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Persönlich
13.02.2010
Abzocker-Initiative:
Interview mit Thomas Wyss, Finanz und Wirtschaft vom 13. Februar 2010
Sie unterstützen nun die Minder-Initiative. Die Gegner sagen, damit werde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz geschwächt.
Ein gesuchtes Argument. Gestern versicherte mir der Verwaltungsratspräsident einer grossen kotierten Gesellschaft, dass man mit der nun präsentierten Lösung gut leben könne. Die neuen Regelungen bringen eine gewisse Belastung zum Ausweisen von Bezügen für Verwaltungsrat und für Anträge an die Generalversammlung. Aber wer keinen Dreck am Stecken hat, muss keine Angst haben. Sie gibt den Unternehmen die nötige Flexibilität und verhindert krasse Missbräuche. Wenn man sieht, was die G7 von Staates wegen plant, tut die Schweiz gut daran, einen freiheitlichen Ansatz zu wählen.
Aber haben Sie nicht das Gefühl, dass mit der Jahreswahl die langfristige Optik verloren geht?
Wiederwahl ist der Normalfall. Aber. Man kann die Verwaltungsräte nicht für 3 Jahre wählen lassen, um sich dann Jahr für Jahr frei zu bedienen. Die Jahreswahl hat sich zudem in vielen Gesellschaften bewährt.
Aber ich kann doch nur über die Vergütung entscheiden, wenn ich weiss, welche Leistung er vollbracht hat und ob er diese Vergütung wert ist!
Über die einzelne Entlöhnung stimmt die GV – der Eigentümer – nicht ab, sondern über die Gesamtheit. Und sie wählt die Verwaltungsräte unter voller Kenntnisse der Bezüge. Sie wird in Extremfällen eingreifen.
Das ist ja alles gut und recht. Aber am Schluss wird an der GV nur noch über die Entlöhnung gestritten, und strategische Fragen werden vergessen.
In extremen und missbräuchlichen Fällen, vielleicht. Es dürfte für den Verwaltungsrat schwierig werden, Anträge zu stellen um – zum Beispiel nach einem Jahr mit 864 Mio. Verlust, 11 Milliarden Eigenkapitalvernichtung, 6 Milliarden Abschreibungen und einem um 61% tieferen Aktienkurs dem Verwaltungsrat die gleichen Vergütungen vom 10 Mio. – gleichviel wie im exzellenten Vorjahr – und pro Geschäftsleitungsmitglied 6 Mio. zuzugestehen, wie dies für 2008 bei der SWISS Re geschehen ist.
Wer definiert denn, was der richtige Betrag ist?
Wie in jedem Unternehmen der Eigentümer. Der Verwaltungsrat stellt den Antrag. Entscheidend ist der Grund. Wenn es dem Unternehmen nachhaltig gut geht, verdient der Unternehmer, aber er verliert, wenn es schlecht geht. Bei den Banken und Versicherungen verdienten die Manager in beiden Situationen viel. Wir brauchen eine echte Wirtschaftspolitik, die mehr ist als die Interessenvertretung von ein paar Managern.
Aber die Minder-Initiative ist doch klar gegen die Finanzindustrie gerichtet.
Sie ist gegen überhaupt niemanden gerichtet. Höchstens gegen Manager, die statt für das Unternehmen vom Unternehmen leben. Aber gegen diese muss es auch gerichtet sein. Es geht um die Aufsicht der Organe einer Gesellschaft durch die Eigentümer. Und es ist Aufgabe des Staates Regeln zu schaffen, damit das Privateigentum geschützt ist. Die einjährige Wahl, die Transparenz und wichtige Entscheide an der Generalversammlung gewährleisten dies. Aber ich hatte nie Mühe, zum Beispiel in der Ems Chemie die Gehälter des Verwaltungsrates offen zu legen und eine einjährige Wahlperiode einzuführen.
Sie übten mit 60% ja auch die Kontrolle aus.
Trotzdem. Wollen sie eine staatliche Regelung? Wenn uns der Staat – Politiker und Beamte – sagen wollen, wie hoch diese Summe sein darf, ist das Unsinn. Und darauf läuft es nun in Europa hinaus. Börsenkotierte Gesellschaften brauchen einfache, gangbare Lösungen, die die Führung nicht untergräbt aber Missbräuche verhindert. Das gewährleistet der Einigungsvorschlag.
Aber Sie haben sich zu Visionszeiten auch bedient.
Nein. Die Verwaltungsratsentschädigung wurde an der ersten Generalversammlung nach einem genauen Zielerreichungsmodell einstimmig beschlossen.
Die Börse stieg, aber die Leistung war nicht messbar.
Der Zweck dieser Anlagegesellschaft war den Anlagewert zu steigern. Dieser war genau messbar. In der Pharma Vision gab es bis 6% Wertsteigerung kein Verwaltungsratshonorar. Dann war die Stufenleiter definiert. Die Verwaltungsräte mussten zudem zusammen 51% des Aktienkapitals zeichnen.
Aber der Wert der Firma stieg durch die ganze Börsenentwicklung.
Das war auch der Sinn. Doch die Missbräuche in grossen Gesellschaften waren grösser als man denkt. Weil die Transparenz fehlte. Was da hinter den Kulissen heraus genommen wurde, geht auf keine Kuhhaut. Neu muss die konsolidierte Offenlegung aller Bezüge gelten. Man kann nicht mehr eine kleine Entschädigung von der Holding beziehen und sich gleichzeitig und unbemerkt von der amerikanischen Tochtergesellschaft anstellen lassen. Das geht nicht mehr.
Ein Bonus sollte auch auf null fallen können. Das ist doch die Fehlkonstruktion.
Natürlich. Sogar ein Malus wäre konsequent. Aber das wird nicht verlangt. Die Manager haben immer eine neue Begründung für die Boni. Die Optionen wurden eingeführt , um die langfristige Denkweise zu fördern. Gut so! Aber: Als die Titel einbrachen, wurde der Ausübungspreise nach unten angepasst oder der Ausübungszeitpunkt verschoben. Das ist nicht unternehmerisch. Bezahlt haben das Tausende von Eigentümer.
Das haben wir ja auch moniert.
