Agenda 2006

Rede von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich der 18. Albisgüetli-Tagung der Zürcher SVP am 20. Januar 2006 im Schützenhaus Albisgüetli, Zürich

20.01.2006, Zürich

Zürich, 20.01.2006. An der diesjährigen Albisgüetli-Tagung sprach Bundesrat Christoph Blocher über drei Vorlagen, die das Innerste unseres Staatsverständnisses beträfen: das revidierte Ausländergesetz, das Asylgesetz und die Swisscom. Er rief die Zuhörer auf, für alle drei Vorlagen die Ja-Parole im Interesse von Land und Volk und im Interesse einer verantwortungsvollen Politik zu vertreten.

Statement von Bundesrat Christoph Blocher vom 29. März 2006 zur Aufregung um die Abligsgüetlirede 2006 (s. unten schriftliche Fassung): „Es geht um eine kurze Passage in meiner Albisgüetlirede 2006. In der schriftlichen Fassung wurden zwei Albaner korrekterweise als schwerer Verbrechen Angeklagte bezeichnet. In der mündlichen Fasssung habe ich an einer einzigen Stelle statt von mutmasslichen Kriminellen von Kriminellen gesprochen. Das war ein Fehler, der mir leid tut. Es war ein sprachliches Versehen. Nie war es meine Absicht, die Albaner als verurteilte Kriminelle hinzustellen.“

I. Die Albisgüetli Tagung

Als vor bald zwanzig Jahren die Albisgüetli-Tagung geschaffen wurde, dachten die Gründer nie daran, dass diese politische Veranstaltung in der Schweiz eine solche Bedeutung bekommen würde. Der Skeptiker waren viele: Man dachte schaudernd an Wahlveranstaltungen mit Politikern, an denen manchmal mehr Podiumsteilnehmer als Zuhörer zugegen waren.

Doch alles kam anders: Die Albisgüetli-Tagung ist heute eine landesweit bekannte, politische Institution im besten Sinne des Wortes. Sie darf sich auch dieses Jahr wieder rühmen, wie mir die Organisatoren mitteilten, bereits am ersten Tag sämtliche 1’400 Sitzplätze ausverkauft zu haben. Trotz eines stolzen Eintrittspreises von siebzig Franken.

II. Die Anliegen von Volk und Land im Mittelpunkt

Was dient dem Land und Volk? Was beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger? Was erwarten die Menschen zu Recht von der Politik? Diesen Fragen haben wir uns stets neu zu stellen.

Wir wissen heute aus dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten, dass die sozialistische Politik Wohlstand und Beschäftigung zerstört. Wir wissen aber auch, dass der Sozialismus ein süsses Gift ist und sich schleichend wieder breit macht. Auch in den westlichen Industriestaaten. Auch in der Schweiz. Der Sozialismus ist das Gegenteil von Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Er behindert die Wirtschaft und zerstört damit Arbeitsplätze. Darum ist die Ordnungspolitik so wichtig: Weniger Regulierungen, weniger Steuern, weniger Abgaben und Gebühren! Das muss im Mittelpunkt stehen. Kämpfen Sie standhaft gegen den überbordenden Staatshaushalt und dessen Folgen. Staatseingriffe führen immer zu höheren Steuern und Abgaben, und darin liegt der Hauptgrund, wenn Arbeitsplätze vernichtet werden.

Was wünschen sich die Schweizerinnen und Schweizer von der Politik? Zum Beispiel Sicherheit. Auf der Strasse. In der Schule.

Sie fordern auch ein Ende der illegalen Einwanderung und der allgegenwärtigen Missstände in unserer verbürokratisierten Asylpolitik. Sie wollen Schutz vor der daraus resultierenden Kriminalität.

Die Unternehmen, die Klein- und Mittelbetriebe, ächzen unter den staatlichen Auflagen, unter den Regulierungen, unter den Gebühren und Steuern. All diese Sorgen und Probleme haben wir in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen.

Seien es wir Bundesräte, seien es andere Politiker, oder seien es Sie als Partei. Jeder ist an seinem Ort und auf seine Weise verpflichtet, Volk und Land zu dienen.

