Neues Ausländer- und Asylgesetz; Wirtschaftliche Aspekte des neuen Asyl- und Ausländergesetzes

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Generalversammlung der Union Suisse des Professionels de l’Immobilier vom 11. September 2006 in Paudex

11.09.2006, Paudex

Paudex. Auch an der heutigen Generalversammlung der Union Suisse des Professionels de l’Immobilier sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Ziele der beiden Vorlagen. Er hielt fest, dass die Lösung der Asyl- und Ausländerproblematik von gesamtschweizerischem Interesse sei. Es seien letztlich die Bürgerinnen und Bürger, die Fehlentwicklungen erdulden müssten; sei es finanziell, sei es durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes, sei es, weil beispielsweise das Bildungswesen unter der verfehlten Immigrationspolitik leide.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

1. Zum Wohl der Bürger

Die Ausländer-, aber insbesondere die Asylpolitik, beschäftigt die Schweizerinnen und Schweizer seit Jahren. Nicht die Aufnahme von Flüchtlingen, nicht die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte, welche in der Schweiz ordnungsgemäss eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, sind Stein des Anstosses: Nein, all jene, die sich über den Asylantrag oder auf andere Weise einen illegalen Aufenthalt erschlichen haben. Diese Zahl ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Und hier wollen die beiden Gesetzesvorlagen entgegen wirken.

Es ist das Anliegen jedes Staates, für seine Bürger zu sorgen. Darum bestimmt heute auch jede Regierung auf dieser Welt, wann Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung erhalten – und wann nicht. Mit Ausländern, welche eine Aufenthaltsbewilligung korrekt beantragten und eine solche Bewilligung auch erhielten, hat die Schweiz im Grossen und Ganzen keine Probleme. Wir stehen mit einem Ausländeranteil von rund 22 Prozent an der Spitze der europäischen Staaten.

2. Zur Lösung verpflichtet

Sie haben mich gebeten, vor allem auch über die wirtschaftlichen Aspekte dieser beiden Vorlagen zu sprechen. Es ist unschwer einzusehen, dass Gesetze von so grosser gesellschaftlicher Bedeutung auch volkswirtschaftlich von Bedeutung sind.

Wir haben folglich auch ein wirtschaftliches Interesse an der Lösung der Asyl- und Ausländerproblematik. Und zwar ein gesamtschweizerisches Interesse, weil es sich letztlich um ein Problem handelt, das vor allem die Bürgerinnen und Bürger mittragen müssen. Sie sind es letztlich, die Fehlentwicklungen erdulden müssen. Sei es finanziell, sei es durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes, sei es, weil beispielsweise das Bildungswesen unter der verfehlten Immigrationspolitik leidet.

Wenn unser Asylwesen, das offensichtlich in grossem Stil missbraucht wird, jährlich eine Milliarde Franken kostet (dazu kommen noch Hunderte Millionen allein für den Strafvollzug krimineller Asylbewerber), müssen wir doch wenigstens den Versuch unternehmen, diese Missstände zu beheben. Dazu sind wir verpflicht, das gebietet uns die Verantwortung, die uns der Souverän als Politiker übertragen hat.

3. 21,9 Prozent Ausländeranteil

Beginnen wir mit dem Ausländergesetz. Die Frage, wie gehen wir mit jenen Menschen um, die in unser Land kommen wollen, ist alt. Dass in der Schweiz das Zusammenleben zwischen einheimischer Bevölkerung und Ausländern im Grossen und Ganzen so gut funktioniert hat, ist zwei Hauptgründen zuzuschreiben: Erstens, hat die Schweiz immer dafür gesorgt, dass die Zuwanderung nach bestimmten Regeln abläuft. Ich erinnere an das Saisonier-Statut, mit dessen Hilfe die Wirtschaft flexibel Arbeitskräfte ins Land holen konnte, die aber nur so lange kommen durften, so lange auch tatsächlich Arbeit vorhanden war. Zweitens, ist der schweizerische Arbeitsmarkt bis anhin genügend stark gewesen, die Mehrzahl der arbeitswilligen Ausländer zu beschäftigen.

