Der Euro ist ein politisches, kein ökonomisches Produkt

Referat von alt Bundesrat Dr. Christoph Blocher gehalten am 18. int. Europa Forum im KKL Luzern vom 26. April 2010 zum Tagungsthema «Staatliche Unabhängigkeit in einer Welt der Abhängigkeiten»

Staatspolitische Schlussfolgerungen für die Schweiz

Meine sehr verehrten Damen und Herren

Ich beginne mit der lobenden Erwähnung, dass der Begriff „Souveränität“ heute wieder eine grössere Bedeutung hat als damals, als ich in den 90er Jahren – kurz nach seiner Gründung – in diesem Europa Forum sprach. Damals war eigentlich der Tenor: „Souveränität“ ist etwas Veraltetes! In der Zukunft gibt es nur noch multinationale Organisationen und keine souveränen Staaten mehr!

Souveränitätsbeschränkung statt Souveränität?

Obwohl heute die ersten Referenten – namentlich Herr Staatssekretär Mauro Dell’Ambrogio und Herr Professor Rudolph Stichweh – die Souveränität ausserordentlich relativieren, so sprechen sie doch immer über die Souveränität. Und das freut mich.

Doch fällt auf, dass man in politischen und professoralen Kreisen vor allem deshalb von Souveränität spricht, damit man über deren Beschränkung sprechen kann.

Interessant ist, dass das bundesrätliche Vorwort in Ihrem Prospekt nicht mit der Feststellung beginnt, die Souveränität sei ausserordentlich bedeutungsvoll, sondern als Punkt 1 erklärt: „Die Souveränität eines Staates ist nicht gänzlich schrankenlos“ – wie wenn jemand je etwas anderes behauptet hätte! Es ist doch jedermann klar: Kein Staat – auch der unsrige nicht – ist auf dem Mond! Unser Staat ist 700 Jahre alt – und die Souveränität war zu allen Zeiten von aussen bekämpft. Wer das Gegenteil sagt, kennt die Geschichte nicht.

Souveränität – die Grundsäule des Staates

Wir haben sogar Schlachten führen müssen (als man sich Kriege noch leisten konnte). Wir haben zwei Weltkriege durchgemacht. Schon bei der Gründung des Schweizerischen Bundesstaates spielte die Souveränität und ihre Bedrohung die Hauptrolle. 1848 haben die europäischen Staaten der Schweiz gedroht, als sie eine souveräne, freiheitliche Verfassung schufen. Sie haben sogar von „Geisteskranken“ gesprochen, die das allgemeine Wahlrecht einführten. Und die Schweiz hat es trotzdem getan, also nicht lange gefackelt und gesagt, „die Schweiz sei eben nicht ganz schrankenlos“ und darum könne man nie ganz alles allein durchführen; also müsse man die Souveränität relativieren. Im Gegenteil: Man sprach von Geburtsstunde der modernen Eidgenossenschaft.

Wir machen es! Wir machen es trotzdem! Und sie haben’s gemacht! Die europäischen Staaten um die Schweiz herum erklärten: „Diese Verfassung wird nicht lange leben.“ Wir haben sie im Wesentlichen heute noch! Die umliegenden Staaten haben alle ihre Verfassungen, die doch der „allgemeinen Auffassung“ entsprachen, verloren. Ihre damaligen Regimes überlebten nicht. Sie sind auf schreckliche Art zugrunde gegangen.

Änderung der Auffassungen

Es war interessant zu hören, was die heutige Luzernische Regierungsrätin in der Einführung gesagt hat: „Also, wenn man einem Politiker heute sagt, er nehme es mit der Souveränität nicht ernst, so ist es das Schlimmste, was man ihm sagen kann.“ Das ist ein willkommener Wechsel der gesellschaftlichen Auffassung.

Also müssen die, welche die Souveränität der Schweiz eigentlich nicht wollen, aber sich nicht getrauen, es zu sagen, einen Ausweg finden. Und diesen Ausweg findet man in einem Trick. Man spricht dann von einer „zeitgemässen Souveränität“. Mit „zeitgemäss“ meint man eine sehr beschränkte Souveränität.