Moniert schon. Nun muss das Aktienrecht dafür sorgen, dass gehandelt wird. Missbräuche schaffen böses Blut und ein wirtschaftsfeindliches Klima.
Unpopulär ist auch die Senkung des Umwandlungssatzes im BVG. Was sagen Sie Ihren Leuten?
Leider hat man es verpasst, die Sache einfach zu erklären: "Wenn Du 65 Jahre alt bist und 100'000 Franken einbezahlt hast, bekommst Du diese 100'000 Franken auch wieder. Du kannst es als Kapital herausnehmen und damit machen was Du willst. Du kannst es aber auch als Rente beziehen und dann werden diese 100'000 Franken durch die durchschnittliche Lebenserwartung aufgeteilt. Wenn die Leute durchschnittlich 75 Jahre alt werden, gibt es pro Jahr einen Zehnten. Wenn sie durchschnittlich 85 Jahre alt werden, gibt es nur einen Zwanzigstel. Das durchschnittliche Lebensalter ist gestiegen. Und deshalb muss man den Umwandlungssatz anpassen, sonst wird die Pensionskasse zerstört und die Jungen gehen leer aus!"
Wie stehen die Chancen der Vorlage?
Leider schlecht. Auch unsere Wähler werden den bundesrätlichen Vorschlag hoch verwerfen. Die meisten hören nicht. Sie haben genug. Und damit sind wir wieder beim Thema. Die Wut auf Banken, Versicherer, Manager, auf die Wertverluste, die die Leute erlitten haben, ist so gross, dass sie einfach aus Protest Nein sagen!
Aber der Aktionär übergibt dem Verwaltungsrat heute die notwendigen Kompetenzen.
Das soll so bleiben. Die Begrenzung uferloser Kompetenzen ist eine geringfügige Einschränkung. Neu soll nicht nur die Gesamtsumme der Verwaltungsratsvergütung sondern auch die der Geschäftsleitung bestimmt werden. Die Hauptmissbräuche finden tatsächlich auf Stufe Geschäftsleitung statt. Der Verwaltungsrat rechtfertigt stillschweigend seine hohe eigene Entschädigung oft mit der Höhe der Entschädigung der Geschäftsleitung, darum ist diese Schranke sinnvoll.
Was halten Sie von den Stimmrechtsbeschränkungen?
Die Partei hat dafür plädiert, dass man diese Vinkulierungsbestimmungen aufhebt. Aber wir sind nicht durchgedrungen.
Aber das war nicht Bestandteil Ihrer Aktienrechtsreform.
Bestandteil schon. Aber sie hat keine Aufnahme gefunden. Jetzt hat man die Meldepflicht auf 3% gesenkt. Raiders werden dadurch nicht abgehalten, aber unter Umständen gute Investoren von einem Engagement. Das kann sehr kontraproduktiv sein.
Wo gibt es heute aus Sicht des Investors interessante Situationen?
Ich bin Unternehmer – nicht Finanzanlagenspezialist. Aber als Unternehmer muss man einsteigen, wenn es schlecht steht.
Wie zum Beispiel UBS?
Von Banken verstehe ich zu wenig. Aber ich hätte Vertrauen in Herrn Grübel an der Spitze. In gute Leute in einer schlechten Situation zu investieren, ist in der Regel nicht falsch.
Und wer in die Qualitäten von Christoph Blocher investieren will, kauft Ems Chemie?
Die Ems-Gruppe führt unsere älteste Tochter. Ich lasse die Finger davor. Wenn sie wollen, können mich die Kinder um Rat fragen. Sie sind tüchtige Unternehmer und besser ausgebildet als ich und machen es sehr gut.
Wo sehen Sie als erfolgreicher Geschäftsmann und Milliardär heute Möglichkeiten zum Geld verdienen?
Ich bin nicht der richtige Mann für die Antwort auf diese Frage. Geld zu verdienen, war nie mein Beweggrund. Aber wenn man die Sache wirtschaftlich gut macht, verdient man Geld. Ich bin in dem Sinn kein Anleger. Aber eines ist sicher: Chancen, etwas zu bewegen, hat man in schwierigen Situationen – falls man führen kann. Ich kaufte Ems, als es schlecht lief. Ich habe Firmen gekauft und erhielt - weil sie so schlimm standen – zum Teil noch Geld, damit ich sie "kaufte". Aber ich musste sie führen. Und so entstand das Vermögen.
Einer Branche, der es ganz offensichtlich schlecht geht, ist die Medienbranche. Sind Sie bei der Basler Zeitung dabei?
Nein. Wenn ich so etwas machen würde, so nur zu 100%. Um erfolgreich zu sein, muss ich auf die Stärken setzen. Was ist meine Stärke? Ich habe Führungserfahrung und derzeit finanzielle Mittel. Wenn es Firmen gibt, die durch Führung zum Erfolg geführt werden können und in der Not sind, mache ich das. So habe ich mich an verschiedenen Firmen still beteiligt, die häufig von jungen Leuten gegründet wurden, die noch nie eine Wirtschaftskrise durchlebt haben. Ich will sie mit ihnen zum Erfolg führen, dann wieder abtreten.
Wie viele stille Beteiligungen haben Sie derzeit?
Sieben, alles Industrieunternehmen, mit einem Gesamtvolumen von rund 70 Mio. Fr.
Wollen Sie dieses Portefeuille ausbauen?
Zurzeit habe ich zu viele Anfragen. Aber ich darf mich nicht "überlupfe". Am Anfang ist der Führungsaufwand sehr gross. Aber der Vorteil des Alters ist die grosse Erfahrung. Man sieht meist sehr schnell, woran es liegt. Schon die richtige Frage wirkt Wunder.
Was empfehlen Sie im Bereich der kotierten Gesellschaften?
Wenn es eine Firma gibt, deren Aktien ich noch nie empfohlen habe, ist es die im eigenen Umfeld. Wer auf Sicherheit gehen will, ist mit Ems gut bedient. Ein sicherer Wert, seriös geführt. Gute Rendite. Wollen sie hohe Rendite bei hohem Risiko, suchen Sie Gesellschaften, denen es schlecht geht und wo sie den personellen Turnaround spüren.