Da das Albisgüetli immer eine Veranstaltung zum Jahresauftakt ist, sind wir jeweils aufgefordert, in die Zukunft zu schauen. So will ich denn, meine Damen und Herren, auch heute wieder fragen: Was wird uns in diesem neuen Jahr vor allem beschäftigen?

Im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung dürften im Wesentlichen zwei grosse Themen stehen: Zum einen das neue Ausländergesetz und das revidierte Asylgesetz, zum andern die Verselbständigung der Swisscom. Für alle Vorlagen sind Referenden angekündigt. Alle Vorhaben werden grosse, grundsätzliche Auseinandersetzungen auslösen.

III. Das neue Ausländergesetz

Die Ausländer- und Asylpolitik beschäftigt die Schweizerinnen und Schweizer seit Jahren. Nicht die zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte, welche in der Schweiz ordnungsgemäss eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, nicht die Aufnahme von echten Flüchtlingen sind Stein des Anstosses:

Nein, all jene, die sich ungerechtfertigt oder gar illegal in unserem Land aufhalten, mit schlimmen Belastungen für Bund, Kantone und Gemeinden. Zeit, Kraft, Geld werden verbraucht. Behörden, Gerichte, soziale Dienste unnötig stark belastet. Das soll sich ändern.

Es ist das Anliegen jedes Staates, für seine Bürger zu sorgen. Darum bestimmt heute auch jede Regierung auf dieser Welt, wann Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung erhalten – und wann eben nicht. Die Schweiz hat mit einem Ausländeranteil von 21,7 Prozent (Ende 2004) einen der höchsten Ausländeranteile unter den westeuropäischen Staaten! Trotzdem kennt unser Land keine gettoähnlichen Vorstädte mit schwerwiegenden Ausschreitungen und fremdenfeindlichen Übergriffen. Das verdanken wir vor allem einer funktionierenden Wirtschaft, welche es fertig bringt, überhaupt so viele Menschen zu beschäftigen und damit auch zu integrieren. Trotz des hohen Ausländeranteils blieb die Arbeitslosigkeit in der Schweiz in den letzten Jahren eine der niedrigsten in Europa.

Daneben gehören das Lohnniveau und die Kaufkraft zu den höchsten weltweit. Zu dieser hervorragenden Bilanz beigetragen hat die seit den 70er Jahren bewährte restriktive Ausländerbestimmung, die einerseits den Inländern Vorrang zugestand und – namentlich in Zeiten wirtschaftlicher Überhitzung – die Höchstzahl neuer ausländischer Arbeitskräfte beschränkte.

Nach dem Ja zum freien Personenverkehr mit den EU-Staaten werden nach Ablauf einer besonderen Schutzklausel die EU-Bürger bezüglich des Arbeitsmarktes weitgehend den Schweizer gleichgestellt. Die Folgen dieser Personenfreizügigkeit sind noch ungewiss. Die Chancen und Risiken wurden im Abstimmungskampf dargelegt.

Dieses Jahr stimmen wir nun über ein neues Ausländergesetz ab. Dieses regelt im Wesentlichen, unter welchen Voraussetzungen die nichteuropäischen Bürger eine Arbeitsbewilligung beantragen und unter welchen Voraussetzungen sie den Familiennachzug geltend machen können. Ebenso soll mit neuen Regelungen die illegale Einreise wie auch der illegale Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern bekämpft werden.

Eigentlich ist es doch für jedermann verständlich, dass die Schweiz ihre Grenzen nicht für alle Menschen aus der ganzen Welt offen halten kann.

Nach der sehr grosszügigen Lösung gegenüber den EU-Bürgern (450 Mio. haben theoretisch die Möglichkeit hier zu wohnen und zu arbeiten) versteht es sich doch von selbst, dass völlig offene Grenzen gegenüber allen Staaten der Welt nicht in Frage kommen können, wie dies die SP und die grünen Parteien wollen. Sie bekämpfen deshalb das neue Ausländergesetz. Sie plädieren somit für eine totale Personenfreizügigkeit. Eine solche globale Öffnung würde unser ganzes Sozialsystem kollabieren lassen.

