Eröffnung des Schweizerischen Militärmuseums Full

Rede von Bundesrat Christoph Blocher

05.06.2004

Es gilt das gesprochene Wort

Die Festung Full-Reuenthal steht an der Landesgrenze und hatte den klaren Auftrag, jeden feindlichen Eindringling fern zu halten. Die Schweiz, eine Nation, zu deren Geschichte das Militärische untrennbar gehört, kommt endlich zu einem schweizerischen Militärmuseum!

Die Aufopferung Tausender und Zehntausender von Freizeitstunden, von Zehntausenden und Hunderttausenden von privaten und kommunalen Franken hat möglich gemacht, was wir hier in Full um uns herum sehen.

Einmal mehr hat dieses Land gezeigt, dass seine wirkliche Kraft, seine eigentliche Qualität in der Initiative und in der Ausdauer seiner Bürgerinnen und Bürger liegen. Um dafür im Namen des Bundesrates herzlich zu danken, bin ich heute zu Ihnen gekommen.

Full-, Reuenthal oder Röilete – wenn ich die Dialektaussprache des Namens richtig zustande bringe – das sind Worte, die unauslöschlich zur Geschichte der Schweiz angesichts der realen Bedrohung durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts gehören.

Der Ort erinnert an die schwierigen Jahre des Zweiten Weltkrieges. Ein ganzes Land stand auf Bewährungsprobe und die bange Frage lautete: Wird die Schweiz aus eigener Kraft ihre Eigenständigkeit bewahren können? Ja, die Schweiz widerstand dem totalitären Zeitgeist jener Jahre. Das ist eine historische Leistung, an der es nichts zu rütteln gibt. Unsere Vorfahren wussten, was eine Grenze ist und warum es Grenzen bedarf.

Was sagt uns Reuenthal ?

Reuenthal sagt uns: Wer diese Grenze nicht respektiert, so das unmissverständliche Signal, wird ein entschlossenes Volk vorfinden, welches seine Freiheit und Selbstbestimmung zu verteidigen weiss.

Bundesrat Hermann Obrecht, ein aufrechter Mann seiner Zeit, erklärte am 15. März 1939: „Das Ausland muss es wissen: Wer uns ehrt und uns in Ruhe lässt, ist unser Freund. Wer dagegen unsere Unabhängigkeit und unsere politische Unversehrtheit angreifen sollte, dem wartet der Krieg. Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahrten gehen.“ Die Mahnung Obrechts galt nach innen wie nach aussen. Die Landesgrenze und damit unsere Freiheit wurde für unantastbar erklärt. Diese deutlichen Worte waren an die totalitären Regime – braune und rote – gerichtet, die alle Grenzen und alle Freiheit mit Füssen traten.

Seine Worte waren aber ebenso an die einheimische Elite gerichtet: Denn das Volk war damals weit widerstandswilliger und verteidigte die Souveränität weit entschlossener als viele Leute in führenden Kreisen. Auch dieser Umstand zeigt die Überlegenheit des Milizsystems. Warum, so dachten viele führende Leute, soll sich die kleine Schweiz gegen eine solch erdrückende Übermacht behaupten können? Es war diese anpasserische und resignative Haltung, die den Willen zur Eigenständigkeit von innen her zu zerfressen drohte. Darum mobilisierten verantwortungsbewusste Bürger nicht nur die Waffen, sondern auch die demokratische Überzeugungen.

So etwa der Zeichner Carl Böckli, der im Nebelspalter spitze Karikaturen mit klugen Kommentaren veröffentlichte. Böckli, weit bekannter unter seinem Kürzel „Bö“, schuf zu Beginn des Zweiten Weltkrieges die Figur des Jeremias Jammermeier. Ein noch heute weit verbreiteter Typus, der auf Vorrat vor dem scheinbar Übermächtigen kapituliert. Im August 1940 lässt „Bö“ den Jeremias Jammermeier seufzen:

„Hä wie chönd jetzt au d’Soldate
Mit em Gwehr und mit em Schpate
Immer na go tue wie wild?
S’nützt ja nüt. Ich bi im Bild,
Mir gönd under und verlore,
Hetted mir nu nie nüt gschwore.“

„Hetted mir nu nie nüt gschwore“. Ich rufe in Erinnerung, noch heute schwört jedes Regierungsmitglied auf die Verfassung und damit auf die Souveränität der Schweiz.