GF ist noch nicht so weit.
Habe ich nicht geprüft. Bei Rieter vor einem Jahr vielleicht. Vielleicht bald Lonza. Bei kotierten Gesellschaften ohne starken Aktionär geht es immer länger, bis die Alarmglocke schlägt. Aber hören Sie auf diese Glocke.
Halten Sie einen Teil Ihres Vermögens in Gold?
Nein, ich bin durch und durch Unternehmer. Als grosses Problem der künftigen Wirtschaft sehe ich die staatliche Verschuldung. Das Problem ist noch gravierender als die hohen Managerlöhne. Und in dieser Unsicherheit ist es höchste Priorität dafür zu sorgen, dass die Grossbanken kein Landes-Problem mehr darstellen. Wird das too big - to fail Problem nicht gelöst, kann die Schweiz zu Grunde gehen.
Deshalb wollen Sie die Grossbanken aufbrechen.
Neu strukturieren mit einer Holding und voneinander unabhängigen selbständigen Gesellschaften. Bis jetzt gibt es keine bessere Lösung als die Holdinglösung, die mit dummen Argumenten unter den Tisch gewischt wird.
Eine andere Lösung wäre ein internationales Insolvenzrecht.
Das geht in die gleiche Richtung. Aber wir können nicht auf eine internationale Regelung warten. Die Schweiz muss vorangehen. Für die Schweiz ist diese Problemlösung überlebenswichtig.
In Sachen Bankkundengeheimnis torkelt die Schweiz scheinbar von einer Panne in die nächste. Wie konnte es soweit kommen?
Bundesrat Merz hat keine Strategie und lebt in den Tag hinein. Aber der Gesamtbundesrat lässt ihn auch in den Tag hinein leben. Wenn ich der Presse glauben kann, ist an der letzten Bundesratssitzung den anderen Bundesräten wohl der Kragen geplatzt und sie verlangten rasch eine Strategie. Das ist ein altes Problem des Bundesrates. Schon 2006, als die Rentenanstalt wankte, wurde das Problem „Too big – to fail“ erkannt. Es wurde nichts gemacht mit der Begründung, eine solche Firma könne nicht scheitern. Als Europa das Steuerthema lancierte, weigerte sich der Bundesrat eine Strategie zu entwerfen. Man liess Herrn Merz bewusst machen!
Aber für die SVP ist Merz doch ein Glücksfall. Der FDP laufen die Leute gerade wegen ihm davon.
Unsere politischen Gegner sind nicht die Freisinnigen. Es nützt nichts, wenn uns die Freisinnigen zulaufen. Die grünen und roten Politiker in vielen Parteien und die Führungslosigkeit ist das Problem. Das gilt es zu verhindern. Die Probleme, die sich stellen, lösen und dies nicht den Linken überlassen. Sie haben schlechte Motive, ein falsches Menschenbild und betreiben dekadente Politik. Es gilt die Arbeiter und Angestellten der Privatwirtschaft zu schützen, damit die Linken nicht die Wirtschaft zerstören. Die Überfremdungsangst ernst nehmen. Die Bürger haben kein Vertrauen in die sozialistische Politik, aber nur wenn wir Bürgerliche nicht versagen.
Dann wäre ja ein Schulterschluss zwischen SVP und FDP naheliegend. Der vorherige Parteipräsident Rolf Schweiger war offenbar nahe dran.
Darauf warten wir schon lange. Der Freisinn hat leider ein Basisproblem, das in den Siebziger Jahren entstand. Die Partei öffnete sich nach links, und heute kann die FDP machen, was sie will, sie macht es immer jemandem nicht recht. Das zerreisst die Partei. Und trotzdem: Wenn es darauf ankommt, steht die SVP zur FDP. Ohne die SVP wäre Herr Burkhalter nicht in der Regierung.
Sind Sie für 2011 für die SVP optimistisch?
Wenn heute Wahlen wären, würde die Partei massiv zulegen. 2011 ist aber noch zu weit weg für eine Prognose. Leiden wird die FDP. Aber das ist nicht unsere Zielsetzung – im Gegenteil. Wo Grünliberale und BDP auftreten, verliert nicht die SVP. Zur FDP: "Getrennt marschieren und vereint schlagen."
02.01.2010
Vortrag, gehalten anslässlich des Neujahrsanlasses 2010 am 2. Januar 2010 in Aarberg (BE)
12.12.2009
Berner Zeitung vom 12.12.09
Die Referenz, die Christoph Blocher dem Bernbiet zum Jahresauftakt erweist, ist ungewohnt und pikant. In Aarberg, in den Berner SVP-Stammlanden, referiert der Zürcher SVP-Vordenker über grosse Seeländer wie das Berner Polit-Urgestein Rudolf Minger.
19.11.2009
Interview in der «Weltwoche» vom 19. November 2009 mit Urs Gehriger
VBS-Chef Ueli Maurer fordert 700 Millionen Franken mehr für die Armee. Sie erteilen dem Verlangen eine brüske Absage. Kein Rappen über Budget dürfe gesprochen werden. Trauen Sie Ihrem Bundesrat nicht?
Ein Problem zu lösen mit mehr Geld, ist immer am einfachsten. Gibt man in der Bundesverwaltung einen Auftrag, kommt die Antwort wie von einem Roboter: Ich brauche mehr Geld und mehr Leute. Für mich als Industrieller heisst es stets: Auftrag ausführen mit mehr Erfolg bei niedrigeren Kosten.
Die SVP-Parteileitung will also den eigenen Bundesrat disziplinieren?
Das Parlament muss den Bundesrat endlich zwingen, Konzeptionen vorzulegen und mit den budgetierten Mitteln zu haushalten. Es sind immerhin 4 Milliarden Franken pro Jahr.
Bundesrat Maurer bezeichnet ihre Vorgabe als „realitätsfremd“.
