Die Europa-Politik der SVP

Referat anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP in Appenzell am 15. April 2000

 

Meine Damen und Herren

In einer führenden Wirtschaftszeitung vom 8. April 2000 lese ich in einem Artikel unter dem Titel „Beschäftigungswunder Schweiz“, dass der Schweiz punkto Beschäftigung und wirtschaftlicher Wohlfahrt der Spitzenplatz zukommt. Auch auf allen internationalen Ranglisten über die Wohlfahrt, über die wirtschaftliche Leistungskraft, über die politischen Freiheitsrechte, angefangen vom Lebensstandard des Einzelnen bis zur Lebensqualität allgemein, belegt unser Land einer der ersten Plätze.

Diese Bilanz erfolgt gut sieben Jahre nachdem das Schweizervolk und die Kantone die Kraft hatten, den Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abzulehnen. Der Souverän beschloss dies, obwohl dem Schweizer- volk von Bundesrat, der Mehrheit des Parlamentes, fast allen Verbänden, Gewerkschaften, Medien und allem, was Rang und Namen hatte – kurz von der „classe politique“ – prophezeit worden war, die Schweiz würde bei Ablehnung des Vertrages wirtschaftlich ein Hinterwäldner-Dasein fristen. Das Nein zu einem Vertrag, der die Schweiz daran gehindert hätte, an ihrer Souveränität, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit festzuhalten, war schliesslich aber – einmal mehr – ein Erfolgsrezept für Freiheit und Wohlfahrt unserer Bürger. Dank dem Festhalten an den besonderen Staatssäulen steht der Kleinstaat Schweiz noch immer besser da als fast alle anderen Staaten.

Was sind denn aber die Besonderheiten des Kleinstaates Schweiz? Ich habe diese Frage oft mit ausländischen Politikern, Industriellen, Oekonomen und Politologen erörtert. Bei aller Hinterfragung und Diskussion, bei aller kritischen Betrachtung kommt man immer zum gleichen Schluss: Es ist der Sonderfall Schweiz, um den man uns beneidet. Eigenartigerweise wissen ausländische Leute, die unser Land kennen, die Vorteile dieses Sonderfalles weit mehr zu schätzen als all die kleinmütigen schweizerischen Politiker, die glauben, das Heil bestehe darin, gleich zu sein wie die anderen und danach zu streben, alles, was uns unterscheidet, abzuschaffen.

Der Sonderfall der Schweiz, das Geheimnis der Schweiz, beruht auf folgenden Säulen:

– der Volkssouveränität (alle Macht geht vom Volk aus, d.h. Führung des Staates
von unten)
– der direkten Demokratie und damit der direkten Einflussnahme des Volkes auch
in Sachgeschäften, was zur Machtbeschränkung der Politiker führt
– dem Föderalismus mit seinem Wettbewerb unter Kantonen und unter Gemeinden,
der ein bedeutendes Mittel gegen Zentralismus und zentrale Bürokratie darstellt
– der dauernd bewaffneten Neutralität, die Grossmachtgelüste der „classe politique“
verhindert, was zur Sicherheit des Landes führt
– der Achtung und Freundschaft, die uns mit allen Staaten dieser Welt verbindet
– dem Widerstand gegen die Einbindung in internationale Grossgebilde
– der freiheitlichen Verfassung, die die Macht von Regierung und Parlament beschränkt
– der Betonung der Selbstverantwortung und Freiheit des Bürgers

Die Aussenpolitik – auch und gerade die Europapolitik – hat diesen zentralen Werten Rechnung zu tragen. Diesen Staatssäulen, die im Laufe vieler Jahrhunderte gewachsen sind und deshalb nicht als toter Buchstabe einer Verfassung betrachtet werden dürfen, verdankt die Schweiz nicht nur ein Mass an Freiheit und Wohlergehen, sondern auch die Tatsache, dass unser Land während 200 Jahren keine Kriege mit anderen Staaten führen musste.

Tragischerweise werden diese Erfolgsgeheimnisse der Schweiz gerade von den führenden Leuten verkannt. Es gehört heute leider zum guten Ton, diese bewährten Erfolgsgeheimnisse für veraltet zu erklären und lächerlich zu machen. Die „classe politique“ lähmte die eigenen Bürger in den letzten Jahren mit Selbstanklagen, ein auf diesem Erdball einzigartiger Vorfall. Es ist wohl das Ziel, die Bürger zu verunsichern, um sie für grosse, internationale Organisationen gefügig zu machen und ihre persönliche und wirtschaftliche Freiheit einzuschränken. Durch oberflächliches Nacheifern internationaler Aktivitäten will man sich beliebt machen und merkt nicht, dass dadurch in Wirklichkeit der Respekt verloren geht und man die Eigenständigkeit verliert.

