«Ich bin verpflichtet, zu sagen, wie es ist»

Blocher über Rechtsextremismus

08.10.2005, Berner Zeitung (Heinerika Eggermann)

Justizminister Christoph Blocher verwahrt sich gegen den Vorwurf, er sei auf dem rechten Auge blind. Und bezichtigt die Medien, insbesondere den «Blick», Aufmärsche von Rechtsextremen zu provozieren.

Herr Bundesrat Blocher, wie halten Sie es mit dem Rechtsextremismus?
(lacht) Weshalb fragen Sie mich das? Haben Sie das Gefühl, ich hätte etwas mit denen zu tun?

Die Frage taucht auf angesichts deren Aufmarsch am Rütli und an der Feier in Brig. Da wird Ihnen von einigen Medien vorgeworfen, Sie hätten geschwiegen.
Sie meinen den «Blick». Seit zwei Jahren läuft dessen Kampagne gegen mich, die mich verunglimpft und auch viele Unwahrheiten enthält. Auf dieses Blatt gehe ich nicht ein. Die Frage des Rechtsextremismus ist durchaus ernsthaft. Es gibt in der extremistischen Szene in der Schweiz rassistische Tendenzen und Rassisten, die auch mit den ausländischen Szenen vernetzt sind. Dies seit Jahren. Die Zahl in der Schweiz ist relativ konstant. Es sind zirka 1000 Personen.

Sie sagen «konstant»: Auf welchen Zeitraum beziehen Sie das?
Seit vier, fünf Jahren haben wir festgestellt, dass die rechtsextreme Szene nicht massgeblich wächst. Und es sind vorwiegend jüngere Leute. Polizeilich gesehen stellt sich nicht die Frage nach deren Gesinnung, sondern ob sie Straftaten begehen. Im Wallis glauben wir, dass sie gegen den Rassismusartikel verstossen haben. Darum sind auch Strafklagen gegen einzelne dieser Leute eingereicht worden. Gewalttätig werden sie vor allem, wenn sie mit Gegenströmungen, insbesondere aus der linksextremen Szene, zusammentreffen. Daher versucht die Polizei, zu verhindern, dass die beiden Gruppierungen in der Schweiz aufeinander treffen. Die linksextreme Szene ist grösser, rund 2000 Personen, sie ist besser organisiert und ebenfalls gewalttätig. Das sah man am 1.August in Winterthur und Luzern, als ’sie Sachbeschädigungen und Körperverletzungen begingen. Aber es ist klar, wir müssen beide Strömungen polizeilich im Griff haben, das heisst erstens, es sind Straftaten zu verhindern, und wir wollen zweitens nicht, dass sie Anlässe durchführen, an denen sie zu Straftaten aufrufen.

Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie die Gewalt von rechts verharmlosen, während Sie der Iinken Szene mehr Gewaltbereitschaft und Organisation zuschreiben.
Ich bin als Bundesrat verpflichtet, zu sagen, wie es ist. Ich kann nicht das sagen, was man gerne hören würde. Ich stütze mich auf die Berichte der Polizei, insbesondere
den Extremismusbericht, der auch in der Parlamentskommission zur Kenntnis genommen wurde. Die Frage ist auch: Wird sich deren extremistisches Gedankengut ausdehnen? Ich denke, dass weder die Rechtsextremen noch die Linksextremen auf Sympathie in der Schweizer Bevölkerung zählen können. Da besteht also keine Ansteckungsgefahr. Die Rechtsextremen findet man abstossend und will mit ihnen nichts zu tun haben, mit den Linksextremen genauso wenig. Es sind Extremisten, die wir gut beobachten müssen, um Straftaten zu verhindern.

Handelt es sich dabei um eine einzige gewalttätige Gruppierung?

Das sind keine homogenen Gruppen. Die Rechtsextremen sind locker organisiert. Sie verfügen auch nicht über einen eigentlichen Chef oder eine «Regierung». Bei den Linksextremen ist die Organisation besser, aber auch dort gibt es keine einheitliche Gruppe.