Die SVP hat zusammen mit einer Mehrheit von FDP und CVP hier eine verantwortungsvolle Lösung gefunden: Die Bewilligung soll sich bei den aussereuropäischen Ländern vor allem auf Hochqualifizierte und Spezialisten beschränken und äusserst restriktiv gehandhabt werden.

IV. Zum revidierten Asylgesetz

Einen anderen Bereich regelt das ebenfalls zur Abstimmung kommende revidierte Asylgesetz.

Die Schweiz hat nie nur jenen Menschen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, nach denen unser Arbeitsmarkt verlangte. Wir haben stets auch Leute aufgenommen, die in ihrem eigenen Land an Leib und Leben verfolgt waren. Natürlich gab es früher für diese Menschen keine Sozialleistungen oder andere Unterstützungen durch den Staat. Aber man liess sie einreisen und sie wurden von Privaten beherbergt und haben sich dann schnell selbst zu helfen gewusst. Denken Sie an alle die Glaubensflüchtlinge in der Reformationszeit, etwa die Hugenotten. Es waren tüchtige Leute. Auf sie gehen ganze Industriezweige der Schweiz zurück.

Ein weiteres Beispiel: 1871 fanden 87’000 Soldaten der geschlagenen Bourbaki-Armee Zuflucht in der Schweiz, womit die Einwohnerzahl unseres Landes innerhalb von drei Tagen um drei Prozent anstieg!

Auch im Zweiten Weltkrieg gewährte die Schweiz Verfolgten Schutz. Trotz Unzulänglichkeit der Behörden hat kein Staat der Welt im Krieg mehr Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen als unser Land.

Später kamen Menschen aus den kommunistischen Staaten. Ich verweise auf die Ungarn, die vor 50 Jahren in der Schweiz Zuflucht fanden.

Auch heute nimmt die Schweiz jährlich etwa 1’500 an Leib und Leben verfolgte Flüchtlinge aus der ganzen Welt auf und gewährt rund 4’000 konkret gefährdeten Personen eine vorläufige Aufnahme. Unsere humanitäre Tradition gegenüber Flüchtlingen bestreitet keiner. Und das soll und wird auch so bleiben.

Aber, meine Damen und Herren, was wir nicht gelöst haben, sind die enormen Missbräuche, die im Bereich Asylwesen wuchern. Über 85 Prozent aller Asylsuchenden sind keine politischen Flüchtlinge. Viele davon möchten vom hohen Lebensstandard in der Schweiz profitieren.

Sie leben von der Sozialhilfe und sind nicht selten in einträgliche Schleppergeschäfte und die organisierte Kriminalität, namentlich in den Drogenhandel, verwickelt. Das ist Asylrechtsmissbrauch. Nichts anderes.

Bis vor zwei Jahren wurden diese Missbräuche von vielen Politikern rundweg bestritten – und noch heute gibt es Kreise, die diese unschöne Wirklichkeit leugnen oder verdrängen.

Doch diese Probleme müssen ernsthaft angegangen werden, wenn man die Flüchtlingstradition wahrnehmen will. Erste Erfolge konnten bereits durch eine konsequente Praxis erzielt werden. So ist die Zahl der neuen Asylgesuche im vergangenen Jahr um mehr als 29 Prozent zurückgegangen; ein stärkerer Rückgang als in vergleichbaren Staaten der EU. Viel zu hoch ist der Bestand allerdings im Vollzugsprozess. Die bereits erreichte Reduktion um ebenfalls rund 29 Prozent reicht nicht. Das Hauptproblem ist nach wie vor: Der Grossteil der Asylsuchenden kommt ohne gültige Reisepapiere.

Es sind nicht in erster Linie die echten Flüchtlinge, die an Leib und Leben bedroht sind, die keine Papiere auf sich tragen, sondern vor allem diejenigen, die keine echten Asylgründe haben. Sie haben ihre Pässe oft versteckt, weggeworfen oder vernichtet. Warum?

