Vor- und Nachteile offener Arbeitsmärkte

Referat von Bundesrat Christoph Blocher am Tag der Bauwirtschaft, 29. Juni 2007, in Luzern

29.06.2007, Luzern

Luzern. In seiner Rede am Tag der Bauwirtschaft ging Bundesrat Christoph Blocher auf die Schweizer Erfolge bei der Integration von Ausländern in den Arbeitsmarkt, die Ziele der Arbeitsmarktpolitik und die Bedeutung der Personenfreizügigkeit ein.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Meine Damen und Herren

1. Die Schweiz als Arbeitsmarkt

In der Schweiz leben etwas mehr als 1,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer, d.h. 20,4 % der Gesamtbevölkerung. Und die Einbürgerungen pro Bevölkerung sind im internationalen Vergleich sehr hoch: in den letzten 20 Jahren wurden gut 430’000 Personen eingebürgert, allein 46’711 im letzten Jahr. Die Schweiz liegt damit nach den klassischen Einwanderungsländern Kanada, USA und Schweden an vierter Stelle.

Meine europäischen Regierungskollegen staunen regelmässig ab diesem hohen Anteil. Kürzlich sagte mir ein Minister: „20,4 % Ausländer? Da sind natürlich auch alle bisher eingebürgerten Ausländer mitgezählt“. Dies stimmt selbstverständlich nicht. Die Kollegen staunen, weil sie zum Teil schon mit 5, 7, 8 % grösste Schwierigkeiten haben. Ich betone dies, weil die Schweiz bisher grosse Erfolge bei der Integration von Ausländern in den Arbeitsmarkt ausweisen kann. Trotz dem hohen Ausländeranteil ist die Arbeitslosigkeit aber relativ gering. Spannungen zwischen der einheimischen und ausländischen Bevölkerung blieben bisher weitgehend aus.

Das neue Ausländergesetz einerseits und die bilateralen Verträge andererseits sind eine logische Folge der bisherigen Ausländerpolitik. Diese strebt gegenüber der EU schrittweise – auf der Basis strikter Gegenseitigkeit – die volle Personenfreizügigkeit an. Die Zulassung von Arbeitskräften von ausserhalb der EU/EFTA begrenzt sich auf qualifizierte, hier nicht verfügbare Arbeitskräfte.

Ich gehe davon aus, dass das Thema „Offene Arbeitsmärkte“ gerade für Ihre Branche eine grosse Bedeutung hat: 2004 wurden gemäss Bundesstatistik 36 % des Arbeitsvolumens im Baugewerbe von ausländischen Arbeitskräften verrichtet, also deutlich mehr als die 26 % des Durchschnitts aller Branchen.

2. Ziele der Arbeitsmarktpolitik

Die Arbeitsmarktpolitik hat zum Ziel, die Schweizer Wirtschaft zu stärken, um den Wohlstand zu erhalten und zu fördern. Dafür müssen wir gute Rahmenbedingungen für den Standort Schweiz haben. Die Schweiz, ein kleines Binnenland ohne Bodenschätze und nur mit einem kleinen Heimmarkt ist auf offene Märkte für Import und Export angewiesen. Sie muss alles unternehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Schweiz hat nur Chancen, wenn sie die besseren Produkte und Dienstleistungen zu konkurrenzfähigen Preisen anbietet. Bei billigen Massenprodukten, welche in rohstoffreichen Niedriglohnländern hergestellt werden, kann die Schweiz nicht mithalten. Das Schwergewicht muss auf der Entwicklung von hochspezialisierten Produkten für besondere Märkte liegen. Entscheidend ist die Qualität, welche wir mit spezialisierten Arbeitskräften unter Ausnutzung von preisgünstigem Kapital erreichen. Diese Ausrichtung hat sich als Erfolgsrezept erwiesen. Wir verfügen über eine der höchsten Erwerbsbeteiligungen und einen hohen Lebensstandard.

3. Das wirtschaftliche Umfeld

Die Arbeitslosigkeit ist zurzeit niedrig. Ein schwach regulierter Arbeitsmarkt ist flexibler und begünstigt die notwendigen Anpassungen in der Wirtschaft.

Folgende Stärken sind dabei entscheidend:

* Ein praxisnahes Bildungssystem, welches die Jugend auf das Erwerbsleben vorbereitet und in die Arbeitswelt integriert. Mit unserem Ausbildungssystem entsprechen wir den Anforderungen der Wirtschaft. Es gibt bei uns viele gut qualifizierte Berufsleute. Die „Berufslehre“ ist – neben einem praxisbezogenen Hochschulabschluss – von besonderer Bedeutung;

* Eine geringe Regulierungsdichte. Bisher konnte die Regulierungsdichte des Arbeitsmarktes im internationalen Vergleich noch tief gehalten werden. Ein übertriebener Kündigungsschutz, vom Gesetzgeber verordnete Mindestlöhne oder eine 35-Stunden-Woche kennt die Schweiz zu ihrem Vorteil nicht. Das führt dazu, dass die Schweizer Unternehmen bei gutem Geschäftsgang auch schneller Personal einstellen. Es gibt Staaten, welche solche Massnahmen kennen, aber gerne wieder rückgängig machen würden.

* Sozialpartnerschaft. Die Schweiz hat eine insgesamt gut funktionierende Sozialpartnerschaft. Übertriebene Lohnforderungen und wirtschaftsschädigende Streiks gehören nicht zur Tagesordnung.

