Geste oder Erpressung

Streitgespräch mit Peter Arbenz im FACTS Nr. 36/2002 vom 5. September 2002

Goldinitiative contra Gegenvorschlag: Christoph Blocher streitet mit Peter Arbenz, pro Solidaritätsstiftung, über die Verwendung der Goldreserven.

Gesprächsleitung: Michael Gerber, Urs Zurlinden

Herr Arbenz, was ist ein solidarischer Mensch?

Peter Arbenz: Ein solidarischer Mensch kämpft für Gerechtigkeit. Für Ausgleich zwischen jenen, denen es weniger gut geht, und jenen, denen es besser geht. Ein solidarischer Mensch nimmt Anteil am Leiden anderer. Und er nimmt Rücksicht.

Herr Blocher, fühlen Sie sich als solidarischer Mensch?

Christoph Blocher: Solidarität ist ein hoher Begriff und heisst freiwilliges Einstehen für andere. In der Politik wird der Begriff Solidarität häufig missbraucht. Politiker halten sich oft für solidarisch, wenn sie Geld verteilen, das ihnen gar nicht gehört.

Erklärt das Ihren Kampf gegen die Stiftung Solidarität Schweiz?

Blocher: Auch. Solidarität basiert auf Freiwilligkeit. Man kann sie nicht von oben verordnen. Besonders stört mich, dass die Stiftung sieben Milliarden Franken erhalten soll, die dem Schweizer Volk gehören. Statt es dem Volk zurückzugeben, verteilt ein kleiner Stiftungsrat etwa 350 Millionen pro Jahr. Das macht 10,5 Milliarden in 30 Jahren. Mit Solidarität hat das nichts zu tun. Der Stiftungsname ist irreführend.

Arbenz: Ganz im Gegenteil. Er bringt zum Ausdruck, dass wir Schweizer dieses Geld nicht einfach für uns behalten wollen, sondern Not leidende Menschen im Ausland auch daran teilhaben lassen wollen. Zudem wird die Stiftung nicht von oben verordnet, wie Sie behaupten, Herr Blocher. Und sie erhält auch nicht sieben Milliarden zur freien Verfügung, sondern lediglich die Zinsen davon. Am 22. September kann das Volk entscheiden, ob es die Stiftung will oder nicht. Von Zwang oder von Erpressung kann also keine Rede sein.

Blocher: Sehr wohl. Und die Erpressungen werden weitergehen. Das Versprechen, das der damalige Bundespräsident Arnold Koller am 5. März 1997 im Parlament machte, ging um die Welt und macht uns erpressbar. Damals stand die Schweiz wegen der nachrichtenlosen Vermögen von amerikanischen Kreisen unter gewaltigem, erpresserischem Druck.

Arbenz: Die Ankündigung der Stiftung war eine freiwillige Geste. Man darf die Stiftung nicht schlecht machen, weil die Idee dazu während der Debatte über die nachrichtenlosen Konten entstanden ist. Dieses zeitliche Zusammentreffen war purer Zufall. Die Verteilung des nicht mehr benötigten Goldes der Nationalbank war schon zuvor ein Thema.

Blocher: Nein, Herr Arbenz, so war es nicht. Koller hielt seine Rede vor der Vereinigten Bundesversammlung unter dem Traktandum „nachrichtenlose Vermögen“. Dabei versprach er, dass die Stiftung „selbstredend auch für Holocaust- und Schoa-Opfer“ gedacht sei. Wenn wir nun die Stiftung gründen, werden diese amerikanischen Kreise ihren Anteil einfordern. Und uns im Notfall mit diesem Versprechen jedes Jahr erpressen.

Arbenz: Davor habe ich keine Angst. Obwohl ich Erpressungsversuche nicht ausschliesse, wird die Stiftung die Gelder völlig unabhängig vergeben. Sie wird aber keine Individualhilfe für Holocaustopfer leisten. Das würde gegen das Stiftungsgesetz verstossen. Auch der World Jewish Congress, auf den Sie anspielen, Herr Blocher, wird von der Stiftung keinen Rappen sehen. Das hat der Bundesrat wiederholt betont.

Blocher: Im Stiftungsgesetz steht schwarz auf weiss, dass die Gelder unter anderem „zur Linderung der Folgen von Genoziden verwendet werden können“. Was ist das anderes als Vergangenheitsbewältigung?

Arbenz: Die Stiftung ist zukunftsgerichtet. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie Geld zur Verhinderung von Völkermorden einsetzen wird. Doch das hat mit den Holocaustopfern nichts zu tun.

Rund die Hälfte der jährlich 350 Millionen soll via Hilfswerke den Notleidenden zukommen. Sind die Hilfswerke tatsächlich in der Lage, von einem Jahr aufs andere 25 Prozent mehr Geld als bisher sinnvoll zu verteilen?

Arbenz: Da sehe ich kein Problem. Es gibt im In- und Ausland unzählige, drängende Probleme, die nicht angepackt werden können, weil das Geld fehlt…

Blocher: Ich zweifle keine Sekunde daran, dass das Geld ausgegeben würde. Doch fehlt es dann der AHV.

Arbenz: Die Hilfswerke würden das Geld ja nicht einfach so erhalten. Sie müssten Projekte einreichen. Und erst nach einer genauen Prüfung würden die Gesuche bewilligt. Oder eben auch nicht.