Vor seiner Wahl hatte BR Maurer das VBS als „Sauladen“ bezeichnet. Heute konstatiert er, der Zustand sei schlimmer, als er früher geglaubt habe. Viele Fehlinvestitionen und zu vieles funktioniert nicht. Wo man soviel falsch machen konnte, ist zuviel Geld vorhanden. Zuviel für das Falsche - zuwenig für das Richtige. Was gibt es für Varianten um mit einem Kostendach von 4 Milliarden das Land zu verteidigen? Welche dieser Varianten ist die beste? Wenn dies – immer in bezug auf künftige Bedrohungen – gemacht wird, dann kann entschieden werden.
Auch die Militärexperten ihrer Partei wehren sich. Nationalrat Roland Borer zum Beispiel bezeichnet ihr Armee-Papier als „Luftheuler“.
Mir hat er das nicht gesagt. Die Kritiker Borer und Thomas Hurter wollen jetzt sofort ein neues Kampfflugzeug. Diesen Entscheid jetzt zu fällen, ist verfrüht. Eine weitere, kleinere Minderheit in unserer Partei will der Armee soviel Geld geben, wie das VBS fordert! Das ist fahrlässig. Wer ein Unternehmen so führt, macht Konkurs.
Sie orten im VBS einen „Speckgürtel“ von 20 Prozent. Wie kommen Sie auf die Zahl?
Zu meiner Zeit als Bundesrat verordnete ich meinem Departement eine Kostensenkung von mindestens 20 Prozent. Schlussendlich reduzierten wir um 22 Prozent, ohne eine Leistung abzubauen. Das ist auch im VBS mit gezieltem Vorgehen möglich.
Einige Sparideen haben sie bereits in die Runde geworfen: Die „Abschaffung des VBS“ zum Beispiel, oder der „Verkauf aller Armee-Liegenschaften“. Ist das Ihr Ernst?
Zuerst muss man mit extremen Vorgaben arbeiten. Mehr Armee – weniger VBS mit dezentralen Strukturen ist ernsthaft zu prüfen. Es sind Impulse. Viel anderes ist auch zu prüfen: Immer mit dem Ziel: mehr Wirkung und weniger Kosten. Das müssen heute Tausende von Betrieben tun. Warum nicht die Bundesverwaltung?
Bevor man solche Varianten ausarbeiten kann, muss man sich über die Bedrohungen im Klaren sein. Wo orten Sie die Feinde der Schweiz?
Richtig. Was sind die künftigen Bedrohungen? Wie der künftige Krieg aussieht, weiss man immer erst im Nachhinein. Er wird jedenfalls anders sein als früher. Es geht aber auch in Zukunft um Macht, Geld, Kommerz, Terrorismus, Öl, Wasser, Geschichte, Freiheits- und Selbstbestimmungsdrang von Minderheiten mit religiösen, politischen und ethnischem Hintergrund. Dabei liegen die internationale Kriminalität, mafiaähnliche Strukturen, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, terroristische Überraschungen als mögliche Gefahren auf der Hand.
Wie wappnet man sich gegen solche Gefahren?
Indem man viel Erdenkliches übt, um dann die Überraschung besser bestehen zu können. Zuerst ist die Polizei am Zug. Wenn sie an ihr Limit gelangt, braucht man Soldaten. Gut ausgerüstete Soldaten zur Beobachtung, Überwachung, Bewachung. Leute, die im bekannten Raum, die Menschen vor heute Unbekanntem schützen können. Das heisst, üben von Ortskampf, Abschreckung, Abwehr, Verteidigung. Eine Art moderne territoriale Infanterie. Dafür eignet sich am besten die Milizarmee: Wenn man sie nicht braucht, ist sie zu hause. Wenn man sich braucht, kann sie innert Kürze in grosser Zahl aufgeboten werden. Sie ist: Integriert in die Wirtschaft und Gesellschaft. Ortskundig. Die Bilanz der hochtechnischen Armeen der Nachkriegszeit ist für Angriffsarmeen bescheiden. Ganz zu schweigen für eine Verteidigungsarmee.
Ein Abbau drängt sich auf, bedingt durch die demographische Entwicklung.
Wir haben doch heute nicht weniger Leute als im Zweiten Weltkrieg. Aber wenn man Wehrpflichtige so grosszügig ausmustert wie in den letzten Jahren und Dienstunwillige in den Zivildienst entlässt, dann fehlt es natürlich an Soldaten.
Die Geburtenrate ist rückläufig. Entsprechend muss die Armee personell und finanziell reduziert werden. Das ist ein Beschluss des Bundesrates vom November 2008.
Diesen Entscheid hat ex-VBS-Chef Samuel Schmid vor seinem Rücktritt noch durchgedrückt, ohne jede gründliche Grundlage. Natürlich hat man nicht nur von den möglichen realistischen Bedrohungen, sondern auch von den möglichen personellen und finanziellen Mitteln auszugehen.
Und wie wehrt sich die Armee gegen Terroristen?
Indem wir unsere Stärke ausspielen. Wir kennen unser Land. Die Entwicklung gilt es dauernd zu beobachten. Nachrichten zu sammeln. Hören, sehen, vorbeugen. Das Gelände ist unser bester Verbündeter. Wenn wir die modernen Kriege ansehen, stellt man fest, dass der Heimvorteil kriegsentscheidend sein kann. Darum müssen wir an Ort das mögliche Geschehen im eigenen Land üben, und nicht in Sizilien und Amerika. Ganz wichtig ist die bewaffnete Neutralität. Durch die Neutralität werden wir weniger zum Angriffsziel. Gerade auch gegenüber Terroristen. Es gibt Kräfte in unserer politischen und militärischen Elite, die die Neutralität beseitigen wollen. Sie halten nur noch verbal daran fest.
Wie Bundesrat Maurer fordern Sie für die Schweiz die beste Armee der Welt. Ist das nicht etwas hoch gegriffen?
Nein, aber sie ist im Positionspapier präzisiert. Sie muss nicht in Amerika oder in Afghanistan die beste sein, sondern „die beste Armee der Welt zur Verteidigung des unabhängigen und neutralen Kleinstaates Schweiz.“ Nur dann schreckt sie einen Gegner ab.
Gibt es ein historisches Vorbild für diese „beste Armee“?