Weil im heutigen Asylverfahren derjenige, der seine Papiere versteckt oder vernichtet, gegenüber demjenigen, der sich korrekt verhält und seine Papiere vorweist, im Vorteil ist. Wird auf das Gesuch nämlich nicht eingetreten oder nach einer materiellen Prüfung abgelehnt, bleibt die Person häufig doch im Land, da sie in der Regel nicht freiwillig zurückreist und die Behörden sie wegen der fehlenden Dokumente nicht in ihr Heimatland zurückführen können.

Dumm sind nicht diejenigen, die dieses System ausnützen, sondern diejenigen, die dieses System zur Verfügung stellen!

Meine Damen und Herren, ohne Gesetzesänderung kann der politischen Forderung „Schutz den Flüchtlingen – Verminderung von Missbräuchen“ nicht Nachachtung verschaffen werden. Darum müssen wir die gesetzlichen Grundlagen ändern. Darum sagt das neue Gesetz:

Art. 32 Abs. 2 Bst. a sowie Abs. 3 AsylG

2 Auf Asylgesuche wird nicht eingetreten, wenn Asylsuchende:

1. den Behörden nicht innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Gesuchs Reise- oder Identitätspapiere abgeben;

3 Absatz 2 Buchstabe a findet keine Anwendung, wenn:

1. Asylsuchende glaubhaft machen können, dass sie aus entschuldbaren Gründen nicht in der Lage sind, innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Gesuchs Reise- oder Identitätspapiere abzugeben;
2. auf Grund der Anhörung sowie gestützt auf die Artikel 3 und 7 die Flüchtlingseigenschaft festgestellt wird; oder
3. sich auf Grund der Anhörung erweist, dass zusätzliche Abklärungen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder eines Wegweisungsvollzugshindernisses nötig sind.

Sie sehen: Auch Asylsuchende, die keine Papiere auf sich tragen, können in Zukunft als Flüchtlinge angenommen werden. Aber Papiervernichtung darf nicht mehr zur Belohnung führen!

Ist es denn zu viel verlangt, dass jemand – sei er Flüchtling oder nicht – sagt, wie er heisst und woher er kommt? Was soll da gegen die „humanitäre Tradition“ verstossen? Es geht nicht gegen echte Flüchtlinge, aber gegen Asylsuchende, die keine Asylgründe in unser Land führen, vielmehr unter Anleitung von Schleppern ihre Papiere vernichten, verstecken oder absichtlich nicht vorweisen. Um Leute, die ihren Namen, ihren Wohnort, ihr Heimatland und ihr Alter fälschen oder verheimlichen.

Meine Damen und Herren, auch das geänderte Asylgesetz gewährleistet und garantiert selbstverständlich den Schutz für echte Flüchtlinge in unserem Land, aber ebenso entschieden sollen damit die eklatanten Missstände im Asylwesen beseitigt werden. Nur diese Kombination verschafft uns eine glaubwürdige und vertretbare Flüchtlingspolitik.

Sie alle kennen aus den Medien Berichte von besonders krassen Beispielen. Etwa der Fall der Roma-Familie aus Rüschlikon. Mehrfache schwere Gewalttaten, Kosten in Millionenhöhe, negativer Asylentscheid – und trotzdem lebt die Familie noch immer hier. Warum? Dieser Fall lag jahrelang bei der Asylrekurskommission. Sie haben es gehört, diese Woche wurde endlich entschieden. Der Vater und der volljährige Sohn müssen gehen, die anderen dürfen einstweilen bleiben. Die Asylrekurskommission ist eine so genannt „selbständige“ Kommission. Das heisst, sie entscheidet „unabhängig“ und lässt sich dabei nicht in die Karten blicken. Es ist gut, dass jetzt ein Urteil vorliegt, aber es ist natürlich schlecht, dass dies so lange gedauert hat.

Die Asylrekurskommission gehört ab 2007 zum Bundesverwaltungsgericht. Hoffen wir, dass dieses neue Gericht neben der rechtlichen Verantwortung auch an die Folgen denkt, welche immer wieder hinausgeschobene Entscheide für unser Land bedeuten.

