Der Geist weht, wo er will

Mein Beitrag für den Tages Anzeiger vom 30. Dezember 2000

Es ist erfreulich, dass Moritz Leuenberger als Bundespräsident des Jahres 2001 die SVP des Kantons Zürich anlässlich der 13. Albisgüetli-Tagung mit einer Ansprache beehrt. Als Freund der gepflegten Kultur wird er sich über einen hoch stehenden Anlass des offen und ehrlich ausgetragenen politischen Disputs freuen können.

Angst vor Veränderungen
Im Interview mit dem „Tages-Anzeiger“ (27. Dezember) geht der künftige sozialdemokratische Bundespräsident der Frage nach, weshalb die Mitglieder der SVP so sehr Angst vor Veränderungen hätten. Die SVP – die Partei des Mittelstandes – vertritt selbstständig Erwerbende, Angestellte und Arbeiter, die ihr Brot im täglichen Konkurrenzkampf auf dem freien Markt verdienen. Sie haben Veränderungen bis jetzt gemeistert und werden es auch in Zukunft tun. Aber sie lehnen sinnlose Veränderungen – durch die Politiker aufgezwungen – ab. Viele dieser Regulierungen bedrohen ihre Lebensexistenz und komplizieren ihr Leben. Gerade die starken Veränderungen der Welt fordern, dass die Politiker endlich aufhören, altbekannte Verhaltensmuster weiterzuverfolgen. Deshalb lehnt die SVP die zunehmenden Regulierungen, höhere Steuern, Abgaben und Gebühren entschieden ab.

Abwanderung von Wählern
Der Verbund SP/FDP/CVP – die selbst ernannte so genannte „Koalition der Vernunft“ – hat die Staatsquote in den letzten Jahren ausserordentlich in die Höhe getrieben und stets neue Belastungen für die Bürger durchgesetzt. Das zeugt davon, dass die alltäglichen Sorgen jenes Bevölkerungsteils, der nach wie vor für die Wertschöpfung im Staate sorgt und dadurch die Finanzierung des Sozialstaates ermöglicht, nicht ernst genommen werden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele Bürgerinnen und Bürger den anderen Regierungsparteien untreu geworden sind und an der Urne die SVP wählen. Abwanderung von Wählern Leuenberger fragt sich, warum so viele ehemalige SP-Wähler darunter sind. Die Antwort ist relativ einfach: Die Arbeiter und Angestellten in der freien Wirtschaft sehen und spüren, wie es um Arbeitsplätze und Einkommen steht, wenn sich die SP fast nur noch um höhere Staatsangestellte, um die Staatswirtschaft (genannt Service public) sowie um eine möglichst hohe Staats- und Steuerquote kümmert.

Stimme eines ehemaligen SP-Wählers
So teilte mir kürzlich einer dieser früheren SP-Wähler brieflich mit, die SP sei „immer mehr zu einem Tummelplatz akademischer Salonsozialisten, arrivierter 68er und links-grüner Frauenrechtlerinnen verkommen. Statt sich um die vielfältigen Sorgen und Nöte ihrer schmal gewordenen Basis zu kümmern, macht sich die Parteiführung für EU-Mitgliedschaft, Uno-Beitritt, Ausländerstimmrecht und Mutterschaftsversicherung stark – alles Dinge, die den Arbeitnehmer heute nur am Rande interessieren. Das Schweizer Volk darf verlangen, dass seine Anliegen den Politikern in Bern wichtiger sind als das Lob ausländischer Staatschefs.“ Das politische Programm und die politischen Aktionen der SP mit utopischen Gesetzes-, Verbots- und Steuerforderungen, geprägt von Benzinpreiserhöhungen, Energieverteuerungen, höheren Lohnabzügen, Mehrwertsteuersteigerungen, mehr Staat und weniger Freiheit, vermögen auch die ehemaligen Anhänger nicht mehr hinter sich zu scharen.

Wo steht der Geist?
Trotzdem findet Bundespräsident Leuenberger, dass „der Geist immer noch links“ stehe. Unter uns Pfarrerssöhnen dürfen wir uns wohl an die biblische Weisheit erinnern, wonach der Geist weht, wo er will. Kein Bundespräsident – nicht einmal ein sozialdemokratischer – kann letztlich darüber urteilen, bei wem der Geist ist und bei wem er fehlt. Im Vergleich zur SP steht die SVP rechts, d.h., sie tritt für mehr Freiheit des Bürgers ein und betont die Eigenverantwortung, belässt ihm aber auch Selbstbestimmung und nimmt ihm nicht den wesentlichen Teil seines Einkommens wieder weg, um es umzuverteilen. Wo steht der Geist? „Linke“ Politik – die Betonung des Kollektivs, die staatliche Planung der wirtschaftlichen und persönlichen Lebensumstände, die starke Regelungskompetenz des Staates – lehnt die SVP hingegen als lebensfremd und erfolglos ab. Was soll nach all den Erfahrungen mit dem Sozialismus denn bei den Linken so geistvoll sein? Dort, wo in der Vergangenheit die angeblich so „geistvollen“ linken Rezepte in Politik und Wirtschaft in die Realität umgesetzt wurden, waren die Resultate für die betroffenen Menschen jedenfalls weder geistnoch wohlstandsfördernd.

Demokratie und Freiheit
Vielleicht stehen wir uns aber näher, wenn Leuenberger Demokratie, Menschenrechte, Solidarität und Freiheit beschwört. Eigenartigerweise bezeichnet er diese Güter kurzerhand als „linke Grundsätze“. So beschwört die Linke einerseits die Demokratie, fordert aber gleichzeitig den EU-Beitritt, der nicht nur die Wohlfahrt, sondern gerade auch die Demokratie für die Bürgerinnen und Bürger massiv einschränken würde. Menschenrechte ohne Privateigentum und weitestgehenden Schutz vor der staatlichen Allmacht sind undenkbar. Echte Solidarität besteht für die SVP darin, mit eigenen Mitteln freiwillig für Not Leidende hinzustehen. Die SP versteht darunter staatlichen Zwang zur Umverteilung. Wer Solidarität mit dem Geld anderer Leute betreibt, hat kein Recht, sich zu rühmen. Zur Freiheit: Die Linke hat den Massen eine Freiheit von Not versprochen, indem sie die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Menschen beseitigen wollte. Das führt zur zentral gelenkten Einkommensverteilung, ja die gesamte Wirtschaftstätigkeit funktioniert nur, wenn der Staat sämtliche Bedürfnisse der Menschen bewertet, lenkt und befriedigt – dies ist der sicherste Weg zur Vernichtung der Freiheit! Wundert es da jemanden, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger genug davon haben?

← Zurück zu: Artikel