Die Kantone im Kampf um Arbeitsplätze und Steuerzahler

Rede von Bundesrat Christoph Blocher vom 5. Mai 2006 am SVP-Anlass in der Zentralschweiz, Restaurant Casino in Zug

05.05.2006, Zug

Zug, 05.05.2006. Anlässlich des SVP-Anlasses in der Zentralschweiz äusserte sich Bundesrat Christoph Blocher positiv über den Entschluss des Kantons Obwalden, mit einem neuen Steuergesetz eigene Wege im Kampf um Arbeitsplätze und Steuerzahler zu gehen. Für eine wettbewerbsfähige Schweiz gelte es, fünf Grundsätze zu beachten.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

1. Ein Schrei geht durch das Land

Vor einigen Monaten hat der Kanton Obwalden in gut demokratischer Weise ein neues Steuergesetz beschlossen. 86 Prozent der Stimmberechtigten stimmten der Vorlage zu. Das Ziel war, Obwalden zu einem steuerlich attraktiven Kanton zu machen, so dass sich neben guten Steuerzahlern vor allem auch Firmen ansiedeln, um dem Kanton Arbeitsplätze, wirtschaftliches Wachstum und Wohlfahrt für alle zu bringen!
Was ist daraufhin passiert? Ein Schrei geht durch das Land! Kantone, die durch eine Hochsteuerpolitik und ein schlechtes Finanzgebaren den Weg Obwaldens nicht gehen wollen, sprechen von Wettbewerbsverzerrung. Politiker von links bis weit ins bürgerliche Lager hinein kritisierten diesen Schritt und schliesslich glaubte auch die EU, die kantonale Steuerhoheit in der Schweiz tadeln zu müssen! Warum wohl? Es ist klar, wenn einer etwas besser macht, dann schimpfen alle, weil sie Angst haben, sie würden gezwungen, es dann auch besser zu machen. Dann pfeift man lieber den Tüchtigen zurück.

Ein Kanton hat sich erfrecht, eigene Wege im Kampf um Arbeitsplätze und Steuerzahler zu gehen. Vor Obwalden sind schon andere Kantone in der Zentralschweiz – Zug, Nidwalden, Schwyz – ähnliche Wege gegangen. Mit Erfolg!

2. Historische Würdigung

Nicht nur wegen diesen steuergesetzlichen Pioniertaten bin ich gerne Gast in der Zentralschweiz. Ich mag den eigenwilligen, widerständigen Geist, der hier durch die Berge weht. Mir gefällt diese Gegend auch aus historischen Gründen: Sie erinnert uns an die Ursprünge der Eidgenossenschaft. An den Freiheitskampf der alten Schweizer. Die eigenwilligen – weltweit modernen – Steuergesetzentscheide knüpfen wohl an diesen Freiheitskampf an. Nämlich sich von den Fesseln der „Steuervögte“ zu befreien.

Im Nachbarkanton Schwyz steht bekanntlich ein Ableger des Landesmuseums. Dort befindet sich der Bundesbrief von 1291. Viele Leute erschraken, als sie erfuhren, dass dieser Bundesbrief im Original an eine Ausstellung in die USA gehen sollte. Man begreift diese Sorge, denn der Bundesbrief ist nicht irgendein ersetzbarer Vertrag, sondern die Gründungsurkunde der drei Waldstätte und damit gleichsam der Geburtsbrief der Schweiz.

Geht der Bundesbrief verloren, wären wir alle wieder Habsburger, d.h. als deren Nachfolger wären wir Österreicher… Wollen wir das wirklich? Gut, wir gehörten dann vielleicht wieder zu den weltbesten Skifahrern, aber – und das wäre wohl das Verhängnisvolle – wir wären auch umgehend Mitglied der Europäischen Union. Was nicht nur dem Freiheitsgedanken der Innerschweiz, sondern dem Weg der Schweiz überhaupt widersprechen würde.

Doch Spass beiseite: Es tut gerade uns Politikern gut, die Erinnerung an die 700jährige Geschichte der Schweiz wach zu halten. Es war der tief eingepflanzte Widerwille vor fremden Richtern und fremden Herrschern, der den schweizerischen Unabhängigkeitsdrang immer speiste. Es ist die Selbstbestimmung des Staates, die sich in der Eigenverantwortung seiner Bürger widerspiegelte, die unser Land so erfolgreich werden liess. Wir täten gut daran, diesen Werten noch heute zu folgen. Denn ein Staat ohne Geschichte, ohne ein gemeinsames Bekenntnis, ohne eine tiefere Bestimmung ist ein seelenloser Staat. Ein Staat, der seine Geschichte nicht achtet, wird auch von anderen Staaten und Völkern nicht geachtet.