V. Am Ort des Nichtgeschehens

Ich bin es mir als Unternehmer gewohnt, den Sachen im Alltag nachzugehen. So besuche ich ab und zu auch Aussenstellen und Empfangszentren; jene Orte also, wo die Asylsuchenden eintreffen und erste Abklärungen getroffen werden.

Ich pflege dort jeweils unangemeldet aufzutauchen. So begab ich mich vor einem Jahr zur Asylunterkunft am Flughafen Zürich. Die dort anwesende Leiterin schaute mich mit ziemlich grossen Augen an, weil der Besuch eines Bundesrates doch eher ungewöhnlich ist. Normalerweise erscheint dort kein Justizminister. Ich fragte die Frau, wie es so gehe. Sie gab mir zunächst ausweichend Antwort, und ich hakte nach, ob sie sehr viel zu tun hätte. Die Frau meinte, eben nicht: „Wir verzeichneten in den letzten Tagen eigentlich wenig Neueingänge.“ – „Sie brauchen gar nicht so betrübt zu schauen“, antwortete ich, „das sind keine schlechten Nachrichten.“ Aber, schob sie dann nach, gerade heute morgen seien sieben Tamilen angekommen und die hätten gleich sechs weitere für den kommenden Montag angekündigt. „Ja, kommen denn jetzt wieder Tamilen? Aber warum denn?“

So weit ich wisse, gäbe es zurzeit in Sri Lanka keine politischen Verfolgungen mehr. Sie kenne die genauen Gründe auch nicht, meinte die Dame. Jedenfalls befänden sich die sieben Gesuchsteller gleich im ersten Stock in einer Befragung. Es war kurz vor Mittag, ich stieg die Treppe empor und ging unangemeldet in das betreffende Zimmer.

Die sieben Männer hatten den Raum bereits verlassen, doch die Sachbearbeiter waren noch da. Ich sprach mit ihnen und fragte, woher die sieben Männer denn genau herkämen. „Sie sind von Colombo nach Warschau geflogen und heute mit der Swiss in der Schweiz gelandet. Alle ohne Papiere.“ – „Keine Papiere? Wie konnten sie dann fliegen? In Polen werden sie wohl noch mit Dokumenten umgestiegen sein.“ Da trat ein Herr vom Nebenraum hinzu und zeigte eine Schale voller verschnitzelter, zerfetzter Pässe. Ich fragte: „Woher haben Sie denn diese Papiere?“ – „Die hat uns eben eine Putzfrau aus den Toiletten des Flughafens gebracht.“ Sie denken vernünftigerweise, die jungen Männer müssten folglich unverzüglich wieder nach Colombo zurückfliegen. Der neben mir stehende Polizeiverantwortliche sagte, das wäre an sich keine Sache, auch würden die Behörden die Personen ohne Weiteres zurücknehmen, selbst ohne Pässe, nur würde das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge einer sofortigen Rückführung wohl nicht zustimmen. Jeder Gesuchsteller müsse zuerst in ein Empfangszentrum überführt und dort das ordentliche Asylverfahren durchlaufen. Jemand der Anwesenden fügte noch hinzu, dieses Prozedere führe dazu, dass diese sieben Männer wohl monatelang hier bleiben würden, auch wenn sie keine Flüchtlinge sind.

Ich fragte, wo sich die Tamilen jetzt aufhalten würden. Sie seien eben in die Schlafräume gegangen. „Kann ich sie mal sehen?“ Man bejahte und ich stieg in den Schlafraum hinauf mitsamt meinem Weibel in seiner ordnungsgemässen grünen Uniform. Kaum öffneten wir die Türe, sprangen alle sieben unverzüglich von ihren Pritschen auf und stellten sich wie eine Gruppe junger Soldaten in Reih und Glied auf, da sie im Weibel wohl einen Polizisten vermuteten. Prächtige Burschen, wahrscheinlich fleissige Kerle. Ich fragte, ob sie etwas Englisch verstünden. Der erste bejahte. Ich fragte, woher sie kämen? Aus Colombo. Dann wollte ich wissen, warum sie in die Schweiz geflohen seien. Da riefen alle sieben gemeinsam: „Tsunami, Tsunami, Tsunami“. Interessant, fand ich, nur der Tsunami wütete doch an der Ostküste Sri Lankas. Colombo befindet sich genau auf der gegenüber liegenden Seite. Wenn Leute aus Colombo aufgrund des Tsunami um Asyl fragen, ist das etwa ähnlich absurd, wie wenn nach einer Überschwemmung im Tessin plötzlich die Zürcher Oberländer bei ihrer Versicherung Schadensfälle anmelden. Als ich die Gruppe auf diese Absurdität ansprach, verstand keiner mehr Englisch…

