Lob dem Schöpfer des ZGB

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Feier „100 Jahre ZGB“, 10. Dezember 2007, im Nationalratssaal, Bern

10.12.2007, Bern

Bern. Bundesrat Christoph Blocher ging in seinem Referat anlässlich der Feier „100 Jahre ZGB“ auf die Entstehung des Zivilgesetzbuches ein. Er würdigte die von Weitsicht, Respekt und Offenheit geprägte Arbeit von Eugen Huber, dem Verfasser des Entwurfs des heutigen ZGB.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Sehr verehrter Herr Nationalratspräsident,
Sehr verehrter Herr Ständeratspräsident,
Sehr verehrte Damen und Herren National- und Ständeräte
Sehr verehrte Damen und Herren

1. Der Schöpfer

„Je pense être votre interprète à tous en exprimant ici notre vive reconnaissance à M. le professeur Huber, le savant auteur du projet du code civil, à M. Huber notre infatigable rapporteur. Cette œuvre à juste titre portera son nom.“

So sprach im Jahre 1907 der Nationalratspräsident nach Verabschiedung des ZGB in den eidgenössischen Räten. Diese Worte sind mehr als eine der üblichen Pflichtübungen eines Ratspräsidenten. Es war in die Augen springend und gilt heute 100 Jahre später ebenso, dass das Schweizerische Zivilgesetzbuch einen Namen trug, nämlich denjenigen von Eugen Huber.

2. Zuerst das historisch Gewachsene

Es war eine grosse „historische“ Aufgabe aus all den bestehenden Zivilgesetzbüchern ein Schweizerisches Zivilgesetzbuch zu schaffen, das der Vielfalt einerseits und der Gesamtheit andererseits gerecht werden sollte.

Doch das Ganze gelang unter anderem auch deshalb, weil man nicht hochtrabend mit einer gross tönenden Vision begann, sondern sich zuerst mit dem Bestehenden, dem historisch Gewachsenen beschäftigte.

So war es Eugen Huber, der 1884 vom Schweizerischen Juristenverein den Auftrag erhielt, das schweizerische Privatrecht auf seiner geschichtlichen Grundlage darzustellen. Davon, dass er diesen Auftrag mit Bravour erledigte, zeugt sein Standardwerk „System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts“, das in vier Bänden zwischen 1886 und 1893 erschien.

Es war ein weiser Entscheid, dass der Bundesrat im Jahre 1892 den grossen Kenner des schweizerischen Privatrechts, Eugen Huber, mit dem Auftrag betraute, den Entwurf für ein schweizerisches Zivilgesetzbuch auszuarbeiten. Dieser lag – nach verschiedenen Teilentwürfen – 1900 vor, zusammen mit Erläuterungen, die heute noch eine wichtige Grundlage für das Verständnis des Zivilgesetzbuchs sind.

3. Zukunftsgestaltung auf solider Grundlage

Diese eindrückliche Präsenz Eugen Hubers im Gesetzgebungsprozess ist aber kein Produkt des Zufalls. Huber ging mit grossem Respekt an das in den Kantonen gewachsene Recht, berücksichtigte aber sehr wohl die Bedürfnisse der Zeit und der Zukunft.

Eugen Huber wollte der Schweiz zu einem einheitlichen Privatrecht verhelfen, aber er begnügte sich nicht damit. Er ahnte die Veränderungen, die das angebrochene 20. Jahrhundert mit sich bringen würde. Gleichzeitig war sich Eugen Huber im Klaren darüber, dass dieser Aufbruch nur gelingen konnte, wenn man am Bewährten festhielt.

Gegenüber dem Bundesrat äusserte Huber sich dazu 1893 wie folgt: „Der Entwurf eines einheitlichen Civilgesetzbuches wird notwendig zwei Tendenzen aufweisen müssen: eine fortschrittliche, womit er den Bedürfnissen der Gegenwart und Zukunft entgegen zu kommen sucht, und eine konservative, womit er die guten einheimischen Überlieferungen sowohl vor unbegründeter Neuerung als auch vor Nachahmung fremder Erscheinungen zu bewahren bestrebt ist.“ – So weit Eugen Huber.

4. 100 Jahre als Ziel für die Gesetze

Die Tatsache, dass das ZGB schon 100 Jahre alt ist, ist Zeichen und Indiz für die Qualität. Hätte es nichts getaugt, wäre es schnell wieder total revidiert oder ganz abgeschafft worden. Was ist denn daran so hervorragend?

Es war mitunter der Wille Unterschiedliches, ja sogar auch Gegensätzliches, zusammenzubringen. Das hat zu einem Zivilgesetzbuch geführt, dessen wesentlichstes Merkmal seine Offenheit ist. So verpflichtet beispielsweise Artikel 2 Absatz 1 jedermann dazu, in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Ein Satz, der weit über das Gesetz hinaus Bedeutung erlangte. Er wurde zu einem Erziehungsgrundsatz rechtschaffener Schweizer Familien.

Und noch einen Schritt weiter ist der Gesetzgeber im nicht minder berühmten Artikel 1 gegangen. Dieser Artikel verpflichtet das Gericht darauf, das Zivilgesetzbuch anzuwenden. Gleichzeitig aber bekennt sich das Gesetz offen zu seiner Lückenhaftigkeit, Lücken, die dann das Gericht zu schliessen hat.

5. Bewährt

Hat sich diese Offenheit bewährt? Das kann man wohl sagen. Nämlich: Auch das beste Gesetz lässt sich in einem Land wie der Schweiz nicht von oben herab diktieren. Eugen Huber hat dies früh erkannt und immer respektiert.

Eugen Huber ist Vorbild für gute gesetzgeberische Tätigkeit. Auf dass die Gesinnung des Schöpfers unseres ZGB bleibe, möchte ich ihm hier und heute unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen.

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