«Wo no i Freiheit gsunge wird…»

St. Moritz. In seiner Eröffnungsansprache am nordostschweizerischen Jodlerfest würdigte Bundesrat Christoph Blocher das Heimatgefühl, das aus den Volksliedern spreche. Während die Politik von Globalisierung schwärme, sehnten sich die Menschen nach Halt.

24.06.2007, St. Moritz

Eröffnungsansprache von Bundesrat Christoph Blocher am nordostschweizerischen Jodlerfest in St. Moritz, 24. Juni 2007

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Liebe Jodlerinnen und Jodler
Liebe Alphornbläser und Fahnenschwinger
Liebe Festgemeinde

1. Eine schöne Einladung

Sie haben zum Fest geladen. Und wiederum sind Tausende dieser Einladung gefolgt, um sich am Jodelgesang und an der Schweizer Volkskultur zu freuen. Zum 26. Mal findet das Nordostschweizerische Jodlerfest statt, heuer in St. Moritz im Oberengadin. Zum 26. Mal sind Sie zusammen gekommen, um sich im freundschaftlichen Wettkampf zu messen und die unbeschwerte Geselligkeit zu geniessen.

Schon vor 3 Jahren haben Sie mich als nordostschweizerischer Bundesrat zum 25. Nordost-schweizer Jodlerfest in Bülach eingeladen. Ich sagte zu: Bülach liegt ja schliesslich im Kanton Zürich, und ich bin ja schliesslich ein Zürcher. Dieses Mal fand ich wieder eine Begründung, um Ihrer freundlichen Einladung Folge zu leisten. Das 26. Nordostschweizerische liegt ja im Kt. Graubünden, einem Kanton also, dem ich durch meine frühere Tätigkeit als Unternehmer eng verbunden bin.

Es gibt aber auch noch einen dritten Grund, warum ich hier bin. Das ist der Kurdirektor Hans-Peter Danuser. Wir waren nämlich beide vor 48 Jahren im Waadtland als Bauernknechte tätig. Zwei Deutschschweizer Knechte in der Romandie. Ihn führte der Weg nach St. Moritz, und er ist heute wohl der markanteste Kurdirektor in der Schweiz und ein begeisterter Alphornbläser. Mich führte der Weg auch nach Graubünden, d.h. nach Domat/Ems und schliesslich nach Bern.

2. Ein Abbild der schweizerischen Vielfalt

Vor drei Jahren Bülach – heuer St. Moritz. Kann man sich zwei unterschiedlichere Orte vorstellen? Dort Bülach, eine Zürcher Stadt im Mittelland, früh industrialisiert, schnell gewachsen, ein Abbild der rasanten Entwicklung, die die Schweiz in den letzten hundert, hundertfünfzig Jahren gepräg hat.

Und hier St. Moritz, mondäner Kur- und Touristenort, in einem Hochtal von seltener Naturschönheit gelegen, mit einer romanischsprachigen Bevölkerung. Allen Unterschieden zum Trotz oder gerade deswegen: Die beiden Orte sind sich verbunden: Sie sind in ihrer Verschiedenheit Ausdruck der Vielfalt, die unser Land prägt. Auch Sie, geschätzte Besucherinnen und Besucher stellen diese Vielfalt dar (in der Volkskultur). Sie besingen die Schweiz in verschiedenen Dialekten, Sprachen und Trachten. Die Fahnenschwinger werfen stolz ihre eigenen Kantonsfahnen in die Luft – und in all dem vereinen wir uns unter dem Schweizer Kreuz und im gemeinsamen Bekenntnis zu unserem Land mit seinen vielfältigen Traditionen und Ausprägungen.

Wenn es in einem Lied heisst: „Ich chume i mys Dörfli hei“, dann denkt zwar jeder von uns an sein eigenes Dorf, die Gefühle aber, die wir dabei empfinden, sind bei allen gleich: Das starke, schöne Gefühl der Geborgenheit, der Verwurzelung, der Vertrautheit, des Daheimseins. Des Heimatgefühls eben. Dieses Heimatgefühl mag bei uns Schweizern besonders ausgeprägt sein. Während der Söldnerzeit sprach man vom Heimweh der Söldner als vom „Mal Suisse“. Ja, ob wir von St. Moritz oder von Bülach oder eben sonst einem Ort sind – wir alle sind verbunden durch unsere gemeinsame Heimat, die Schweiz.

Ich glaube, solche Zusammenkünfte wie dieses Jodlerfest werden immer wichtiger: Je mehr die hohe Politik von der Globalisierung schwärmt, je mehr uns das Heil in nicht fassbaren und nicht überschaubaren Organisationen versprochen wird, umso mehr sehnen sich die Menschen nach Halt, nach Tradition und Heimat – denn dort ist der Ort des Vertrauten und des Überschaubaren, des im wahrsten Sinne des Wortes Begreifbaren.

Was wären wir ohne all die Vereine (ohne die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer) ohne die Volksfeste wie dieses heute? Was wären wir ohne Sängerinnen, Sänger, Jodlerinnen und Jodler, Alphornbläser und Fahnenschwinger? Arm wären wir! Wir wären Menschen in einer leeren, einsamen, grauen, eintönigen Welt.

3. Wo no i Freiheit gsunge wird

Es gibt eine schöne Textzeile in einem Lied von Hans Täschler (aus „Sängertreu“). Sie lautet: „Wo no i Freiheit gsunge wird, da isch es glücklichs Land“. Wer einmal ein Jodlerfest besucht hat und am Abend durch die verschiedenen Beizen marschiert ist, weiss, was Hans Täschler gemeint hat. Es wird zusammen gefeiert, zusammen gesungen, frei von der Leber – es gibt keine friedlicheren Feste als Jodlerfeste. Frei, frisch und fröhlich singen kann aber nur, wer unbeschwert ist, frei und offen seinen Gedanken und seinen Gefühlen freien Lauf lassen kann.

„Wo no i Freiheit gsunge wird, da isch es glücklichs Land“ – tragen wir Sorge zur Freiheit. Sie ist ein Geschenk unserer Vorfahren, aber wir müssen dieses Geschenk bewahren und auch verteidigen. Wir sind verantwortlich für diese Freiheit – jeder an seinem Platz, mit seinen Mitteln. Wo nötig müssen wir uns aber auch gemeinsam für unsere Freiheit wehren. Wie es im gleichen Lied „Sängertreu“ von Hans Täschler heisst: „Wenn’s aber gilt, de stönd mer i, die Junge näb de Alte, und sind mer au a Zahl nur chli, in Treu wird zäme ghalte.“

Geniessen Sie die verbleibenden Stunden. Freuen Sie sich am Engadin, an den Alpen, an den Bergen, der Natur und tragen Sie weiterhin Sorge zu unserem Brauchtum. Damit wir auch in Zukunft in Freiheit feiern können.

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