Schweizerkönig auf bescheidenem Thron

Besprechung von Mary Lavater- Sloman «Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein», Römer-Verlag 2011, Rezension für NZZ

„Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Mit dieser selbstbewussten, aber der Wirklichkeit entsprechenden Aussage begründete anlässlich der Westfälischen Friedensgespräche von 1646-1648 der Schweizer Abgesandte seine unerschüt-terliche Absicht, für die Schweiz volle Souveränität zu erreichen.

In der Reihe ungewöhnlicher Biografien nimmt der Römerhof Verlag in verdienst-voller Weise auch den Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) auf. Dies geschieht nicht in einer modernen, so genannt „kritischen“ Studie, sondern in einer Neuauflage des 1935 erschienenen Romans „Der Schweizekönig“ von Mary-Lavater-Sloman.

Es dürfte manchen Zeitgenossen missfallen, dass neuerdings mit Johann Rudolf Wettstein eine Persönlichkeit gewürdigt wird, die der später so erfolgreichen schweizerischen Unabhängigkeit und Neutralität zum Durchbruch verhalf. Vielleicht darum empfanden es die Herausgeber für nötig, mit Georg Kohler einem Professor das Nachwort erteilen zu müssen, der die Souveränität unseres Landes gerne klein-schreibt und selbstverständlich auch hier als „Mythos“ entlarvt. Etwas naserümpfend wird auch an die 1935 bereits herrschende Geistige Landesverteidigung erinnert, in deren Dienst sich die Autorin gestellt hat. Tatsächlich waren ihre reichs- und diktatur-kritischen Ansichten für das damalige Schweizer Publikum unüberlesbar. Wenn Kohler – wohl in Begeisterung über den heutigen Kongresstourismus – lobend be-merkt, schon früher seien unsere Politiker an jene Orte gereist, wo die europäischen Entscheide gefallen seien, so wäre ihm nach der Lektüre „Der Schweizerkönig“ zu entgegnen, dass wir unsere Bundesräte durchaus gerne dorthin reisen liessen – sofern sie wie weiland Bürgermeister Wettstein so zäh und hartnäckig die schweizeri-sche Souveränität verteidigten und mit einem entsprechend besiegelten Dokument zurückkehrten.

Ausgangspunkt von Johann Rudolf Wettsteins diplomatischer Mission bildetet ein relativ geringer Anlass, nämlich die Zitierung eines Basler Bürgers vor das Reichs-kammergericht in Speyer. Mit dem weitsichtigen Auge des Staatsmanns erkannte der Basler Bürgermeister, dass anlässlich des Westfälischen Friedenschlusses nach dem Dreissigjährigen Krieg die einmalige Chance bestand, für die Eidgenossenschaft nach der faktischen auch noch die formelle Trennung vom Reich deutscher Nationen zu vollziehen. Zu seinem grossen Kummer erhielt er das Verhandlungsmandat nur von den reformierten Orten, doch kämpfte Wettstein in Münster und Osnabrück für die Unabhängigkeit der gesamten Schweiz. In ihrer packend zu lesenden, roman-haften Schilderung verlässt Mary Lavater-Sloman zuweilen die exakte Chronologie und schiebt auch eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen. Dennoch hält sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte. Diesen ist zu entnehmen, wie bescheiden der Basler Bürgermeister residierte; anlässlich eines Besuchs des schwedischen Bevollmächtigten konnte Wettstein diesem lediglich einen Stuhl anbieten, an dem eine Armlehne fehlte: „Ich bin übereilt worden“, schrieb er nach Hause, „hätte sonsten die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen.“ Mit Überlegenheit und feinem Gespür für das Machbare behielt er die Distanz zu den ihm wohlgesinnten Franzosen, gewann die Gunst der Kaiserlichen und vermochte die anfangs abweisenden Schweden umzu-stimmen. Dies alles gelang ihm bei schwersten körperlichen Leiden, die ihn nicht selten hinderten, seine armselige Herberge zu verlassen. Wettsteins Auftreten war schlicht und sicher und seine Kenntnisse der politischen Verhältnisse so umfassend, dass es ihm schliesslich gelang, die wichtigsten Abgeordneten des Friedenskongres-ses von der eidgenössischen Sache zu überzeugen. Er bewegte sich zwischen den Abgesandten europäischer Monarchien so selbstverständlich und wenig unterwürfig, dass Wettstein bei ihnen bald schon den Namen „Schweizerkönig“ trug. Nach fast einjähriger Abwesenheit kehrte Basels Bürgermeister in seine Heimat zurück.

So bescheiden sich sein Gefolge im Vergleich zur Prachtentfaltung der Fürstenhöfe ausnahm, so unermesslich wertvoll war der Vertrag, den er mit sich führte: Die Eid-genossenschaft und deren Gerichte waren fortan in „Besitz und Gewähr völliger Freiheit und Ausgliederung vom Reiche“. Wie würde Wettstein heute urteilen, wenn er zusehen müsste, wie die Abgeordneten der Schweiz an Kongresse reisen, um dabei die schweizerische Freiheit zu verspielen und fremde Richter zu akzeptieren?

Unseren Regierungsleuten, Politikern und Diplomaten wäre Mary Lavater-Slomans neu aufgelegter Roman „Der Schweizerkönig“ besonders zu empfehlen. Aber auch alle andern Leserinnen und Leser erhalten mit der leicht überarbeiteten Fassung einen lebendigen Einblick in ein entscheidendes Stück Schweizer Geschichte.

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