3. Erfolgsrezept Föderalismus

Unser Land ist im Gegensatz zu fast allen Staaten Europas nicht durch einen Fürsten oder König erobert und zusammengeschweisst worden. Es ist vielmehr aus dem freiwilligen Zusammenschluss autonomer und sehr unterschiedlicher „Völker“ – wie es in der früheren Bundesverfassung noch hiess – entstanden. Die Kantone haben sich im Laufe von mehr als 600 Jahren zu einem Bundesstaat, zu einer föderalen Schweiz zusammengefügt. Die Schweizer wollten so ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit sichern und für ihr eigenes Wohlergehen sorgen! Sie schufen eine Alternative zu den anderen europäischen Nationalstaaten – die meisten waren bei der Gründung des schweizerischen Bundesstaates noch Monarchien. Die Schweiz ist ein Bildnis selbständiger Kantone. Die Schweiz ist eine Willensnation, in welcher der Föderalismus – schon aus historischen Gründen – der einzige Weg ist, um in Einheit zu leben. Der Föderalismus ist wesensnotwendig für unser Land und es gilt, zu ihm Sorge zu tragen.
Ich bin auch aus anderen Gründen für einen föderalistischen Staat.

* Der Föderalismus gewährt die höchstmögliche direktdemokratische Mitbestimmung in einem überblickbaren Raum.
* Der Föderalismus, d.h. das Prinzip der möglichst autonomen Einheiten, ist ein vielfach erprobtes Erfolgsrezept! Das gilt übrigens auch in der Unternehmensführung!
* Der Föderalismus weist eindeutig Verantwortungen zu in klar überschaubaren Einheiten. Es ist kein Zufall, dass Politiker gerne aus dieser Struktur ausbrechen wollen in grössere, am liebsten übernationale Gebilde. In diesen Grossgebilden sind zwar alle für alles, aber niemand für etwas verantwortlich. Darum kann das auf die Dauer nicht funktionieren.
* Föderalismus macht aber nur Sinn, wenn die kleine Einheit, d.h. hier die Kantone, über eine möglichst grosse Autonomie verfügen. Das betrifft besonders die Steuerhoheit.

4. Der Wettbewerb führt zu Besserem

Wie der Titel meines heutigen Referats sagt: Die Kantone stehen im Kampf um Arbeitsplätze und Steuerzahler. Das ist so und diese Beschreibung klingt weit martialischer, als sie in Wahrheit ist. Unser föderalistisches System ermöglicht den Wettbewerb zwischen den Kantonen, ja sogar zwischen den Gemeinden. Volkswirtschaftlich gesehen gehört dieser Wettbewerb zu den grossen Standortvorteilen der Schweiz. Denn er zwingt die Politik besser zu arbeiten.

Lassen Sie sich durch das veranstaltete Lamento der Verliererkantone bzw. der Wettbewerbsgegner nicht beirren. Der Kampf um Steuerzahler und Arbeitsplätze heisst nicht, dass es beispielsweise nur eine bestimmte Summe von guten Steuerzahlern gibt, die nun wie Nomaden immer dem besten Steuersatz nachreisen.

Erstens, orientiert sich jeder Bürger auch an anderen Kriterien als dem Steuersatz.

Zweitens – und das ist entscheidend: Ein gutes Steuerklima schafft wirtschaftliches Fortkommen, Arbeitsplätze, Wohlfahrt, Reichtum und damit mehr neue, gute Steuerzahler.

Dieser Wettbewerb ist aktueller denn je. Nicht nur die Kantone, auch die Schweiz steht unter dem Wettbewerbsdruck der Globalisierung. Neue Länder drängen in den Markt, werden Wettbewerber.

Ein freisinniger Nationalrat hat einmal gesagt: Das Hochlohnland Schweiz kann sich deshalb behaupten, weil wir eine Stunde frührer aufstehen als alle anderen. Diese Aussage liegt einige Jahre zurück. Wie ist es heute? In vielen Ländern stehen die Leute mittlerweile auch eine Stunde früher auf und in manchen Ländern arbeiten sie abends dazu noch eine Stunde länger. Glücklicherweise hat der Föderalismus die Schweiz einigermassen wettbewerbstauglich erhalten können.

