«Über Hirschhorn rede ich nicht»

Bundesrat Christoph Blocher will im neuen Jahr noch „mehr nach draussen gehen, ausserhalb vom Bundeshaus, wo das wahre Leben abläuft“, wie er im Interview zum Theme „Ein Jahr Blocher im Bundesrat“ sagt. Der Magistrat gesteht auch, es habe Situationen gegeben, „in denen ich gesagt habe: ‚Ich mag nicht mehr'“.

22.12.2004, Aargauer Zeitung (Martin Furrer)

Wie wollen Sie am liebsten angesprochen werden: Als Herr Blocher oder als Herr Bundesrat?

Eigentlich ist mir das gleichgültig.

Ihre Kritiker sprechen Ihnen Bundesratsformat noch immer ab. Wann ist jemand ein richtiger Bundesrat?

Das müssen Sie meine Kritiker selber fragen.

Aber wie definieren Sie Ihre Rolle?
Ein Bundesrat hat zu führen und zu regieren und nicht nur die Meinung der Verwaltung gegen aussen zu vertreten. Man soll seine eigene Meinung in die Regierung einbringen. Wer mir vorwirft, ich sei bloss Parteienvertreter, nimmt die Parteien nicht ernst. Ich vertrete nie eine Meinung, weil sie meine Partei vertritt, sondern weil es meine überzeugung ist.

Sie haben in Ihrer Jahresbilanz am Montag erklärt, bisher seien stets Persönlichkeiten in den Bundesrat gewählt worden, die keinen allzu pointierten Standpunkt eingenommen hätten. Eine Kritik an ihren sechs Kolleginnen und Kollegen.
Überhaupt nicht. Tatsache ist, dass in der Vergangenheit pointierte Persönlichkeiten, die ausgesprochene Parteiexponenten waren, nicht gewählt wurden.

Wer zum Beispiel?

Liliane Uchtenhagen. Umso erstaunlicher, dass das Parlament mich, den vielgescholtenen Oppositionsführer, gewählt hat.

Sie haben auch gelobt, man gehe im Bundesrat den Problemen wieder auf den Grund. Musste erst jemand wie Sie in die Regierung gewählt, werden, damit die Gesprächskultur besser wird?

Ich frage nicht immer, ob ich die Ursache für eine Entwicklung sei oder nicht. Mir sagen einfache einzelne Regierungsmitglieder, dass wieder wesentlich mehr diskutiert werde als vor meiner Zeit. Das ist sehr positiv. Denn das Ringen um Probleme und Lösungen ist eine der Voraussetzungen, dass etwas gut herauskommt.

Es gehe an den Bundesratssitzungen mitunter lustig zu, sagten Sie. Ein Beispiel?
Es gibt immer wieder lustige Argumente. Wir sitzen nicht griesgrämig am Tisch herum.

Lustige Argumente – das meinen Sie natürlich ironisch.
Keineswegs. Das Leben ist doch eine fröhliche Angelegenheit! Jetzt lachen wir beide. Sehen Sie, das ist ein gutes Zeichen.

Pascal Couchepin war nicht zum Lachen zumute, weil Sie den Ausgang der Einbürgerungs-Abstimmung nicht kommentieren wollten. Er hat Sie als Gefahr für die Demokratie bezeichnet hat. Das klingt nicht gerade nach guter Stimmung.
Pascal Couchepin legt Wert darauf, nicht gesagt zu haben, ich sei eine Gefahr für die Demokratie, sondern meine Auffassung von Demokratie sei gefährlich. Ich habe mit ihm deswegen auf der menschlichen Ebene keine Probleme. Er hat bloss seine Auffassung von Demokratie auf den Tisch gelegt, die ich für elitär halte. Schade, dass diese Diskussion nicht weitergeführt worden ist.

Ihre Intervention hat nichts bewirkt: Die Bundesräte wollen Abstimmungsergebnisse weiterhin kommentieren.

Warten Sie ab. Ich bin überzeugt, dass künftig das Volk nicht mehr als Dummkopf hingestellt wird, wenn es anders entschieden hat als vom Bundesrat gewünscht.

Der Bundesrat will die Abstimmungsergebnisse ja nur analysieren …

… Sie meinen „Kaffeesatz lesen“ …

… und werten, weil in der vielschichtigen Schweiz auch die Meinung der unterlegenen Minderheit wichtig ist …
… und ich bleibe dabei: Wenn das Volk etwa bei den Einbürgerungen gegen den Mainstream von Parlament, Bundesrat und Medien votiert hat, ist das zu akzeptieren. Punkt. Man muss das Volk ernst nehmen. Ich bin übrigens auch dagegen, dass man das Volk lobt, wenn es einer Vorlage zugestimmt hat. Man beleidigt es, wenn sich die Regierung zum Massstab aller Dinge nimmt.

Sie plädieren weiterhin für öffentliche Bundesratssitzungen. Meinen Sie das ernst?
Es ist eine provokative Forderung, die vermutlich nie verwirklicht wird. Aber grundsätzlich wüsste ich nicht, was wir zu verbergen hätten. Heute ist die Bevölkerung sehr schlecht informiert über die Vorgänge im Bundesrat. Darum muss sie von Indiskretionen leben, also von gezielten Halbwahrheiten. Das ist ärgerlich.

