Die Mitte zu schwächen, ist nicht Ziel der SVP

Bundesrat Blocher über den Ausgang der Wahlen, das Klima in der Regierung und zentrale politische Herausforderungen

28.11.2007, Neue Zürcher Zeitung, Martin Senti

„Er bleibt auch vier Jahre nach seiner Wahl der umstrittenste Bundesrat. Grund genug, im Vorfeld der Bundesratswahlen vom 12. Dezember das Gespräch mit Christoph Blocher zu suchen. Wie kann die SVP den hohen Wähleranteil halten, ohne ihre Wahlversprechen preiszugeben? Wie beurteilt er die Stimmung im Bundesrat, welches wäre sein Wunschdepartement?“

Herr Blocher, das vergangene Wahlwochenende hat einmal mehr gezeigt: Die SVP hat grosse Mühe, sich in Majorzwahlen durchzusetzen, wie erklären Sie sich das?
Bei Majorzwahlen setzen sich nie profilierte Parteipolitiker durch. Kandidaten der SVP haben besondere Mühe, weil die Partei so erfolgreich ist. Vor den Grünliberalen hat in Zürich niemand Angst, eine 2-Prozent-Partei ist für die Konkurrenz keine Gefahr. Oder nehmen Sie das Beispiel St. Gallen: Hier haben sogar die Grünen in Briefen dazu aufgerufen, man möge doch die FDP und die CVP wählen. Eine wirklich absonderliche Situation.

Dafür klappt es für die SVP ganz gut bei Proporzwahlen?
Eine Partei gewinnt nicht, weil sie gut ist, sondern weil sie politisch besser ist als die anderen. Es ist sowohl gefährlich, allein im Hinblick auf Regierungs- und Ständeratswahlen bis zur Programmlosigkeit Abstriche zu machen, als auch, gar keine Konsensbereitschaft zu haben.

Zur Durchsetzung der eigenen Politik sind doch aber Exekutivsitze unabdinglich?
Ja. Für die SVP stellt sich die Frage: Wie kann sie auf diesem hohen Niveau politisieren, ohne die Wahlversprechen preiszugeben? Das ist die Frage, der sich die Partei in den nächsten Jahren stellen muss – zusammen mit den Kantonalparteien. Als Regierungspartei ist dies dringend anzugehen. In der Opposition wäre dies anders. Die SVP wurde in der Opposition weitermachen, wenn ihre Bundesratsvertreter nicht gewählt würden, was sich bei Proporzwahlen starken wurde. Für die Schweiz wäre das allerdings eine schwierige Situation, wenn eine Partei mit 29 Prozent in die Opposition gedrängt würde. Doch die Zukunft kann man nur beurteilen, wenn man weiss, was der politische Gegner macht.

Im SVP-Wahlkampf wurde primär mit Problemen in der Sicherheit und mit der Ausländerkriminalität mobilisiert. Kaum aber waren die Wahlen vorüber, da gaben Sie an einer Pressekonferenz Entwarnung. Wie ist das zu verstehen?
Ich war selber erstaunt, wie das von den Medien aufgenommen wurde. Mir ging es um eine Klarstellung in einer Zeit, in der in ausländischen Medien über die angeblich xenophobe Schweiz gelästert wurde. Ich stellte klar, dass wir die höchste Ausländerquote haben und zu den einbürgerungsfreundlichsten Ländern gehören, nach Kanada und Amerika. Und trotzdem haben wir keine Ghetto-Probleme oder fremdenfeindlichen Parteien. Aber, und dieses Aber hat man in den Berichten weggelassen: Wir haben eine verhältnismässig starke Ausländerkriminalität, eine hohe Arbeitslosigkeit unter den Ausländern und andere Sonderprobleme, die wir lösen müssen.

Fehlende Partner?


Die SVP ist in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auf Kosten der FDP gewachsen. Was nützen Wahlerfolge, wenn die Allianzpartner fehlen?

Es ist nicht sicher, ob die SVP den Freisinn schwächt. Verloren hat vor allem die SP. Die Verschiebungen sind nicht so klar erkennbar. Die Mitte zu schwachen, ist nicht Ziel der SVP, ihre Gegner sind die SP und die Grünen. Die Freisinnigen verlieren, weil sie sich seit den siebziger Jahren nach allen Seiten offnen wollten, also auch nach links. Ich glaube, die Wähler wollen keine Parteien, die allen alles recht machen wollen — Parteien bestehen nicht zum Selbstzweck.


Dennoch: Sie haben politisch längst nicht so viel erreicht, wie Sie wollten.

Ich bin jetzt seit vier Jahren im Bundesrat. Wir haben ein Asylgesetz durchgesetzt, das auf unserer Linie liegt und das durch Überzeugung von Bundesrat, Parlament und Volk mitgetragen wurde – Gleiches gilt für das Ausländergesetz. Wir haben viel erreicht, die wichtigen Gesetzesprojekte sind verabschiedet oder auf Kurs, die Justizreform und die Wirtschaftsreform-Vorlagen. Was noch kommt, ist das neue Aktienrecht. In der Finanzpolitik bin ich nicht durchgestossen mit meinen Maximalforderungen. Aber das Kostenbewusstsein ist klar gestiegen. Der Bundesrat hat zumindest das Ziel beschlossen, die Ausgaben um 20 Prozent zu reduzieren.