Das ist eine akademische Schlaumeierei. Seien Sie doch ehrlich und sagen Sie: „Die Souveränität ist ein“. Die Frage ist: Können oder wollen wir souverän sein? Und dann müssen Sie zugeben: Das sind Einschränkungen! Wenn Sie aber nicht ehrlich sind, greifen Sie zu den schönen Formulierungen: „Wir grenzen die Souveränität ein, damit wir souverän bleiben“. Vor 20 Jahren hörten wir: Wir gehen in den EWR (Europäischen Wirtschaftsraum), damit wir nicht der EU beitreten müssen – und solche Dinge. Das sind alles Kunstgriffe, die natürlich in der „praktischen“ Bevölkerung zu Recht nicht verfangen.

Es geht jetzt nicht um theoretische Modelle, sondern um ganz handfeste Dinge: Die Wahrung der Souveränität steht auch in der heutigen Bundesverfassung an erster Stelle als Staatszweck. Es hat keinen Sinn, einen Staat zu bilden, wenn man die Souveränität nicht will. Wozu auch? Souverän heisst unabhängig sein, autonom sein. Das aber heisst:
Auf dem Staatsgebiet bestimmen die Bürgerinnen und Bürger direkt oder indirekt selbst.

Selbstbestimmungsrecht der Staaten

Es war das grosse Schlagwort nach dem Zweiten Weltkrieg: „Selbstbestimmungsrecht der Staaten“. Heute habe ich bei den Diskussionen in der Schweiz das Gefühl, das gelte nur noch für afrikanische Staaten (weil sie von der „Kolonie“ befreit werden mussten).
Souveränität ist das höchste Gut des Staates. Da gibt es nichts zu wollen.

Nun komme ich zur Frage: Wo ist man denn souverän – wenn überhaupt? Stets in einem begrenzten Gebiet. Und was ist die Voraussetzung zur Wahrung der Souveränität? Das ist die Staatsgewalt – die Macht des Staates, das Recht durchzusetzen. Und das verpflichtet die Politiker zur Verantwortung.


Verantwortung

Es ist interessant: Im ersten Teil des heutigen Symposiums (ich muss ja über die „Schlussfolgerungen“ reden) ist das Wort „Verantwortung“ nie gefallen.

Aber Verantwortung ist das Entscheidende: Wer trägt die Verantwortung? Es ist das Belastende, darum wird es ausgeklammert. Darum haben die internationalen Organisationen für Politiker eine so grosse Anziehungskraft – weil dort niemand die Verantwortung trägt. „Alle sind für alles verantwortlich!“ heisst es da. Und das tönt schön! Aber das heisst immer gleichzeitig: „Niemand ist für etwas verantwortlich“.

Verantwortung ist ein Führungsbegriff – man mag das meiner Tätigkeit als Unternehmer ankreiden – und zwar ist es der zentrale Begriff der Führung – auch für eine staatliche Regierung. Aber den multinationalen Organisationen fehlt erstens die Macht, das durchzusetzen, was sie sollten, und zweitens: Die Verantwortung ist nicht vorhanden. Sie ist nicht greifbar. Darum ist es für einen Politiker – für einen Bundesrat – viel schöner, wenn wir in der EU sind, weil man dort zwar dabei ist, aber die Verantwortung nicht tragen muss.

In der Schweiz ist es viel schwieriger, die Verantwortung für die Schweiz zu tragen.

Geht ein Bundesrat in einen Kanton, muss er aufpassen, dass er von einem kantonalen Regierungsrat nicht über den Tisch gezogen wird. Er muss immer aufpassen, was er macht, denn er ist ja der Bevölkerung Rechenschaft schuldig. Er muss aufpassen, weil er wieder direkt oder indirekt gewählt wird. All das muss er beispielsweise  in der EU nicht auf sich nehmen.