Alle kleinen Armeen, die in der Geschichte im Land gewonnen haben. Die spektakulärste ist wohl der Vietkong. Der Vietkong operierte mit simplen, aber effektiven Mitteln. Ich war in diesen unterirdischen Gängen und dem KP von Ho Chi Minh. Gänge, die sich trichterförmig verengen, so dass die korpulenteren Amerikaner, aber nicht die Vietnamesen, darin stecken blieben. Der Kampf mit einfachsten Mitteln unter Ausnützung der lokalen Verhältnisse und der Schwäche des Gegners. Aber auch die Schweizer Armee im Zweiten Weltkrieg: Die Armee im Gebirge, das den Gegner abschreckte. Die Dissuasion hat gespielt.
Wie viele Soldaten braucht die Armee, die Ihnen vorschwebt?
Diese Frage muss ich jetzt nicht beantworten. Im Friedensfall hat man immer zuviel und im Ernstfall immer zu wenig. Was wieder für die Milizarmee spricht. Wir erwarten Antworten mit unserem Vorstoss. Es gibt Varianten.
Eine Armee die quer über die Schweiz an allen Ecken und Enden platziert ist?
Sie muss im Stande sein, Gefährdungen, die an mehreren Orten gleichzeitig erfolgen, abzuwehren. Eine Armee die so mobil ist, die man von Zürich nach Genf verschieben kann, funktioniert, wenn es nicht in Genf und Zürich gleichzeitig losgeht. Ein asymmetrischer Gegner schlägt jedoch häufig an verschiedenen Orten zu. Aber ich will nichts vorwegnehmen. Die Konzeptionsvarianten zur künftigen Verteidigung soll nun der Bundesrat vorlegen.
Mit dem Papier haben Sie sich sozusagen als Schatten-Militärminister positioniert und die Armee-Debatte in eine neue Richtung gelenkt. Was ist ihr Motiv?
Es geht mir um eine Belebung der Debatte. Als ich nach 14 Tagen – abgeschnitten von der Welt – aus Nordkorea heimkam, traf ich ein riesiges Durcheinander an, auch in der eigenen Partei. Die einen riefen: „Kampfflugzeuge sofort!“ Andere meinten: „Kosten senken, keine Flieger!“ Dann las ich in der Zeitung, Bundesrat Maurer habe beantragt, keine Kampfflieger zu beschaffen. Der Bundesrat habe ihn im Stich gelassen und auf der Flugzeugbeschaffung beharrt, ohne jedoch dafür die nötigen Finanzmittel zu sprechen. Schliesslich habe die Sicherheitspolitische Kommission (SIK) neue Kampflugzeuge und mehr Geld verlangt. Da sagte ich mir: Jetzt ist ein geordnetes Vorgehen am Platz.
Dann sind Sie hingesessen und haben das Armee-Papier verfasst?
Ich sass hin, eine Nacht lang, und habe einen ersten Entwurf eines Positionspapieres geschrieben. Dieses sendete ich den Verantwortlichen in der Partei. An einem Sonntag, Anfang November, morgens um 8 Uhr, trafen wir uns. Mit dabei: der Partei- und Fraktionspräsident, der Parteisekretär, ein Mitglied der SIK und selbstverständlich auch unser Bundesrat. Das Papier wurde bereinigt. Ein zweiter Entwurf wurde der Parteileitung zur Stellungnahme unterbreitet. Ein 3. Entwurf entstand. Dann beschloss die Parteileitung. Es folgte die Orientierung der SIK- und der Finanzkommissionsmitglieder. Das Papier wurde verdeutlicht. Dann der Presse vorgestellt, damit es in der Öffentlichkeit frei diskutiert werden konnte. Schliesslich wurde es von der Fraktion mit vier Gegenstimmen verabschiedet. Was ist hier auszusetzen?
Bundesrat Maurer war von Beginn weg eingeweiht?
Selbstverständlich. Wir arbeiten mit offenem Visier. Das gilt vor allem auch, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Niemand verlangte von Ueli Maurer, dass er dem Papier zustimme. Das ist seine Sache. Aber wir wollten seine Meinung hören. Natürlich will er mehr Geld. Aber er erklärte in der Fraktion, er könne mit diesem Positionspapier leben, und er habe die Untersuchungen über Varianten bereits in Auftrag gegeben.
Die ganze Aktion ist also kein Rückenschuss auf Maurer, sondern ein taktischer Schachzug: Indem Sie das VBS in ein Budgetkorsett zwingen, bringen Sie die Mitteparteien in Zugzwang.
Wir können niemanden von der Entscheidung dispensieren. Die Sozialdemokraten und Grünen klammere ich aus. Sie sind ja nicht für die Armee. Aber FDP und CVP, aber auch die SVP selbst, müssen sich dann entscheiden: Wenn sie tatsächlich der Meinung sind, 4 Milliarden seien zuwenig, müssen sie mehr Geld sprechen. Aber auch sagen, wo sie es auftreiben wollen. Ich bin der Meinung, bei guter Führungsarbeit kommt man mit 4 Milliarden durch.
In Ihrer Partei scheint die Stossrichtung der Sparübung bereits vorgezeichnet: Fraktionschef Baader zum Beispiel hat gesagt, durch die Streichung der Auslandeinsätze könnten 300 Millionen gespart werden. Gibt es überhaupt Auslandeinsätze, die Sie befürworten?
Das alles sind Impulse und Varianten. Sie müssen sicher geprüft werden. Ich war immer der Meinung, dass Schweizer Armeeeinsätze im Ausland nichts bringen. Sie sind ein Leerlauf. Die Interventionseinsätze aller Länder sind weltweit gescheitert.
Sie sehen keinen Sinn in friedenserhaltenden Einsätzen?
Ausser dem schönen Namen machen sie keinen Sinn.
05.11.2009
Ein Reisebericht von Christoph Blocher in der Weltwoche vom 5. November 2009
Die kommunistische Diktatur Nordkorea lebt im permanenten Kriegszustand. Wie die Schweiz möchte auch die asiatische Halbinsel ihre Unabhängigkeit behaupten. Wenn die armen Nordkoreaner nur den Sozialismus überwinden könnten. Ein Reisebericht. Von Christoph Blocher
Viel – sehr viel – wird über Nordkorea geschrieben und gesprochen. Eigenartig, dass fast jedermann dieses für asiatische Verhältnisse doch eher kleine Land mit 22 Millionen Einwohnern, das etwa dreimal so gross wie die Schweiz ist, mindestens dem Namen nach kennt. Bekannt sind vor allem die Anstrengungen, die das kommunistische und diktatorische Land unternimmt, um Atomwaffen zu entwickeln.