Fehlt eigentlich nur noch die Umsetzung.
Die grossen Ziele, wie radikal Ausgaben und Zwangsabgaben zu senken, sind nicht verwirklicht. Herr Merz hat versprochen, er bringe nach den Wahlen Projekte zur Ausgabensenkung, dann werden wir sehen. Ich habe in meinem Departement erlebt, dass man sparen kann, ohne Leistungen zu kürzen. Ich habe den gleichen Kosteningenieur geholt, mit dem ich während Jahren in der Firma gearbeitet habe – ein Halbjahres-Mandat. Die Zielsetzung von 20 Prozent wurde verwirklicht. Aber man muss professionell vorgehen mit Unterstützung von ganz oben.

Bundesratsklima-Forschung

Eine Frage zum Atmosphärischen: Wie beurteilen Sie die momentane Stimmung im Bundesrat?
Die Stimmung ist offen, direkt – das heisst gut. Die Probleme werden ausdiskutiert. Es gibt auch nicht mehr diese Mimosenhaftigkeit, wie ich sie von früheren Bundesraten geschildert bekam.

Aber da war doch von einem Komplott gegen Sie die Rede, das bis in den Bundesrat hineinreiche?
Das war eine Ausnahmesituation in der Nervosität der Vorwahlzeit. Es war ein schwarzer Tag, der 5. September, für alle Gremien, für den Bundesrat, die GPK und die Bundesanwaltschaft. Man hat mich als Justizminister mit abstrusen Vorwürfen konfrontiert, nach einem einfachen Muster: Man verdächtigt jemanden, den man nicht mag, lässt aber den Beweis offen. Wären die Original-Unterlagen als Gegenbeweis nicht schon am anderen Tag auf dem Tisch gelegen, hätte ich das politisch kaum überlebt. Weil man ja von allem nichts weiss, wird man von solchen Anschuldigungen völlig überrascht.

Nichts gewusst? Die SVP hat doch den Eklat mit Inseraten schon im Voraus angekündigt?
Es war bekannt, dass ein GPK-Bericht kommt, auch dass er einseitig gefärbt sein würde. Aber ich habe nicht geahnt, was da wirklich gespielt wird. Das war keine saubere Sache, aber nun ist sie vorbei. Auch solches muss man wegstecken.

Die Antwort des Bundesrats scheint vorzuliegen, wird er Sie nun von allen Vorwürfen entlasten?
Ich weiss nicht, was der Bundesrat machen wird. Gewisse Dinge hat er aber schon längst entschieden. Es wird ein neues Gesetz geben, das die strittigen Fragen klären soll. Dieses ist jetzt in der Vernehmlassung. Die ganze Problematik ist letztlich auf die Doppelunterstellung der Bundesanwaltschaft zurückzuführen. Die Verantwortlichkeiten sind nicht geklärt.

Sozialdepartement wurde ihn reizen


Wenig Freude dürften einige Ihrer Bundesratskollegen über die Rücktrittsforderungen haben. Die SVP stellt sogar den eigenen Bundesrat Schmid zur Disposition, wie stehen Sie dazu?

Es geht nicht gegen Herrn Schmid, sondern um die von der FDP aufgeworfene Frage einer Dreiervakanz. Ursprünglich wurde Samuel Schmid von der SVP nicht vorgeschlagen, aber bei der letzten Wiederwahl klar unterstützt. Trotz einigen Differenzen in der Sicherheitspolitik unterstützt die SVP-Fraktion Herrn Schmid. Man darf das alles nicht überbewerten.


Letztlich steht dahinter doch der Wunsch nach einer grossen Departements-Rochade? Welches Departement würden Sie gerne übernehmen?

Zunächst einmal: Wenn die Bundesräte auf ihren Departementen beharren, dann zementiert das die Politik; Rochaden schaden also nicht. Als ich gewählt wurde, hätte ich gerne das Finanzdepartement übernommen. Ich habe aber gewusst, dass ich es nicht bekomme. Alle wollen schliesslich Geld ausgeben, also gibt man die Finanzen nicht dem, der am wenigsten gern Geld ausgibt.

Und welches wäre heute Ihr Wunschdepartement?
Das Hauptproblem der nächsten zehn Jahre wird die Problematik der Sozialversicherungen und der Sozialleistungen und ihre Finanzierbarkeit sein. Wie bekannt, habe ich vorgeschlagen, ein Sozialdepartement einzurichten, in dem alle Sozialversicherungen – auch die Krankenversicherung – eingeschlossen sind; also alles, was zur Unterstützung von Leuten da ist, die nicht durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die Aufgabe, diese Probleme zu lösen, würde mich reizen, auch wenn ich weiss, dass man sich sehr stark einbringen und exponieren müsste.

