, als gewaltigen Erfolg... ... aber seither ist die Schweiz von allen OECD-Staaten am langsamsten gewachsen. Besteht ein Zusammenhang? Keinesfalls. Aber die Liberalisierung des Binnenmarktes ... ... meinen Sie, wir hätten liberalisiert, wenn wir EU-Mitglied wären? Deutschland ist schon lange in der EU Das Problem ist, dass wir von allen Industriestaaten in den vergangenen zehn Jahren unsere Fiskalquote am stärksten erhöht haben. Unsere Schulden sind bei Bund, Kantonen und Gemeinden auf 300 Mrd. Fr. angestiegen, deshalb geht es nicht vorwärts. Es ist nicht wahr, dass nicht liberalisiert wurde. Ich nehme die Handwerker in Schutz. Sie sind einem starken Wettbewerb ausgesetzt. Die Landwirtschaft ... ... die Landwirtschaft ist nicht in der freien Marktwirtschaft zuhause. Sie ist in keinem Land der Marktwirtschaft ausgesetzt. Aber man könnte das auch anders machen. Ich habe bereits Vorschläge gemacht, bevor ich im Bundesrat war. Jetzt muss ich mit Vorschlägen etwas vorsichtiger sein. Wenn wir in der EU wären, ginge es diesem Land miserabel. Wir hatten nur ein kleinesWachstum, aber wir haben noch immer ein relativ hohes Pro-Kopf-Einkommen, wir haben relativ wenig Arbeitslose und tiefe Zinsen, was ein Wettbewerbsvorteil ist. Das alles ist so, weil wir nicht in der EU sind. Und das weiss heute übrigens auch die Wirtschaft. Welchen Einfluss nehmen Sie heute noch auf ihren ehemaligen Konzern, die Ems Chemie? Gar keinen. Muss ich auch nicht. Ich bin nicht mehr daran beteiligt und sehe, dass es gut läuft. Beraten Sie auch nicht die heutige Konzernchefin, Ihre Tochter Magdalena Martullo, wenn Sie sich treffen? Wenn mich meine Tochter mit den Enkeln besucht, frage ich schon, wie es geht. Ist dies verboten? Aber in den Zeitungen verfolgen Sie das Unternehmen intensiv? Die Zeitungen lese ich generell intensiv, aber nicht speziell mit Blick auf die Ems Chemie. Sie haben Ihren Anteil an der Ems Chemie Ihren Kindern teilweise verkauft und teilweise verschenkt. Wie habenSie Ihr Vermögen jetzt angelegt? Das sage ich Ihnen, wenn alle Bundesräte bekannt geben, wo sie ihr Geld angelegt haben. Ich bin aber an keinem Unternehmen massgeblich beteiligt.
06.06.2004
Rede von Bundesrat Christoph Blocher zum 25. Nordostschweizerischen Jodlerfest
06.06.2004, Appenzell Es gilt das gesprochene Wort Liebe Jodlerinnen und Jodler Liebe Alphornbläser und Fahnenschwinger Liebe Festgemeinde Sie haben zum Fest geladen. Und wiederum sind Tausende Freunde des Jodelgesangs der Einladung gefolgt. Zum 25. Mal findet das Nordostschweizerische Jodlerfest statt, heuer im schmucken Landstädtchen Bülach. Ein Zusammentreffen für freundschaftlichen Wettkampf und unbeschwerte Geselligkeit. - Beeindruckende 492 Konzertvorträge sind angemeldet. - Fast 3000 aktive Teilnehmer zählt das Verbandsfest. - In 25 Wirtschaften und 6 Verpflegungsständen können sich die Besucher erholen und erlaben. - Über 600 freiwillige Helferinnen und Helfer machen einen solchen Anlass überhaupt erst möglich. Meine Damen und Herren, diese paar Angaben aus Ihren Veranstaltungs-unterlagen sagen es bereits: Das 25. Nordostschweizerische Jodlerfest bietet Substanz, Inhalt und steht stellvertretend für das vielfältige Kulturleben unseres Landes. Solche Feste bilden das Rückgrat einer gesunden Lebensgemeinschaft. Das Nordostschweizerische Jodlerfest gibt die Traditionen weiter und stärkt den Gemeinsinn - zum 25igsten Mal! Ich glaube, solche Zusammenkünfte werden immer wichtiger: Je mehr die hohe Politik von Globalisierung schwärmt, je mehr das Heil in nicht fassbaren und nicht überschaubaren supranationalen Organisationen gesucht wird, umso mehr sehnen sich die Menschen nach Halt, nach Tradition und Heimat - denn dort ist der Ort des Vertrauten und des Überschaubaren. Was wären wir ohne all die Vereine, ohne die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer, ohne die Volksfeste wie dieses heute? Was wären wir ohne Sängerinnen, Sänger, Jodlerinnen und Jodler, Alphornbläser und Fahnenschwinger? Arm wären wir! Wir wären Menschen in einer leeren, einsamen, grauen Welt. Vorbildlichkeit Sie bieten uns nicht nur Freude. Es ist imposant zu sehen, wie ein so grosser Anlass so hervorragend organisiert wird. Und nicht weniger beispielhaft ist, wie hier seriös budgetiert und in Eigenverantwortung abgerechnet wird. Dies müsste sich der Staat, der ja über ganz andere Mittel verfügt, zum Vorbild nehmen: Die letzte "grössere" Festveranstaltung, die über den Bund organisiert worden war, trug zwar einen kürzeren Namen als das "Nordost-schweizerische Jodlerfest", dafür wies