Wir stehen mit einem Ausländeranteil von 21,9 Prozent oder 1’656’721 Personen (Stand April 2006) nach Liechtenstein und Luxemburg an der Spitze der westeuropäischen Staaten! Trotzdem kennt unser Land keine gettoähnlichen Banlieues mit schwerwiegenden Ausschreitungen und fremdenfeindlichen Übergriffen. Das verdanken wir vor allem einer funktionierenden Wirtschaftsordnung, die es fertig bringt, überhaupt so viele Menschen zu beschäftigen.

4. Liberale Wirtschaftsordnung

Jedes Jahr reisen rund 95’000 Menschen – was etwa der Bevölkerung von Winterthur entspricht – neu in unser Land ein. Die Schweiz nimmt gemessen an ihrer Grösse wesentlich mehr Zuwanderer auf als viele so genannte klassische Einwanderungsländer. Die Schweiz ist zu einem Einwanderungsland geworden.

Trotz des hohen Ausländeranteils blieb die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren eine der niedrigsten in Europa. Aber – und auch das gilt es in diesem Zusammenhang zu erwähnen – die Arbeitslosigkeit unter Ausländern ist konstant etwa drei Mal so hoch wie diejenige von Schweizerinnen und Schweizern. Die Arbeit ist der beste Weg zur Integration. Darum ist es auch wichtig, dass der Anreiz zu arbeiten höher ist, als sich um staatliche Leistungen zu bemühen. Damit sind wir mitten im Thema: Wir haben ein existentielles Interesse an einer Wirtschaftsordnung, die eine Vollbeschäftigung möglich macht. Darin liegt der Kern einer erfolgreichen Integration. Das Ziel lautet: Sprache und Bildung für junge Ausländer, Sprache und Arbeit für ältere Ausländer, gepaart mit einer liberalen Wirtschaftsordnung, die auf Eigenverantwortung baut und Leistung belohnt.

5. Ein massvolles Gesetz

Also: Nicht die zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte, welche in der Schweiz ordnungsgemäss eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, sind Stein des Anstosses: Nein, all jene, die sich ungerechtfertigt, illegal in unserem Land aufhalten, mit schlimmen Belastungen für Bund, Kantone und Gemeinden. Zeit, Kraft, Geld werden verbraucht. Behörden, Gerichte, Gefängnisse, soziale Dienste unnötig stark belastet. Das soll sich ändern.

Im September stimmen wir nun über ein neues Ausländergesetz ab. Dieses regelt im Wesentlichen, unter welchen Voraussetzungen die nichteuropäischen Bürger eine Arbeitsbewilligung beantragen und unter welchen Voraussetzungen sie den Familiennachzug geltend machen können. Ebenso soll mit neuen Regelungen die illegale Einreise wie auch der illegale Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern bekämpft werden.

Dabei müssen wir eines beachten: Mit der Personenfreizügigkeit gegenüber der EU haben theoretisch ab 1. Mai 2011 450 Millionen Menschen die Möglichkeit hier zu wohnen und zu arbeiten. Da versteht es sich doch von selbst, dass völlig offene Grenzen gegenüber allen Staaten der Welt nicht in Frage kommen können. Eine totale Personenfreizügigkeit würde unser ganzes Sozialsystem kollabieren lassen. Eine verantwortungsvolle Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung sieht anders aus.

6. Ausgangslage im Asylwesen

Heute nimmt die Schweiz jährlich etwa 1’500 an Leib und Leben verfolgte Flüchtlinge aus der ganzen Welt auf Unsere humanitäre Tradition gegenüber Flüchtlingen bestreitet keiner. Und das soll und wird auch so bleiben. Aber, meine Damen und Herren, was wir nicht gelöst haben, sind die enormen Missbräuche, die im Bereich Asylwesen wuchern.

Über 85 Prozent aller Asylsuchenden sind keine Flüchtlinge.

Viele davon möchten vom hohen Lebensstandard in der Schweiz profitieren. Sie leben von der Sozialhilfe und sind nicht selten in einträgliche Schleppergeschäfte und die organisierte Kriminalität, namentlich in den Drogenhandel, verwickelt.

Das ist Asylrechtsmissbrauch. Nichts anderes. Ich will Ihnen die Verhältnisse an einem Beispiel verdeutlichen: Im Kanton Zürich sind bei einem Bestand von 4’250 Asylbewerbern letztes Jahr 1’258 Personen der Justiz übergeben worden. Das entspricht fast dreissig Prozent!