Das alles fehlt in diesen grossen Organisationen

Es war schön, heute, die Darstellung des britischen Redners zu hören (es ist kein Zufall, dass er ein Brite ist; die Briten sehen ja immer alles aus höherer Warte). Sobald es schlecht ging, haben in der EU alle Staaten munter die internationalen Interessen wahrgenommen, und wenn es ums Geld geht, sehen sie sich nur noch selbst. Das ist die Realität! Beklagen müssen wir es nicht, aber die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

Nein, es gibt in Sachen Souveränität nicht Neues zu definieren. Aber es gilt zu fragen: Wo müssen wir allenfalls Souveränität abtreten.

Souveränität abtreten

Viele Dinge gibt es, bei denen wir das tun können. Wenn zum Beispiel in ganz Europa die Nationalstrassen gleich angeschrieben werden und wir vor der Wahl stehen, ob wir es anders machen sollen oder nicht, haben wir zwar die Möglichkeit, es anders zu machen. Vielleicht ist es aber zweckmässig, es gleich zu machen wie die anderen. Wir haben viele solche Dinge getan, und das stört mich nicht. Aber wenn es jemanden stört und die Bevölkerungsmehrheit das Gegenteil will, dass wir die Nationalstrassen anders anschreiben, dann bin ich der Meinung, wir sollen es tun, auch wenn ich finde, es sei nicht gerade intelligent.

Die Wahrung des Rechts, das wir unserem Land gegeben haben und das in unserem Land die Bevölkerung, „der Souverän“. gesetzt hat, muss, kann und darf gelten. Darum sprechen wir in der Schweiz bei der Gesamtheit der Stimmbürger vom Souverän.

Ich weiss: Damit sind wir natürlich ein Sonderfall. Aber dieser hat uns auch stark gemacht. Also ist es kein Nachteil, ein Sonderfall zu sein.

Wettbewerb statt gleich lange Spiesse

Wenn ich von Wirtschaftsleuten höre, wir sollten dafür sorgen, dass wir „gleich lange Spiesse“ haben wie die EU, dann muss ich sagen. Das ist doch kein staatliches Ziel. Wir müssen längere Spiesse haben als die andern. Das ist das Ziel eines Staates.

So entsteht der Wettbewerb. Und den haben wir in vielen Dingen. „Gleich zu sein wie die andern“ ist kein Ziel. Der Kleinstaat Schweiz mit seiner unmöglichen topografischen Lage, weitab vom Meer, ohne Bodenschätze, muss besser sein, anders sein – das macht den Sonderfall aus.

Ich schaue auch die EU nicht nur vom schweizerischen Standpunkt aus an. Ich schaue kritisch auf den Geist – auf die Konstruktion dieser EU. Und merke: Ein EU-Beitritt wäre für die Schweiz ein enormer Wohlstands- und ein grosser Freiheitsverlust.
Aber ich bin immer mehr davon überzeugt, was ich damals beim Kampf gegen den EWR-Beitritt der Schweiz schon sagte und deshalb so bitter angegriffen worden bin: dass die EU eine intellektuelle Fehlkonstruktion ist. Es tut mir leid, dass ich es sagen muss: Ich glaube nicht, dass die Sache funktioniert.

Fehlkonstruktion

Sie sehen es heute am Euro. Wir haben es vor seiner Einführung dargelegt. Eine gemeinsame Währung für so viele Staaten, die eine je völlig verschiedene und eigene Finanzpolitik betreiben, kann nicht funktionieren. Ökonomisch geht es nicht. Der Euro war ein politisches Produkt, kein ökonomisches.

Es ist ganz gefährlich, Währungen aus politischen Gründen zu schaffen. Währungen die keinen ökonomischen Rückhalt haben. Das erleben Sie jetzt.
Es ist ein grosser Fehler, dass zum Beispiel Griechenland den Euro eingeführt hat. Hätte es den Euro nicht, so hätte es eine eigene Währung, die nun fast oder ganz ihren Wert verloren hätte, und Griechenland und die, die diesem Land fälschlicherweise Geld gegeben haben, müssten selber bezahlen. Das wäre der normale Gang, die Folge der Verantwortung.