die "Expo" ein paar Nullen Defizit mehr aus. Über eine Milliarde Franken kostete uns die "Expo". Da hätten Sie hier vergoldete Gratisbratwürste verteilen können. Festumzug Für den Nachmittag ist ein grosser Festumzug angekündigt. Auch dieser verheisst Beeindruckendes: - 70 Nummern bilden den Umzug - dazu kommen 5 Blasmusikkorps - 17 Kühe Die letzteren fühlten sich wahrscheinlich eingeladen durch den wunderschönen Kinderchor, der vorher inbrünstig sang: "Gang rüef dä Bruune, gang rüef dä Gäle, sie söölid allsam nach Bülach cho." (Das wäre vielleicht auch eine Werbeidee für unseren Fremdenverkehr - und erst noch billiger als die 200 Steuermillionen für die staatliche Tourismus-förderung). Zum Volkslied Ich war das 7. von 11 Kindern. Meine Mutter hat eine Fülle von Volksliedern am Klavier begleitet und uns so gelehrt. Die meisten kann ich heute noch auswendig und singe sie auch (am liebsten im Badezimmer, weil dort die Akustik die falschen Töne überschallt). Den tieferen Sinn dieser Lieder habe ich allerdings erst im Erwachsenenalter entdeckt. Wir finden darin all das Schöne, Lustige, aber auch Schwierige und Widrige des Lebens. In vielen dieser Weisen liegen versteckte Weisheiten. Es lohnt sich, etwas genauer hinzuhören. Das ist auch der Grund, warum ich in meinen Reden häufig aus einem Volkslied zitiere. So war einmal das Volkslied "Chumm Bueb und lueg dis Ländli aa!" das Leitmotiv einer wichtigen Rede. Ja, die Schweiz ist ein kleines Land, aber ein reizvolles Land. Nur tüchtige Menschen konnten daraus etwas machen. Ich weiss auch, dass besonders viele Jodler aus Bauernfamilien stammen. Wer "üses Ländli aaluegt", und zwar mit offenen Augen, der erkennt, dass es gerade der Bauernstand ist, der für diese schönen Landschaften sorgt. Zu diesem "Ländli" wollen wir Sorge tragen, dass es auch weiterhin in Freiheit seine Zukunft bestimmen kann. Nach meiner Rede "Chumm Bueb und lueg dis Ländli aa!" meldeten sich - wie immer - die Kritiker und sagten: Wieder typisch, der Blocher redet nur von den Bueben und vergisst die Frauen. Ein Jahr später, es war der Januar des letzten Jahres, sprach ich von den kommenden Wahlen und endete optimistisch mit den Worten: "Ich glaube, es beginnt zu tagen. Wer nicht gerade in die Niederungen der hohen Politik schaut, sondern hinausblickt ins Land und zum Volk, wer hinaufblickt zum Souverän, der wird mit Zuversicht erfüllt. Man fühlt sich an das alte Volkslied erinnert: "Es taget vor dem Walde, stand uuf Kätterlin!". Und wenn ich in die Festrunde schaue, "nicht nur der Bueb luegt sis Ländli a", sondern auch die "Kätterlin isch ufgschtande". Aber weder der Bueb noch das Kätterli wollen Politiker, die wie Windfahnen politisieren. Auch die Fahnenschwinger, die hier auftreten, können ihre Fahnen nicht einfach in den Himmel werfen und dann schauen, wohin sie gerade fallen. Unser Land braucht Verlässlichkeit. Ein Volkslied hat aber auch an jene gedacht, die heute nicht wissen, was sie gestern sagten und was sie morgen denken. Diese spezielle Hymne ist der Refrain von "Es Puurebüebli man i nit": "Mal ufe mal abe, mal rächts, mal links, mal hindere mal füre, mal rächts mal links...", was nur für das Volkslied lustig ist. Ich wundere mich immer über jene Leute, die in der ganzen Welt herumreisen und dann von den dortigen Kulturen schwärmen, aber dem einheimischen Brauchtum keine Beachtung schenken. Der Jodelgesang, das Alphornblasen und das Fahnenschwingen ist eine solche Volkskultur. All denen, die glauben, die eigene Heimat sei zu wenig, hilft ein anderes Volkslied weiter: "...und zeigt üs d'Wält au allerlei: channsch nur ein Heimat gfindä". (Uf em Heiwäg, Text: Karl Spring, Melodie: Jean Clémençon). Sie, - meine Damen und Herren, - besingen in Ihren Liedern unsere Heimat. Und Sie tun das in den verschiedenen Dialekten und Sprachen. Das grosse Palaver ist nicht Sache des Schweizers. Wir haben es gern kurz und bündig und weniger gerne schwülstig und ausführlich. Deshalb entspricht der Naturjodel so ideal dem Eidgenössischen Wesen. Auf zum Feste Also, auf zum Fest! Ich rufe auf zum Dank! Ich danke für die Tausenden Stunden Freiwilligenarbeit, ich danke den 3000 Jodlerinnen, Jodlern, Alphornbläsern und Fahnenschwingern, ich danke dem Fest mit seinen 156 Chören, dem üppigem Blumenschmuck, den 17 Kühen, den 4 Sanitätsposten und nur einem Bundesrat. Geniessen Sie das noch verbleibende Fest und tragen Sie weiterhin Sorge zu unserem Brauchtum. Damit wir auch in Zukunft eine Heimat in uns finden. Ich freue mich, speziell auf den angekündigten Appenzeller Naturjuiz.
05.06.2004