Darum kämpfen heute alle um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Die mangelnde Beschäftigung ist die Herausforderung unserer Tage. Gerade westliche Wohlfahrtsstaaten leiden unter einer teilweise erschreckend hohen Arbeitslosigkeit. Diese ist meist hausgemacht: Ein überregulierter Arbeitsmarkt. Zu hohe Lohn- und Lohnnebenkosten. Viele Arbeitslose unter den Zugewanderten und deren Nachkommen.

Umso wichtiger ist ein griffiges Ausländergesetz, das wenigstens die Zuwanderung aus den Nicht-EU-Staaten regelt. Es sollte doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir unsere Zuwanderungspolitik am Interesse der ansässigen Bevölkerung ausrichten. Dass wir versuchen, die Immigration einigermassen unter Kontrolle zu bringen, hat nichts mit Abschottung zu tun, sondern mit der Tatsache, dass wir in einem Sozialstaat leben, der für viele Zugewanderte attraktiver ist, als sich im Arbeitsmarkt zu behaupten. Hier sind wir verpflichtet, die Anreize richtig zu setzen.

Noch erschrecken uns in der Schweiz keine Bilder im Stil der französischen Vororte. Doch es wäre blauäugig, die Anzeichen zu verkennen. Gewalt, Jugendarbeitslosigkeit, mangelhafte Sprachkenntnisse sind auch bei uns ein Thema, gerade bei Jugendlichen mit bestimmten familiären und kulturellen Hintergründen.

5. Wettbewerbsfähig bleiben

Der Staat setzt den Wettbewerb in den von ihm kontrollierten Bereichen nicht um. Aber überall sonst: Er redet viel von Wettbewerb, nämlich dem Wettbewerb unter Privaten. Im eigenen Bereich lässt der Staat aber keinen Wettbewerb zu. Das ist verständlich, denn man hat sich stets mit dem Besseren, dem Tüchtigeren zu messen. Das zwingt jeden dazu, es noch besser zu machen. Das gilt auch für den Wettbewerb unter den Kantonen. Auch wenn Politiker und die Verwaltung den Wettbewerb scheuen wie der Teufel das Weihwasser: der Wettbewerb ist notwendig, auch der Wettbewerb der Systeme zwischen Kantonen und Ländern. Harmonisierung und Ausgleich sind zwar angenehm, aber sie zerstören die lebendige Ungleichheit, die eben durch eine freiheitliche Ordnung entsteht. Eigenständiges Handeln wird verfemt mit Begriffen wie „Kantönligeist“ oder „nationalstaatlicher Egoismus“. Dabei kann nur auf der Basis der Eigenständigkeit erfolgversprechend gearbeitet werden.

Gleichheit darf kein Ziel sein. Wer Gleichheit durchsetzen will, kann dies nur gegen das Leben tun. Ungleichheit ist eine Vorbedingung und eine Folge von Lebendigkeit und Dynamik. Je mehr Gleichheit wir in unserem föderalistischen System schaffen, desto mehr wird die Vitalität des Föderalismus erstickt.

6. Aufgabe der Kantonalparteien

Bei der Staatsgründung 1848 war der Föderalismus ein etwas wild wuchernder, aber durchaus kräftiger Baum. In den letzten 157 Jahren hat man ihn immer wieder zurückgestutzt. Im Moment kommt der Baum – oder muss ich mittlerweile von einem Bonsai sprechen? – vor lauter Zurückstutzen gar nicht mehr richtig zum Blühen.

Die Zentralschweiz hat hier Kontrapunkte gesetzt. Obwalden ist das letzte, mutige und konsequente Beispiel. Glücklicherweise gibt es noch Kantone in diesem Land, die ihren Spielraum erkennen und ausnützen. Nur so bewegt sich die Schweiz als Ganzes. Die teilweise harschen Reaktionen zeigen, dass das neue Obwaldner Steuergesetz eine empfindliche Stelle getroffen hat.