7. Missbräuche bekämpfen…

Bis vor wenigen Jahren wurden diese Missbräuche von vielen Politikern rundweg bestritten – und noch heute gibt es Kreise, die diese unschöne Wirklichkeit leugnen oder verdrängen. Doch diese Probleme müssen ernsthaft angegangen werden, wenn man die Flüchtlingstradition wahrnehmen will. Viel zu hoch ist auch der Bestand im Vollzugsprozess. Und hier zeigt sich das Hauptproblem: Der Grossteil der Asylsuchenden kommt ohne gültige Reisepapiere.

Warum ist das so? Weil derjenige, der seine Papiere nicht vorweist gegenüber den anderen im Vorteil ist, weil die Abklärung der Identität sehr viel Zeit beansprucht. Auch dieser Asylbetrüger handelt eigentlich ganz nach den Gesetzen der Ökonomie, indem er versucht, durch sein Verhalten für sich den grösstmöglichen Nutzen herauszuholen.

Aber was sind die Folgen? Das Verfahren wird verzögert, der Aufenthalt verlängert und die Schweiz zahlt darüber hinaus Sozialhilfe. Selbst wenn das Gesuch negativ entschieden wird, kann die Person das Land noch lange nicht verlassen, da ihm die Dokumente fehlen oder weil sie sich schlicht weigert, freiwillig zurückzureisen. Dazu kommen die unzähligen Rekurse und Wiedererwägungsverfahren. Dumm sind nicht diejenigen, die dieses System ausnützen, sondern diejenigen, die dieses System zur Verfügung stellen. Darum ändern wir die gesetzlichen Grundlagen.

Es soll nicht mehr wie bis anhin profitieren, wer seine Identität verschleiert und verleugnet oder mit den Behörden nicht kooperiert. Wer seine Papiere nicht innerhalb von 48 Stunden besorgen kann (oder glaubhaft nachweisen kann, warum sie nicht zu beschaffen sind), erhält einen Nichteintretensentscheid. Ich glaube, jeder echte Flüchtling ist bereit, seine Herkunft offen zu legen und konstruktiv mitzuwirken. Das sind keine unverhältnismässigen Forderungen. Und es ist auch tatsächlich so, dass von den anerkannten Flüchtlingen die grosse Mehrheit (rund 70 Prozent) mit gültigen Papieren einreist. Auch in Zukunft gilt nach wie vor: Wirklich an Leib und Leben Verfolgte werden weiterhin als Flüchtlinge aufgenommen, ob mit oder ohne Papiere.

8. … auch mit ökonomischen Mitteln

Ich will Ihnen auch hier ein kurzes Beispiel geben, wie bei der Lösung des Problems mit ökonomischen Mechanismen gearbeitet werden kann. Es ist so, dass auch eine erstaunlich grosse Zahl von Asylbewerbern ohne Papiere bequem mit dem Flugzeug eingereist ist. Jetzt weiss jeder, der schon einmal geflogen ist, keiner kommt ohne gültige Reisedokumente in ein Flugzeug. Aber er kommt ohne Papiere raus. Das heisst, die Ausweise werden auf dem Weg zur Kontrolle vernichtet. Das neue Gesetz sieht vor, dass die Fluggesellschaften verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass dies nicht vorkommt. Sonst müssen sie die Leute wieder – gratis – zurücknehmen und bei wiederholten Vorfällen werden Bussen gesprochen. Sie können sicher sein, diese Massnahmen werden greifen. Weil auch die Fluggesellschaften eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen werden.

Generell sollte man bei der Bekämpfung von Asylmissbräuchen die Marktmechanismen studieren. Die Gesetze von Markt und Ökonomie spielen auch in der Verbrechenswelt. So kommt die grosse Mehrzahl der Asylsuchenden – vor allem die unrechtmässigen – mit Hilfe von Schleppern in die Schweiz. Das heisst, sie bezahlen Tausende Franken, damit sie in unser Land geschleust werden. Diese Asylbewerber sind – wenn Sie so wollen – Kunden eines kriminellen Dienstleisters.