Ich bin diesem Asylgesuch im Verlaufe des Jahres systematisch nachgegangen, weil mich interessierte, wie ein solch offensichtlicher Missbrauch konkret abläuft:

Bei sechs von diesen sieben Asylsuchenden sind die Verfahren abgeschlossen worden. Das Asylgesuch ist abgelehnt, bei der siebten Person ist noch ein Rekurs bei der ARK hängig. An sich wäre das speditive Verfahren als Erfolg zu werten. Die Gesuchsteller, die den negativen Entscheid erhalten haben, sind in der Zwischenzeit untergetaucht, so dass wir keine geordnete Rückführung nach Sri Lanka vornehmen konnten.

Meine Damen und Herren, solche und ähnliche Dinge passieren täglich. Tausende im Jahr. Wir haben heute rund 50’000 Personen im Asylprozess. Letztes Jahr haben rund 10’000 Personen ein neues Asylgesuch gestellt. Von ihnen haben 1’497 Personen oder 13,6 Prozent den Flüchtlingsstatus erhalten, während weitere 4’436 Personen eine vorläufige Aufnahme erhalten haben. Die anderen müssen unser Land wieder verlassen. Und zwar möglichst rasch.

Es gibt heute nicht genügend gesetzliche Grundlagen, um solche Leerläufe zu beseitigen und in Zukunft wirkungsvoll zu handeln. Aber unsere Rechtsordnung darf keine Plattform bieten für systematische Missbräuche und Missstände. Neben einer unsinnigen Bürokratie bedeutet die bestehende Gesetzgebung auch eine enorme finanzielle Belastung für den Bund, die Kantone und die Gemeinden und damit für die Bevölkerung. Wenn wir die Gesamtkosten im Asylwesen auf die tatsächliche Zahl der anerkannten Flüchtlinge herunterrechnen, kostet ein rechtmässiger Flüchtling eine Million Franken. Ist das „humanitär“? Ist das intelligent? Ist das der Bevölkerung noch weiter zuzumuten?

Auch die letztlich in der Presse eingehend dargestellten Fälle müssen zu anderen Lösungen führen.
Hier ein letztes Beispiel: Zwei international gesuchte Albaner stellten 2004 ein Gesuch um Asyl. Der eine wird beschuldigt, fünfzehn Überfälle begangen, zwei Menschen ermordet und ein Kind entführt zu haben. Ausserdem soll er an mehreren tödlichen Attentaten beteiligt gewesen sein. Sein Asylkumpane wird der Beteiligung an immerhin fünf Raubüberfällen verdächtigt.

Das Bundesamt für Flüchtlinge entschied umgehend: Die Asylanträge wurden abgelehnt. Das Bundesamt für Justiz verfügte – nach einer ordentlichen Überprüfung der Anschuldigungen – die Auslieferung der beiden Albaner.

Ein klarer Fall? Ja.

Aber nicht für die Asylrekurskommission: Sie heisst eine Beschwerde der Albaner gut. Beide erhalten Asyl. So wurden aus zwei schwerer Verbrechen Angeklagten zwei Flüchtlinge. Um die Geschichte noch zu vervollständigen: Der Entscheid war letztinstanzlich, auch das Bundesgericht verfügte die Freilassung und liess die Kosten für Anwalt, Dolmetscher, Übersetzung erstatten und sprach zudem eine Haftentschädigung zu. Auch wenn das neue revidierte Asylgesetz durch das Volk bestätigt wird, geht unsere Arbeit weiter. Denn es bleiben noch einige Mängel im Asylrecht, wie dieses Beispiel eindringlich zeigt.