Weil Nordkorea aber nach aussen streng abgeschottet ist, ranken sich Urteile, Vorurteile, Geheimnisse und Vermutungen wie ein dichtes Geflecht um dieses weit weg liegende Unbekannte. Was liegt also näher, als dieses Geheimnis selbst zu lüften, einmal hinzugehen und zu schauen, mit eigenen offenen Augen!
Vor unserem Abflug erreicht mich eine SMS eines witzigen Menschen aus der Schweiz: «Wir wünschen gute Reise – das Lösegeld ist bereitgestellt.» Meine Antwort: «Was soll schon einem abgewählten Bundesrat aus unserem konsequent neutralen Kleinstaat geschehen können?»
Doch mindestens eine Gemeinsamkeit zwischen Nordkorea und der Schweiz stelle ich fest: Beide Länder möchten ihre Selbständigkeit wahren und streben eine sichere Zukunft an.
Unterwegs mit Ulrich Ochsenbein
So fahre ich denn hin, zusammen mit meiner Frau und unserer jüngsten Tochter. Wir melden uns beim lokalen Reise-Forum Meilen, und schliesslich ergibt sich eine Reisegruppe von zehn Personen, die sich anfänglich nicht kennen und die sich aufmachen, um dieses Land während zehn Tagen zu erkunden. Sehen, hören und erleben – möglichst ausserhalb des Inszenierten den Alltag sehen! Als Industrieller, aber auch als ehemaliger Bundesrat weiss ich: Bei offiziellen Besuchen kann man ein Land nicht wirklich sehen und nicht erfassen: viele offizielle Gespräche, Empfänge, Besuche von ausserordentlichen Sehenswürdigkeiten, von Firmen, die man für diesen Besuch zurechtgemacht hat – die besten Seiten eines Landes stehen im Vordergrund. Doch da es für Nordkorea ein Visum braucht, wurde ich von offizieller Seite schon vor meiner Abreise erkannt, so dass Besuche bei der Regierung unausweichlich wurden, die dann den Eindruck aus dem Alltag auch sinnvoll ergänzten.
Also: Flug über Peking in die Hauptstadt Pjöngjang, von dort mit dem Bus über Nampho nach Südwesten, dann in den Süden nach Kaesong und Panmunjon an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea und auf anderem Weg zurück nach Pjöngjang. Mit der Air Koryo auch in den Norden, ins Chilbo-Gebirge. Dort schöne Herbstwanderungen hoch über dem Ostmeer. Stets sind wir begleitet von Reiseführern, Übersetzern, Beobachtern und einem Videofilmer.
Am Schluss folgt die vierundzwanzigstündige Zugfahrt von Pjöngjang über die Grenze nach Peking.
In der Hauptstadt – selbstverständlich sind nur die repräsentativen Quartiere und Strassen für uns frei – herrschen ordentliche Verhältnisse. Die Strassen sind sauber, die Koreaner, alle sauber und anständig gekleidet, sind zu Fuss unterwegs. Das Volk marschiert. Es gibt wenige Autos oder Fahrräder, selten Busse, die ausnahmslos vollgestopft sind. Sich allein oder sich im Freien zu bewegen, ist in diesem Lande nicht möglich. Für alles braucht es Bewilligungen, auch zum Fotografieren und zum Verlassen des Hotels.
Unser Hotel entspricht westlichen Standards, hat aber nur wenige Gäste. Ausserhalb der Stadt sind die Unterkünfte sehr einfach. Vieles funktioniert schlecht oder gar nicht. Vor allem die Versorgung des Landes mit Elektrizität ist sehr mangelhaft.
So liege ich denn oft in vielen langen Nachtstunden am Boden auf harten Matten oder im Zugabteil in einem leider ungeheizten Wagen, meist etwas frierend und mangels Strom mit der Taschenlampe lesend. Alle reichlich mitgeführten Batterien und Reservelampen werden als «Leselämpchen» schliesslich aufgebraucht.
Wie immer auf solchen Reisen habe ich auch diesmal Literatur aus der Schweiz bei mir, um mit dem Heimweh besser fertig zu werden. Diesmal die vor kurzem erschienene sechshundertseitige Biografie von Rolf Holenstein über Ulrich Ochsenbein (1811–1890), den – wie es der Verfasser nennt – «Erfinder der modernen Schweiz».
Unabhängigkeit und Neutralität
So liege ich also im Norden Nordkoreas, auch dort in den Bergen – nahe der Stelle, wo unterirdische Kernwaffen-Versuche durchgeführt wurden –, in einem Land, das ganz auf Verteidigung, Unabhängigkeit und die eigene Sicherheit konzentriert ist. Und lese die spannende Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1848, als die Schweiz – nicht zuletzt dank Ochsenbeins Weitblick und dank seiner «Starrköpfigkeit» (wie dies seine Gegner meinten) – die Unabhängigkeit und die Neutralität gegen alle Einmischungen der europäischen Grossmächte und gegen die Kriegsdrohungen Frankreichs, Deutschlands und Österreichs einen Weg zum demokratischen, freiheitlichen und föderalistischen Kleinstaat durchsetzte.
Wie standhaft war man doch 1848 gegenüber den europäischen Grossmächten und wie kleinmütig gebärdet sich die heutige Classe politique! Die Bedrohungen damals waren weit gravierender als die heutigen, aber die Persönlichkeiten wohl auch um einiges stärker. So lese ich, bis mich der einbrechende Morgen wieder in die nordkoreanische Wirklichkeit zurückbringt: Um sechs Uhr früh erschallen – wie überall in den koreanischen Dörfern – die Lautsprecher, welche die Koreaner mit Marschmusik und aufmunternder Stimme zur Tagwache rufen und die Bürger bitten, nun aufzustehen, den Morgen zu geniessen und sich aufzumachen, um an der Reisernte teilzunehmen. Natürlich fehlt auch eine Ode an den Grossen Führer nicht, dank dem Korea eine friedliche Ernte durchführen könne. Ihm verdankt das Volk alles. Alle sind gefordert, nicht nur Bauern, auch Arbeiter, Büroangestellte, Soldaten, alle.