Damit sind wir wieder bei der Verantwortung. Und wie steht es heute? Sie haben jetzt mit Griechenland ein Land, das sich selbst – bis zum Betrug – in Misskredit und in die Schuldenkrise gebracht hat.

Schuld daran sind nicht die Spekulanten! Der Euro ist für einzelne Länder – das war schon in den letzten Jahren so – zu schwach und für andere zu stark, weil die Volkswirtschaften nicht übereinstimmen. Es ist ein grosses Glück, dass die Schweiz dank ihrer Souveränität eine eigene Währung hat. Darum hat sie die Finanzkrise besser meistern können als andere.

Lob des Sonderfalls

Sie hat sie aber auch besser meistern können, weil sie die direkte Demokratie kennt. Diese Geldverschwendung und solche Steuerhöhen wie in der EU sind in der Schweiz – dank der direkten Demokratie – nicht zu schaffen, weil wir einen Souverän haben, der solche Steuererhöhungen nicht zulässt.

All die Theorien über Souveränitätsverlust und Auflagen in völkerrechtlichen Verträgen gehen schliesslich an die Substanz. Die hohe Beschäftigung in er Schweiz, die kleine Arbeitslosigkeit, das hat alles – und zwar wesentlich – mit ihrer Souveränität zu tun.

Bei allen Schwierigkeiten, die wir mit dem Ausland haben, wird natürlich sofort die Frage gestellt: „Ja, wäre es nicht viel besser, wenn wir bei der EU wären?“ Ich weiss nicht, warum man immer auf diese Idee kommt (natürlich weil man in die EU will). Wo hätten wir denn bis heute irgend einen Vorteil gehabt?

Fall Libyen: Ein erhellendes Beispiel! Dort sitzt Gaddafi, der völlig menschenrechtswidrig Geiseln aus der Schweiz zurückhält. Wären wir nicht in „Schengen“, hätten wir Libysche Visa sperren können, und zwar allein! Wir hätten niemanden fragen müssen.
Vor dem Schengenbeitritt hiess es: „Geht zu Schengen. Da seid Ihr unter Freunden. Die helfen Euch!“ Dann kam der Fall Libyen über die Schweiz: Wir mussten unser Anliegen aufgeben, weil unsere „Schengenfreunde“ lieber zusammen mit Libyen gingen, als mit uns! Vor Tische las man es anders.

Nachvollzug?

Und wenn man sagt, wir seien nicht mehr „autonom“; in vielen Bereichen haben wir nachgezogen: Tatsächlich wird in Bern in vielen Geschäften nur noch „nachvollzogen“. Aber nicht weil wir müssten. Nachvollziehen als Sucht.
Ich bin zum Beispiel gegen den in einem Votum genannten Vertrag in der Stromwirtschaft. Denn ich glaube, dass es bessere Alternativen gibt. Ich bin dagegen, dass man noch Dienstleistungsverträge abschliesst, weil sie eine Souveränitätseinschränkung bringen, die vielleicht für die Branche im Moment gut sind. Aber auf die Länge sind sie für die Volkswirtschaft schlecht.

Wir haben auch eine bessere Steuersituation, weil wir autonom sind. Es ist auch nicht wahr, dass wir alles übernehmen müssen. Wären wir in der EU, hätten wir 15% Mehrwertsteuer, jetzt haben wir 7,6%!

Lassen Sie sich von Wörtern wie „Globalisierung“ (und dergleichen) nicht zu sehr beeindrucken. Was in diesem Umfeld herumgeistert, ist nichts Neues. Auch wenn es „zeitgemäss“ ist. Aber dass ein Staat souverän sein muss und über seine Substanz verfügen soll, das ist – und jetzt rede ich als Unternehmer und Staatsbürger – auch für die Zukunft von grosser Bedeutung.

Schlusswort

Ich sage Ihnen: Die Schweiz ausserhalb der Europäischen Union, ausserhalb dieser multilateralen Strukturen, hat eine grosse Chance in der Zukunft, wenn wir es richtig machen.

Unsere Devise heisst: Wir müssen nicht gross sein, sondern klein bleiben, wie wir es sind. Aber souverän, sonst gehen wir unter!

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