Leere Drohungen – die Anliegen der EU an die Schweiz sind zu gross

Interview mit der «Berner Zeitung» vom 20. Juli 2010 zum verschärften Ton der EU mit Mischa Aebi

Herr Blocher, steht die Schweiz jetzt wieder in einer EU-Debatte, die diesmal tatsächlich in einem EU-Beitritt enden wird?

Christoph Blocher: Nein, der EU wird die Schweiz sicher nicht beitreten.

Warum nicht?

Es ist klar, auch wenn Bundesrat und Parlament in die EU wollen – der Souverän, das Volk will das nicht – und wird es auch in Zukunft nicht wollen. Die Abneigung gegen einen EU-Beitritt hat in den letzten Jahren sogar massiv zugenommen

Aber ein EWR-Beitritt, den Sie vor 18 Jahren erfolgreich verhinderten, hätte heute mehr Akzeptanz. Würden Sie einen solchen auch heute noch so vehement bekämpfen?

Ja, ganz sicher. Denn der EWR-Vertrag ist ein Kolonialvertrag. Das heisst, die EU zwingt die EWR-Mitglieder mit dem Vertrag, einen grossen Teil der EU-Rechtsgebiete einfach zu übernehmen. Einen EWR-Beitritt kann nur jemand befürworten, der später auch in die EU will.  Das hat sogar der Bundesrat vor 18 Jahren ehrlicherweise festgehalten. Er sagte, einen EWR-Vertrag, bei dem man kein Vetorecht hat, kann man nur unterzeichnen, wenn man später in die EU geht. Deshalb hatte er damals konsequenterweise auch ein EU-Beitrittsgesuch eingereicht. Der EWR-Vertrag ist der Vorhof des EU-Beitritts.

Nun sagt aber die EU, dass sie für weitere bilaterale Abkommen keine Schweizer Sonderwünsche mehr akzeptiert. Diese Drohung kann  die Schweiz doch nicht einfach ignorieren, oder?

Das ist nichts Neues. Das sagten der Bundesrat und die EU schon 1992 vor der EWR-Abstimmung. Von der EU hörte man damals  wörtlich, bei einer Ablehnung des EWR-Vertrages werde es nicht mehr möglich sein, bilaterale Abkommen mit der EU zu schliessen.

Sie nehmen diese Drohung der EU also nicht sehr ernst?

Es waren damals leere Drohungen, wie sich später herausstellte. Und es sind auch diesmal leere Drohungen. Die EU könnte es sich gar nicht leisten, mit der Schweiz keine Abkommen mehr abzuschliessen. Zu gross sind die Anliegen, die die EU selber an die Schweiz hat.

Zum Beispiel?

Denken Sie nur etwa an das Steuergesetz oder an das Bankgeheimnis. Wenn die EU solche Punkte regeln will, braucht sie einen Vertrag. Die EU kann dort ihre Anliegen einbringen und die Schweiz die ihren. Der Rest ist Verhandlungssache.

Aber hätte die EU als viel stärkerer Partner nicht die ungemein besseren Karten bei solchen Verhandlungen?

Nein, nein. Es gibt gar keine Verträge, die wir zum Überleben als unabhängiger Staat brauchen würden.

Die Schweiz will aber derzeit ein neues Elektrizitätsabkommen und ein Landwirtschaftsabkommen mit der EU aushandeln.

Da kann ich nur sagen: Hoffentlich schliessen wir diese Abkommen nicht ab. Die Schweiz als Wasserschloss Europas ist in Sachen Elektrizität ein starker Standort. Er  würde mit einem Elektrizitätsabkommen nur geschwächt. Auch das Landwirtschaftsabkommen ist für die Schweiz nicht von grosser Bedeutung. Es ist definitiv nicht überlebensnotwendig.

Sie würden also die neuen Drohungen der EU einfach ignorieren?

Nein, ignorieren würde ich sie nicht. Man ist ja anständig. Aber man muss der EU von Anfang an deutlich machen, dass wir ein souveräner Staat bleiben werden und weiterhin auf Basis einzelner bilateraler Verträge verhandeln wollen.

Aber ist es nicht auch für die Schweiz nachteilig, dass  sie fortlaufend EU-Rechtsnormen übernehmen muss und nichts dazu sagen kann, weil sie nicht Mitglied ist?

Leider ist es so, dass die Schweiz läppischerweise viel zu viele Normen einfach übernimmt. Das müsste sie  nicht. Sie tut es nur, weil unsere Beamten mit der Lupe suchen, wo es noch irgendwo ein  EU-Recht gibt, das vom Schweizer Recht abweicht.