Von der geplanten Departementsreform scheint aber nicht vie! übrig geblieben zu sein?
Eine grundsätzliche Neuorganisation ist in weiter Ferne. Bezüglich des Sicherheitsdepartements – ich bin da zusammen mit Herrn Schmid involviert – werden wir wohl 2008 mit Vorschlägen kommen. Wobei ich politisch noch Fragezeichen mache: Armee und Polizei im gleichen Departement, das ist sehr heikel im Ernstfall. Offen ist auch die Frage, wo die Bildung hingehört, das kommt im Februar zur Sprache. Immerhin!

Am 12. Dezember sind Bundesratswahlen. Befürchten Sie, nicht bestätigt zu werden?
Das ist ohne weiteres möglich. Ich bin für alle Fälle gerüstet. Die Wahrscheinlichkeit einer Nichtwahl ist etwas kleiner geworden: Namentlich für die FDP und die CVP, aber auch für die SP ist eine SVP in der Opposition eine schlechte Lösung. Die SP scheint unterdessen gemerkt zu haben, dass es ein Fehler war, sich so stark auf meine Person zu fokussieren. Jedenfalls stellt sie offenbar keinen Gegenkandidaten auf. Werde ich abgewählt, dann gehen wir in die Opposition.

Mit Christoph Blocher als SVP-Präsident?
Das wäre eine Möglichkeit.

Denkbar wäre auch, dass man Sie bei der Wahl für das Vizepräsidium des Bundesrats nicht berücksichtigt. Wie würden Sie das aufnehmen?
Als Vizepräsident gewählt zu werden, heisst, man wird im kommenden Jahr Präsident. Man hat dann eine andere Aufgabe, man muss die Regierung vertreten. Das würde ich selbstverständlich tun, das traue ich mir zu. Eine Nichtwahl würde bedeuten: Wir wollen den schon als Bundesrat, aber wir wollen nicht, dass er die Regierung vertritt. Das gibt mehr Freiheit, mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Als Bundespräsident ist man noch stärker eingebunden, im Präsidialjahr fällt man politisch praktisch aus.

Entweder will man Sie doch als Bundesrat mit den üblichen Regeln der Rotation, oder aber man will Sie nicht – alles andere wäre doch irritierend?
Ja, ich fände das komisch. Es wäre ein Akt der Unüberlegtheit.

Europa und Roma

Es stehen in den nächsten Jahren wichtige Abstimmungen in der Europapolitik bevor. Wie halten Sie es mit der Bestätigung der Personenfreizügigkeit (Bilaterale I) und ihrer Ausweitung?

Es gibt hier vorgefertigte Meinungen, und das finde ich gefährlich. Man sollte unvoreingenommen abwägen, was die Vor- und die Nachteile sind. Wir sollten frei sein in der Entscheidung. Natürlich wird man nicht mit einzelnen EU-Ländern die Personenfreizügigkeit haben können und mit anderen nicht. Also geht es jetzt darum, im Hinblick auf die Ausweitung auf Bulgarien und Rumänien zu verhandeln. Wir kämpfen um Übergangsfristen, das ist wichtig bei diesen Ländern. Und wir müssen das Problem der Roma lösen. Es kann doch nicht sein, dass wir aus einem Land, mit dem wir die Personenfreizügigkeit einführen wollen, immer wieder zahlreiche Asylsuchende haben. Hier muss eine Lösung gefunden werden.

Noch zu zwei Themen, mit denen Sie in jüngerer Zeit Schlagzeilen gemacht haben: Was ist hinsichtlich des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht zu erwarten, und wie geht es weiter bei der Rassismusstrafnorm?
Bei der Rassismusstrafnorm warten wir das Ende der Legislatur ab. Vielleicht gibt es ja einen neuen EJPD-Vorsteher, der hier keinen Handlungsbedarf sieht. Bleibe ich, dann werde ich Varianten aufzeigen. Zur Frage Völkerrecht und Landesrecht: Es freut mich, dass die ständerätliche Rechtskommission hier den Faden aufgenommen und eine Aussprache geführt hat. Der Bundesrat wurde aufgefordert, einen Bericht vorzulegen.


Was stört Sie an der gegenwärtigen Situation?

Die Hauptfrage, um die es hier geht, ist weniger die Zulässigkeit von Volksinitiativen als vielmehr die Frage: Wer ist eigentlich der Gesetzgeber? Wir haben keine Mühe mit dem zwingenden Volkerrecht, solange dieser Begriff nicht massiv ausgedehnt wird. Es gibt aber auch eine Reihe von Normen – namentlich im Menschenrechtsbereich -, welche die Gefahr von Widersprüchen in sich tragen. Ich denke etwa an die Stellvertreterehe oder an die Polygamie, die trotz Berufung auf den Schutz des Familienlebens in der Schweiz nicht anerkannt werden sollten.

Was wäre hier Ihrer Meinung nach zu ändern?
Mit Ausnahme des zwingenden Völkerrechts sollte nationales Recht Vorrang haben. Das Bundesgericht hat mit der Schubert-Praxis den Weg aufgezeigt.

Zum Schluss eine Frage an den leidenschaftlichen Kunstsammler: Haben Sie schon ein Bild von Valentin Roschacher?
Nein (lacht), ich sammle echte Hodler.

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