Die Schweiz in Europa

Die Schweiz ist nicht nur mit allen Staaten der Welt, sondern insbesondere mit denjenigen Europas freundschaftlich verbunden. Die europäischen Staaten sind unsere wichtigsten Handelspartner, kulturell wie politisch unsere Nachbarn, und unsere Verbindungen zu den EU-Staaten sind zum Teil wesentlich enger als diejenigen unter den einzelnen EU-Staaten selbst. Eines aber hat die Schweiz nicht getan, nämlich sich einbinden lassen, und sie sollte es auch nie tun. Denn dies hätte dazu geführt, dass unsere Staatssäulen, welche die Stärke der Schweiz ausmachen, geschwächt oder abgerissen worden wären.

Freundschaft in Freiheit statt Integration und Bevormundung!
Deshalb tritt die SVP in ihrem Parteiprogramm gegen jede Einbindung in internationale Organisationen ein, die die Unabhängigkeit und Neutralität schwächen würde.

In Bezug auf Europa heisst dies:
– Nein zum EWR
– Nein zum EU-Beitritt
– Nein zum NATO-Beitritt
– Ja zur Unabhängigkeit
– Ja zu einer sicheren Zukunft in Freiheit

Der EWR-Vertrag

Der EWR-Vertrag ist nichts anderes als ein „Kolonialvertrag“. Er sah vor, ganze Rechtsgebiete der Schweiz durch die Europäische Union zu regeln, ohne dass die Schweiz hätte mitentscheiden können. Der EWR-Vertrag hätte der Schweiz auch bei wichtigen Entscheidungen kein Vetorecht eingeräumt. Das hat auch der Bundesrat erkannt und deshalb konsequenterweise noch vor der EWR-Abstimmung erklärt, der EWR-Vertrag mache höchstens als Vorstufe zum EU-Beitritt Sinn und folglich das EU-Beitrittsgesuch eingereicht. Wie gross die EWR-Falle ist, können Sie in diesen Tagen in den Zeitungen lesen. So hat kürzlich der deutsche Finanzminister Eichel erklärt, im EWR dürfte es keine Steuerinseln geben, obwohl die Steuerfragen im EWR-Vertrag expressis verbis ausgeklammert sind. Der deutsche Finanzminister sprach damit Lichtenstein an. Die Schweiz als Kleinstaat hat sich bewusst zu sein, wie sehr in solchen Gebilden schlussendlich die Macht und weniger das Recht eine Rolle spielt. Ein Kleinstaat darf sich nicht einer Organisation anschliessen, in der Macht über Recht gesetzt wird, denn der Kleinstaat kann sich lediglich auf das Recht stützen.

EU-Beitritt

Der EU-Beitritt, den Bundesrat und Parlamentsmehrheit – in tragischer Verblendung – anstreben, hätte einen schwerwiegenden Souveränitätsverlust, namentlich einen Eingriff in die Volksrechte und die Abschaffung der Neutralität zur Folge – von den konkreten Nachteilen, wie beispielsweise den schwerwiegenden finanziellen Verpflichtungen, der Gestaltung der Steuern durch die EU, der Uebernahme der EU-Landwirtschaftspolitik, der Abschaffung des Bankgeheimnisses, der vollständigen Uebernahme der Verkehrspolitik bis zur Regelung und Vereinheitlichung im täglichen Leben gar nicht zu sprechen. Wie sehr auch hier mit der Macht gespielt wird, ersehen Sie aus dem unglaublichen Vorgehen der 14 EU-Staaten gegenüber dem Kleinstaat Oesterreich: Eine demokratisch gewählte Regierung wird unter fadenscheinigen moralischen Begründungen bedroht, boykottiert und ausgegrenzt. Dies hat sich der Kleinstaat Schweiz vor Augen zu führen. Auch hier gilt: Macht und Recht sind zwei Paar Schuhe. Der Weg der Macht ist oft einfacher als derjenige des Rechtes, aber nur letzterer steht dem Kleinstaat zur Verfügung. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet!“ Die SVP sagt deshalb schon in ihrem Parteiprogramm klar Nein zum EU-Beitritt.

NATO-Beitritt

Wir treten klar für die dauernd bewaffnete Neutralität ein. Die dauernd bewaffnete Neutralität ist einer der wesentlichen Gründe, der es unserem Land während 200 Jahren ermöglicht hat, sich aus all den Kriegen mit fremden Mächten fernzuhalten. Auch deshalb hat die SVP einen EU-Beitritt abzulehnen. Aber ebenso konsequent den Beitritt zur NATO.