Von dem beleidigten Gejammer sollte man sich nicht beirren lassen. Viel wichtiger ist, dass hier ein heilender Prozess ausgelöst wurde. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns an den dynamischen Kantonen ausrichten. Die Harmonisierungsbestrebungen laufen nämlich immer in die andere Richtung. Dort orientiert man sich am Schwachen. Das bringt ein Staat volkswirtschaftlich nicht voran. Es ist eine Illusion zu glauben, der Schwache werde stärker, wenn man den Starken schwächt.

7. Der Weg des Kantons Obwalden

Doch zurück zu Obwalden. Was hat dieser kleine, bisher kaum beachtete Bergkanton getan?

Als erster Schritt: Die Schulden abgebaut. Sie mögen jetzt einwenden, mit dem Nationalbankgold sei das nicht so schwierig gewesen. Das stimmt. Aber es war trotzdem der einzig richtige Entscheid und immerhin hat Obwalden der Versuchung widerstanden, das „Sondergeld“ für irgendwelche „Sonderausgaben“ zu verwenden.

Als zweiter Schritt hat die Regierung ihre Ausgaben stabilisiert. Nicht gekürzt. Aber immerhin praktisch auf der Basis der Teuerung eingefroren. Hier braucht es schon mehr Standhaftigkeit. Und man darf sich ruhig fragen, woher der Wille kommt, auch auf der Ausgabenseite anzusetzen. Ganz so freiwillig macht das nämlich keine Regierung. Dazu braucht es – so meine ich – eine unbequeme SVP im Nacken. In allen Kantonen und Gemeinden. Eine starke, aktive, auch oppositionelle SVP kann hier am meisten bewirken. Der Epochenwechsel in Obwalden geht einher mit der erfolgreichen Umsetzung der SVP-Initiative, die Regierung auf fünf Mitglieder zu verkleinern. Die Exekutive hat diese Systemänderung als Chance begriffen.

Der dritte Schritt war schliesslich die angesprochene Verabschiedung eines neuen Steuergesetzes. Dieses hat man von der Urne bestätigen lassen und tatsächlich stimmte eine überwältigende Mehrheit von 86 Prozent für die steuerliche Entlastung.

Natürlich fühlten sich träge Kantone übervorteilt. Aber so funktioniert der Wettbewerb: Er zwingt jemanden, besser, kostengünstiger, effizienter zu sein, als er ist oder sein will. Wenn der andere nicht mitzieht, wird er überrundet. Im Wirtschaftsleben läuft Trägheit auf einen Konkurs hinaus. In politischen Gebilden kann der Konkurs leider mit Verschuldung und neuen Steuern noch auf Jahre hinaus vertuscht werden.

Was uns Obwalden wieder gelehrt hat: Wer tätig ist, ist immer ein Affront gegenüber den Untätigen. Doch der mediale Aufschrei soll als das gewertet werden, was er eigentlich ist: ein Kompliment.

8. Fünf Grundsätze für eine wettbewerbsfähige Schweiz

Dass sich die Schweiz auch innerhalb ihrer Grenzen bewegt, ist nur durch eine möglichst föderalistische Struktur möglich. Darum gilt es folgende fünf Grundsätze zu beachten.

1.
Anstatt den Kantonen und Gemeinden mit immer neuen Bundesbeiträgen zu Hilfe zu eilen, sollte der Bund mit einem Abbau seiner Aufgaben und seiner Steuerlast die finanziellen Spielräume der Kantone und Gemeinden erhöhen.
2. Anstatt der Vereinheitlichung und Harmonisierung das Wort zu reden, ist der Wettbewerb der Systeme zu fördern. Nur der Föderalismus schafft diesen Freiraum.
3. Anstatt „Zusammenwirken“ und „Mitverantwortung“ zu propagieren, ist die Eigenständigkeit in den Vordergrund zu rücken. Das muss auch unser Leitprinzip sein, wenn es um unser Verhältnis zur EU geht.
4. Es war Konrad Adenauer, der gesagt hat, dass die Linken nichts vom Geld verstünden, ausser wie man es den anderen abnimmt. Nur ein Wettbewerbssystem kann dieser Zwangsumverteilung entgegen wirken.
5. Lassen Sie sich nicht von der moralistischen Front unter Druck setzen. Wer für den Wettbewerb und für die Marktwirtschaft eintritt, wird heute in ein schiefes Licht gerückt. Das ist zum Einen ein verheerendes gesellschaftliches Signal. Und zum anderen völlig falsch: Sozial ist, wer Arbeit schafft und für sich und seine Nächsten sorgt.

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