* Verantwortungsbewusstsein. Die Schweizer Arbeitgeber – und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – zeichnen sich mehrheitlich durch ein grosses Verantwortungsbewusstsein aus. Die Kluft zwischen den Chefs und den Mitarbeitern ist normalerweise geringer als im Ausland.

* Steuerniveau. Ein vergleichsweise günstiges Steuerniveau begünstigt Investitionen in Betriebe und Arbeitsplätze. Ein massvoller Steuerwettbewerb trägt dazu bei, dass sich auch ausländische Unternehmungen in der Schweiz niederlassen.

* Die Schweizerische Ausländerpolitik
Unser Arbeitsmarkt wurde immer stark durch ausländische Arbeitskräfte gestützt. Rund ein Viertel der Arbeit wird durch Ausländerinnen und Ausländer erledigt. Die Ausländerpolitik muss sich aber den rasant veränderten Bedürfnissen anpassen. Unsere Wirtschaft benötigt heute mehr denn je gut ausgebildetes Personal. Dementsprechend hat sich auch der Anteil der Zugewanderten mit abgeschlossener Berufs- oder Hochschulbildung in den letzten Jahren markant erhöht.

4. Erfahrungen der Schweiz mit der Personenfreizügigkeit

Einerseits führte die Personenfreizügigkeit zu einer erhöhten Zuwanderung aus dem EU/EFTA-Raum. Andererseits mässigte sich die Zuwanderung aus Drittstaaten. Diese hohe Zuwanderung entsprach vor allem der konjunkturellen Nachfrage des Schweizer Arbeitsmarktes. Der grösste Teil dieser zugewanderten Arbeitskräfte war gut bis sehr gut qualifiziert. Trotz der Zuwanderung hat sich die Arbeitslosenquote nicht erhöht.

5. Was ändert sich mit der Öffnung des Arbeitsmarktes?

Für die Schweiz, welche im internationalen Wettbewerb gut ausgebildete Arbeitskräfte benötigt, darf die Bedeutung der Personenfreizügigkeit nicht unterschätzt werden. Firmen, welche technologisch zuvorderst mitmachen wollen, sind auf das Wissen ausländischer Spezialisten angewiesen. Ich gehe davon aus, dass auch Sie in der Bauwirtschaft entsprechende Erfahrungen gemacht haben. Das Baugewerbe verzeichnete zwischen 2004 und 2006 ein deutlich überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum. Ich bin schon – anders als früher – dem einen oder andern deutschen Facharbeiter auf einer Baustelle begegnet. Auch Sie hätten wohl Mühe gehabt, Ihren Arbeitskräftebedarf ohne Ausländer zu decken.

Ich bin mir aber bewusst, dass die Öffnung des Arbeitsmarktes sowohl für Arbeitgeber wie auch für Arbeitnehmer eine Herausforderung ist.

Schweizerische Unternehmen sind wegen den europäischen – und internationalen (GATS) Dienstleistungserbringern auch stärkerer Konkurrenz ausgesetzt. Da ist es wichtig, dass durch die nötige Regelung und Kontrolle unter den schweizerischen und ausländischen Konkurrenten für „gleich lange Spiesse“ gesorgt wird.

Bezüglich der Kontrolle der Zuwanderung sind drei Absicherungen von Bedeutung:

* Erstens wurden mit der EU Übergangsfristen vereinbart. Gegenüber der EU-15 liefen diese am 31. Mai dieses Jahres aus. Für die neuen osteuropäischen Staaten sind Zuwanderungsbeschränkungen bis 2011 möglich. Diese Fristen schränken das Risiko einer unkontrollierten Zuwanderung ein. Mit Rumänien und Bulgarien beginnen erst die Verhandlungen.
* Zweitens wurde das Abkommen 2002 für eine erstmalige Zeitperiode von sieben Jahren abgeschlossen. Vor Ablauf des Abkommens im Jahr 2009 wird die Schweiz in Form eines referendumsfähigen Bundesbeschlusses über die Weiterführung beschliessen.
* Drittens können bis 2014 bei einer übermässigen Zuwanderung mit der sog. Ventilklausel die Aufenthaltsbewilligungen erneut beschränkt werden.

6. Fazit und Schluss

Mit dem Freizügigkeitsabkommen hat sich die Schweiz gegenüber der EU geöffnet. Bei Mangel können Schweizer Unternehmen darüber hinaus gut qualifizierte Arbeitskräfte in begrenzter Zahl auch von ausserhalb des EU-Raums rekrutieren. Die Schweiz hat als Unternehmensstandort damit weiter an Attraktivität gewonnen. Experten gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren auch durch den freien Personenverkehr mit der EU gestützt wurde.

Negative Auswirkungen für die Schweiz wurden während der guten Wirtschaftsentwicklung bisher kaum festgestellt. Die wirkliche „Nagelprobe“ wird man jedoch bei einem Konjunkturabschwung genau prüfen müssen. Die Personenfreizügigkeit soll strikt auf den EU/EFTA-Raum begrenzt bleiben. Gegenüber Drittstaaten bleibt die Ausländerpolitik weiterhin restriktiv und im Wesentlichen auf gut qualifizierte Arbeitskräfte beschränkt. Diese Zulassungspolitik wurde vom Schweizer Volk in mehreren Abstimmungen eindrücklich bestätigt.

Die mangelnde Integration eines Teils der ausländischen Bevölkerung muss verbessert werden und Missbräuche sind rigoros zu bekämpfen. Nur so wird die Migrationspolitik des Bundesrates auch inskünftig vom Volk mitgetragen. Wir stecken in dieser Beziehung mitten in der Arbeit.

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