Bilaterale Verträge

Meine Damen und Herren, die Schweiz ist gut damit gefahren, sich weltoffen zu verhalten, ohne sich in Machtstrukturen einbinden zu lassen. Weltoffenheit ohne Fesseln – das ist der richtige Weg. Er garantiert Handlungsfreiheit und verhindert, dass Machtübergriffe durch fälschlicherweise eingegangene Bindungen als rechtens erklärt werden. Die Probleme zwischen Staaten lösen wir mit Verträgen. Gerade mit den EU-Staaten und mit der EU selbst besteht eine Vielzahl von Verträgen, Abkommen, Regelungen, Absprachen usw. Man nennt das heute bilaterale Verträge, was nichts anderes heisst als zweiseitige Verträge. Um solche Verträge geht es heute.

Bilaterale Verträge haben nicht die schwerwiegenden Folgen eines Kolonialvertrages wie des EWR, weil die EU-Staaten kein künftiges Recht für unser Land setzen, aber auch nicht die gravierenden Einbindungsfolgen in eine EU. Ob die Verträge gut oder schlecht sind, hat man am Inhalt zu prüfen. Es ist zu fragen, ob wir eine Verkehrs-, Personenfreizügigkeits-, Landwirtschafts-, Wirtschafts- oder andere Politik machen wollen, so wie dies die Verträge vorsehen.

Eines steht fest: Bilaterale Verträge abzuschliessen, macht nur Sinn, wenn man der EU nicht beitreten will. Durch die Weigerung des Bundesrates, nach dem EWR-Nein vom erklärten Ziel des EU-Beitrittes Abstand zu nehmen, ist die Schweiz in ein schiefes Licht geraten. Was will der Bundesrat jetzt eigentlich? Will er in die EU oder will er nicht? Gibt es ein achtjähriges Moratorium, wie dies Bundesrat Couchepin ankündigte und dann unter Druck des Gesamtbundesrates zum Missverständnis erklären lassen musste? Warum zieht der Bundesrat das EU-Beitrittsgesuch nicht zurück? Es sind der Fragen viele und sie fördern die Glaubwürdigkeit in unsere Aussenpolitik nicht. Es ist eine grosse Tragik, dass der Bundesrat mit der EU bilaterale Verträge aushandelte und ihr gleichzeitig stets den Beitrittswillen bekundete. Damit fehlte es der Landesregierung an Kraft, der EU die Bedeutung der schweizerischen Souveränität und Neutralität glaubwürdig zu vermitteln. Und dadurch fehlte eben auch die Kraft, all den Nachteilen, welche die EU der Schweiz überbinden wollte, wirksam entgegenzutreten. Der Nichtrückzug des EU-Beitrittsgesuches nach der für die Regierung verlorenen EWR-Abstimmung war eine Schwächung der Schweiz. Darum hat die SVP diesen Rückzug stets gefordert.

Ob Sie – meine Damen und Herren – diesen Vertragswerken zustimmen wollen oder nicht, haben sie heute frei zu entscheiden, was Sie – wäre die Schweiz Mitglied der EU – nicht tun könnten. Es geht heute nicht um die grosse Frage der Preisgabe von Souveränität und Neutralität, sondern darum, ob Sie die Politik, die diese Verträge unserem Land auferlegen, mit all ihren Vor- und Nachteilen akzeptieren wollen oder nicht.

Ich verzichte darauf, die Vor- und Nachteile dieses Vertrages hier zu behandeln. Die Mehrheit unserer Fraktion hat zwar zu den Verträgen Ja gesagt, aber die Mehrheit der flankierenden Massnahmen abgelehnt. Ich persönlich lehne nicht nur die unbefriedigenden flankierenden Massnahmen, sondern auch die Verträge ab, weil sie meiner Meinung nach zu einer Schwächung des Wirtschaftsstandortes Schweiz und zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit führen sowie ein finanzielles Abenteuer bedeuten. Gleichzeitig habe ich aber auch erklärt, dass ich weder für ein Referendum noch für den Abstimmungskampf zur Verfügung stehe, weil bei weiteren Verhandlungen durch den Bundesrat, der in die EU will, kein besseres Resultat erzielt würde.

Ich freue mich, dass Pro und Kontra dieser Verträge heute durch SVP-Delegierte behandelt werden. Die Behandlung hebt sich wohltuend vom Vorgehen der anderen Regierungsparteien ab. Dort wurden die Vor- und Nachteile nicht hinterfragt, sondern eine Zustimmung zelebriert, ganz so, als wären Parteitage Versammlungen von blökenden Schafen!

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