VI. Gebt dem Staat nur, was dem Staat gehört

Neben dem Asyl- und Ausländergesetz werden wir uns 2006 noch mit einer Vorlage ganz anderer Art zu befassen haben. Es geht um die Frage, wie viel Staat ein Unternehmen im freien Wettbewerb erträgt oder ob der Staat seine Verantwortung als Unternehmer im freien Wettbewerb wahrnehmen kann. Ich rede von der Swisscom und damit von einem scheinbar privatisierten Betrieb, der aber noch immer zu zwei Dritteln dem Bund gehört.

Im November stand die Swisscom kurz vor der Übernahme einer irischen Telekomgesellschaft, was den Bundesrat zu einigen grundsätzlichen Entscheiden veranlasste. Der Bundesrat war der Meinung, dass dieses Auslandengagement zu risikoreich sei und darüber hinaus Folge einer falschen Strategie. Zudem forderte der Bundesrat die Swisscom auf, das überschüssige Kapital an die Aktionäre abzuführen. Damit würde künftig das Geld für solche Abenteuer fehlen. Drittens will der Bundesrat dem Parlament möglichst bald eine Vorlage unterbreiten, die die Entflechtung von Staat und Swisscom vorantreibt.

Als privatisiertes oder privates Unternehmen kann die Swisscom frei handeln. Die Grundversorgung ist durch das Gesetz gewährleistet.

Die Parallelen zur ehemaligen SWISSIAR sind eklatant. Auch die Swisscom kommt wie die frühere SWISSAIR aus einem mehr oder weniger regulierten Markt heraus. Dieser vormals geschützte Heimmarkt beginnt zu bröckeln und wächst nicht mehr. Noch stimmen die Erträge. Noch scheint der Erfolg gesichert. Doch die Firma stagniert auf ihrem gesättigten Heimterrain. Nun kommt die Versuchung, im Ausland Unternehmen hinzuzukaufen. So wird die Firma zwar grösser, doch die Probleme bleiben die gleichen. Im Gegenteil: Die Risiken nehmen zu. Denn die Telekommunikationsunternehmen im Ausland kranken alle am gleichen Problem: Auch sie können nicht wachsen. Auch sie werden bedrängt von neuen Kommunikationstechnologien und anderen Wettbewerbern. Wenn Sie ein Unternehmen mit den gleichen Problemen kaufen, an denen auch Ihr eigenes leidet und meinen, damit die Lösung gefunden zu haben, hat das mit der Hoffnung auf ein Wunder zu tun. Minus mal minus gibt nur in der abstrakten Welt der Mathematik plus. In der Geschäftswelt gehen Sie unter.

Die Swisscom versuchte schon vor zehn Jahren sich im Ausland zu etablieren – und scheiterte jedes Mal: In Indien, Malaysia, Tschechien, Ungarn und Österreich. Bei der deutschen Debitel setzte die Unternehmensleitung sogar 3,3 Milliarden Franken in den Sand. Statt die Strategie zu ändern wurde als Nächstes eine Fusion mit der österreichischen Tele Austria angestrebt. Was zum Glück schon vor der Unterschrift scheiterte. Und nun sollte es plötzlich die hoch verschuldete Eircom sein, beziehungsweise die dänische Gesellschaft TDC.

Der Bundesrat hat deshalb am 23. November 2005 einen wichtigen Entscheid gefällt und diesen Weg unterbunden. Eine Swisscom kann – so lange der Staat Mehrheitseigentümer ist – solche Risiken nicht eingehen. Das lässt die Verantwortung gegenüber unserem Volk nicht zu! Fehlentscheide, Misserfolge im Ausland würden nicht nur zu einer Krise des Unternehmens selbst führen, sondern eine Staatskrise auslösen. Denn die Schweiz müsste nicht nur wie gewöhnliche Aktionäre haften, sondern wäre als Mehrheitsaktionär und Staat zu einer Haftung weit darüber hinaus verpflichtet.