Wie viel davon peilt die von Ihnen präsidierte Helvetas an?

Arbenz: Es ist völlig offen, wie viel wir allenfalls erhalten würden. Das hängt davon ab, welche Schwerpunkte der Stiftungsrat der Stiftung Solidarität Schweiz setzen wird. Die Gelder werden nicht nach dem Giesskannenprinzip verteilt. Das steht bereits heute fest.

Blocher: Im Gegenteil. Die Stiftung wird zum Selbstbedienungsladen werden. Ihr Zweck ist im Gesetz dermassen schwammig umschrieben, dass alles und jedes finanziert werden kann. Von den Lese- und Schreibkursen für Analphabeten über Preisverleihungen und Integrationsprojekte bis zum Brunnenbau in Afrika.

Was haben Sie gegen den Bau von Brunnen in Afrika?

Blocher: Überhaupt nichts. Ich habe in Afrika ein Spital und eine Schule gestiftet. Es ist allen freigestellt, Entwicklungsprojekte auf privater Basis zu unterstützen. Die Schweiz zahlt Riesensummen für Entwicklungshilfe. Es ist unverantwortlich, in einer Zeit sieben Milliarden Franken vom Volksvermögen zu verteilen, in der die Leute um ihre Altersvorsorge bangen. Ich wehre mich dagegen, dass gerade die jungen Leute mit höheren Lohnabzügen und höheren Steuern für diese noble Geste büssen müssen.

Was würden Sie mit den 1300 Tonnen Gold machen, wenn Sie in Eigenregie darüber bestimmen könnten?

Blocher: Ich würde sie dem rechtmässigen Besitzer zurückgeben, dem Schweizer Volk, in bar oder als Goldvreneli. Leider wäre diese Geste kaum umzusetzen. Es gäbe Streit darüber, ob ein Säugling gleich viel erhalten soll wie ein Rentner. Einen solchen Verteilkampf umgehen wir, indem wir die 20 Milliarden der AHV zukommen lassen. Dank dem jährlichen Ertrag von gegen einer Milliarde Franken müssten junge Leute, Familien und Betagte weniger für die AHV abgeben. Das ist die gerechteste Lösung.

Arbenz: Eine Scheinlösung. Saniert wäre die AHV damit noch lange nicht.

Blocher: Die Goldinitiative löst zwar nicht alle Probleme der AHV. Alle Leute müssten aber weniger bezahlen.

Arbenz: Mit dem Transfer des gesamten Goldes in den AHV-Fonds würde der Druck abnehmen, die AHV strukturell zu reformieren. Ausserdem würde damit das in der Verfassung verankerte Recht der Kantone auf zwei Drittel der Erträge der Nationalbank missachtet. Deshalb lehnen die Kantone auch Ihre Initiative ab und unterstützen stattdessen unseren Gegenvorschlag, der ihnen ein Drittel der Erträge aus dem Erlös des Goldverkaufs zusichert.

Blocher: Es gibt keinen verfassungsmässigen Anspruch der Kantone auf das Gold.

Arbenz: Doch. Den Kantonen stehen zwei Drittel des Gewinns der Nationalbank zu. Und solche Reserven sind letztlich nichts anderes als zurückbehaltene Gewinne.

Blocher: Den Kantonen wird nichts weggenommen. Im Gegenteil. Sie werden reichlich bedient. Ab 2003 erhalten sie 650 Millionen mehr als bisher, da künftig zweieinhalb statt eineinhalb Milliarden Franken Gewinn pro Jahr ausgeschüttet werden.

Arbenz: Sie kommen vom Thema ab, Herr Blocher. Die höhere Gewinnausschüttung der Nationalbank hat mit der Auflösung der Goldreserven nichts zu tun.

Blocher: Sehr viel sogar. Die Finanzdirektoren erhalten zusätzliche 650 Millionen, damit keine neuen Reserven entstehen. Ich befürchte jedoch, dass sie damit wiederum die Ausgaben erhöhen statt die Schulden abbauen oder die Steuern senken würden.

Welche Folgen hätte ein Nein zum Gegenvorschlag – und damit zur Solidaritäts-Stiftung?

Arbenz: Mit einem Nein würde die einmalige Chance vertan, die nicht mehr benötigten Goldreserven der Nationalbank nachhaltig zu nutzen – die künftige Verwendung offen lassend. Zugleich würden wir eine günstige Gelegenheit verpassen, ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Das würde im Ausland zur Kenntnis genommen.

Und mit viel Häme kommentiert?

Arbenz: Sicher bekäme damit das hartnäckige Vorurteil Auftrieb, wonach wir Schweizer in erster Linie für uns schauen, uns abschotten – und Not leidenden Menschen im Ausland nicht einmal ein Sechstel der Goldzinsen gönnen.

Blocher: Damit versucht man zu drohen. Viele Länder bauen gegenwärtig ihre Goldreserven ab. Und kein einziges überführt einen Teil des Erlöses in eine solche Stiftung. Ich bin sicher, dass wir kaum Kritik, sondern Beifall ernten würden, weil wir dem erpresserischen Druck gewisser Kreise nicht nachgegeben haben.

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