Bundespräsidentin Doris Leuthard signalisierte der EU gegenüber ein Entgegenkommen, indem sie eine gemeinsame Arbeitsgruppe ins Leben rief, welche nach neuen gemeinsamen Wegen suchen soll. Ist das ein Bückling?

Nein, wenn die EU eine solche Arbeitsgruppe will, dann kann man nicht einfach Nein sagen. Man muss ja reden miteinander. Falsch ist hingegen die Formulierung zur Konstituierung dieser Arbeitsgruppe. Die Frage ist, was für ein Verhandlungsmandat die Arbeitsgruppe hat.

Inwiefern?

Das Verhandlungsmandat muss von Anfang an klipp und klar ausschliessen, dass an der Souveränität der Schweiz gerüttelt wird. Andernfalls müsste die SVP sofort das Vorgehen der Arbeitsgruppe aktiv und vehement bekämpfen.

Was könnte denn das beste Resultat sein, das diese Arbeitsgruppe erreichen kann?

Das beste wäre, wenn  die EU und die Schweiz sich schliesslich gegenseitig ihre Unabhängigkeit und ihre Souveränität anerkennen. Und dass man zum Schluss kommt, dass die beiden Länder auf Basis bilateraler Verträge in Freundschaft leben können, so wie das mit anderen Staaten ja auch funktioniert.

Ein weiterer Punkt: Offenbar will die EU von der Schweiz bereits wieder eine Kohäsionsmilliarde fordern. Was sagen Sie dazu?

Wir sind der Meinung, dass es gar keinen Grund gibt, eine weitere Kohäsionsmilliarde zu zahlen. Diese Kohäsionsgelder hat die EU geschaffen, um die neuen EU-Staaten besser in die EU eingliedern zu können. Aber wir sind ja gar nicht in der EU. Weshalb sollten wir Verpflichtungen haben bei der Eingliederung dieser neuen EU-Länder? Es war bereits ein Fehler, dass wir die letzte Kohäsionsmilliarde bezahlt haben. Damals hat der Bundesrat gesagt, das sei gut für die Schweizer Wirtschaft. Die Wirtschaft hoffte auf grosse Aufträge aus den neuen EU-Staaten. Doch diese grossen Aufträge sind ausgeblieben. Zudem wehre ich mich dagegen, dass wir Staaten Gelder geben, damit unsere Schweizer Industrie Aufträge bekommt. Wir wollen doch unsere Produkte im Ausland verkaufen, weil wir eben die besseren Produkte haben.

Was sagen Sie dazu, dass  nun plötzlich auch die bürgerliche Vereinigung Avenir Suisse auf EWR-Kurs einschwenkt?

Da muss man aufpassen. Die Studie, die dies befürwortet, kommt nicht direkt von der Avenir Suisse.

Sondern?

Herausgeber ist Avenir Suisse und die NZZ. Aber es gibt lediglich die Meinung von Personen – vor allem von  Professoren – wieder. Es sind die bekannten Positionen der alten EU-Beitrittsbefürworter. Nichts neues unter der Sonne! Ich bin aber unter dem Strich dankbar, dass das Buch publiziert wird. Dank ihm findet jetzt endlich wieder eine EU-Debatte statt, die eigentlich dauernd laufen sollte. Denn je tiefer man darüber diskutiert, desto mehr merkt man, dass der EU-Beitritt ein oberflächliches bürokratisches Anliegen ist.

Sie sollten sich auch deshalb freuen, weil die Diskussion für die SVP ein ideales Thema ist  für den bevorstehenden Wahlkampf.

Hoffen wir es. Die EU-befürwortenden Parteien werden ihre Leute mobilisieren und wir die unseren. Aber im Moment sind jene,  die in der EU-Frage auf unserer Seite stehen in der Mehrzahl. Wahrscheinlich werden aber die Mitteparteien vor den Wahlen 2011 nicht mehr zum EU-Beitritt stehen, aber nach den Wahlen das Gegenteil tun.

Stärkt nun die neu aufflammende EU-Debatte Ihren Willen, nächstes Jahr wieder für den Nationalrat zu kandidieren?

Ja, das ist so. Wenn ich mir überhaupt überlege, noch einmal zu kandidieren, so wird die EU-Debatte die Hauptmotivation sein. Die EWR-Abstimmung war die wichtigste Abstimmung des letzten Jahrhunderts, sonst wäre die Schweiz in der EU-Krise und müsste vor allem Misswirtschaften finanzieren. Die dank der EWR-Abstimmung auf-rechterhaltene Souveränität wollen wir in diesem Jahrhundert nicht verkalbern. Das  ist für das Wohlergehen der Schweiz zentral.

Das heisst, es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie nun kandidieren?

Ich werde mich erst im Frühling entscheiden.

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