Aber auch hier gilt: Die Dienstleistung muss für den Kunden stimmen. Oder umgekehrt, aus der Sicht des betroffenen Staates, müssen wir uns fragen: Wie können wir den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen? Ganz einfach: Wenn die Kosten für die illegale Einreise höher liegen als die erhofften Profite. Wenn ein Asylrechtsmissbraucher innerhalb weniger Wochen wieder in seinem Dorf ankommt ohne Geldmittel, ist der „Kunde“ unzufrieden und der Dienstleister wird keine oder wenigstens viel weniger neue Kunden gewinnen, weil sich die Unzufriedenheit schnell herumspricht. Was wir also brauchen – und dieser Ansatz versucht das Asylgesetz einzulösen – was wir brauchen, sind schnelle Verfahren und bei negativen Asylentscheiden soll nur Nothilfe – also minimale Unterkunft und Lebensmittel – geleistet werden. Nur so können wir die Attraktivität senken, nur so können wir die Profite der organisierten Kriminalität effektiv bekämpfen und damit dem Problem an die Wurzel gehen.

9. Verhängnisvolle Scheinlösungen

Nehmen wir als weiteres Beispiel die Frage der Illegalen. Natürlich ist ihr Schicksal herzerweichend. Natürlich ist man versucht, deren Lage zu verbessern, indem man sie in einer generellen Amnestie naturalisiert, also ein Bürgerrecht vergibt. Nur lösen Sie damit das Problem der Illegalität nicht. Denn auch hier funktioniert ein Markt. Viele dieser Menschen werden beispielsweise als Hilfskräfte in Haushalten oder in ganz kleinen Betrieben beschäftigt (grosse Unternehmen dürfen sich solche Fälle nicht erlauben). Wenn nun ein illegales Hausmädchen naturalisiert wird, damit sie eine ordentliche Anstellung auf Mindestlohnniveau bekommt, wird sie sicher nicht mehr für diese vielleicht tausend Franken monatlich (plus Kost und Logis) arbeiten können. Also muss sie die Stelle aufgeben. Aber der Bedarf bleibt, der Markt ist trotzdem vorhanden, folglich rückt eine andere Person für sie nach.

Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, weshalb gerade Spanien als Hauptdestination dieser afrikanischen Bootsflüchtlinge ausgesucht wurde. Es ist nicht nur die geographische Nähe, sondern Spanien hat kürzlich in einem Akt, Zehntausende Illegale naturalisiert. Damit hat das Land ein doppeltes Signal ausgesendet: Erstens, nährt es die Hoffnung, auf eine abermalige Amnestie. Zweitens, die wohl konkretere Hoffnung, denken sich die illegalen Zuwanderer, sie könnten die nun in diesem Markt freigewordenen Stellen besetzen. Ein solcher Markt lässt sich nie ganz austrocknen, es sei denn, Sie wollen einen totalen Sicherheits- und Überwachungsstaat – damit zerstören Sie aber gleichzeitig die Freiheit und Demokratie in einem Land. Das wäre völliger Unsinn.

10. Fazit

Wir haben als Staat ein Interesse, an einem möglichst freien Personenverkehr. Andererseits braucht es Regeln und Kontrollen, wenn es um die Immigration geht. Wer das nicht sehen will, drückt sich vor der Verantwortung. Wir können nicht gleichzeitig einen Sozialstaat pflegen und die Grenzen für alle öffnen. Das lässt sich nicht vereinbaren. Sie können mir glauben, als ehemaliger Industrieller weiss ich sehr wohl um die Vorzüge einer totalen Freizügigkeit. Aber wir müssen das Ganze sehen. Wir haben die Verantwortung zu tragen und darum auch Entscheidungen zu treffen, die im Einzelfall schwierig sind, aber gerechtfertigt.

Die politische Herausforderung besteht darin, legitime Bedürfnisse – freier Personenverkehr und kontrollierte Zuwanderung – auszubalancieren und darüber hinaus, die humanitäre Tradition zu wahren. Das können wir nur, indem wir Regelungen finden, die unser Staat gesellschaftlich und volkswirtschaftlich tragen kann und indem wir die Missstände angehen, damit die Bereitschaft, echte Flüchtlinge aufzunehmen, in der Bevölkerung verankert bleibt. Die beiden Gesetzesvorlagen versuchen diesen Bedürfnissen und Anliegen gerecht zu werden.

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