So sieht man auch in den Strassen der Städte manche zierlich gekleideten, irgendwo in einem Büro tätigen Sekretärinnen in Gummistiefeln mit der Sichel in der Hand auf dem Weg zu den zugewiesenen Reisfeldern, wo sie zu Hunderten Reis mähen, bündeln und die Reispuppen zum Trocknen aufschichten. Die durch und durch sozialistische Planwirtschaft mit ihrer auf den ersten Blick zu erkennenden gewohnten mangelhaften Produktivität arbeitet in diesen Tagen am Hauptproblem des Landes: an der Ernährung der Bevölkerung. Diese ist ungenügend, was auf den ersten Blick erkennbar wird: Die Menschen sind alle sehr schlank. Sorgsam wird jedes Körnchen Reis aufgelesen. Aber – so denke ich – wie leicht liesse sich das ändern, wenn die sozialistische Planwirtschaft aufgehoben und durch die Privatinitiative mit Privateigentum und Eigenverantwortung ersetzt würde. Aber: weit und breit kein Ulrich Ochsenbein, der zu einer Umkehr aufriefe und dies bewerkstelligen könnte.
Minister und höhere Beamte fragen mich: «Was würden Sie denn als weltweit tätiger Unternehmer tun, um die Wirtschaft zu verbessern? Was glauben Sie denn, was man hier produzieren sollte?» Meine Antwort lautet: «Diese Frage ist zu früh gestellt. Bevor man weiss, was man produzieren will, muss man fragen, was man produzieren kann. Zuerst müsste man das Land zu einer marktwirtschaftlichen, eigenverantwortlichen, dezentralen Wirtschaft öffnen. Dann wird es genügend Leute und Investoren geben, die hier investieren, produzieren und verkaufen.» Korea verfüge doch über fleissige und initiative Leute, was ich bereits nach wenigen Tagen gut habe beobachten können. Auch in die Schule gehen sie, und das Land legt zu Recht grossen Wert auf eine gute Ausbildung. «Aber sehen Sie», so fahre ich fort, «da muss zuerst der Sozialismus überwunden werden.» Ich sei überzeugt, dass Nordkorea, würde es den Weg der Chinesen in den achtziger Jahren gehen, in zwanzig Jahren ebenso hervorragend dastünde. Die Antwort des Ministers ist schlagfertig: «Aber wir wollen doch nicht zwanzig Jahre warten!» Ob er es ernst meint, wird nicht ganz klar. Auf meine Frage, was denn Korea zu tun gedenke, folgt die Antwort: «Der grosse Schub passiert 2012. Das ist das hundertste Jahr seit der Geburt des Grossen Führers, Kim Il Sung. Da wird die Wirtschaft einen ausserordentlichen Aufschwung erleben.» Auf meine Frage, wie sie dies denn umsetzen wollten, kam die gut vorbereitete Antwort: Schon heute würden die Leute mit Programmen in den Schulen, mit Liedern und Musik in der Öffentlichkeit in eine gute Stimmung gebracht, damit sie aufgemuntert diese Mehrleistungen erbringen könnten.
Land voller Soldaten
Nordkorea ist ein Land voller Soldaten. Das Militär dominiert. Nicht nur als Armee, die das Land mit Waffen verteidigt. Sie wird auch eingesetzt zur Errichtung von Bauten, zur Verbesserung von Strassen, für die Reisernte, zu Polizeidiensten. Nordkorea ist ein durch und durch organisiertes Land. Es stehe ja – so sieht man es überall – im Krieg. Auch Schulen, Festspiele, die Musik – alles hat etwas Militärisches. Warum denn? Ohne Kenntnis der Geschichte und ohne Kenntnis der besonderen Lage ist diese Militarisierung nicht zu verstehen. All dies als lächerlich abzutun undals Auswuchs einer Diktatur zu begründen, greift zu kurz.
Man schaue sich Nordkorea auf der Karte an. Das Land ragt als Halbinsel aus dem Festland. Im Norden das mächtige China und das mächtige Russland. Beides Atommächte. Im Süden – durch eine entmilitarisierte Zone abgetrennt – liegt Südkorea, das im Schutze der Grossmacht USA steht, einer weiteren Atommacht. Zwischen diesen Gebieten herrscht kein Friede, sondern lediglich ein Waffenstillstand. Dabei, so wird immer betont, gehören die beiden Länder zusammen. Man ist für den Zusammenschluss – den friedlichen Zusammenschluss – von Nord- und Südkorea.
Im Osten und Westen ladet das offene Meer nicht nur zum Bade. Am nächsten liegt Japan, das Korea während vierzig Jahren kolonialisierte, bis es nach dem Zweiten Weltkrieg – nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki – bedingungslos kapitulieren musste und gezwungen war, sich aus Korea zurückzuziehen. Die Siegermächte Russland, USA und Grossbritannien teilten Korea am 38. Breitengrad auf – in eine russisch bestimmte Nordzone (Nordkorea) und eine amerikanisch bestimmte Südzone, das heutige Südkorea. Die Beziehungen zu Japan sind schlecht. Auf meine Frage: «Warum denn eigentlich? Die Besetzung liegt doch fünfzig Jahre zurück!», lautet die Antwort eines höheren Regierungsbeamten: «Die Japaner haben sich nie entschuldigt und beanspruchen noch heute eine unserer Inseln.» Ein anderer sagt: «Wir müssen jederzeit mit japanischen und amerikanischen Angriffen rechnen.» Stolz werden ein in den siebziger Jahren gekapertes amerikanisches «Spionageboot» und abgefangene Unterwasserdrohnen als Trophäen in der Hauptstadt vorgezeigt. So wird auch das ganze Volk mit dieser Gefährdung täglich vertraut gemacht. Martialische Plakate der mit Handgranaten bewaffneten Bevölkerung rufen zur Revolution auf: «Zur Verteidigung des alles überragenden Korea». Tatsächlich ist dieses Korea als Zugang zu China und Russland stets bedeutungsvoll gewesen, auch als Schauplatz von Kriegen, Kolonialismus und Besatzungen. Die Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Sicherheit kann man deshalb verstehen. Und dass der längst verstorbene Grosse Führer Kim Il Sung als ehemaliger Partisanenkämpfer gegen die japanischen Besetzer und für die Gründung des Staates Nordkorea hoch verehrt wird, wird man auch verstehen können. Dass mit einer wohl einzigartigen Monumentendichte diese Person geradezu vergöttert wird, ist für uns demokratische, freiheitliche und föderalistische Schweizer unverständlich.