Seit Wochen wurde im Internet auf das Konzert und Treffen der Rechtsextremen aufmerksam gemacht. Die Walliser Kantonspolizei wurde aber sehr spät informiert. Hat der Inlandnachrichtendienst schlecht recherchiert?
Nein, auch wenn der «Blick» das seit Tagen schreibt. Sehr früh war in den Nachrichtenbulletins auf den 17. September aufmerksam gemacht worden. Am 9. September wurden die Kantone informiert, dass der 17. September als Anlass für «Konzerte» gebraucht werden könnte. Wo, war noch nicht bekannt. Sobald der Ort feststand, am Abend vor dem Konzert, wurden die dortigen Behörden informiert. Der genaue Ort wurde erst am 17. bekannt. Die Rechtsextremen reservieren diverse Lokale unter harmlosen Privatnamen und sagen erst im letzten Moment, wo sie sich treffen werden. Heute ist bekannt, wie die Einladungen erfolgen: Sie ziehen die Musikgruppen an einem bestimmten Treffpunkt in der Schweiz zusammen und bestellen sie erst am Auftrittstag in das entsprechende Lokal. Ihre Anhänger laden sie via SMS ebenfalls erst an diesem Tag ein, im letzten Augenblick. Von dem Moment an, wo die Kantonspolizei informiert ist, liegt es in deren Hand, den Anlass allenfalls zu verbieten, zu beobachten oder einzuschreiten, wenn Straftaten begangen werden. Das Wallis liess das Konzert zu – wohl, weil es dachte, es werde nicht randaliert. Aber Straftaten gegen den Rassismusartikel wurden offenbar begangen. In welchem Umfang, muss nun die Justiz klären.

Wird dieses Konzert nun als Privatanlass oder als öffentlicher Anlass gewertet?
Juristisch sind das heikle Fragen; darüber müssen letztlich die Gerichte entscheiden. Wir sind der Meinung, dass bei so vielen Anwesenden der private Rahmen gesprengt wurde.

Gewisse Kantone verbieten solche Anlässe generell, andere warten ab und beobachten. Wie beurteilen Sie diese unterschiedlichen Vorgehensweisen?
Das sind Beurteilungen. In der Schweiz müssen Gründe vorliegen, um etwas zu verbieten. Es sind Musikgruppen an der Grenze abgewiesen worden, weil sie extremistisches Material einführen wollten. Jeder Anlass ist besonders zu beurteilen.

Oft wird verharmlosend behauptet, die Neonazis seien pubertierende Jugendliche.
«Pubertierend» ist zu harmlos ausgedrückt. Aber es stimmt, dass vor allem Jugendliche beteiligt sind. Das zeigt sich auch daran, dass die Szene relativ konstant bleibt: Wenn laufend Junge neu dazukämen, müsste die Gruppe auch zunehmend ältere Mitglieder aufweisen. Das ist aber nicht der Fall.

Sie haben auch gesagt, diese jungen suchten Aufmerksamkeit. Wie können die Gesellschaft und die Politikerinnen und Politiker diese Entwicklung verhindern?
Sie wollen Aufmerksamkeit, und wenn sie diese erhalten, wird es für sie erst interessant. Der «Blick» ist zweifellos mitschuldig am Rütli-Aufmarsch der Rechtsextremen. Während Wochen war zu lesen: Die kommen am 1. August aufs Rütli. So wurde es natürlich für die Rechtsextremen interessant, dahin zu gehen. Sie wurden direkt eingeladen. Versetzen Sie sich einmal in junge Menschen, die in Opposition sind zu der herrschenden Gesellschaft: Da gibt es doch nichts Schöneres als mediale Aufmerksamkeit. Ich war eine Woche vor dem 1. August auf dem Rütli. Da vergass der «Blick» seinen Aufruf — an diesem Anlass waren praktisch keine Rechtsextremen. Das Gleiche ist vom 1. Mai für die Linksextremen zu sagen.

Was ist Ihr Vorschlag, damit es künftig nicht mehr zu solchen Aufmärschen kommt?
Die Medien müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie den Rechtsextremen nicht auf diese Art und Weise Aufmerksamkeit schenken sollten. Und die Gesellschaft
als Ganzes muss den Jugendlichen beibringen, worin der Unsinn und die Grausamkeit jener Theorien liegen, die die Extremisten vertreten. Eine allzu grosse Dämonisierung hilft sicher nicht weiter; denn für solche Jugendliche liegt darin der eigentliche Reiz. Wichtig ist auch, dass Straftaten geahndet werden.

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