Geschichte von Full – Reuenthal

Gewiss, bereits die Römer versuchten am Rhein durch ein durchgehendes System von Wachttürmen und Kastellen die Barbaren draussen zu halten. Sicher, auch Zwingli bezeichnete den Rhein als die Letzi der Eidgenossenschaft. Die zentrale schweizergeschichtliche Bedeutung Full-Reuenthals aber geht zurück auf den 9. Juli 1933, als Bundesrat Rudolf Minger, der Vorsteher des Eidgenössischen Militärdepartements, im Amphitheater von Vindonissa erklärte: „Niemals lässt sich das Schweizer Volk eine Gleichschaltung nach deutschem Muster gefallen.“

Damals brauchte es noch Mut, so etwas zu sagen, Adolf Hitler war erst rund ein halbes Jahr im Amt und seine grössten Verbrechen lagen noch vor ihm, wenn auch Minger und Menschen vergleichbaren Weitblicks sahen, wohin die Reise führte.

Ein Jahr danach (im Juli 1934) schrieb der Arzt und Kommandant der Infanteriebrigade 12, der nachmalige Oberstdivisionär und Nationalrat Eugen Bircher dem Eidgenössischen Militärdepartement, man solle in Bundesbern die Errichtung eines „kleineren Forts in der Gegend Reuenthal – auf dem Strick“ prüfen. Dies war militärisch nötig, weil über das Wehr des im Januar 1934 in Betrieb genommenen Kraftwerks Albbruck-Dogern rasch eine grosse Truppenzahl über den Rhein geworfen werden konnte, was es zu verhindern galt.

Sie spüren: Auch hier ging, wie fast immer in der Schweiz, die Initiative von einem Privaten, im vorliegenden Fall von einem Milizoffizier aus. Gegen amtlichen Unverstand, welcher eine Zeitlang selbst im damaligen Büro für Befestigungsarbeiten zu finden war, setzte sich Birchers Idee nach einem weiteren Jahr durch, so dass schliesslich am 1. März 1937 die Aushubarbeiten beginnen konnten.

Dank diesem und vergleichbaren Werken entlang der Landesgrenze, dank einem Minimum militärischer Vorsorge, war das Land nicht nackt, als die Bundesversammlung Henri Guisan 1939 zum Oberbefehlshaber wählte. So war es einer Generation möglich, welche ganz anders geprüft wurde, als wir alle jemals geprüft worden sind, den Leuchtturm der Freiheit und der Demokratie inmitten eines totalitären Kontinents zu behaupten.

Der Bau von vielen Festungen in unserem Land ging von Privaten aus und beweist beispielhaft, wie sehr unsere Vorfahren das Milizsystem verinnerlicht hatten. Mit nachdenklichem Schmunzeln habe ich Ihren Unterlagen entnommen, dass auch heute diese Festungsanlage gewissermassen privatisiert wurde. Der Verein Festungsmuseum Reuenthal hat die Liegenschaft von der Gemeinde erworben und erhält damit ein wichtiges Denkmal- und Mahnmal schweizerischer Landsverteidigung.

Beeindruckendes Zeugnis des Milizsystems

Viele von Ihnen haben Dienst geleistet in der Milizarmee. Viele von Ihnen haben sich ein Leben lang engagiert zu Hause, in Vereinen, in der Politik und als wache Bürgerinnen und Bürger. Und jetzt haben Sie wiederum einen eindrücklichen Beweis erbracht, zu was Menschen fähig sind, die aus sich heraus den gemeinsamen Willen schöpfen, etwas zu erreichen.

Sie haben es fertig gebracht, dass hier und heute das Museum eröffnet wird und so die Erfolgsgeschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und die vergleichbare Leistung vorher und nachher, im Kalten Krieg, nie vergessen wird.

Darum bin ich Ihnen so dankbar. Ich danke Ihnen für Ihren unermüdlichen Einsatz. Ich danke Ihnen, dass Sie uns dieses Mahnmal geschaffen haben.

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