In der Ems-Chemie wären Sie auch nicht auf die Idee gekommen, Verwaltungsrats-Sitzungen auf dem Marktplatz der öffentlichkeit abzuhalten.
Die Ems-Chemie ist kein öffentliches Unternehmen, und es gab dort auch keine Indiskretionen. In der Politik hat die Bevölkerung grösseren Anspruch darauf zu erfahren, was sich in der Regierung abspielt, als in einem Unternehmen.

In der Presse erhielten Sie gestern nach Ihrer Bilanz tendenziell positivere Noten als nach den ersten hundert Amtstagen. Und im Parlament anerkannte sogar die Linke, dass Sie zentrale Themen wie den freien Personenverkehr oder Schengen/ Dublin gemäss Bundesrat vertreten haben. Geht die Rechnung Ihrer Gegner, Sie einzubinden, langsam auf?
Davon merke ich nichts. Haben Sie das Gefühl, ich sei eingebunden und könne keine eigenen Gedanken mehr entwickeln?

Das fragen wir Sie.

Eingebunden wäre ich erst dann, wenn ich hinstehen und das Gegenteil dessen erklären würde, was ich früher vertreten habe. So ist es natürlich nicht. Man kritisiert mich ja im Gegenteil nach wie vor, weil ich Mühe hätte, die Meinung des Bundesrates als meine eigene auszugeben.

Das haben Sie auch.
Stimmt. Wenn ich etwas innerlich nicht tragen kann, merkt man das. Dies ist ein Zeichen von Glaubwürdigkeit. Nur jemand, der keine Meinung hat, kann alles vertreten.

Sie lobten auch die Vorteile der Konkordanz. Erstaunlich: Als Befürworter von klaren Verhältnissen müssten Sie doch für das Konkurrenzmodell mit klaren Regierungsmehrheiten sein.
Sie unterstellen mir etwas. Die Frage Konkordanz oder Opposition beschäftigt mich seit Jahren. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Jetzt haben wir die Konkordanz, und es ist müssig, immer wieder zu spekulieren, ob das Oppositionsmodell besser wäre. Machen wir jetzt das beste aus der Konkordanz. Erst wenn wir sehen, dass sie nicht mehr funktioniert, weil wir uns gegenseitig blockieren, müsste man erneut darüber diskutieren.

Ihre Frau hat öffentlich Sympathien für das Konkurrenzmodell geäussert.
Das stimmt. Frauen sind oft radikaler.

Ihre Frau ist radikaler als Sie?
Frauen sind konsequenter, und wenn meine Frau sagt, dass es sinnvoller sei, wenn Leute zusammen regieren, welche die gleiche politische Meinung haben, weil sie dann eher zu Entscheiden kommen, ist das nicht falsch. Aber der Nachteile ist, dass Dritte von der Macht ausgeschlossen werden. Das ist nicht nur gut.

In Ihrem Büro hängt das berühmte Bild des Holzfällers von Ferdinand Hodler. Könnten Sie verstehen, wenn es vielleicht auf gewisse Betrachter ebenso bedrohlich wirken würde wie eine Installation von Thomas Hirschhorn?
Über Herrn Hirschhorn rede ich nicht. Hodlers Bild drückt Kraft aus, Lebensfreude, Ursprünglichkeit. Das gefällt mir. Herr Hirschhorn kann ausstellen, was er will. Kunst muss frei sein. Wenn der Staat aber dafür Geld gibt, beginnt er sich wie kürzlich einzumischen. Darum bin ich gegen staatliche Kulturförderung.

Ferdinand Hodler wurde aber auch gefördert.
Ja, durch Mäzene. Ich bin sehr für das private Mäzenatentum. Die USA beispielsweise fördern das Mäzenatentum, indem sie dafür steuerliche Erleichterungen vorsehen.

Also auch eine indirekte staatliche Subventionierung von Kunst.
Wenn der Staat einem nichts wegnimmt, ist das noch lange keine staatliche Förderung.

Sie schlagen ein hohes Tempo an und schlafen wenig. Keine Angst, einmal ausgebrannt zu sein?
Es gab auch schon Situationen, in denen ich gesagt habe: Ich mag nicht mehr. Aber ich habe eine kurze Regenerationszeit.

Ihr Rezept gegen Burnout?
Vierzig Jahre lang ging ich jeden Morgen um halb sechs auf meine fünfeinhalb Kilometer lange Joggingstrecke. Jetzt in Bern ist das nicht mehr so oft möglich, aber zuhause jogge ich weiterhin. Es ist schon fast eine Sucht. Ich bin gern draussen in der Natur.

Was wünschen Sie der Schweiz und sich selber zum neuen Jahr?
Der Schweiz mehr Selbstbewusstsein. Und mir die Möglichkeit, noch mehr nach draussen zu gehen, ausserhalb vom Bundeshaus, wo das wahre Leben abläuft.

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