Allerdings: So besonders ist das nicht. Man hat Ähnliches erlebt mit Stalin, Mao Zedong oder Ho Chi Minh. Man kann die asiatische Mentalität auch nicht ganz ausser Acht lassen. Den Willen zu Unabhängigkeit und Sicherheit, der stark personifiziert ist, kann man aus der Kenntnis der Geschichte, der besonderen geografischen Lage und der Strategie der heutigen Weltmächte gut begreifen. Selbst der Wille, eine Atommacht sein zu wollen, entbehrt nicht jeglicher Logik. Warum sollen eigentlich nur die Grossen Nuklearwaffen besitzen? Atommächte – so wird argumentiert – greifen sich nicht an! Und so denke ich: Haben wir nicht dank des «Gleichgewichts des Schreckens» den Kalten Krieg in Europa glücklicherweise kalt über die Runden gebracht? Zudem: Die Welt spricht zwar von «Nonproliferationsverträgen», d. h. keine Verbreitung von Nuklearwaffen. Aber niemand spricht über einen Verzicht von Atomwaffen. Die heutigen Atommächte wollen diese nämlich behalten.
Sozialismus bis zum Untergang
Bringt man noch Verständnis für die sicherheitspolitischen Anstrengungen auf, so fehlt dieses für die Innenpolitik, nämlich für die realsozialistische und diktatorisch-zentralistisch durchgesetzte Staatsallmacht. Es gibt keine Zweifel: Nordkorea ist arm. Die Leute müssen untendurch. Es beelendet, wie die Leute – vor allem ausserhalb der Hauptstadt – ihren Lebenskampf bestreiten müssen. Mütter mit ihren Kleinkindern auf dem Rücken suchen in abgeernteten und abgeräumten Reisfeldern nach Reiskörnern und allfälligen Reisähren. Alte Frauen und Männer tragen schwere Lasten mit Holzästen und allerlei Laubranken auf dem Rücken oft kilometerweit nach Hause, als Nahrung für den Ochsen, als Heizung, als Suppenzutat – wer weiss es? Die Industrie ist veraltet. Doch die Leute können nicht vergleichen. Sie wissen nicht, wie die Menschen im Ausland leben. Das Land ist völlig abgeschottet. Es sei eben Krieg, so wird dies begründet. Jeder Koreaner bekommt zwar einen Fernseher vom Staat. Er kann damit aber höchstens drei gleichgeschaltete nordkoreanische staatliche Programme empfangen. Diese beinhalten keine Nachrichten von aussen. Vom Inland wird nur Lobendes gesendet; immer ist der Geliebte Führer Kim Jong Il im Bild. Fast alle gezeigten Filme sind Kriegsfilme. Es gibt kein Internet, keine E-Mail, keine freie Post und keinen freien Telefonverkehr mit dem Ausland. Vergleiche sind so ausgeschlossen.
Das Land benötigt dringend wirtschaftliche Entwicklung. Dass dies nur mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen, mit Eigentumsgarantie, mit Rechtssicherheit und unternehmerischer Verantwortung und unter Absage an den zentralistischen Interventionismus möglich ist, will man hier noch nicht sehen. Zwar lehnt man den weltweiten Kommunismus à la Sowjetunion für Nordkorea ab. Auch der chinesische Weg, der ja die marktwirtschaftlichen und unternehmerischen Prinzipien nach dem Bankrott der sozialistischen Marktwirtschaft übernommen hat, sei kein Weg für Korea. Man wolle «den koreanischen Kommunismus». Es ist, wenn man das erläutert bekommt, ein «National-Kommunismus». Aber doch eben ein strenger Kommunismus. So strahlen denn auf dem Kim-Il-Sung-Platz gegenüber dem Porträt des Grossen Führers die Porträts von Marx und Lenin, während diese Porträts in ihren Heimatländern längst verschwunden sind.
Eine Art Entwicklungshilfe
Zuweilen erfüllt mich auch Wehmut, und ich halte mich wieder an Rolf Holensteins Ochsenbein-Biografie und bin unseren schweizerischen Vätern, Grossvätern und Urgrossvätern dankbar, dass sie dem süssen Gift des Sozialismus widerstehen konnten. Warum nur konnten sich so viele – sogenannt gescheite – Intellektuelle in unserem Land und in Europa im letzten Jahrhundert für diesen Unsinn begeistern? Sartre beispielsweise oder viele Schweizer Schriftsteller. Die 68er Generation – viele dieser Leute sind heute in unserem Land in Amt und Würden. Der grossartige Theologe Karl Barth, der standhaft dem Nationalsozialismus die Stirn bot – zu den Gräueln des Kommunismus aber schwieg. Es ist zu hoffen, dass Nordkorea eine Öffnung hin zur freien Marktwirtschaft, zu selbstverantwortlichen Bürgern, die selber produzieren, verkaufen und auch für sich Gewinne erzielen können, schafft.
Investoren aus der neutralen kleinen Schweiz kämen dann wohl am ehesten in Frage. Korea müsste keine Angst haben, dass es dadurch zur Kolonialisierung käme. Immerhin spricht man auch in Nordkorea bereits heute von Joint Ventures. Doch was das genau sein soll, ist nicht klar zu sehen. Es müsste ja eine Win-win-Situation sein. Das wäre zwar nicht herkömmliche Entwicklungshilfe, die ja bekanntlich wenig nützt, aber es wäre eine Tätigkeit, die dem Land und seiner Entwicklung wirklich helfen würde.