VII. Unternehmen in freiem Wettbewerb gehören nicht dem Staatsbesitz

In einem freien Wettbewerb darf der Staat nicht als Unternehmer auftreten. Er ist grundsätzlich der falsche Eigentümer. Erst recht, wenn damit eine internationale und damit zwangsläufig risikoreiche Tätigkeit verbunden ist. Es kann doch nicht Aufgabe des Staates Schweiz sein, in Tschechien, Ungarn, Österreich, Malaysia, Indien und nun neuerdings auch in Irland und Dänemark den Service Public zu garantieren. Oder stellen Sie sich vor, das Schweizer Fernsehen würde plötzlich ins Ausland expandieren und den „Samschtig Jass“ in Irland und Malaysia
programmieren. Und Sie würden diesen Flop durch ihre Gebühren finanziell mittragen.

Der Bundesrat ist eine politische Behörde und nicht dafür gewählt, Unternehmen zu führen. Trotzdem trägt er die Verantwortung für die dem Staat gehörenden Unternehmen. Diese Verantwortung nicht wahrzunehmen – sei es aus Unfähigkeit, Furcht oder Schlamperei – das geht nicht. Darum hat der Bundesrat entschieden. Spät zwar, aber gerade noch rechtzeitig und richtig.

Es gibt keinen Grund mehr, warum die Schweiz Eigentümerin der Swisscom sein soll. Das war zur Zeit der PTT noch sinnvoll und richtig, als diese den ganzen Fernmeldebereich abdeckte. Das ist heute nicht mehr so. Die Grundversorgung ist auf jeden Fall durch das Gesetz gewährleistet, auch wenn die Swisscom verselbstständigt würde. Telekommunikationsunternehmen reissen sich in der Schweiz um die Erlaubnis, diese Grundversorgung übernehmen zu dürfen. Bis 2007 ist dieses Privileg der Swisscom zugesprochen. Dann muss dieser „Grundversorgungsauftrag“ – so heisst die letzte Meile fälschlicherweise noch immer – neu ausgeschrieben werden.

Was lehrt uns diese Swisscom-Geschichte? Anders als Philosophen müssen Politiker nicht schöne Theorien verkünden und Visionen verfolgen, sondern konkrete Probleme lösen.

Der Bundesrat hat die Gefahren erkannt, schnell und wirksam gehandelt.

VIII. Schlusswort

Meine Damen und Herren,

Wir stehen am Anfang des politischen Jahres 2006. Die drei genannten Vorlagen – das revidierte Ausländergesetz, das Asylgesetz und die Swisscom – gehen weit über simple rechtliche Fragen heraus. Alle drei Vorlagen betreffen das Innerste unseres Staatsverständnisses.

An der Albisgüetli-Tagung 2006 rufe ich Sie auf, für alle drei Vorlagen die Ja-Parole im Interesse von Land und Volk und im Interesse einer verantwortungsvollen Politik zu vertreten. Sie haben richtig gehört. Ich habe drei Mal Ja gesagt.

In den vergangenen Jahren musste die SVP oft NEIN sagen im Interesse von Land und Volk, weil Lösungen angeboten wurden, welche die SVP nicht mitragen konnte.

Man hat uns lange als „Nein-Sager-Partei“ tituliert. Ich habe darauf immer entgegnet: Man stellt uns halt die falschen Fragen. 2006 werden die Fragen richtig gestellt:

Wollen Sie ein wirksames Asylgesetz gegen den kostspieligen und ärgerlichen Asylrechtsmissbrauch?
Wollen Sie ein Ausländergesetz, das die Zuwanderung auf sinnvolle Weise regelt, damit wir die Zahl der Illegalen eindämmen können? Wollen Sie die Swisscom in die unternehmerische Freiheit entlassen, ohne dass deswegen irgendjemand auf seine Telefonleitung verzichten muss und ohne, dass das Schweizer Volk Milliarden verliert?

Heute kann ich Sie als Bundesrat aufrufen, bei drei wichtigen Regierungsvorlagen JA zu sagen und für dieses gemeinsame Ja zu kämpfen! Weil die Vorlagen gute Lösungen beinhalten! Das heisst aber nicht, dass Sie bis in alle Zukunft zu jeder Bundesratsvorlage nur noch Ja und Amen sagen müssen…

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